George Eliot
Adam Bede - Erster Band
George Eliot

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Achter Abschnitt.

Der Ruf des Herrn.

Beim Eintritt der beiden Herren war Dina aufgestanden, ohne jedoch das Leinen, an welchem sie nähte, aus der Hand zu legen; als sie bemerkte, daß Pastor Irwine sie ansah und auf sie zukam, verneigte sie sich ehrerbietig. Er hatte noch nie mit ihr gesprochen oder ihr so nahe gegenüber gestanden, und als jetzt ihre Blicke sich trafen, war ihr erster Gedanke: »welch' ein angenehmes Gesicht! O wenn doch der gute Same auf den Boden fiele; gewiß trüge er reichliche Frucht.« Der angenehme Eindruck mußte gegenseitig gewesen sein, denn der Pastor verneigte sich gegen sie so freundlich und achtungsvoll, als wäre sie die vornehmste Dame seiner Bekanntschaft.

»Sie sind nur zum Besuch in dieser Gegend, wenn ich nicht irre?« waren seine ersten Worte, als er ihr gegenüber Platz nahm.

»Nein, Herr Pastor, ich bin aus Snowfield in Stonyshire. Meine Tante war so freundlich, mich zu sich einzuladen; ich bin krank gewesen und sollte mich erholen.«

»O, ich kenne Snowfield recht gut; ich hatte mal da zu thun. Es ist ein trauriger Ort. Man baute damals eine Baumwollenspinnerei dort; es ist freilich viele Jahre her, und ich glaube, es hat sich seitdem infolge der Fabrikanlage manches geändert.«

»Ja, die Fabrik hat viele hingezogen, die drin arbeiten und etwas mehr Verkehr hingebracht haben. Ich arbeite auch in der Fabrik und muß dankbar dafür sein, denn nun kann ich genug verdienen und habe noch etwas übrig. Aber die Gegend ist immer noch so traurig, wie Sie sagen, Herr Pastor; hier bei Ihnen ist es ganz anders.«

»Sie haben wohl Verwandte dort und sind da wie zu Hause?«

»Früher hatte ich dort eine Tante, bei der ich aufgewachsen bin, denn ich war ein Waisenkind. Aber vor sieben Jahren wurde sie von mir genommen, und jetzt habe ich, so viel ich weiß, keine andern Verwandten als Tante Poyser, die sehr gut gegen mich ist und mich gern hierher ziehen möchte, in diese gute Gegend, wo die Leute reichlich ihr Brot haben. Aber ich bin nicht frei von Snowfield wegzugehen; da wurde ich zuerst gepflanzt und habe tief Wurzel geschlagen, wie feines Gras auf dem Hügel.«

»Ich kann mir denken, Sie haben da viele kirchliche Freunde und Genossen; Sie sind eine Methodistin, eine Wesleyanerin, nicht wahr?«

»Ja; meine Tante in Snowfield gehörte zu der Brüdergemeinde, und ich habe allen Grund, für den Segen dankbar zu sein, den ich dadurch von meiner Kindheit an gehabt habe.«

»Und haben Sie sich schon lange mit Predigen befaßt? – wie ich höre, haben Sie gestern abend in Hayslope gepredigt.«

»Zum erstenmal hab' ich's vor vier Jahren versucht, als ich einundzwanzig Jahr' alt war.«

»Ihre Gemeinde billigt es also, daß Frauen predigen?«

»Sie verbietet es wenigstens nicht, Herr Pastor, wenn die Frauen den rechten Beruf dazu haben und ihr Amt bewähren durch die Bekehrung von Sündern und die Stärkung der Gläubigen im Glauben. Wie Sie vielleicht gehört haben, war Madame Fletcher die erste Predigerin unter den Methodisten – vor ihrer Verheiratung, als sie noch Fräulein Bosanquet hieß, – und Wesley billigte es damals ausdrücklich. Sie hatte recht die Gabe, und auch jetzt sind manche Frauen gesegnete Diener des Wortes. In der letzten Zeit haben sich, wie ich höre, in der Gemeinde einige Stimmen dagegen erhoben, aber ich glaube, das wird nichts ändern. Es ist nicht Menschensache, Gottes Geist die Wege zu weisen, wie man dem Wasser seinen Weg weist und sagt: »hier sollst du fließen und nicht dort.«

»Aber finden Sie nicht eine Gefahr dabei – ich meine nicht für sich selbst, das sei ferne –, sondern finden Sie nicht bisweilen, daß sowohl Männer wie Frauen sich für Werkzeuge des Geistes Gottes halten und sich darin völlig täuschen, daß sie also etwas unternehmen, wozu sie gar nicht taugen, und dadurch das Heilige herabwürdigen?«

»Gewiß ist das bisweilen der Fall; es hat Übelthäter unter uns gegeben, welche die Brüder zu täuschen versuchten, und andere wieder täuschen sich selbst. Aber wir entbehren nicht der Zucht und Zurechtweisung gegen den Mißbrauch; wir halten strenge Ordnung unter uns, und die Brüder und Schwestern wachen einer über des andern Seele wie die, so da Rechenschaft geben müssen. Sie gehen nicht jeder seinen eignen Weg und sprechen: »soll ich meines Bruders Hüter sein?«

»Aber erzählen Sie mir doch – wenn ich fragen darf, und ich nehme ein wirkliches Interesse daran –, wie war es, als Sie das erste Mal predigten?«

»Wie es kam, Herr Pastor? Es kam ohne mein Zuthun. Von meinem sechzehnten Jahre an pflegte ich mich mit den Kindern zu unterhalten und sie zu unterrichten, und bisweilen schwoll mir das Herz so, daß ich zu der ganzen Klasse sprach, und wenn ich an einem Krankenbette betete, so riß es mich mächtig fort. Aber zum Predigen hatte ich noch keinen Beruf gefühlt; denn wenn es mich nicht mächtig treibt, sitze ich gar zu gern still und bin für mich allein; es ist mir, als könnte ich den ganzen Tag stillsitzen und meine Seele von dem Gedanken an Gott überströmen lassen, wie Kieselsteine im Bach, über die das Wasser fließt. Gedanken sind ja so mächtig – finden Sie das nicht auch, Herr Pastor? Sie scheinen über uns zu kommen wie hohe Flut, und bei mir ist es dann so, daß ich vergesse, wo ich bin und was um mich her ist, und mich in Gedanken verliere, über die ich weiter keine Rechenschaft geben könnte, und wenn ich darüber sprechen wollte, fände ich nicht Anfang noch Ende. So ist es mit mir gewesen, seit ich denken kann; aber zu Zeiten ist es wieder, als ob mir die Sprache käme ganz ohne meinen Willen, und als ob mir Worte gegeben würden, die mir aus dem Munde kommen, wie die Thränen aus den Augen, wenn das Herz voll ist und man nicht anders kann. Und das waren immer Zeiten von rechtem Segen für mich, obschon ich nie glaubte, vor einer großen Versammlung würde es mir auch so gehen. Aber, Herr Pastor, der Herr führt uns wie kleine Kinder auf Wegen, die wir nicht kennen. Er hat mich zum Predigen ganz plötzlich berufen, und seitdem bin ich nie im Zweifel gewesen, wozu mich der Herr bestimmt hat.«

»Aber die näheren Umstände! Erzählen Sie mir doch genau, wie es war, als Sie das erste Mal predigten.«

»Eines Sonntags ging ich mit Bruder Marlowe, einem unserer Reiseprediger, einem schon bejahrten Manne, den ganzen Weg nach Hetton-Deeps – das ist ein Dorf, wo die Arbeiter von den Bleigruben wohnen; sie haben keine Kirche und keinen Prediger, sondern sind wie eine Herde ohne Hirten. Es sind wohl vier Stunden von Snowfield, und wir machten uns früh am Morgen auf; es war Sommertag, und ein wunderbares Gefühl von der Liebe Gottes kam über mich, als wir über die Hügel gingen, die so kahl sind und ganz ohne Bäume; ganz anders wie hier; hier sieht das Firmament kleiner aus, dort sieht man den Himmel ausgebreitet wie ein Zelt und fühlt sich wie umschlossen von den ewigen Armen des Herrn. Aber ehe wir nach Hetton kamen, wurde Bruder Marlowe vom Schwindel befallen, daß er kaum noch gehen konnte; er hatte sich böse überarbeitet für seine Jahre, mit Nachtwachen und Beten und dem vielen Umherwandern, um das Wort Gottes zu predigen, und dabei hatte er noch sein Weberhandwerk betrieben. Als wir in das Dorf kamen, erwarteten ihn die Leute schon, weil er ihnen das letzte Mal Zeit und Ort im voraus angegeben hatte, wann er wiederkäme, und die, so da Verlangen trugen nach dem Worte des Lebens, waren schon versammelt, wo die Hütten am dichtesten stehen, so daß andere leicht hinzukommen konnten. Aber er konnte sich nicht auf den Beinen halten und mußte sich in der ersten Hütte, an die wir kamen, niederlegen. So ging ich denn, um es den Leuten zu sagen und vielleicht mit ihnen in ein Haus zu gehen, dort aus der Bibel vorzulesen und mit ihnen zu beten. Als ich aber die Hütten entlang ging und die alten Mütterchen an den Thüren sah und die Männer so verhärtet, als ginge sie der schöne Sonntagmorgen so wenig was an wie das dumme Vieh, das nie zum Himmel aufblickt, da fühlte ich eine große Bewegung in meiner Seele und ich zitterte, als schüttelte meinen schwachen Leib ein starker Geist. Und ich ging hin, wo das kleine Häuflein beisammen stand und trat auf die niedrige Mauer dort am Hügel und sprach die Worte zu ihnen, die mir reichlich gegeben wurden. Und aus all den Hütten kamen sie herbei und sammelten sich um mich und viele weinten über ihre Sünden und sind seitdem dem Herrn gewonnen worden. Das war meine erste Predigt, Herr Pastor, und seitdem habe ich immer gepredigt.«

Dina hatte ihre Handarbeit fallen lassen während dieser Erzählung, die sie in ihrer gewöhnlichen, einfachen Art, aber mit der herzlichen, festen und hellen Stimme sprach, mit der sie immer ihre Zuhörer beherrschte. Sie beugte sich jetzt nieder, nahm das Leinen wieder auf und nähte weiter wie vorher. Irwine war tief ergriffen. »Das müßte ein elender Geck sein, sagte er zu sich selbst, der hier den Weisen spielen wollte: man könnte ebensogut hingehen und die Bäume ausschelten, daß sie wachsen wie Gott sie wachsen läßt.«

»Und macht Sie,« sagte er laut, »niemals das Gefühl Ihrer Jugend verlegen, daß Sie mit Ihrem guten Aussehen den Blicken der Männer sich aussetzen?«

»Nein, für solche Empfindungen ist in mir kein Raum und ich glaube nicht, daß die Leute sich je darum kümmern. Wenn Gott durch uns seine Gegenwart zu erkennen giebt, dann sind wir, scheint es, wie der feurige Busch: Moses achtete nicht darauf, was für ein Busch das war – er sah nur den Glanz des Herrn. Ich habe in den Dörfern bei Snowfield vor dem rohesten und unwissendsten Volk gepredigt; die Leute sehen recht hart und wild aus; aber niemals haben sie mir ein schlechtes Wort gesagt und sich oft freundlich bei mir bedankt, wenn sie mir Platz machten, damit ich zwischen ihnen durchgehen könnte.«

»Das will ich glauben – das will ich gern glauben,« sagte Irwine mit Nachdruck. »Und wie fanden Sie gestern abend Ihre Zuhörer? ruhig und aufmerksam?«

»Sehr ruhig, Herr Pastor, und ich sah kein Zeichen von großer Wirkung, außer an einem jungen Mädchen, Lieschen Cranage, nach der mein Herz mächtig verlangte, als ich sie zuerst in so blühender Jugend, ganz in Eitelkeit verkommen sah. Ich sprach sie nachher noch allein und betete mit ihr, und ich glaube, ihr Herz ist getroffen. Aber in diesen Dörfern, habe ich bemerkt, wo die Leute unter grünen Weiden und an stillen Bächen bei Ackerbau und Viehzucht ein ruhiges Leben führen, da sind sie ausnehmend tot für das Wort Gottes, so ganz anders als in den großen Städten, wie z. B. Leeds, wo ich mal eine fromme Frau besucht habe, die da predigt. Es ist ganz wunderbar, wie reich die Ernte ist in den Straßen mit den hohen Häusern, wo man geht wie in dem Hofe eines Gefängnisses und wo das Ohr betäubt wird von dem Geräusche des irdischen Treibens. Es mag wohl sein, daß die Verheißung jenes Lebens da willkommener ist, wo dieses Leben so düster und traurig ist, und daß die Seele mehr hungert, wo der Leib es schlecht hat.«

»Nun ja, unsre ländlichen Arbeiter sind nicht so leicht anzuregen; sie leben beinahe so träge wie ihre Schafe und Kühe. Aber wir haben hier herum auch einige aufgeweckte Handwerker. Die Bedes sind Ihnen doch wohl bekannt; Seth Bede ist ja auch Methodist.«

»Ja, Seth kenn' ich recht gut und seinen Bruder Adam so eben. Seth ist ein lieber junger Mensch, an dem kein Falsch ist, und Adam gleicht dem Patriarchen Joseph, so geschickt ist er und klug und so freundlich gegen Bruder und Eltern.«

»Vielleicht wissen Sie noch nicht, welches Unglück sie heute betroffen hat? ihr Vater Matthias ist diese Nacht im Weidenbach nicht weit von seinem Hause ertrunken; ich will nachher Adam besuchen.«

»Ach die arme alte Mutter!« rief Dina aus, ließ die Hände sinken und blickte mitleidig vor sich hin, als sähe sie den Gegenstand ihres Bedauerns vor Augen; »Seth hat mir gesagt, sie hat ein ungeduldiges und bekümmertes Herz. Ich muß zu ihr und sehen, ob ich ihr helfen kann.«

Als sie sich erhob und ihre Arbeit zusammenlegte, kam der junge Herr, nachdem er alle möglichen Vorwände, um noch länger in der Milchkammer zu bleiben, erschöpft hatte, mit Frau Poyser in die Küche zurück. Der Pastor stand nun auch auf, ging auf Dina zu, reichte ihr die Hand und sagte:

»Leben Sie wohl; Sie gehen bald wieder fort, wie ich höre, aber dies ist wohl nicht Ihr letzter Besuch bei der Tante, und wir sehen uns hoffentlich wieder.«

Seine Herzlichkeit gegen Dina schlug die letzten Besorgnisse der Tante vollends nieder, und mit ungewöhnlich heiterm Gesichte sagte sie: »ich habe noch gar nicht nach Madame Irwine und Ihren Schwestern gefragt, Herr Pastor; sie sind doch alle wohl?«

»Danke, Frau Poyser, ja ganz wohl: nur hat meine Schwester Anna heute recht schlimmes Kopfweh. Wir haben uns noch zu bedanken für Ihren schönen Rahmkäse; er hat uns sehr gut geschmeckt, vorzüglich meiner Mutter.«

»Das freut mich, Herr Pastor, das freut mich! Ich mache nur selten einen, aber ich erinnerte mich, daß Madame Irwine ihn gern ißt. Bitte, bestellen Sie ihr doch meine Empfehlung und Ihren Schwestern auch. Sie haben sich so lange meinen Hühnerhof nicht angesehen, und ich habe jetzt wunderschöne, schwarz und weiß gefleckte Küken; vielleicht gefallen die Fräulein Katharine.«

»Schön, das will ich ihr sagen; sie muß herkommen und sie sich ansehen; und nun Adieu;« erwiderte der Rektor, indem er sein Pferd bestieg.

»Reiten Sie nur langsam vorauf, Irwine,« sagte der Kapitän, indem er sich in den Sattel schwang. In drei Minuten hol' ich Sie wieder ein. Ich will nur wegen der Hunde mit dem Schäfer sprechen. Guten Tag, Frau Poyser; sagen Sie Ihrem Mann, ich käme bald wieder und hätte viel mit ihm zu reden.«

Frau Poyser machte ihre gehörigen Knixe und sah den beiden Herren nach, wie sie vom Hofe hinunterritten – unter großer Aufregung der Schweine und des Geflügels und dem wütenden Gebell des Bullenbeißers, der an seiner Kette so wild hin- und hersprang, daß sie jeden Augenblick zu reißen drohte. Frau Poyser hatte ihre Freude an dem Lärm; sie sah darin einen neuen Beweis, daß der Hof gut bewacht sei und daß sich kein müßiges Volk unbemerkt einschleichen könne. Erst als sich das Thor hinter dem Kapitän geschlossen hatte, wandte sie sich wieder in die Küche, wo Dina schon ihren Hut in der Hand hielt und auf die Tante wartete, um ihr zu sagen, daß sie die alte Lisbeth Bede besuchen wolle.

Indessen, Frau Poyser bemerkte zwar den Hut, hatte aber ihr Herz noch viel zu voll von der Überraschung über das freundliche Benehmen des Pastors; darüber mußte sie sich erst aussprechen.

»Pastor Irwine war also gar nicht böse? Was hat er dir denn eigentlich gesagt, Dina? Schalt er dich wegen der Predigt nicht aus?«

»Nein, er war gar nicht böse, er war sehr freundlich gegen mich. Es drängte mich ordentlich, mich gegen ihn auszusprechen; ich weiß selbst nicht, wie es kam, da ich ihn bisher immer für einen weltlich gesinnten Sadducäer gehalten hatte. Aber sein Gesicht ist so angenehm wie Morgensonnenschein.«

»Angenehm! Und wie sollte er sonst wohl anders aussehen als angenehm?« sagte Frau Poyser ungeduldig und nahm ihr Strickzeug wieder vor. »Gewiß hat er ein angenehmes Gesicht, das sollt' ich meinen! Er ist ja von vornehmer Herkunft und hat 'ne Mutter, die ist ein wahres Bild. Kannst lange suchen, bis du eine solche Frau von sechsundsechzig Jahren wiederfindest. Ja! es ist ein wahrer Staat, so 'nen Mann Sonntags auf der Kanzel zu sehen! Es ist grade so, hab' ich schon zu meinem Manne gesagt, als sähe man so 'n recht volles Weizenfeld oder 'ne Wiese mit 'nem hübschen Trupp Kühe drauf; die ganze Welt sieht einem dann behaglich aus. Aber solche Leute, denen ihr Methodisten nachlauft – da geb' ich nicht mehr drum als um eine magere Kuh, an der man die Rippen zählen kann. Und die wollen einem lehren, was recht ist! Das sind mir auch die rechten! Sehen aus, als hätten sie ihr Lebelang nichts andres gegessen wie Speckschwarte und Schwarzbrot. Aber sprich doch, was hat dir Herr Irwine über die Narrerei von Predigt gesagt?«

»Er sagte bloß, er habe davon gehört, und schien gar nicht ungehalten. Aber, liebe Tante, denkt jetzt daran nicht mehr. Er hat mir etwas erzählt, das Euch gewiß ebenso zu Herzen gehen wird wie mir; Matthis Bede ist diese Nacht im Weidenbach ertrunken, und ich glaube, die alte Frau Lisbeth wird sehr des Trostes bedürfen. Vielleicht kann ich ihr helfen, darum hab' ich meinen Hut genommen und will zu ihr.«

»Du liebe Zeit, du liebe Zeit! Aber erst muß du 'ne Tasse Thee trinken,« sagte Frau Poyser und ging sofort aus ihrer scharfen Tonart in eine sanfte und freundliche über. »Das Wasser kocht schon, in 'ner Minute ist der Thee fertig, und die Kleinen werden auch gleich kommen und durstig sein; gewiß kannst du gehen und die alte Frau besuchen; Methodistin oder nicht, du bist immer willkommen, wo es schlecht geht; aber das liegt dir mal im Blut, dein Glauben hat damit nichts zu thun. Eine Sorte Käse wird aus abgerahmter Milch gemacht und andern macht man aus frischer Milch, und auf den Namen kommt's gar nicht an, unterscheiden kann man sie doch, man braucht sie bloß anzusehen und zu riechen. Aber der Matthis Bede! es ist besser, daß der über Seit' ist – Gott verzeih' mir meine Sünde! Die letzten zehn Jahre hat er Frau und Kindern fast nur Sorge gemacht, und – wäre es nicht gut, du nähmest für die alte Frau eine kleine Flasche Rum mit? die hat gewiß keinen Tropfen zur Herzensstärkung. Setz' dich, Kind, setz' dich und sei ganz ruhig; du sollst nicht eher fort, als bis du eine Tasse Thee getrunken hast, das sag' ich dir.«

Während des letzten Teils dieser Ansprache hatte Frau Poyser das Theezeug von dem Bort heruntergelangt und ging eben, von Totty begleitet, welche das Klappern der Theetassen herbeigezogen hatte, nach Brot in die Vorratskammer, als Hetty aus der Milchkammer kam und ihre müden Arme zur Erholung in die Höhe hob und die Hände mitten auf den Kopf legte.

»Molly,« sagte sie mit träger Summe, »hole mir rasch ein paar Kohlblätter; die Butter ist zum Einpacken fertig.«

»Hast du gehört was vorgefallen ist, Hetty?« fragte die Tante.

»Nein, wer sollte mir wohl etwas sagen?« antwortete sie schnippisch.

»Freilich nichts, worauf du recht acht gäbest, wenn du's auch hörtest; du bist so leichtsinnig, alle Leute könnten sterben, wenn du nur oben bleiben darfst und dich ganze zwei Stunden lang anziehen. Aber jeder andre fragt doch wohl danach, was denen passiert, die viel mehr von dir halten, als du verdienst. Deinetwegen könnte Adam Bede und seine ganze Verwandtschaft ertrunken sein – du gucktest doch die nächste Minute wieder in den Spiegel.«

»Adam Bede ertrunken?« rief Hetty, indem sie die Arme sinken ließ; sie sah sehr bestürzt aus, vermutete jedoch im Stillen, ihre Tante übertreibe wie gewöhnlich, wenn auch in der besten Absicht.

»Nein, liebste Hetty, nein!« antwortete Dina liebevoll, denn Frau Poyser war, ohne sie einer genaueren Nachricht zu würdigen, in die Vorratskammer verschwunden. »Adam ist nicht ertrunken, aber Adams Vater ist diese Nacht in den Weidenbach gefallen und so ums Leben gekommen. Herr Irwine hat es mir eben erzählt.«

»Das ist ja recht schrecklich,« sagte Hetty und sah ernst, aber nicht gerade tief ergriffen aus, und als Molly jetzt mit den Kohlblättern eintrat, nahm sie dieselben schweigend in die Hand und ging nach der Milchkammer zurück, ohne sich weiter zu erkundigen.


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