George Eliot
Adam Bede - Erster Band
George Eliot

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Vierter Abschnitt

Zu Hause und häusliche Sorgen

Ein grünes Thal, – ein Bach, der hindurchfließt, vom letzten Regen fast zum Überströmen angeschwollen, – am Rande tief herabhängende Weiden. Quer über den Bach liegt ein Brett, und darüber hin schreitet Adam Bede mit seinem nie fehlenden Tritt, Gyp dicht hinter ihm; unser Freund nimmt offenbar seinen Weg nach dem strohbedeckten Häuschen mit dem Haufen Bauholz daneben, ungefähr zwanzig Schritte den Abhang hinauf.

Die Thür des Hauses steht offen, und eine ältliche Frau sieht heraus, aber ihr Blick weilt nicht etwa ruhig auf dem Glanz der Abendröte, sondern sie hat mit ihrem trüben Auge den dunklen Fleck beobachtet, der immer größer und größer wurde, bis sie ihn mit Bestimmtheit für ihren Lieblingssohn Adam erkannte. Lisbeth Bede liebte ihren Sohn mit der Liebe einer Mutter, der ihr Erstgeborner erst spät im Leben geschenkt ist. Sie ist eine ängstliche, magere, aber kräftige alte Frau, und reinlich wie eine Schneeflocke. Ihr graues Haar ist sorgsam unter eine reine Linnenhaube mit schwarzem Bande zurückgekämmt; über ihre breite Brust trägt sie ein gelbliches Tuch und darunter eine blaugestreifte leinene Nachtjacke, an die sich unten ein halb leinener halb wollener Rock anschließt. Von Gestalt ist Lisbeth groß, und auch in anderen Stücken hat sie viel Ähnlichkeit mit ihrem Sohn Adam. Ihre schwarzen Augen sind nun schon etwas trübe, vielleicht von zu vielem Weinen, aber ihre stark markierten Augenbrauen sind noch schwarz, ihre Zähne gesund, und wie sie da vor der Thür steht und mit den harten Händen fleißig strickt, hält sie sich so stattlich grade, als wenn sie einen Eimer Wasser auf dem Kopfe von der Quelle holt. Es ist die gleiche Art Bildung und dieselbe Lebhaftigkeit des Temperaments in beiden, aber die schön gewölbte Stirn und den Ausdruck hochherziger Einsicht hat der Sohn nicht von seiner Mutter.

Familienähnlichkeiten haben oft etwas tief Wehmütiges. Natur, die größte unter allen Tragödiendichtern, knüpft uns mit Fleisch und Bein zusammen und trennt uns wieder in dem feineren Gewebe unsres Kopfes, verschmilzt in eins Anziehen und Abstoßen, und fesselt uns mit den Fibern unsres Herzens an Wesen, die uns bei jeder Bewegung weh thun. Wir hören eine Stimme, die ganz den Tonfall von uns selbst hat, aber sie äußert Gedanken, die wir verachten; wir sehen Augen – ach! wie von unsrer Mutter, aber kalt und fremd wenden sie sich von uns ab, und an unserm jüngsten Lieblingskinde sehen wir mit Erstaunen die Züge und Bewegungen unsrer Schwester, von der wir vor langen Jahren in Bitterkeit schieden. Der Vater, von dem wir unser bestes Erbteil haben – unsre mechanischen Fähigkeiten, die geschickte Hand – verbittert uns das Leben und macht uns täglich erröten über seine Verirrungen; die längstverstorbene Mutter, deren Gesicht wir in unserm eigenen wieder erkennen, nun uns selbst die Runzeln kommen, hat einst unsre jungen Herzen gequält mit den Launen ihrer Besorgnis und ihrem unvernünftigen Eigensinn.

Solch einer liebenden ängstlichen Mutter Stimme hat Lisbeth, als sie zu ihrem Sohne spricht: »Nun, mein Junge, es ist sieben vorbei; du bleibst immer am längsten bei der Arbeit. Aber jetzt wirst du aufs Abendbrot hungrig sein. Und wo ist Seth? Gewiß wieder hinter einer Predigt her?«

»Ja, ja! bei was Bösem ist der Seth nicht, Mutter; da kannst du ruhig sein. Aber wo ist Vater?« fragte Adam eifrig, nachdem er in das Haus getreten und einen Blick in das Zimmer linker Hand geworfen hatte, das als Werkstatt benutzt wurde. »Hat er den Sarg für Tholer nicht fertig gemacht? Da stehen die Bretter grade noch so wie diesen Morgen.«

»Den Sarg gemacht?!« erwiderte Lisbeth, die immerfort strickend, ihrem Sohn folgte und ihn besorgt anblickte; »nein, mein Junge; er ging diesen Morgen früh weg und ist seitdem nicht nach Hause gekommen; gewiß sitzt er wieder im Wirtshause.«

Ein tiefer Ärger zog rasch über Adams Gesicht; ohne ein Wort zu sprechen warf er seine Jacke ab und schlug sich die Hemdsärmel zurück.

»Was hast du vor, Adam? fragte die Mutter ängstlich; »du willst doch nicht schon wieder an die Arbeit ohne einen Bissen Abendbrot?!«

Adam konnte vor Ärger kein Wort sprechen und ging in die Werkstatt. Aber nun legte die Mutter das Strickzeug beiseite, eilte hinter ihm her, faßte ihn beim Arm und machte ihm in klagendem Tone Vorstellungen:

»Nein, mein Junge, nein! Du darfst dein Abendbrot nicht stehen lassen, die Kartoffeln in der Brühe sind fertig, grade wie du sie gern issest; ich habe sie dir so schön warm gestellt; nun komm und iß, thu mir den Gefallen.«

»Laß mich, Mutter,« rief Adam ungeduldig, machte sich von ihr los und ergriff eins von den Brettern, die an der Wand standen; »es hat sich was Abendbrot zu essen, wenn der Sarg morgen früh um sieben Uhr fix und fertig in Broxton sein soll und eigentlich schon jetzt da sein müßte, und noch ist kein Nagel eingeschlagen. Ich kann nichts essen, es bliebe mir im Halse stecken.«

»Was, du kannst doch nicht den Sarg fertig machen?« sagte Lisbeth; »du arbeitest dich ja zu Tode, du hättest die ganze Nacht dran zu thun.«

»Und wenn ich die ganze Nacht arbeiten muß, was will das sagen? Haben wir den Sarg nicht versprochen? Können die Leute das Begräbnis halten ohne den Sarg? Ich arbeitete mir lieber die rechte Hand ab, ehe ich die Leute so anführte. Ich werde wild, wenn ich nur dran denke. Und lange halt' ich die Geschichte auch nicht mehr aus, ich hab's satt.«

Es war nicht das erste Mal, daß die alte Lisbeth diese Drohung zu hören bekam, und wenn sie verständig gewesen wäre, so wäre sie ruhig weggegangen und hätte in der ersten Stunde nichts gesagt. Aber was eine Frau sich am seltensten merkt, ist die Lehre, nie mit einem Mann zu sprechen, der ärgerlich oder betrunken ist. Lisbeth setzte sich auf den Hauklotz nieder und fing an zu weinen, und als sie so viel geweint hatte, daß ihre Stimme recht kläglich klang, brach sie in Worte aus.

»Nein, mein Herzensjunge, du wirst doch nicht weggehen wollen und deiner Mutter das Herz brechen und deinen Vater in Not bringen. Du wirst mich doch nicht auf den Kirchhof tragen lassen und nicht hinter dem Sarge hergehen. Ich hätte keine Ruhe im Grabe, wenn ich dich nicht in meiner letzten Stunde sähe, und wie sollst du's wohl erfahren, daß ich am Tode bin, wenn du in die Fremde gehst und arbeitest, und Seth geht dann auch wohl weg, und dein Vater kann vor Zittern keine Feder in der Hand halten und weiß auch wohl nicht mal, wo du bist. Du mußt Nachsicht haben mit deinem Vater, du darfst nicht so bitter gegen ihn sein. Er ist immer ein guter Vater gegen dich gewesen, ehe er sich ans Trinken gab. Er ist recht geschickt in seinem Handwerk, und dich hat er angelernt, das vergiß nicht, und nie hat er mir einen Schlag gegeben oder auch nur ein böses Wort – nein, nicht mal in der Trunkenheit. Du wirst ihn doch nicht im Arbeitshause enden lassen wollen – deinen eigenen Vater – der ein so hübscher Mann war und so geschickt beinahe wie du selbst, vor fünfundzwanzig Jahren, als du noch ein Kind an der Brust warst.«

Lisbeths Stimme wurde immer lauter und erstickte fast unter Schluchzen, und ein solches Klagegeheul ist das allerunangenehmste, was es giebt, wenn man wahrhaften Kummer hat und tüchtig arbeiten muß. Adam unterbrach sie ungeduldig:

»Aber, Mutter! wein' doch nicht so und sprich nicht so. Hab' ich nicht auch ohne das Ärger genug? Was brauchst du mir von diesen Dingen zu reden, an die ich Tag für Tag nur zu viel denke? Thät' ich das nicht, warum arbeitete ich wohl so, um unsre Wirtschaft in Ordnung zu halten? Aber ich hasse das Reden, wo es doch nichts nützt, und gebrauche meine Lungen lieber bei der Arbeit.«

»Ja, ich weiß, mein Junge, du thust, was kein andrer thäte. Aber du bist immer so hart gegen deinen Vater, Adam. Für Seth ist dir nichts zu viel, und wenn ich mal mit dem Jungen schelte, dann fährst du mich an. Aber gegen deinen Vater bist du schlimmer, als gegen jeden andern.«

»Das ist aber doch besser, sollt' ich meinen, als zu nachsichtig zu sein und ihn auf seinem schlechten Wege zu lassen, nicht wahr? Wäre ich nicht streng gegen ihn, er verkaufte uns jedes Stück Holz vom Hofe und vertränke das Geld. Ich weiß wohl, daß ich gegen Vater Pflichten habe, aber es ist gewiß nicht meine Pflicht, ihn noch darin zu bestärken, wenn er sich Hals über Kopf ins Verderben stürzt. Und was hat Seth damit zu schaffen? Der Junge thut doch niemand was zu Leide, so viel ich weiß. Aber laß mich jetzt in Ruhe, Mutter, und störe mich nicht bei der Arbeit.«

Lisbeth wagte nun kein Wort mehr zu sagen, sondern stand auf und rief Gyp, um wenigstens den Hund gut zu füttern, da Adam selbst sein Abendbrot verschmähte und ihr so die gehoffte Freude nahm, ihn beim Essen ansehen zu können. Aber Gyp guckte seinen Herrn an, zog die Stirn kraus, spitzte die Ohren, – denn das Treiben heute Abend war ihm ganz unverständlich, und obschon er auf Lisbeths Rufen aufhorchte und bewegten Gemüts auf seinen Vorderpfoten hin und hertrippelte, da er wohl merkte, daß er was zu fressen haben sollte, so war er doch in geteilter Stimmung, blieb sitzen und heftete seine Augen immer wieder ängstlich auf seinen Herrn. Adam bemerkte diesen Streit der Empfindungen, und obgleich er im Ärger gegen die Mutter weniger zärtlicher gewesen war, als gewöhnlich, gegen den Hund blieb er gleich gut. Es liegt in Menschen Art, daß wir gegen die Tiere, die uns lieb haben, freundlicher sind, als gegen Frauen, die uns lieb haben. Kommt das vielleicht daher, daß die Tiere stumm sind?

»Geh nur, Gyp, geh!« sagte Adam ermutigend, und Gyp, höchlich befriedigt, daß Pflicht und Vergnügen für ihn zusammenfielen, ging mit Lisbeth in die Küche. Doch verließ er sie bald wieder, um zu seinem Herrn zurückzukehren, und Liesbeth saß nun allein und weinte. Frauen, die niemals bitter und rachsüchtig sind, klagen oft am schlimmsten, und wenn Salomo's Weisheit wirklich so groß war wie ihr Ruf, so hat er bei dem Worte: »Ein zänkisches Weib und stetiges Triefen, wenn es sehr regnet, werden wohl mit einander verglichen« gewiß nicht an eine Furie mit langen Nägeln, eine bissige und selbstsüchtige Hexe gedacht, sondern vielmehr an so'n recht gutmütiges Geschöpf, das keine Freude hat, als das Glück seiner Geliebten, für die es sorgt und sich selbst alles entzieht – um bei Gelegenheit seinen gehörigen Regentag zu haben. Solch eine Frau war z. B. Lisbeth; sie war zugleich geduldig und klagte viel, zugleich aufopfernd und anspruchsvoll, brütete den lieben langen Tag über das, was gestern vorgefallen war und was wohl morgen kommen werde, und weinte sehr leicht, beides über Gutes und Böses. Ihr Sohn Adam jedoch flößte ihr neben vergötternder Liebe auch eine gewisse Scheu ein, und wenn er sagte: »laß mich zufrieden, Mutter!« so war sie immer gleich stille.

Bei dem lauten Ticken der alten Wanduhr und dem Geräusch von Adams Arbeit vergingen die Stunden. Endlich bat er um Licht und einen Trunk Wasser (Bier gab es in dem Hause nur an Festtagen), und als Lisbeth es ihm hereinbrachte, sagte sie schüchtern: »dein Abendbrot steht noch fertig, wenn du jetzt essen willst.«

»Bleib nicht so lange auf, Mutter,« erwiderte Adam mit sanfter Stimme; er hatte seinen Ärger weggearbeitet, und wenn er mit seiner Mutter besonders freundlich sein wollte, sprach er ganz in ihrem Provinzialdialekte und in besonders weichem Tone. »Ich will schon nach Vater sehen, wenn er nach Haus kommt; vielleicht kommt er die Nacht auch gar nicht. Es ist mir lieber, Mutter, wenn ich dich zu Bett weiß.«

»Nein, ich will doch noch auf Seth warten, er bleibt gewiß nicht lange mehr aus.«

Wieder verging eine Zeit, und es war fast zehn Uhr, als die Hausthür aufging und Seth eintrat. Schon draußen hatte er das Hämmern und Arbeiten gehört.

»Mutter, sagte er, wie kommt das, daß Vater noch so spät arbeitet?«

»Ja Vater! der ist nicht an der Arbeit; das könnest du selbst wohl wissen, wenn du den Kopf nicht immer voll hättest vom Kirchengehen; es ist dein Bruder, der alles besorgt; sonst thut ja keiner was.«

Lisbeth wollte schon in diesem Zuge fortfahren, denn vor Seth war sie nicht bange, und er mußte gewöhnlich alles anhören, was sie zu klagen hatte, weil er ihr nie im Leben ein hartes Wort sagte und furchtsame Leute ihre bösen Launen immer an den sanften auslassen; aber Seth hatte schon mit besorgtem Blicke die Werkstatt betreten und sagte: »lieber Adam, was ist denn los? Wie! hat Vater den Sarg vergessen?«

»Ja, Junge, immer die alte Geschichte; aber ich werde ihn schon fertig bekommen,« erwiderte Adam, indem er aufsah und einen seiner hellen scharfen Blicke auf den Bruder warf. »Aber, was ist denn mit dir vorgegangen? Du hast Kummer gehabt?« Seths Augen waren rot, und eine tiefe Niedergeschlagenheit lag auf seinem sanften Gesichte.

»Ja, Adam, aber ich muß es tragen und du kannst mir nicht helfen. In der Abendschule bist du also wohl nicht gewesen?«

»Abendschule? Nein, dazu war heut keine Zeit,« erwiderte Adam und hämmerte weiter.

»Laß mich nun mein Teil auch thun und leg' dich schlafen,« sagte Seth.

»Nein, mein Junge; ich will lieber weiter arbeiten, nun ich mal dran bin. Wenn ich den Sarg fertig habe, kannst du ihn mir nach Broxton tragen helfen; um Sonnenaufgang will ich dich wecken. Jetzt geh, iß dein Abendbrot und mach' die Thür zu, damit ich Mutter nicht reden höre.«

Seth wußte wohl, daß Adam von seinen Worten nicht abging; er kehrte also mit schwerem Herzen in die Küche zurück.

»Adam hat nicht 'nen Mund voll angerührt, als er nach Hause kam,« sagte Lisbeth; »du hast aber gewiß schon bei einem von den Methodisten gegessen.«

»Nein, Mutter,« antwortete Seth, »ich habe noch kein Abendbrot gehabt.«

»Na, dann setz' dich und iß,« erwiderte Lisbeth; »aber iß die Kartoffeln nicht alle auf; vielleicht ißt sie Adam noch, wenn ich sie ihm stehen lasse; er mag gerne Brühkartoffeln. Aber er hat sich so schwer geärgert, daß er sie nicht mochte, und ich hatte sie ihm doch besonders zurecht gemacht. Und er hat mir auch wieder gedroht, er wolle weggehen«, fuhr sie weinerlich fort, »und ich sehe schon kommen, daß er wirklich mal eines Morgens weggeht, wenn ich noch nicht auf bin, ohne mir vorher was zu sagen, und wenn er mal weg ist, kommt er gewiß nie wieder. Ach Gott, mir wär' besser, ich hätte gar keinen Sohn gehabt, der so geschickt und tüchtig ist bei der Arbeit, wie keiner sonst, und auf den alle braven Leute so viel halten, und der so groß und aufrecht steht wie eine Pappel, und nun will er mich verlassen und ich soll ihn nie wiedersehen.«

»Mutter, Mutter!« suchte sie Seth zu beruhigen, »gräme dich doch nicht so ohne Grund; es ist nicht halb so sicher, daß Adam weggeht, als daß er bei dir bleibt. Er spricht wohl so was daher, wenn er ärgerlich ist – und bisweilen hat er wohl Grund dazu –, aber sein Herz läßt es doch nie dazu kommen. Erinnere dich nur, wie er uns allen beigestanden hat in schweren, schweren Zeiten, mit seinem ersparten Gelde mich von den Soldaten loskaufte und seinen ganzen Lohn hergab zu Holz für den Vater; er hätte sein Geld ganz anders verwenden können, und mancher junge Bursch hätte in seiner Lage schon längst geheiratet und sich einen Hausstand gegründet. Der schlägt gewiß nicht um und zerstört das, was er selbst geschaffen, und läßt die im Stich, für die er sein ganzes Lebelang gearbeitet hat.«

»Sei mir stille von dem Heiraten,« sagte Lisbeth und weinte von neuem, »er ist ja ganz versessen auf die Hetty Sorrel, und die würde ihm nie einen Groschen im Hause sparen und seine alte Mutter schön über die Schulter ansehen. Und dabei könnte er die Marie Burge haben und bei Meister Burge ins Geschäft treten und ein gemachter Mann werden und Arbeitsleute im Dienst haben – Dorchen hat mir das oft genug gesagt; aber er will ja nicht und hängt sein Herz an das Ding von einem Mädchen, mit dem er so wenig anfangen kann, wie mit dem Goldlack da an der Wand. Und dabei liest er Bücher und kann rechnen, und sieht's doch nicht ein!«

»Aber, Mutter, du weißt doch, wir können nicht lieben, wie andre Leute wollen; Gott allein lenkt das Herz des Menschen. Ich selbst hätte wohl gewünscht, Adam träfe eine andere Wahl, aber ich kann ihm keinen Vorwurf daraus machen, was er nicht ändern kann. Und mich dünkt beinahe, er sucht seinen Sinn zu ändern. Aber er spricht nicht gern darüber und ich kann nur zu Gott beten, daß er ihn segne und leite.«

»Ja wohl! Du bist immer mit deinem Beten bei der Hand, aber ich sehe nicht, daß viel dabei herauskommt. Die Methodisten werden niemals halb so 'nen Mann aus dir machen, wie dein Bruder; daß du ein Prediger wirst, bringen sie vielleicht noch fertig.«

»Was du da sagst, ist zum Teil wahr, Mutter,« war Seths sanfte Antwort; »Adam ist mir weit voraus und hat mehr für mich gethan, als ich je für ihn thun kann. Gott verteilt die Gaben, wie er es für gut erkennt. Aber das Gebet darfst du nicht gering achten. Beten schafft vielleicht kein Geld; mag sein, aber es giebt uns, was für kein Geld zu kaufen ist – Kraft, die Sünde zu meiden und in den Willen Gottes uns zu ergeben, was er auch über uns verhängen mag. Wenn du zu Gott um Hilfe beten möchtest und auf seine Güte vertrauen, du machtest dir manchmal nicht so viel Sorge im Leben.«

»Sorge? ich habe wohl recht, mir Sorgen zu machen. Was es heißt, alles so leicht zu nehmen, das sieht man recht an dir; du könntest deinen ganzen Lohn weggeben und wärest doch nie besorgt, daß du nichts behieltest für die Tage der Not. »Sorget nicht für den andern Morgen« – sorget nicht, das sagst du ja wohl immer, und was kommt dabei heraus? Nun, daß Adam für dich sorgen muß.«

»Das sind Worte der heiligen Schrift, Mutter,« sagte Seth; »es ist aber damit nicht gesagt, daß wir müßig gehen sollen; es heißt nur, wir sollen uns nicht ängstigen und quälen darüber, was morgen kommen mag, sondern unsere Pflicht thun und das andere Gott überlassen.«

»Ja, ja, das ist so deine Art; du hast immer einen Bibelspruch bei der Hand für deine Ansicht. Ich verstehe nicht, woher du es wissen willst, daß der Spruch alles das bedeutet. Und da die Bibel so'n dickes Buch ist, und du sie ganz durchlesen und die Verse auswählen kannst, so begreife ich nicht, warum du nicht bessere Sprüche nimmst, wo der Sinn nicht länger ist, als die Worte. Adam nimmt keinen solchen Spruch; er sagt immer: »Helft euch selbst, so wird Gott euch helfen;« Das kann unsereins doch verstehen.«

»Nein, Mutter,« erwiderte Seth, »das ist kein Bibelspruch, das stammt aus einem Buche, welches Adam mal von Treddleston mitgebracht hat. Es ist von einem verständigen Manne, aber ein bißchen zu weltlich, glaube ich. Indessen, das Wort ist teilweise wahr; denn die Bibel sagt, wir müßten Gottes Mithelfer sein.«

»Na, was verstehe ich davon? Es klingt wie ein Bibelspruch. Aber, Junge, was ist das mit dir? Du issest ja kaum einen Mund voll. Du wirst doch nicht satt sein von dem bißchen Gerstenkuchen? Und weiß siehst du aus, wie ein Stück frischer Speck. Sag, was hast du?«

»Nichts besonderes, Mutter; ich bin nur nicht hungrig. Aber ich muß mal wieder nach Adam sehen; vielleicht läßt er mich jetzt an die Arbeit.«

»Iß erst 'nen Teller warme Suppe,« sagte Lisbeth, deren mütterliches Gefühl nun doch die Oberhand behielt über ihre Selbstsucht; »in ein paar Minuten soll sie fertig sein.«

»Du bist sehr gütig, Mutter, aber ich danke,« sagte Seth, und ermutigt durch dieses Zeichen von Zärtlichkeit fügte er hinzu: »laß uns zusammen beten, Mutter, für Vater und Adam und für uns alle; du glaubst nicht wie einen das stärkt und tröstet.«

»Nun gut, ich habe nichts dagegen.«

So geneigt Lisbeth immer war, Seth in der Unterhaltung das Widerspiel zu halten, so hatte sie doch ein unbestimmtes Gefühl, in seiner Frömmigkeit liege eine gewisse Beruhigung und Trost, und es schien ihr, als habe sie nun selbst um so weniger nötig, sich mit geistlichen Dingen zu befassen.

So knieten denn Mutter und Sohn zusammen nieder und Seth betete für den armen Vater draußen und für die, welche daheim um ihn sorgten. Und als er die Bitte aussprach, daß Adam nie genötigt sein möge, sich in der Fremde eine Hütte zu bauen, sondern daß die Mutter durch seine Nähe erheitert und getröstet werden möge bis an das Ende ihrer Pilgerfahrt, da flossen Lisbeths Thränen wieder und sie weinte laut.

Als sie sich erhoben von ihren Knieen, ging Seth wieder zu Adam und sagte: »Leg dich doch nur ein oder zwei Stunden, bin und laß mich derweile arbeiten.«

»Nein, nein, Seth; laß Mutter zu Bett gehen und geh du auch.«

Unterdes hatte Lisbeth sich die Augen getrocknet und kam auch herbei; in der Hand hielt sie die irdene Schüssel mit den Kartoffeln und kleinen Stücken Fleisch, die sie dazwischen gemengt hatte; es war teure Zeit, und Weizenbrot und frisches Fleisch waren seltene Leckerbissen für Arbeitsleute. Sie setzte die Schüssel beinahe schüchtern neben Adam auf die Hobelbank und sprach: »Du kannst ja während der Arbeit ab und zu einen Bissen nehmen; ich bring' dir auch noch einen Schluck Wasser.«

»Ja, Mutter, das thu',« sagte Adam freundlich; »mit der Zeit werde ich recht durstig.«

In einer halben Stunde war alles still, kein Ton im Hause zu hören, als das laute Ticken der alten Wanduhr und das Geräusch von Adams Arbeit. Die Nacht war ganz still: als Adam um zwölf Uhr hinausblickte, schien sich nichts zu bewegen, als die leuchtenden blinkenden Sterne, kein Grashalm regte sich.

Bei körperlicher Anstrengung werden unsere Gedanken gewöhnlich ein Spiel der Empfindungen und der Einbildungskraft, das erfuhr Adam in jener Nacht. Während seine Muskeln sich tapfer anstrengten, schien sein Geist so unthätig wie ein Zuschauer in einem Diorama. Scenen der traurigen Vergangenheit und wahrscheinlich traurigen Zukunft zogen an ihm vorüber und machten einander in schneller Folge Platz.

Er sah, wie es am andern Morgen sein würde, wenn er den Sarg nach Broxton getragen hätte und wieder zu Hause beim Frühstück säße. Da käme sein Vater herein, schämte sich, seinem Sohne ins Auge zu sehen, setzte sich hin, sähe älter und wüster aus, als den Tag vorher, ließe den Kopf hängen und stierte die Flursteine an; dann würde die Mutter ihn fragen, wie er wohl glaube, daß der Sarg fertig geworden sei, da er selbst von den Brettern weg ins Wirtshaus gegangen, denn Lisbeth war mit ihren Vorwürfen gegen ihn immer zuerst bei der Hand, obschon sie über Adams Härte gegen seinen Vater weinte.

»Und so wird es weitergehen immer schlimmer und schlimmer,« dachte Adam; »kann keiner den Abhang hinaufgleiten oder auch nur still halten, wenn er mal ins Rutschen gekommen ist.«

Dann trat die Zeit ihm vor die Seele, wo er ein kleiner Junge war und neben seinem Vater herlief, stolz darauf, wenn ihn der mit an die Arbeit nahm, und noch stolzer, wenn er den Vater gegen die andern Arbeiter prahlen hörte, »der kleine Kerl habe schon unbändig viel Verstand von der Zimmerei.« Was für ein tüchtiger thätiger Mann war sein Vater damals! Wenn die Leute den kleinen Adam fragten, wem er denn gehöre, so antwortete er mit einem gewissen Selbstgefühl: »ich bin Matthis Bede sein Sohn« – denn natürlich mußte ja jeder den Matthis Bede kennen, der das wundervolle Taubenhaus für den Pastor in Broxton gemacht hatte. Was waren das für glückliche Tage! Zumal, als auch Seth, der drei Jahr' jünger war, mit an die Arbeit zu gehen anfing, und Adam zugleich lehrte und lernte. Aber dann kamen die bösen Zeiten, wo der Vater in den Wirtshäusern herumzuliegen und Lisbeth zu Haus zu weinen anfing und ihre Klagen gegen ihre Söhne ausließ. Adam erinnerte sich recht wohl der Nacht voll Schande und Entsetzen, als er zum erstenmal den Vater mitten unter seinen Kumpanen lärmen und sich zum Narren machen sah. Einmal, als er erst achtzehn Jahre zählte, war er davongelaufen, heimlich, in früher Morgenstunde, mit einem blauen Bündelchen auf der Schulter und sein Meßbuch in der Tasche, fest entschlossen, die Plackerei zu Hause nicht länger zu ertragen und in der Fremde sein Glück zu versuchen, wohin der Zufall ihn treibe. Aber schon nach dem kurzen Marsche bis Stoniton war der Gedanke an seine Mutter und Seth, die, von ihm verlassen, nun alles daheim aushalten müßten, zu mächtig in ihm geworden und er hatte nicht das Herz gehabt weiter zu gehen; er war den folgenden Tag zurückgekehrt, aber der Jammer und die Angst, die seine Mutter in den beiden Tagen ausgestanden hatte, verfolgten sie seitdem unaufhörlich wie ein Gespenst.

»Nein!« sagte Adam jetzt zu sich selbst; »das darf nie wieder vorkommen. Es stände schlecht mit meiner Rechnung am letzten Ende, wenn meine arme alte Mutter mit auf die Schuldenseite käme. Mein Nacken ist breit genug und stark genug; ich wär' ja ein rechter Feigling, wenn ich mich davonmachte und die Not denen zu tragen überließe, die es nicht halb so gut können. »Die stark sind, sollen der Schwachen Gebrechlichkeit tragen und nicht Gefallen an sich selber haben,« – das ist ein Spruch, bei dem man kein Licht nötig hat: er hat das Licht in sich selber. Es liegt auf der Hand, daß man im Leben auf den falschen Weg kommt, wenn man diesem oder jenem nachjagt, bloß um es sich selbst angenehm zu machen. Ein Schwein mag seine Nase in den Trog stecken und sich um nichts anderes kümmern; aber wer ein menschliches Herz hat, der kann nicht ruhig sein, wenn er sich selbst warm bettet und die andern auf den Steinen schlafen läßt. Nein, nein, niemals werde ich meinen Nacken aus dem Joche ziehen und die Last den Schwachen zu tragen geben. Vater ist ein schweres Kreuz für mich und bleibt's wohl noch für viele Jahre. Aber was thut's? Ich habe die Gesundheit und die Gliedmaßen und den Geist, es zu tragen.«

In diesem Augenblick geschah ein kurzer rascher Schlag wie mit einer Weidenrute an die Hausthür, und Gyp, statt wie gewöhnlich zu bellen, fing laut an zu heulen. Adam erschrak heftig, ging sofort an die Thür und öffnete. Da war nichts; alles war still, wie eine Stunde zuvor; kein Blättchen rührte sich, und das Sternenlicht zeigte auf den ruhigen Feldern zu beiden Seiten des Baches nichts lebendiges. Adam ging rings um das Haus und das einzige, was er sah, war eine Ratte, die sich unter den Holzstoß verkroch. Verwundert ging er wieder hinein; der Ton war so eigentümlich gewesen, daß ihm sofort die Vorstellung kam, eine Weidenrute schlüge gegen die Thür. Er konnte einen kleinen Schauder nicht unterdrücken, da ihm einfiel, wie oft seine Mutter ihm gesagt habe, gerade solch ein Ton zeige an, einer liege im Sterben. Adam war nicht so leicht abergläubisch, aber er hatte Bauernblut in den Adern, und ein Bauer kann es so wenig lassen, an einem hergebrachten Aberglauben zu hangen, wie ein Pferd beim Anblick eines Kameles zu zittern. Dabei gehörte er zu den Geistern, die auf dem Gebiete des Geheimnisvollen so schüchtern sind, wie kühn auf dem Gebiete des Wissens; an seiner Abneigung gegen starre kirchliche Dogmen hatte eine tiefe Frömmigkeit gerade so großen Anteil, wie sein derber gesunder Menschenverstand, und oft wies er die Grübeleien seines Bruders Seth mit den Worten zurück: »Ja! 's ist 'n tiefes Geheimnis, und du weißt nicht viel davon.« So kam es, daß Adam zugleich scharfsinnig und leichtgläubig war. Wenn ein neues Gebäude eingestürzt wäre und man hätte darin ein Gericht Gottes gefunden, so würde er geantwortet haben: »Mag sein, aber die Mauern und das Dach müssen nicht in Ordnung gewesen sein, sonst wär' es nicht eingestürzt,« und dabei glaubte er wieder an Träume und Vorgeschichten, und wie wir sehen, schauderte ihm bei dem Gedanken an den Schlag mit der Weidenrute.

Aber in der Notwendigkeit, an dem Sarge weiter zu arbeiten, hatte er das beste Gegenmittel gegen alle eingebildeten Schrecken, und die nächsten zehn Minuten klangen seine Hammerschläge so ununterbrochen, daß sie jedes etwaige andere Geräusch übertönt hätten. Doch trat eine Pause ein, als er den Zollstock anlegen mußte, und da geschah wieder der seltsame Schlag an die Thür, und wieder heulte Gyp. In einem Sprunge war Adam an der Thür, aber wieder war alles still, und die Sterne beleuchteten nur das taubedeckte Gras vor dem Häuschen.

Einen Augenblick überkam Adam eine gewisse Unruhe wegen seines Vaters, aber in den letzten Jahren war dieser von Treddleston niemals im Dunkeln zurückgekehrt, und alles sprach für die Annahme, daß er um diese Stunde ruhig seinen Rausch im Wirtshause verschliefe. Zudem war für Adam das Bild seiner Zukunft so unzertrennlich von dem traurigen Bilde seines Vaters, daß die Furcht, diesem könne ein Unglück zustoßen, durch die tiefgewurzelte Befürchtung ausgeschlossen wurde, er werde immer tiefer sinken. Sein nächster Gedanke ging auf Seth und die Mutter; rasch legte er die Schuhe ab und ging leise die Treppe hinauf, um an ihren Schlafzimmern zu horchen; er hörte beide ruhig atmen.

Und wieder ging Adam an die Arbeit. Er sagte sich: »die Thür mach' ich nicht wieder auf; es hilft nichts, daß einer sich umsieht, um ein Geräusch zu sehen. Möglich, daß es eine Welt um uns her giebt, die wir nicht sehen können, aber das Ohr ist rascher als das Auge, und erhascht dann und wann einen Ton, der von ihr herkommt. Manche Leute glauben zwar, sie thäten auch wohl auch mal einen Blick hinein, aber das sind meistens solche, deren Augen sonst zu nichts taugen. Ich für mein Teil halte es für besser, richtig zu sehen, ob das Lot gerade hängt, als einen Geist zu sehen.«

Gedanken dieser Art werden natürlich stärker und stärker, wenn das Tageslicht heraufkommt und die Vögel ihr Lied anstimmen, und als erst das rote Sonnenlicht den Messingbeschlag auf dem Sargdeckel beschien, hatte Adam über der Befriedigung, daß die Arbeit fertig und das Versprechen erfüllt sei, alle Vorbedeutung von dem Schlag mit der Weidenrute vergessen. Seth ließ sich nicht erst rufen: es regte sich in seiner Kammer, und bald kam er hinunter.

»Nun, mein Junge,« rief ihm Adam zu, »der Sarg ist fertig, und wir können ihn nach Broxton hinübertragen und vor halb sieben wieder hier sein. Ich will nur erst einen Mundvoll Gerstenkuchen essen und dann wollen wir fort.«

Die beiden Brüder nahmen den Sarg auf ihre hohen Schultern und gingen, von Gyp begleitet, aus dem kleinen Holzhofe auf den Feldweg hinter dem Hause. Es war nur eine gute halbe Stunde nach Broxton über den Hügel hinüber, und der Weg zog sich sehr angenehm durch die Felder hin, wo die blassen Winden und die wilden Rosen die Hecken kränzten und die Vögel zwischen den mächtigen laubreichen Ästen der Eichen und Ulmen zwitscherten und trillerten. Es war ein seltsam gemischtes Bild – der frische junge Sommermorgen mit seiner paradiesischen Ruhe und Lieblichkeit, die stämmige Kraft der beiden Brüder in ihrem groben Arbeitszeuge, und der lange Sarg auf ihren Schultern. Bei einem kleinen Bauernhause vor dem Dorfe Broxton hielten sie an. Um sechs Uhr war ihre Arbeit gethan, der Sarg zugenagelt und die Brüder machten sich auf den Rückweg. Sie wählten jetzt einen kürzeren Weg, der sie über die Felder und den Bach vorn ins Haus zurückführte. Adam hatte gegen Seth nicht erwähnt, was er in der Nacht erlebt, aber der Eindruck in seinem Innern war doch noch so mächtig, daß er sagte:

»Du, Seth! wenn Vater beim Frühstück noch nicht nach Hause kommt, so denk' ich, du thust gut und gehst nach Treddleston hinüber und siehst nach ihm; du kannst mir dann den Kupferdraht mitbringen, den ich gebrauche. Wenn du auch eine Stunde von der Arbeitszeit verlierst, das macht nichts; die bringen wir schon wieder ein. Was meinst du?«

»Mir ist's recht,« sagte Seth. »Aber sieh' mal wie die Wolken sich zusammengezogen haben, seit wir unterwegs sind. Ich glaube, es giebt noch mehr Regen. Eine böse Heuernte, wenn die Wiesen wieder überschwemmt werden! Der Bach ist jetzt sehr hoch; noch ein Tag Regen und das Wasser geht über das Brett und wir werden den Umweg über die Chaussee machen müssen.«

Sie durchschritten jetzt das Thal und waren auf dem Wiesengrunde, durch welchen der Bach floß.

»Aber was ist das! was steckt da an der Weide fest?!« fuhr Seth fort, indem er seinen Schritt beschleunigte.

Adams Herz schwoll auf: die unbestimmte Angst um seinen Vater wurde zum gewaltigen Schrecken; er antwortete dem Bruder nicht, sondern stürzte vorwärts, der Hund mit unruhigem Gebell vor ihm her, und in wenigen Sprüngen war er an der Brücke.

Das also hatte das Zeichen bedeutet! Und sein greiser Vater, an den er vor wenigen Stunden mit Bitterkeit als an eine böse Last für viele kommende Jahre gedacht hatte, kämpfte vielleicht gerade in dem Augenblick mit dem nassen Tode! Das war der erste Gedanke, der Adam durchs Gewissen schoß, ehe er Zeit hatte, die Kleider des Ertrunkenen zu fassen und den großen, schweren Körper herauszuziehen. Seth war schon ihm zur Seite und half, und als sie den Leichnam auf das Ufer hingelegt hatten, knieten sie beide nieder und blickten mit stummem Schauder auf die gläsernen Augen, vergaßen, daß es hier zu handeln gelte, vergaßen alles außer – daß ihr Vater tot vor ihnen lag. Adam fand zuerst die Sprache wieder.

»Ich will zur Mutter laufen,« sagte er laut flüsternd; »in einer Minute bin ich wieder bei dir.«

Die arme Lisbeth war beschäftigt, ihren Söhnen das Frühstück zu bereiten, und die Suppe dampfte schon auf dem Feuer. Ihre Küche hielt Lisbeth immer sehr reinlich, aber diesen Morgen war sie noch mehr als sonst bemüht gewesen, dem Herde und dem Frühstückstisch ein einladendes Aussehen zu geben.

»Die Jungen werden tüchtig hungrig sein,« sagte sie halblaut, indem sie die Suppe umrührte; »es ist ein gutes Stück Weg nach Broxton, und die Luft auf dem Hügel macht Appetit – und der schwere Sarg obendrein. Ja, jetzt wird er noch schwerer sein, da der arme Tholer drinnen liegt. Ich hab' diesen Morgen einen Teller Suppe mehr gekocht, als gewöhnlich. Der Vater kommt vielleicht auch bald nach Haus. Der ißt zwar just nicht viel Suppe. Er trinkt für ein paar Groschen Bier und spart 'nen Dreier an der Suppe – das ist so seine Art zu sparen, habe ich ihm oft gesagt und werde ich ihm auch heute wohl wieder sagen müssen. Aber ruhig genug nimmt's der Alte hin, daß muß man ihn lassen.«

Aber nun hörte Lisbeth schwere Schritte auf dem Rasen, und schnell zur Thür sich wendend sah sie Adam hereinkommen, so blaß und entsetzt, daß sie laut aufschrie und auf ihn zustürzte, ehe er noch Zeit hatte zu sprechen.

»Still, Mutter,« rief Adam mit ganz heiserem Tone, »erschrick nicht. Vater ist ins Wasser gefallen. Vielleicht bringen wir ihn noch wieder zu sich. Seth und ich tragen ihn gleich her. Nimm 'ne wollene Decke und mach' sie am Feuer heiß.«

In Wahrheit hatte Adam die Überzeugung, der Vater sei wirklich tot, aber er wußte, daß der ungestüme und laute Schmerz seiner Mutter sich nicht anders unterdrücken lassen würde, als indem er ihr etwas zu thun gäbe, woran sich ihre Hoffnung noch halten könnte.

Er lief zu Seth zurück, und die beiden Söhne nahmen die traurige Last auf, schweigend mit zerrissenem Herzen. Die weit offenen gläsernen Augen waren grau wie die Seths, und hatten einst mit mildem Stolze auf die Knaben hingesehen, vor denen der Unglückliche nachher beschämt den Kopf mußte sinken lassen. Seth fühlte hauptsächlich Kummer und Entsetzen darüber, daß seines Vaters Seele so plötzlich hinweggerissen sei; aber Adam überflog im Geiste rasch die ganze Vergangenheit voll Wehmut und Mitleid. Wenn der große Versöhner Tod erscheint, dann bereuen wir nie unsere Milde, nur unsere Härte.


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