George Eliot
Adam Bede - Erster Band
George Eliot

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Sechzehnter Abschnitt

Fesseln

Wie der Leser sich erinnert, hat Arthur Donnithorne sich das Versprechen gegeben, am Freitag früh mit Pastor Irwine zu sprechen, und nun ist er schon so früh auf und angekleidet, daß er sich entschließt, noch vor dem Frühstück hinzugehen. Der Rektor frühstückt, wie ihm bekannt ist, um halb zehn Uhr allein, ohne seine Damen; Arthur will also einen Morgenritt über den Hügel machen und mit ihm frühstücken. Beim Essen sagt sich alles viel besser.

Durch den Fortschritt der Civilisation sind Frühstücke oder Mittagessen ein leichter und heitrer Ersatz für die langweiligen und angenehmen Ceremonien von ehemals geworden. Jetzt, wo unser Beichtvater uns bei Kaffee und Eiern anhört, sehen wir unsre Irrtümer in einem viel weniger düstern Lichte; wir wissen mit Bestimmtheit, daß in einem erleuchteten Zeitalter grobe Bußen für anständige Herren ganz außer Frage sind und daß eine Todsünde gar nicht unverträglich ist mit einem Appetit auf Buttersemmel; ein Angriff auf unsre Taschen, der in Zeiten der Barbarei in der rohen Form eines Pistolenschusses gemacht wäre, ist jetzt ein fein gesitteter, höflicher Vorgang in Form einer Bitte um ein Darlehn, die man zwischen dem zweiten und dritten Glas Rotwein in einer leichten Parenthese hinwirft.

Indes die alten, harten Formen hatten den Vorteil, daß sie zur Ausführung eines Entschlusses eine äußere That erheischten: wenn man vor ein Loch in einer steinernen Wand seinen Mund an das eine Ende hält und weiß, daß am andern Ende ein Ohr wartet, so sagt man gewiß eher, was man zu sagen gekommen ist, als wenn man auf einem bequemen Stuhle bei Tisch neben einem Freunde sitzt, der gar nichts überraschendes darin findet, wenn man ihm nichts besonderes zu sagen hat.

Aber Arthur Donnithorne ist wirklich aufrichtig entschlossen, sein Herz dem Rektor zu öffnen, und in dieser rechtschaffenen Stimmung klingen ihm die Sensen auf der Wiese, wo er in der heiteren Morgensonne vorbeireitet, doppelt angenehm. Er freut sich der Aussicht auf beständiges Wetter in der Heuernte, welches den Bauern so viel Sorge gemacht hat, und in der Teilnahme an einer allgemeinen und nicht bloß persönlichen Freude ist etwas so gesundes, daß dieser Gedanke an die Heuernte ihn heitrer stimmt und ihm seinen Entschluß etwas leichter erscheinen läßt.

Arthur war eben über das Dorf Hayslope hinaus und näherte sich der andern Seite des Hügels, als er bei einer Wendung des Weges ungefähr hundert Schritte vor sich eine Gestalt erblickte, die nur Adam Bede sein konnte, auch wenn kein grauer Schäferhund ohne Schwanz hinter ihm hergegangen wäre. Adam ging mit seinem gewohnten, raschen Schritte, und Arthur trieb sein Pferd an, um ihn einzuholen; er hatte für ihn noch ganz das Gefühl aus seiner Knabenzeit und versäumte nicht gern eine Gelegenheit, mit ihm zu plaudern. Dabei will ich indes nicht sagen, daß seine Neigung für den braven Burschen gar nichts zu thun gehabt hätte mit der Freude am Patronisieren; Freund Arthur war in allem seinen Thun immer anständig und sah das auch gern anerkannt.

Als Adam das rasche Pferdegetrappel hinter sich hörte, wandte er sich um und wartete auf den Reiter, indem er zum Zeichen des Erkennens freundlich lächelte und die Mütze abnahm. Nach seinem eigenen Bruder Seth hielt Adam auf Arthur Donnithorne mehr als auf jeden andern jungen Mann. Nicht um alles hätte er den Zollstock verlieren mögen, den er immer in der Tasche bei sich trug; es war ein Geschenk, welches ihm Arthur als blonder Junge von elf Jahren von seinem Taschengelde gemacht hatte, als er es im Zimmern und Drechseln bei Adam schon so weit gebracht hatte, daß er allen Frauen und Mädchen im Hause mit überflüssigen Garnrollen und Nadelbüchsen lästig wurde. In jenen jungen Jahren war Adam ganz stolz gewesen auf seinen kleinen Herrn, und diese Empfindung hatte sich nur wenig geändert, als der blonde Junge zum backenbärtigen Jüngling herangewachsen war. Ich gebe zu, Adam war sehr empfänglich für den Einfluß von Rang und Stand und gern geneigt, gegen jeden Höherstehenden ganz besonders respektvoll zu sein; er war nämlich durchaus kein Gleichheitsmann, kein Proletarier mit demokratischen Ideen, sondern lediglich ein breitschultriger, geschickter Zimmermann, und in seiner Natur lag so viel Ehrerbietung, daß er alle hergebrachten Unterschiede und Vorrechte willig anerkannte, wenn nicht sehr klare Gründe vorlagen, sie zu bestreiten. Er hatte keine besondere Theorie, wie die Welt in Ordnung zu bringen sei, aber er sah recht wohl, daß viel Unheil geschehe durch Bauen mit schlechtem Bauholz, – Unheil, wenn unwissende Leute in feinen Kleidern Werkstätten und Arbeitsschuppen und dergleichen anlegten, ohne die Tragkraft der Balken und Ständer zu kennen, – Unheil durch lüderliche Tischlerarbeit und durch übereilte Kontrakte, die nie erfüllt werden konnten, ohne daß sich einer oder der andere dabei ruinierte, und dagegen war er seinerseits entschlossen sich zu wehren. In dieser Beziehung würde er seine Ansicht gegen den größten Grundbesitzer in der ganzen Gegend verteidigt haben, aber darüber hinaus, fühlte er, lasse er besser andere Leute sorgen, die mehr davon verständen als er selbst. Er durchschaute vollkommen, wie schlecht die Forsten des Gutes verwaltet wurden und in wie erbärmlichem Zustande die Bauerhöfe seien, und wenn ihn der alte Herr Donnithorne nach den Folgen dieser schlechten Wirtschaft gefragt hätte, so würde er ihm seine Meinung schon grade heraus gesagt haben, aber die Pflicht der Ehrerbietung gegen den vornehmen Herrn hätte er dabei doch immer gleich stark gefühlt. Das Wort »vornehmer Herr« hatte einen Zauber für Adam, und er pflegte oft zu sagen, er könne niemand leiden, der sich ein Ansehen damit geben wolle, daß er naseweis sei gegen Höherstehende. Der Leser muß sich dabei wieder erinnern, daß Adam Bauernblut in seinen Adern hatte und daß die Blüte seines Lebens in den Anfang dieses Jahrhunderts fiel; daher ist manches an ihm wohl schon veraltet.

In seinem Verhältnisse zu dem jungen Herrn kamen zu dieser natürlichen Ehrerbietung Erinnerungen der Kindheit und persönliche Achtung; man kann sich also denken, daß er sich fast ausschließlich an Arthurs gute Eigenschaften hielt und selbst seinen unbedeutenden Handlungen mehr Wert beilegte, als er bei einem gewöhnlichen Arbeitsmann, wie er selbst war, gethan hätte. Er war überzeugt, es würde eine schöne Zeit für ganz Hayslope, wenn der junge Herr erst das Gut übernähme, – so edel gesinnt und gutmütig war er und hatte einen so »unbändigen« Sinn für Anlagen und Verbesserungen, noch dazu in so jungen Jahren. So mischten sich denn Achtung und Liebe in dem Lächeln, womit er Arthur begrüßte, als dieser an ihn heranritt.

»Nun, Adam, wie geht's?« fragte Arthur und reichte ihm die Hand; er that das bei keinem andern Bauern, und Adam fühlte diese Ehre tief. »Ich hätte auf Euren Rücken wetten können, schon eine gute Strecke Wegs. Es ist ganz der alte Rücken, nur noch etwas breiter, auf dem Ihr mich so oft getragen habt. Ihr erinnert Euch doch?«

»Ja gewiß, Herr; das wär' schlimm, wenn man sich nicht daran erinnerte, was man als Junge gesagt und gethan hat; dann hielte man ja von seinen alten Freunden nicht mehr als von neuen Bekannten.«

»Ihr geht wohl nach Broxton?« fragte Arthur und ließ sein Pferd langsamer gehen, damit Adam Schritt halten konnte. »Geht's nach der Pastorei?«

»Nein, Herr, ich muß mir mal Bradwells Scheune ansehen. Das Dach drückt zu schwer auf die Mauern, und ich will nachsehen, was dabei zu thun ist, ehe wir die Arbeitsleute und das Material hinschicken.«

»Nun, Burge überläßt Euch wohl jetzt sein ganzes Geschäft, Adam? Er macht Euch gewiß bald zum Compagnon; es wäre gescheit, wenn er es thäte.«

»Ich sehe doch nicht recht, Herr, was er davon hätte. Ein Werkmeister, der ein Gewissen hat und Freude an der Arbeit, thut seine Pflicht so gut, als hätte er teil am Geschäft. Ich gebe keinen Heller auf jemanden, der einen Nagel deshalb langsamer einschlägt, weil er nicht besonders dafür bezahlt wird.«

»Ja, das weiß ich, Adam; Ihr arbeitet für ihn so gut, als wär's für Euch selbst. Aber Ihr hättet dann mehr zu sagen und könntet vielleicht mehr aus dem Geschäft machen. Der Alte muß doch sein Geschäft bald dran geben, und einen Sohn hat er nicht. Da kann er einen Schwiegersohn gebrauchen, der sich auf die Sache versteht. Aber er ist wohl ein bißchen zäh' und geizig, scheint's, und nimmt lieber jemand, der etwas Geld ins Geschäft bringt. Wär' ich nicht so arm wie 'ne Kirchenmaus, ich gäbe gern was her, damit Ihr Euch ordentlich festsetztet; schließlich käme es mir doch selbst zu gute. Und in ein oder zwei Jahren bin ich vielleicht besser dran. Wenn ich großjährig werde, bekomme ich ein größeres Jahrgeld, und habe ich erst ein paar Schulden abgezahlt, so wollen wir schon sehen.«

»Sie sind gar zu freundlich, Herr, und Sie müssen mich nicht für undankbar halten; aber« – fuhr Adam mit entschiedenem Tone fort – »ich würde weder gern selbst bei Meister Burge anfragen noch andere anfragen lassen. Ich sehe nicht recht klar bei einem Anteil am Geschäfte. Wenn er sein Geschäft abtreten wollte, das wäre was andres; dann nähme ich gern etwas Geld gegen anständige Zinsen, denn ich bin gewiß, ich könnt' es mit der Zeit abbezahlen.«

»Nun gut, Adam,« sagte Arthur, dem die Andeutung des Pastors einfiel, die Sache zwischen Adam und Marie Burge habe wahrscheinlich ihren Haken, – »nun gut, wir wollen jetzt nicht weiter davon reden. Wann wird Euer Vater begraben?«

»Am Sonntag, Herr; Pastor Irwine will dazu etwas früher herauskommen. Ich werde mich freuen, wenn's erst vorbei ist; Mutter wird sich dann hoffentlich etwas beruhigen. Es schneidet einem ins Herz, den Kummer von so alten Leuten zu sehen; sie können ihn nicht wegarbeiten, und der neue Frühling bringt keine neuen Zweige an dem vertrockneten Stamm.«

»Ja, Ihr habt viel Trübsal und Not in Eurem Leben gehabt, Adam. Ihr seid wohl nie wild und leichtsinnig gewesen wie andre junge Leute. Ihr habt immer Sorge auf dem Herzen gehabt, nicht wahr?«

»Wohl wahr, Herr, aber das ist ja nicht der Rede wert. Wir sind Menschen und fühlen wie Menschen, da müssen wir auch wohl leiden wie Menschen. Wir können ja nicht sein wie die Vögel, die aus ihrem Neste ausfliegen, sobald sie flügge sind, und die von Verwandtschaft nichts wissen und jedes Jahr wo anders nisten. Ich habe genug auf der Welt, wofür ich dankbar sein muß: ich bin immer gesund und kräftig gewesen und verstehe meine Arbeit und habe Freude daran, und ich halte es für etwas großes, daß ich bei Barthel Massey habe in die Abendschule gehen können. Ich habe da manches gelernt, was ich für mich allein nie hätte lernen können.«

»Was für ein Prachtkerl ihr seid, Adam!« sagte Arthur nach einer Pause, in der er sich den starken Burschen neben sich nachdenklich betrachtet hatte. »Ich führte eine bessere Faust als die meisten andern in Oxford und doch glaube ich, Ihr schlüget mich, daß ich davonflöge, wenn ich's je mit Euch versuchte.«

»Gott verhüte, daß mir das je passierte, Herr,« erwiderte Adam und blickte lächelnd zu Arthur auf. »Ich schlug mich früher wohl zum Spaß, aber seit ich mal meinen Gegner vierzehn Tage aufs Bett brachte, habe ich's nie wieder gethan, und werde mich auch nie wieder mit einem schlagen, der sich nicht benimmt wie ein Schurke. Wenn man's mit einem Kerl zu thun hat, den nicht sein eigenes Gewissen und Schamgefühl vom Schlechten abhält, dann darf man wohl versuchen, ob es nicht hilft, wenn man ihm die Augen etwas zerbläut.«

Arthur lachte nicht; es ging ihm ein Gedanke durch den Kopf, der ihn zu der Äußerung veranlaßte:

»Ihr habt gewiß niemals innere Kämpfe zu bestehen gehabt, Adam. Es kommt mir vor, Ihr würdet einen Wunsch, von dem Ihr einsähet, daß es nicht ganz recht sei ihm nachzuhängen, so leicht bezwingen, wie Ihr einen Betrunknen zu Boden schlüget, der mit Euch Streit anfinge. Ich meine, Ihr seid nie wankelmütig, erst fest entschlossen, eine Sache nicht zu thun, und thut sie am Ende doch.«

»Nun,« antwortete Adam langsam nach kurzem Zögern, – »nein. Ich kann mich nicht entsinnen, daß ich jemals so wankelmütig gewesen wäre, wenn ich mal eingesehen habe, das und das sei Unrecht. Wenn ich weiß, daß mir etwas nachher schwer auf der Seele liegt, dann vergeht mir der Geschmack daran. Schon in der Schule habe ich ziemlich deutlich eingesehen, daß man nie etwas unrechtes thun kann, ohne daß mehr Sünde und Elend daraus entsteht, als sich absehen läßt. Es ist wie mit schlechter Arbeit; man sieht nie das Ende ab vom Schaden. Und 's ist doch 'ne schlechte Geschichte, wenn man in die Welt kommt und macht seine Mitmenschen unglücklich statt glücklich. Aber es ist ganz verschieden, was die Leute für Unrecht halten. Ich bin nicht dafür, aus jedem kleinen lustigen Streiche oder Unsinn, zu dem einer kommt, er weiß nicht wie, eine Sünde zu machen, wie manche von den Dissenters thun. Und auch darüber kann man verschieden denken, ob ein bißchen Spaß nicht eine kleine Schramme verlohnt. Aber meine Art ist's nicht, in irgend einer Sache wankelmütig zu sein; ich habe eher den entgegengesetzten Fehler. Wenn ich mal etwas gesagt habe und wär's auch nur zu mir selbst, dann wird's mir schwer, davon zu lassen.«

»Ja, das habe ich von Euch erwartet,« sagte Arthur; »Euer Wille ist so eisern wie Euer Arm. Aber wenn ein Entschluß auch noch so stark ist, die Ausführung wird einem doch zuweilen schwer. Wir mögen uns entschließen, keine Kirschen zu pflücken, und die Hände fest in der Tasche halten, aber der Mund wässert uns doch, das können wir nicht verhindern.«

»Wohl wahr, Herr, aber es geht nichts drüber, mit sich selbst ins Reine zu kommen: es giebt so viel in dieser Welt, was wir uns versagen müssen. Wir dürfen das Leben nicht ansehen, als wär' es der Jahrmarkt in Treddleston, wo die Leute bloß hingehen, um Merkwürdigkeiten zu besehen und sich was zu kaufen. Wer das thut, wird sich gut umsehen. Aber was nützt es, daß ich Ihnen das sage, Herr? Sie wissen's ja besser als ich.«

»Dessen bin ich doch nicht ganz sicher, Adam. Ihr habt vier oder fünf Jahre Erfahrung mehr gehabt als ich, und Euer Leben ist, glaube ich, eine bessere Schule gewesen als die Universität für mich.«

»Ei, Herr, Sie scheinen von der Universität ja grade so zu denken wie Bartel Massey; der sagt, auf der Universität würden die Leute wie Blasen, so daß sie zu nichts taugten, als das aufzunehmen, was man in sie hineingießt. Indes, der Barthel hat eine Zunge wie ein scharfes Messer; was er damit anrührt, da schneidet er hinein. Aber hier geht mein Weg ab, Herr; ich muß Ihnen guten Morgen sagen.«

»Adieu, Adam, Adieu!«

Arthur gab dem Diener auf dem Hofe der Pastorei sein Pferd und ging nach der Hausthür an der Gartenseite. Er wußte, der Pastor frühstücke immer in seinem Studierzimmer, und das lag links von dieser Thür, dem Eßzimmer gegenüber. Es war ein kleines, niedriges Zimmer, ein wenig finster von den dunkeln Einbänden der Bücher, mit denen die Wände besetzt waren, aber als Arthur durch das offene Fenster hineinblickte, sah es hell und heiter genug aus. Die Morgensonne fiel auf die große Glaskugel mit Goldfischen, die auf einem kleinen Postament vor dem gedeckten Frühstückstisch stand, und neben dem Frühstückstisch war eine Gruppe, die jedes Zimmer verschönert hätte. In dem rotseidenen Lehnstuhl saß Pastor Irwine, strahlend und frisch wie immer, wenn er vom Ankleiden kam; seine feingeformte, fleischige Hand spielte in dem braunen, krausen Haar seines Lieblingshundes Juno, und dicht hinter ihrem Schwanz, mit dem sie stillvergnügt hin und her wedelte, wälzten sich ihre beiden braunen Jungen unter einem begeisterten Duett von fürchterlichem Lärm übereinander. Ein wenig abseits ruhte auf einem Kissen der Mops und blickte mit der Miene einer alten Jungfer auf diese Vertraulichkeiten, als seien es tierische Schwächen, denen er möglichst wenig Beachtung schenkte. Auf dem Tische neben Irwines Arm lag der erste Band des alten Äschylus, den Arthur beim ersten Blick wiedererkannte, und von der silbernen Kaffeekanne, welche der Diener eben hereintrug, stieg ein gewürziger Dampf auf, der die Freuden eines Junggesellenfrühstücks vollständig machte.

»Halloh, Arthur, das ist ja vortrefflich! Sie kommen zu rechter Zeit,« rief der Pastor, als Arthur zur Gartenthür hereinkam. »Carroll! noch etwas Kaffee und ein paar Eier, und ist nicht auch ein kaltes Huhn da? Ei, das ist grade wie in alter Zeit, Arthur; ich glaube, es sind ganze fünf Jahre, daß Sie nicht bei mir gefrühstückt haben.«

»Es war heute so verlockend schön zu einem Morgenritt,« erwiderte Arthur, »und ich frühstückte früher so gern bei Ihnen, als Sie mich zur Universität vorbereiteten. Auch ist mein Großvater des Morgens immer noch ein paar Grad kälter als den ganzen übrigen Tag. Ich glaube, das frühe Baden bekommt ihm nicht gut.«

Arthur wollte vor allen Dingen nicht merken lassen, daß er in einer besonderen Absicht hergekommen sei. Nicht so bald hatte er sich seinem alten Lehrer und Freunde gegenüber gesehen, als das Geständnis, welches er sich vorher ganz leicht gedacht hatte, ihm auch sofort das schwierigste von der Welt schien, und grade als er ihm die Hand reichte, sah er die Absicht seines Besuches plötzlich in einem ganz neuen Lichte. Wie konnte er Irwine seine Lage begreiflich machen, wenn er ihm nicht die kleinen Scenen im Wäldchen erzählte, und wie konnte er sie erzählen, ohne dazustehen wie ein Narr? Und dann seine Schwäche, von Gawaine zurückzukommen und genau das Gegenteil von dem zu thun, was er gewollt hatte! Irwine mußte ihn ja hinfort für den wankelmütigsten Menschen halten. Indes, er wolle so ganz unversehens damit herauskommen; im Laufe des Gesprächs werde sich das schon machen.

»Mir ist die Frühstückszeit die liebste Stunde vom ganzen Tage,« sagte Irwine. »Da liegt einem noch kein Staub auf der Seele, und unser Inneres ist wie ein klarer Spiegel für die Dinge um uns her. Ich habe immer ein Lieblingsbuch beim Frühstück, und über das bißchen, was ich dabei aufgable, habe ich eine solche Freude, daß es mir regelmäßig jeden Morgen vorkommt, als würde ich wieder ganz ins Studieren hineingeraten. Aber dann wird mir plötzlich ein armer Kerl vorgeführt, der einen Hasen gewilddiebt hat, und wenn ich mit dem Rechtsfall fertig bin, dann kommt mir die Lust zum Ausreiten, und auf dem Rückwege begegne ich dem Vorsteher des Armenhauses, und der hat eine lange Geschichte von einem widerspenstigen Armen zu erzählen, und so geht der Tag hin, und wenn es Abend wird, hab' ich wieder nichts gethan. Übrigens gehört auch der Antrieb von einem zweiten dazu, und seit mein armer Kollege in Treddleston starb, habe ich den nicht gehabt. Wenn Sie sich mehr an die Bücher gehalten hätten, Sie Nichtsnutz, dann hätte sich die Sache leicht gemacht. Aber studieren liegt Ihnen nicht im Blute.«

»Nein, das weiß Gott. Wenn ich über sechs oder sieben Jahre meine Jungfernrede im Parlament noch mit 'n bißchen Latein ausputzen kann, so will ich's loben. Cras ingens iterabimus aequor und noch so' n paar Brocken, die werde ich vielleicht behalten, und ich richte meine Rede dann so ein, daß ich sie anbringen kann. Aber ich kann nicht finden, daß eine klassische Bildung für einen Gutsbesitzer so besonders nötig ist; so weit ich sehe, ist eine andere Art Bildung für ihn viel wünschenswerter. Ich habe kürzlich die Schriften ihres Freundes Arthur Young gelesen, und nichts thäte ich lieber, als einige seiner Gedanken über die Anleitung der Bauern zu einer bessern Landwirtschaft auszuführen und wie er sagt, einen wüsten, einförmig öden Landstrich zu verschönern und mit Korn und Vieh mannigfaltig zu beleben. Mein Großvater wird mir, so lange er lebt, nirgends freie Hand lassen, sonst machte ich mich gern an den Strich nach Stonyshire hin, der ganz elend vernachlässigt ist, und brächte Verbesserungen in Gang und ritte überall herum und führte die Aufsicht. Alle Arbeiter müßte ich kennen, und wenn sie mich grüßten, müßten sie mich freundlich dabei ansehen, das wäre so recht, was ich wünschte.«

»Bravo, Arthur; wer für die Klassiker nichts übrig hat, könnte sich darüber, daß er überhaupt in der Welt ist, nicht besser rechtfertigen, als indem er die Nahrungsmittel vermehren hilft, von denen die Gelehrten leben und – die würdigen Pastoren, welche für Gelehrsamkeit Sinn haben. Und wann Sie auch als Musterlandwirt sich aufthun, möge ich dabei sein! Um das Bild vollständig zu machen, haben Sie einen stattlichen Pastor nötig, der von allem Respekt und allen Ehren, die Sie sich sauer verdienen, seinen Zehnten nimmt. Nur setzen Sie Ihr Herz nicht zu sehr auf den freundlichen Dank, den Ihnen das einbringen soll. Die Menschen haben nicht immer die am liebsten, die ihnen zu nützen suchen. Sie wissen doch, Gawaine hat es durch die Einzäunung mit seiner ganzen Nachbarschaft verdorben. Sie müssen sich wohl überlegen, mein Sohn, was Ihnen am meisten am Herzen liegt, beliebt zu sein oder gemeinnützig; sonst entgeht Ihnen leicht beides.«

»O, Gawaine ist rauh und abstoßend; er macht sich bei seinen Bauern nicht persönlich beliebt. Ich glaube, mit Güte läßt sich bei den Leuten alles durchsetzen. Ich für mein Teil könnte nirgends leben, wo ich nicht die Achtung und Liebe der Leute hätte, und hier mache ich mir so gern mit unsern Bauern zu schaffen; sie scheinen mir alle gut zu sein; es ist ihnen noch wie gestern, daß ich ein kleiner Junge war und auf einem Pony herumritt so groß wie ein Schaf. Und wenn man ihnen gäbe und nachließe was recht ist und ihnen Häuser und Scheunen in Ordnung hielte, dann könnte man sie schon bereden, nach einem bessern Plane zu wirtschaften, so dumm sie auch sind.«

»Dann rat' ich Ihnen, Arthur, sehen Sie sich beim Verlieben vor und nehmen Sie keine Frau, die Ihnen das Geld abzieht und Sie trotz des besten Willens geizig macht. Meine Mutter und ich haben Ihretwegen bisweilen einen kleinen Streit; sie sagt: »über Arthur wage ich keine Prophezeiung, als bis ich sehe, in wen er sich verliebt,« und sie glaubt, Ihre Herzenskönigin werde über Sie herrschen wie der Mond über Ebbe und Flut. Aber ich fühle mich verpflichtet, für Sie aufzutreten, schon weil ich Ihr Lehrer gewesen bin und behaupte, mit dem Wasser hätten Sie nichts gemein. Also, lieber Arthur! daß Sie meinem Urteil keine Schande machen!«

Arthur zuckte bei diesen Worten zusammen; die Äußerung der scharfsinnigen alten Mama machte ihm den unangenehmen Eindruck eines bösen Omens. Das war denn ein Grund mehr, seine Absicht bei diesem Morgenbesuch auszuführen und bei dem Freunde eine weitere Sicherheit gegen sich selbst zu suchen. Nichts destoweniger fühlte er sich gerade an diesem Punkte des Gesprächs doppelt abgeneigt, seine Geschichte mit Hetty zu erzählen. Er war bestimmbar und lebte viel in dem, was andre Menschen von ihm hielten, und der bloße Umstand, daß selbst der vertraute Freund, bei dem er war, nicht die geringste Ahnung von einem so ernsten, inneren Kampfe habe, den ihm zu eröffnen er gekommen sei, erschütterte förmlich seinen eigenen Glauben an die Ernsthaftigkeit dieses Kampfes. Was war denn am Ende an der Geschichte, um so viel Aufhebens davon zu machen, und konnte denn Irwine irgend etwas für ihn thun, was er nicht selbst auch thun konnte? Er wollte nach Eagledale gehen trotz Gretchens lahmem Bein, wollte das andere Pferd reiten; sein Diener könnte zusehen, wie er nachkäme. Das war sein Gedanke, als er sich den Zucker in den Kaffee that, aber im nächsten Augenblicke, als er die Tasse an den Mund setzte, fiel ihm wieder ein, wie fest er gestern abend entschlossen gewesen sei, Irwine alles zu sagen. Nein, er wollte nicht wieder schwanken; diesmal wollte er thun, weswegen er gekommen. Und am besten, wenn er die persönliche Wendung benutze, welche das Gespräch genommen hatte; sobald sie auf ganz andere Dinge kämen, würde die Sache viel schwieriger. Ein solches Hin- und Herwogen von Meinungen bedurfte bei Arthur keiner langen Zeit, und es war noch keine merkliche Pause eingetreten, als er antwortete:

»Aber nach meiner Meinung spricht es kaum gegen die Charakterstärke eines Menschen im allgemeinen, wenn er sich von der Liebe beherrschen läßt. Eine gesunde Konstitution sichert einen nicht gegen die Blattern oder sonst eine unvermeidliche Krankheit. Man kann in andern Dingen sehr fest und doch von einer Frau wie verhext sein.«

»Ja wohl, aber zwischen der Liebe und den Pocken oder auch der Hexerei ist der Unterschied, daß wenn man das Übel zeitig genug entdeckt und eine Luftveränderung versucht, alle Aussicht auf völlige Genesung vorhanden ist, ohne daß sich die Symptome weiter entwickeln. Und dann giebt es auch gewisse blutreinigende Getränke, so nämlich, daß man sich die unangenehmen Folgen gegenwärtig hält; das ist dann sozusagen ein angelaufenes Glas, wodurch man in den Glanz seiner schönen Sonne hineinsehen und ihre Umrisse genau unterscheiden kann; freilich fehlt leider das angelaufene Glas leicht, wenn man's am meisten nötig hat. Es sollte mich sogar nicht wundern, wenn jemand, der seine Klassiker studiert hat, sich zu einer unverständigen Heirat hinreißen ließe trotz der Warnung des Chors im Prometheus.«

Über Arthurs Gesicht zog nur ein schwaches Lächeln, und statt in den heitern Ton des Pastors einzugehen, sagte er ganz ernst: »Ja, das ist das allerschlimmste und kann einen zur Verzweiflung bringen, daß man nach allen Betrachtungen und ruhigen Entschlüssen von Stimmungen beherrscht wird, die sich vorher gar nicht berechnen lassen. Wer in dieser Weise trotz aller Entschlüsse sich fortreißen läßt, der verdient doch eigentlich keinen Tadel.«

»Oho, aber die Stimmungen liegen in seiner Natur, mein Junge, grade so gut wie seine Betrachtungen und wohl noch mehr. Der Mensch kann nie etwas thun, was mit seiner Natur im Widerspruch stünde. Er trägt den Keim der verwerflichsten Handlung in sich, und wenn wir verständigen Leute in einem besondern Falle ausbündig thöricht sind, so müssen wir uns den Schluß als berechtigt gefallen lassen, daß wir zu unserm Pfunde Weisheit ein paar Lot Thorheit haben.«

»Ja, aber man kann durch eine Verwicklung der Verhältnisse sich zu Dingen hinreißen lassen, die man sonst nie gethan hätte.«

»Sicher; einer kann nicht gut eine Banknote stehlen, wenn ihm die Banknote nicht ziemlich bequem in den Wurf kommt; aber wir halten ihn doch nicht für einen ehrlichen Mann, weil er etwa die Banknote anheult, daß sie ihm in den Weg gekommen sei.«

»Aber, Irwine, wenn jemand sich gegen eine Versuchung wehrt und doch zuletzt erliegt, den werden Sie doch nicht für so schlecht hatten, wie den, der gar nicht dagegen ankämpft?«

»Nein, Arthur; ich habe Mitleid mit ihm, je nachdem er gekämpft hat; denn diese Kämpfe sind die Vorzeichen seiner späteren innern Leiden – der schrecklichsten Form, in welche das Schicksal seine Rache kleidet. Die Folgen sind unerbittlich; die Folgen unsrer Thaten fragen nicht nach dem Wechsel der vorhergegangenen Empfindungen und nur selten beschränken sie sich auf uns allein. Diese Gewißheit muß man ins Auge fassen, nicht aber sich überlegen, was für Entschuldigungsgründe man vielleicht vorzubringen imstande sein werde. Indes, ich hätte nie geglaubt, daß Sie zu so moralischen Untersuchungen hinneigen; denken Sie bei dieser allgemeinen Betrachtung vielleicht an eine persönliche Gefahr?«

Indem der Pastor diese Frage that, schob er seinen Teller weg, lehnte sich im Stuhle zurück und sah Arthur gerade an. Er vermutete wirklich, dieser habe ihm etwas zu sagen, und mit seiner bestimmten Frage meinte er ihm den Weg dazu zu ebnen. Aber er täuschte sich. So plötzlich und unfreiwillig vor sein Geständnis gestellt, wich Arthur zurück und fühlte sich weniger als je dazu aufgelegt. Das Gespräch, überlegte er sich rasch, habe einen viel ernsteren Ton angenommen, als er gewollt; Irwine würde sich eine ganz falsche Vorstellung machen, würde glauben, es handle sich um eine tiefe Leidenschaft für Hetty, und von der sei doch gar keine Rede. Er fühlte, daß er rot wurde, und ärgerte sich über diesen kindischen Zug.

»Gefahr für mich? nicht im mindesten!« antwortete er so gleichgiltig wie möglich. »Ich wüßte nicht, daß ich mehr zur Unschlüssigkeit neigte als andre Leute; es fällt nur manchmal allerlei vor, was einen auf den Gedanken bringt, wie es wohl in Zukunft werden mag.«

Was war der Grund dieser sonderbaren Zurückhaltung Arthurs? Gab es etwa in seinem Innern sozusagen eine Hintertreppe, durch welche Einflüsse sich geltend machten, die bei ihm selbst nicht zugelassen wurden? Unsre Geistesgeschäfte werden so ziemlich in derselben Art geführt, wie die Staatsgeschäfte: viel schwere Arbeit wird von Agenten gethan, die man nicht anerkennt. Möglich, daß einer von diesen nicht anerkannten Agenten grade in dem Augenblick in Arthurs Seele insgeheim thätig war; möglich, daß es die Besorgnis war, ein Geständnis an den Rektor könne später ernstlich unangenehm werden, falls er seine guten Entschlüsse ganz auszuführen doch nicht imstande sei. Möglich; – ich wage das Gegenteil nicht zu behaupten. Des Menschen Seele ist ein gar zu verwickelt Ding.

Der Gedanke an Hetty war grade in dem Pastor aufgestiegen, als er Arthur forschend anblickte, aber die gleichgiltig ablehnende Antwort bestärkte ihn wieder in dem Gedanken, der jenem sogleich gefolgt war, an etwas ernsthaftes sei in dieser Beziehung nicht zu denken. Es war keine Wahrscheinlichkeit, daß Arthur sie jemals anders als in der Kirche und in ihrem eigenen Hause unter der Aufsicht von Frau Poyser sähe, und der Wink, den er ihm neulich über sie gegeben hatte, sollte ihn nur abhalten, durch zu große Aufmerksamkeit die Eitelkeit des kleinen Kätzchens zu erregen und so die ländliche Idylle ihres Lebens zu stören. Auch würde ja Arthur bald zu seinem Regiment gehen und weit weg sein – nein, da konnte keine Gefahr sein, selbst wenn Arthurs Charakter nicht eine so starke Sicherheit dagegen wäre. Sein ehrlicher Stolz auf die Zuneigung und Achtung seiner ganzen Umgebung war ein sichrer Schutz gegen alle thörichte Liebelei, geschweige denn gegen schlimmeres. Hatte Arthur bei der vorhergehenden Unterhaltung etwas besonderes auf dem Herzen gehabt, so war er offenbar nicht geneigt, auf Einzelheiten einzugehen, und der Pastor war zu zartfühlend selbst für eine noch so freundlich gemeinte Neugierde. Er bemerkte, daß seinem Gaste eine Wendung des Gesprächs willkommen sein würde, und sagte:

»Apropos, Arthur! am Geburtstage Ihres Obersten haben einige Transparentbilder große Wirkung gethan, – Britannia und Pitt und die Grafschaftsmiliz und vor allem der tapfere Mann, der Held des Tages. Wie wär's, wenn Sie uns auch so was zum besten gäben?«

Die günstige Gelegenheit war vorüber. Während Arthur noch schwankte, war das Seil, an dem er sich hätte halten können, hinweggetrieben; jetzt hieß es schwimmen oder sinken.

Zehn Minuten nachher rief den Pastor ein Geschäft ab, und Arthur bestieg sein Pferd in der unbefriedigtsten Stimmung, die er durch den Entschluß, noch in dieser Stunde nach Eagledale abzureisen, zu bewältigen suchte.


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