George Eliot
Adam Bede - Erster Band
George Eliot

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Zweites Buch

Siebzehnter Abschnitt.

Die Geschichte steht ein wenig stille.

»Dieser Pastor von Broxton ist ja ein rechter Heide!« höre ich eine von meinen Leserinnen ausrufen. »Wie viel erbaulicher, wenn ihn der Verfasser dem jungen Herrn wahrhaft geistlichen Rat hätte geben lassen; er hätte ihm die schönsten Dinge in den Mund legen können, eine förmliche Predigt!«

Gewiß hätte ich das gekonnt, liebe Leserin, wenn ich ein geschickter Romanschreiber wäre und mich nicht verpflichtet fühlte, der Natur und den Thatsachen getreu nachzugehen, sondern mir die Freiheit nähme, die Dinge so darzustellen, wie sie nie gewesen sind und nie sein werden. Dann hätte ich mir natürlich meine Charaktere lediglich selbst wählen, den tadellosesten Geistlichen auslesen und ihm bei jeder Gelegenheit meine eigenen vortrefflichen Ansichten in den Mund legen können. Aber meine Leser und Leserinnen haben gewiß längst gemerkt, daß ich keinen so hohen Beruf habe und nach nichts höherem strebe, als von Menschen und Dingen, wie sie sich in meinem Geiste spiegeln, treuen Bericht zu erstatten. Der Spiegel ist zweifellos mangelhaft, die Umrisse manchmal etwas verwischt, der Widerschein matt oder trübe, aber so genau wie möglich zu sagen, was das Spiegelbild ist, dazu fühle ich mich so fest verpflichtet, als wäre ich Zeuge vor Gericht und spräche auf meinen Eid.

Vor sechzig Jahren – es ist lange her, und kein Wunder, wenn die Dinge sich seitdem geändert haben – vor sechzig Jahren waren nicht alle Geistlichen Glaubenseiferer; ja, es ist Grund zu glauben, daß die Zahl der glaubenseifrigen Geistlichen nur klein war, und wenn einer aus dieser kleinen Zahl die Pfarrstelle in Broxton und Hayslope im Jahre 1799 bekleidet hätte, so würden ihn meine Leser wahrscheinlich nicht lieber leiden mögen als den Pastor Irwine. Zehn gegen eins, sie hätten ihn für einen geschmacklosen, ungebildeten Pedanten gehalten. Die Thatsachen treffen ja so selten jene zarte Mitte, die unsern eignen erleuchteten Ansichten und unserm gebildeten Geschmack entspricht! Man antwortet mir vielleicht: »dann ändere doch die Thatsachen ein wenig zum Bessern; bring' sie mehr in Übereinstimmung mit den richtigeren Ansichten, die wir jetzt zu haben so glücklich sind. Die Welt ist nicht grade wie wir sie möchten, putze sie mit einem geschmackvollen Pinsel etwas heraus und bring' etwas Einheit in die verwickelte, verworrene Geschichte. Laß jeden, der tadellos denkt, auch tadellos handeln. Setze deine schlimmsten Charaktere immer ins Unrecht und deine tugendhaften laß immer recht thun. Dann kann man auf einen Blick sehen, wen man verurteilen und wen man hochstellen muß; dann wird man bewundern dürfen, ohne in seinen Vorurteilen gestört zu werden, und hassen und verachten mit der rechten unerschöpflichen Lust unzweifelhafter Gewißheit.«

Aber, liebe Leserin, was willst du denn mit dem Nachbar anfangen, der deinen Mann im Gemeinderat angreift? mit dem neuen Pastor, dessen Predigten betrübt weit zurückstehen hinter denen seines tiefbetrauerten Vorgängers? mit deinem ehrlichen Dienstmädchen, bei deren Versehen dir beinahe die Geduld ausgeht? mit deiner Nachbarin, die in deiner letzten Krankheit wahrhaft liebevoll gegen dich gewesen ist, aber nach deiner Genesung sich einigemale sehr unfreundlich über dich geäußert hat? und was endlich mit deinem vortrefflichen Mann selbst, der noch ganz andere ärgerliche Gewohnheiten hat, als sich die Stiefel nicht abzuputzen? All diese Mitmenschen vom ersten bis zum letzten mußt du nehmen, wie sie sind, kannst ihre Nasen nicht grade machen, ihren Witz nicht schärfen, ihre Anlagen nicht bessern; und diese Mitmenschen, unter denen du dein Leben verbringst, die mußt du ertragen, bemitleiden und lieben; an diesen mehr oder weniger häßlichen, dummen, ungereimten Mitmenschen mußt du fähig bleiben die guten Regungen zu bewundern; gegen sie sollst du nicht verlernen, alle Hoffnung, alle Geduld zu üben. Und darum, selbst wenn ich die Wahl hätte, möchte ich nicht der geschickte Romanschreiber sein, der eine viel bessere Welt als die unsres täglichen Lebens schaffen könnte, weil du dann versucht wärest, die staubigen Straßen und die grünen Felder und die wirklichen lebendigen Menschen kälter und gefühlloser anzusehen, die unter deiner Gleichgültigkeit leiden und von deinen Vorurteilen verletzt werden können, und die andrerseits dein Mitgefühl, deine Nachsicht, dein ausgesprochenes tapferes Rechtsgefühl aufmuntern und fördern kann.

Und so begnüge ich mich denn, meine einfache Geschichte zu erzählen, ohne den Dingen einen bessern Anstrich geben zu wollen, als sie wirklich haben, ohne etwas anderes zu fürchten als das Falsche, wovor man beim besten Willen allen Grund hat auf der Hut zu sein. Das Falsche ist so leicht und das Wahre so schwer. Der Griffel geht so köstlich leicht, wenn man einen Greif zeichnet, – je länger die Klauen und je größer die Flügel, desto besser; aber diese wunderbare Leichtigkeit, die wir fälschlich für Genie hielten, läßt uns bös im Stich, wenn wir einen natürlichen Löwen ohne Übertreibung zeichnen wollen. Man prüfe seine Worte genau und man wird finden, daß es selbst, wenn man keinen Grund hat falsch zu sein, außerordentlich schwer ist, haarscharf die Wahrheit zu sagen und wäre es auch über die eigene unmittelbare Empfindung – viel schwerer, als etwas hübsches darüber zu sagen, was nicht die genaue Wahrheit ist.

Wegen dieser seltnen kostbaren Wahrhaftigkeit sind viele niederländische Bilder, welche hochfliegende Geister verachten, für mich eine Freude. Mit entzückender Sympathie sprechen diese treuen Abbilder eines einförmigen, einfachen Lebens mich an, wie es bei weitem mehr Mitmenschen geführt haben, als ein Leben der Pracht oder völligen Armut, tragischen Leidens oder welterschütternder Thaten. Von wolkengetragenen Engeln, von Propheten, Sibyllen und Kriegshelden wende ich mich ohne Widerstreben zu einer alten Frau, die sich auf ihren Blumentopf bückt oder ihr einsames Mittagsbrot verzehrt, während die Mittagssonne, vielleicht ein wenig gemildert durch einen Schirm von grünen Blättern, auf ihre Morgenmütze fällt und den Rand ihres Spinnrades und ihren steinernen Krug und all den einfachen Hausrat eben streift, der für sie so kostbar ist und zu ihrem Leben gehört; oder ich wende mich zu jener Bauernhochzeit, die zwischen vier braunen Wänden gehalten wird, wo ein Taps von jungem Ehemann mit seiner hochschultrigen, dickköpfigen jungen Frau den Tanz eröffnet, während die älteren Freunde zusehen mit sehr unregelmäßigen Nasen und Lippen, und wahrscheinlich mit großen Bierkrügen in der Hand, aber mit einem unverkennbaren Ausdruck von Zufriedenheit und Herzlichkeit. »Puh,« fällt mir hier ein Idealist ins Wort, »welche Gewöhnlichkeiten! Was hat der Maler davon, daß er sich die viele Mühe giebt, um ein ganz richtiges Bild von alten Weibern und dummen Tölpeln herauszubringen? Wie niedrig ist diese Sphäre des Lebens! Wie häßlich und plump die Menschen!«

Aber, mein Lieber, es giebt doch hoffentlich Dinge, die unsre Liebe verdienen, ohne hübsch zu sein? Es ist mir einigermaßen zweifelhaft, ob nicht die Mehrzahl der Menschen überhaupt häßlich ist, und selbst unter den »Göttern dieser Erde,« den Britten, ist eine untersetzte Gestalt, eine häßliche Nase und eine schmutzige Gesichtsfarbe keineswegs eine überraschende Ausnahme. Und doch steht bei uns Verwandtenliebe in hoher Blüte. Ich selbst habe ein paar Freunde, zu deren Zügen eine Apollolocke über der Stirn sehr schlecht stehen würde, und doch haben, wie ich bestimmt weiß, weibliche Herzen für sie geschlagen und mütterliche Lippen küssen im stillen ihre kleinen – zwar etwas geschmeichelten und doch noch nicht hübschen – Abbilder. Auch ist mir manche vortreffliche Matrone vorgekommen, die selbst in ihren besten Jahren nicht hübsch gewesen sein konnte, und doch hatte sie in ihrem geheimen Auszuge ein Päckchen vergilbter Liebesbriefe, und auf ihre eingefallenen Wangen regnete es Küsse von lieben Kindern. Und unzweifelhaft ist mir endlich, daß es eine Menge junger Helden gegeben hat, die sich, kaum ausgewachsen und schwachbärtig, verschwuren, sie könnten nie ein Mädchen unter einer Diana lieben, und die sich doch im spätern Leben sehr glücklich gefunden haben bei einer Frau mit watschelndem Gange. Ja, gottlob! die Empfindung der Menschen gleicht den mächtigen Strömen, den Segenspendern der Erde: sie wartet nicht auf Schönheit – sie strömt mit unwiderstehlicher Gewalt und trägt die Schönheit in sich.

Alle Ehre und Achtung der göttlichen Schönheit der Form! Pflegen wir sie aufs höchste bei Männern, Frauen, Kindern, in unsern Gärten und Häusern. Aber lieben wir auch jene andere Schönheit, die nicht in dem Geheimnis der Verhältnisse liegt, sondern in dem Geheimnis tiefer, menschlicher Sympathie. Malt uns, wenn ihr könnt, einen Engel mit fliegendem, violettem Gewande und einem Antlitz, das gebleicht ist vom himmlischen Lichte; malt uns noch öfter eine Madonna, die ihr mildes Antlitz emporwendet und ihre Arme öffnet der Glorie des Herrn entgegen; aber zwingt uns keine ästhetischen Regeln auf, welche aus dem Gebiete der Kunst jene alten Weiber verbannen würden, die mit ihren schwieligen Händen Rüben schälen, jene derben Bauernschlingel, die sich in einer schmutzigen Bierstube einen lustigen Tag machen, jene gekrümmten Rücken und dummen abgehärteten Gesichter, die sich auf den Spaten gebückt und grobe Arbeit gethan haben, jene Hütten mit den Blechpfannen, den braunen Krügen, den zottigen Hunden und den Haufen von Zwiebeln. Es gibt ja auf der Erde so viele von diesem gewöhnlichen, derben Volk ohne malerisches, sentimentales Elend, und nie sollten wir aus den Augen verlieren, daß sie da sind; sonst lassen wir sie auch leicht aus unserer Religion und Philosophie fort und machen uns erhabene Theorien zurecht, die nur für eine Welt von Extremen passen. Möge uns denn die Kunst immer an sie erinnern; möge es immer Männer geben, welche die Mühe eines Lebens daran setzen, die Dinge des gewöhnlichen Lebens treu darzustellen, – Männer, welche in diesen alltäglichen Dingen Schönheit sehen und ihre Freude daran haben, zu zeigen, wie freundlich auf sie das Licht des Himmels fällt. Propheten giebt es wenige auf der Welt, herrlich schöne Frauen wenige, Helden wenige, und solchen Seltenheiten all meine Liebe und Verehrung zu geben, das geht über meine Mittel: ein gut Teil dieser Empfindungen habe ich für meine gewöhnlichen Mitmenschen nötig, und namentlich für die wenigen, die im Vordergrund der großen Menge stehen, deren Gesicht ich kenne, die ich bei der Hand fasse, denen ich freundlich und höflich Platz machen muß. Auch sind malerische Lazzaronis und interessante Verbrecher nicht halb so häufig wie der gewöhnliche Arbeitsmann, der sich selbst sein Brot verdient und es plump, aber ehrlich, mit seinem eignen Taschenmesser verzehrt. Es ist viel nötiger, durch Sympathie mit dem gewöhnlichen Bürgersmann verbunden zu sein, der in schlechter Halsbinde und Weste uns den Zucker abwiegt, als mit dem hübschesten Schurken in roter Schärpe und grünen Federn; – viel nötiger, daß unser Herz in liebender Bewunderung aufgeht über einen Zug von sanfter Güte an den unvollkommenen Menschen, die mit uns um denselben Herd sitzen, oder an dem Geistlichen unsres eignen Kirchspiels, wenn er auch etwas zu dick ist und sonst nicht grade ein zweiter Oberlin und Tillotson, als über die Thaten von Helden, die wir niemals kennen werden als nur von Hörensagen, oder über das vollkommenste Muster aller liebenswürdigen Geistlichen, welches je ein geschickter Romanschreiber erdacht hat.

Und damit komme ich auf Pastor Irwine zurück, mit welchem ich meine Leser im besten Einvernehmen zu sein bitte, so weit er auch entfernt sein mag, alle ihre Ansprüche an den geistlichen Stand zu befriedigen. Vielleicht war er nach ihrer Ansicht nicht grade – was er hätte sein müssen – ein lebendiger Beweis für die Segnungen einer Staatskirche. Ich teile indessen diese Ansicht nicht ganz; wenigstens weiß ich, daß seine Pfarrkinder in Broxton und Hayslope ihn sehr ungern hätten scheiden sehen und daß die meisten Gesichter sich aufheiterten, wenn sie ihn kommen sahen, und bis mir jemand beweist, Haß sei für das menschliche Herz besser als Liebe, muß ich schon glauben, daß Irwines Einfluß in seinem Kirchspiel wohlthätiger war, als der des Glaubenseiferers Ryde, der zwanzig Jahre später hinkam, nachdem Irwine zu seinen Vätern versammelt war. Zwar ist es richtig, daß Pastor Ryde auf die Glaubenssätze der Reformation streng hielt, seinen Pfarrkindern viel in die Häuser kam und die Schwachheiten des Fleisches streng tadelte, ja sogar das Rundsingen der Chorschüler um Weihnachten beseitigte, weil es das heilige Fest entwürdige und zum Trinken verleite; aber ich habe mir doch von Adam Bede, mit dem ich in späteren Jahren die Sache besprach, sagen lassen, wenigen Geistlichen sei es schlechter gelungen, die Herzen ihrer Pfarrkinder zu gewinnen als dem Pastor Ryde. In der Glaubenslehre machte er ihnen manche Begriffe klar; fast jeder Kirchgänger unter fünfzig lernte zwischen dem echten Worte Gottes und den weniger wichtigen Lehren so gut unterscheiden, als wäre er als Dissenter geboren und erzogen, und die erste Zeit nach seiner Einführung daselbst schien in dem ruhigen ländlichen Bezirk förmlich eine religiöse Erweckung vorzugehen. »Aber,« sagte mir Adam, »schon in meiner Jugend habe ich ziemlich klar eingesehen, daß zur Religion noch etwas anderes gehört als Begriffe. Was den Menschen antreibt, recht zu thun, das sind nicht Begriffe, das ist sein Gefühl. Mit den Begriffen in der Religion ist es grade so, wie in der Mathematik; es kann einer seine Aufgabe frischweg aus dem Kopfe lösen, wenn er am Feuer sitzt und seine Pfeife raucht; wenn er aber eine Maschine machen oder einen Bau führen soll, dann muß er einen Willen haben und einen Entschluß, und seine Bequemlichkeit muß ihm nicht das höchste sein. Mit der Zeit ließ die Gemeinde nach, und die Leute hielten nicht mehr so viel auf Pastor Ryde. Im Grunde wollte er, glaube ich, das rechte; aber, sehen Sie, er hatte eine mürrische Art mit den Leuten, zog ihnen wohl was ab, wenn sie für ihn arbeiteten, und dazu wollte sein Predigen doch nicht recht stimmen. Und dann spielte er auch gern den Oberrichter im Dorfe und bestrafte die Leute, wenn sie mal Unrecht thaten, und schelten konnte er auf der Kanzel, als hätte er zu den Schwärmern gehört, und doch mochte er die Dissenter nicht leiden und war viel aufsässiger gegen sie als Pastor Irwine. Auch wirtschaftete er schlecht und ging über sein Vermögen; als er ins Amt kam, glaubte er nämlich, mit seinen sechshundert Pfund jährlich könne er's so groß treiben wie der Gutsherr, – eine böse Geschichte das, die ich schon oft erlebt habe, wenn einer plötzlich eine gute Stelle bekam. Auswärts galt er ziemlich viel, glaub' ich, und er schrieb auch Bücher, aber von Mathematik und dergleichen verstand er so wenig wie ein Frauenzimmer. In unsern Glaubenslehren wußte er sehr Bescheid und pflegte sie das Bollwerk der Reformation zu nennen, aber von der Sorte Gelehrsamkeit, wobei die Leute im gewöhnlichen Leben thöricht und unverständig bleiben, hab' ich immer nur wenig gehalten. Da war Pastor Irwine ganz anders! So klug! In einem Augenblick begriff er, was man wollte, und aufs Bauen verstand er sich auch. Und gegen die Bauern und die alten Frauen und die Arbeitsleute war er eben so anständig und höflich wie gegen die Vornehmen. Er mischte sich nicht in alles und schimpfte nicht und suchte den Großen zu spielen. Ja, das war ein so prächtiger Mann, wie man nicht leicht einen sieht. Und so gut gegen Mutter und Schwestern; die arme, kränkliche Fräulein Anna – die schien ihm mehr ans Herz zu gehen als alles andere. In dem ganzen Kirchspiel wußte ihm auch kein Mensch etwas böses nachzusagen, und seine Dienstleute blieben bei ihm, bis sie alt und gebrechlich waren und er ihnen andere zu Hilfe nehmen mußte.«

»Nun,« erwiderte ich, »das war für die Wochentage eine recht gute Art zu predigen; aber ich glaube doch, wenn Euer alter Freund Irwine wieder ins Leben käme und nächsten Sonntag die Kanzel bestiege, Ihr würdet Euch doch ein bißchen schämen, daß er nicht besser predigt, nachdem Ihr ihn so gelobt habt.«

»Nein, nein,« sagte Adam und hob seine Brust heraus und lehnte sich im Stuhl zurück, als sei er bereit, alle Einwendungen zurückzuschlagen, »nein, für einen großen Redner habe ich Irwine nie gehalten. Er ging nicht tief in das geistliche Leben, und es giebt doch vieles im innern Leben des Menschen, was man nicht nach Fußen und Zollen messen kann und dabei sagen: wenn man so thut, dann folgt dies, und wenn man wieder so thut, dann folgt das. Es gehen Dinge in der Seele vor, und es giebt Zeiten, wo Gefühle über uns kommen wie ein starkes Brausen des Windes (wie die Schrift sagt), die unser Leben fast in zwei Hälften scheiden, daß man auf die eine Hälfte zurückblickt, wie auf etwas ganz fremdes. Das geht in kein Rechenexempel, und in dieser Beziehung halte ich es ganz mit den Methodisten. Das ist das tiefe, geistliche Leben, von dem ich sprach; mit Reden läßt sich da nicht viel machen, aber man fühlt es. Und auf so etwas ging Pastor Irwine allerdings nicht ein: er hielt kurze moralische Predigten, das war alles. Aber er handelte so wie er sprach; er that nicht heute, als stände er hoch über andern, und war ihnen doch morgen so ähnlich wie eine Erbse der andern. Er flößte den Leuten Liebe und Achtung ein, und das war besser, als wenn er ihnen durch viel Mängeln und Quengeln die Galle erregt hätte. Frau Poyser pflegte zu sagen – wie sie denn über alles was zu sagen hatte – sie sagte, Pastor Irwine sei wie eine gute Mahlzeit, die einem gut bekommt, ohne daß man weiter daran denkt, und Pastor Ryde sei wie Medizin, die einen peinigt und quält und von der man doch nicht viel besser wird.«

»Aber predigte Ryde nicht ein gut Teil mehr über das innere religiöse Leben, von dem Ihr sprecht, Adam? Hattet Ihr nicht mehr von seinen Predigten als von Pastor Irwines?«

»Na, das weiß ich doch nicht; er predigte viel über die Glaubenslehren, aber wie ich schon vorhin sagte, zur Religion gehört noch was anderes als Glaubenslehren und Begriffe. Es kommt mir grade so vor, als wären die Glaubenssätze ein Namensregister für das, was man fühlt, so daß man sich gegenseitig dabei versteht, grade wie einer über das Arbeitszeug sprechen kann, wenn er die verschiedenen Namen kennt, wenn er die Sachen selbst auch kaum gesehen, geschweige gebraucht hat. Ich habe mein Leben lang genug von Glaubenslehren gehört; schon als ich siebzehn Jahr alt war, ging ich mit Seth zu den Dissenterpredigern und zerbrach mir den Kopf über Arminianer und Calvinisten. Die Wesleyaner sind strenge Arminianer, wie Sie wissen, und Seth hielt sich gleich von Anfang an zu ihnen; aber ich glaubte, ich könne in ihren Lehren wohl hie und da ein Loch finden, und so stritt ich mich denn mal mit einem von ihren Lehrern in Treddleston und griff ihn bald von der einen, bald von der andern Seite so an, bis er am Ende sagte: »Junger Mann, der Teufel gebraucht Euren Hochmut und Eure Eitelkeit, um gegen die Einfalt des Glaubens zu streiten.« Damals mußte ich darüber lachen, aber auf dem Rückwege schien mir doch, der Mann habe nicht so ganz Unrecht. Ich fing an, einzusehen, all dies Abwägen und Sichten, was wohl der Spruch meine und was jener, und ob die Menschen nur durch Gottes Gnade selig werden oder ob auch eine Kleinigkeit von ihrem eigenen Willen dazu gehört, das habe mit der wirklichen Religion gar nichts zu thun; man kann Stunden lang darüber sprechen und wird immer nur noch eitler und eingebildeter davon. So hielt ich mich denn fortan nur an unsre Kirche und hörte keinen als Pastor Irwine, denn der sagte nur, was gut war und was man klug that sich zu merken. Und ich fand es besser für meine Seele, demütig zu sein vor den Geheimnissen der Wege Gottes und nicht unnütz zu plappern über Dinge, die ich doch nie begreifen könnte. Am Ende sind's auch armselige und thörichte Fragen; denn was wäre in uns oder außer uns, was nicht von Gott käme! Wenn wir die Kraft haben, das Rechte zu wollen, so ist er es doch, der sie uns gegeben, denk' ich, aber so viel ist mir klar, wir werden nie Recht thun ohne Kraft und Entschluß, und das ist für mich genug.«

Adam war augenscheinlich ein warmer Verehrer von Irwine, vielleicht sogar ein parteiischer Richter, wie zum Glück wohl auch einige von uns gegenüber den Leuten sind, die wir genau gekannt haben. Unzweifelhaft wird das von jenen hochstrebenden Geistern als eine Schwäche verachtet werden, die nach dem Idealen streben und im allgemeinen von dem Gefühl bedrückt sind, ihre Empfindungen seien zu zarter Natur, um unter ihren täglichen Genossen würdige Gegenstände zu finden. Diese auserwählten Herren haben mich oft mit ihrem Vertrauen beehrt, und wie ich da fand, waren sie einstimmig der Ansicht, große Männer würden überschätzt und kleine seien unerträglich, und wenn man eine Frau liebte, ohne daß einem diese Liebe späterhin jemals als eine Narrheit erschiene, so müsse eine solche Courmacherei für die Frau zum Sterben langweilig sein, und wer auch nur den geringsten Glauben an ein Heldentum unter den Menschen sich bewahren wollte, dürfe niemals eine Pilgerfahrt machen, um sich den Helden anzusehen. Ich muß bekennen, ich habe oft feige damit zurückgehalten, diesen gebildeten und scharfsinnigen Herren zu gestehen, was meine eigne Erfahrung gewesen ist: ich fürchte sehr, ich habe oft heuchlerisch zustimmend gelächelt und sie mit einem Witzwort über die Flüchtigkeit unsrer Illusionen unterhalten, welches jedem oberflächlichen Kenner der französischen Litteratur geläufig sein wird. Wir Menschen sind ja, wie ein weiser Mann bemerkt hat, im Verkehr unter einander nicht streng aufrichtig. Aber jetzt entlaste ich hiermit mein Gewissen und erkläre feierlich, daß ich Augenblicke der begeistertsten Bewunderung für alte Herren gehabt habe, welche das schlechteste Englisch sprachen, ab und zu sehr mürrischer Laune waren und nie eine höhere Stellung einnahmen, als die eines Gemeindevorstehers; und ich erkläre ferner, daß ich zu dem Schlusse, die Menschennatur sei liebenswürdig, und zu meiner geringen Kenntnis von der tiefen Leidenschaft und den erhabenen Geheimnissen dieser Natur dadurch gekommen bin, daß ich viel unter mehr oder weniger alltäglichen, ja gewöhnlichen Leuten gelebt habe, von denen man vielleicht nichts besonderes hören würde, wenn man in ihrer Umgebung nachforschte. Zehn gegen eins, die meisten von den kleinen Krämern in ihrer Nachbarschaft fanden an ihnen rein gar nichts. Denn es ist ein merkwürdiges Zusammentreffen, daß die Auserwählten, die nach dem Idealen streben und denen nichts in Hosen und Unterröcken für ihre Ehrerbietung und Liebe gut genug ist, ganz auffallend übereinstimmen mit den beschränktesten, kleinlichsten Leuten. Der Wirt in der Königseiche z. B. im Dorfe Shepperton pflegte seine Ansicht über seine Mitbürger – er kannte keine andern – oft genug in die nachdrücklichen Worte zusammenzufassen: »ich habe es immer gesagt und werde es immer sagen, es sind ganz armselige Kreaturen, die Leute hier im Dorf – ganz armselig, groß und klein.« Er hatte, schien's, die dunkle Vorstellung, wenn er nach einem entfernten Orte ziehen könne, dann würde er dort Nachbarn finden, die seiner würdig wären, und in der That zog er nachher in den Türkenkopf, ein blühendes Geschäft in einer Nebengasse des benachbarten Städtchens. Aber seltsam genug, er fand die Leute in dieser Nebenstraße genau von derselben Art wie die Einwohner von Shepperton – »armselige Kreaturen, groß und klein, und die ein Quart Schnaps holen sind nicht besser, als die ein halbes holen – lauter armselige Kreaturen.«


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