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Mode

Die Frau erfüllt eine Pflicht, wenn
sie sich schmückt.

Renan.

 

Die Mode ist vergänglich. Wenn sie ins Leben tritt, weiß sie schon ihren Tod voraus. Sie sprüht von allen irdischen Freuden und geht doch hin wie das Abendrot. Baudelaire sagt: »Willst du der Modedinge froh werden, so darfst du sie nicht als unlebendige Sache betrachten. Du mußt sie dir mit Leben und Lebenskraft erfüllt vorstellen durch die schönen Frauen, die sie trugen. Nur so wird man Sinn und Geist der Mode begreifen.«

In dem Augenblick, da man sich die schönen Frauen vor Augen stellt, die immer neue Gefäße der Anmutsoffenbarung verlangen und mithin ihr gemessen Teil haben an den Modeschöpfungen, die sie tragen und so verwirklichen, werden die Dinge befreit sein von der Wehmut der Vergänglichkeit.

Und doch gerät in Deutschland eine Frau, die Geschmack in ihre Kleidung legt, noch immer leicht in den Verdacht der Eitelkeit, Koketterie und Oberflächlichkeit. Sie soll geschmückt sein, aber sie soll nicht darüber nachdenken, wie der Ehemann wünscht, daß die Wohnung rein sei – nur darf niemals reingemacht werden. Sie denkt auch an nichts anderes als an ihren Toilettentand: so oder ähnlich äußern sich die Frauen, die an mangelndem Schönheitsgefühl leiden und dabei übersehen, daß das Ergebnis jenes Nachdenkens für uns wenigstens ein schöner Anblick ist. Die gut gekleidete Frau, deren Erscheinung und Betragen harmonisch zusammenklingen, kann, ja soll wie ein Kunstwerk wirken, das geboten, betrachtet und genossen wird. Ich zitiere Rahel Varnhagen: »Nichts macht alt als das Einwilligen darein, Vernachlässigung der Jugend und Mangel an ewiger Eleganz; man kann nicht nur abends um sechs Uhr ein Künstler sein, man muß es den ganzen Tag sein.«

Bisher witterte man: eine junge Frau, die sich besonders schön anzieht, die muß andere Fehler haben, die kann keine tüchtige Hausfrau, keine gute Gattin sein, die muß ihre Kinder vernachlässigen. Sicherlich wird es immer Frauen geben, deren guter Geschmack sich fast nur in ihrem Verständnis, sich zu kleiden, äußert, aber im allgemeinen gibt es eine Art des Geschmackes, die alles vereinigt. Die Wahl des Häßlichen beansprucht die gleiche Zeit und Kraft wie die Wahl des Schönen. Könnte man von einer Frau, die ihr Aeußeres vernachlässigt, nicht mit demselben Rechte sagen: wie kann eine Frau, die so wenig ästhetische Anmut hat, Aug' und Herz ihres Mannes mit Freude erfüllen, wie kann sie als Mutter den Schönheitssinn in ihren Kindern wecken! Schwerlich wird sie verstehen, Geschmack in ihr Heim, in ihre Umgebung zu tragen, in ihr Tun und Lassen. Wie deckt sie ihren Tisch? Wird sie ihr Zimmer mit Blumen schmücken? Weiß sie zu schenken? Andere zu erfreuen? Das Schöne begreifen zu lernen, damit muß die Frau daheim anfangen, indem sie versucht, es selbst zu schaffen.

Es gab eine Zeit, da hatten die jungen Mädchen, die studierten, beinahe einen Freibrief auf schlampiges Aussehen: sie waren der Meinung, Sauberkeit und Adrettheit vertrugen sich nicht mit dem Ernst ihrer akademischen Studien; sie waren full spirit, aber nicht full dress. Simsons Kraft lag in seinen Haaren, sie aber fühlten sich in ihren langen Haaren allzuschwach, allzuweibisch und schnitten sie ab, um männlicher, kraftvoller zu erscheinen. In der Kleidung folgten sie lieber der Herren– als der Damenmode. Marianne Weber hat ironisch den männlichen Anzug der Studentinnen als Mimikry bezeichnet, weil sie durch diese »schützende Ähnlichkeit« die Auffälligkeit ihres Erscheinens im Hörsaal abschwächen wollten. Erst durch menschliche Erfahrungen, die sie machten, erst durch Herzenswirrungen, die sie erlebten, offenbarte sich ihnen die Wirkung und der Zauber der Frau, die ihr Aeußeres pflegt. Auch die Frau, die einen Beruf hat, der sie ausfüllt, will deshalb nicht auf ein Lebensglück verzichten. Damit soll nun durchaus nicht gesagt sein, daß die Frau versuchen müsse, den Mann durch Äußerlichkeiten und kleine kokette Mittel zu fesseln, daß sie sich aus Berechnung elegant kleiden solle, nein, aus eigenem Schönheitssinn heraus soll sie ihren äußeren Menschen mit der Mode mitschreiten lassen, – tut sie das nicht, so fehlt ihr die reizende Sensibilität des Weibes. Goethe schreibt einmal: »Was man Mode heißt, ist augenblickliche Ueberlieferung. Alle Ueberlieferung führt eine gewisse Notwendigkeit mit sich, sich ihr gleich zu stellen.« Je feiner die Natur der Frau ist, desto feiner wird sie die eigene Erscheinung gestalten, – eine solche Frau ist nicht mit jenen Spatzenhirnen zu verwechseln, die nur um Putz herumschnurren. Eine solche Frau von sicherem Geschmack wird nie in die Verlegenheit jener gedankenlosen Weiber geraten, die Schränke voll Kleider, aber »nie etwas anzuziehen haben«, oder die bei allen möglichen und unmöglichen Gelegenheiten ihre Umgebung damit quälen, was sie denn anziehen sollen. Die Frau von Geschmack weiß immer, was sie anziehen soll; sie fragt nicht und wird stets das Richtige treffen, auch wenn sie sich einmal mehr oder weniger elegant kleidet, als die Gelegenheit fordert; es wird das Richtige sein, weil sie es trägt. Die Frau von Geschmack wird niemals Freunde, bei denen sie zu Gaste geladen ist, telephonisch mit der Frage behelligen, wieviel Personen da seien, und was sie anziehen solle. Sie weiß, daß dergleichen Fragen dem Gastgeber, der an diesem Tage hinreichend beschäftigt ist, lästig sind oder ihn in Verlegenheit setzen. Ich pflege solche telephonischen Attacken so abzuwehren: »Machen Sie sich nur so schön, wie es Ihnen möglich ist!« Und denke dabei im stillen an jenen Abbé, dem eine Dame von Stande beichtete, sie schminke und pudere sich. »Schminken und pudern Sie sich nur ruhig weiter, mein gutes Kind,« sagte der Abbé, »Sie sind noch häßlich genug.«

Die Frau darf also die Mode wichtig nehmen, wenn sie sich klar ist, daß die Mode im Grunde unwichtig sei, daß sie mit des »Seelenlebens Tiefen« nichts zu tun habe, sondern nur durch ihre reizvolle Unbeständigkeit unsere Nerven angenehm beschäftige und ablenke. Das erklärt auch, weshalb die Mode nach großen Kriegen und politischen Umwälzungen wechselvoller, ausschweifender und exzentrischer ist als sonst; die aufgepeitschten Nervenverfassungen fordern immer stärkere Antriebe.

Die Frau soll die Bedeutung der Mode nicht über-, doch auch nicht unterschätzen. Unterschätzt darf die Mode schon aus sozialen Gründen nicht werden, denn sie schafft unzähligen Existenzen Brot und Unterhalt. Leben viele Menschen für die Mode, so lebt doch ein unendlich größerer Teil von ihr, und es wäre eine völlig unwirtschaftliche Auffassung, die Mode in Bausch und Bogen als überflüssigen Luxus zu verdammen. – Die Unruhe unserer Tage ist, wie gesagt, auch in die Mode gefahren. Einstmals kam sie und blieb sie hübsch lange. In unserer schnellebenden, ewige Abwechselung begehrenden Epoche aber hat auch die Mode Eile, sie kommt und geht, zu längerem Verweilen nimmt sie sich keine Zeit und läßt man ihr keine Zeit.

Die großen Schneider, die wie alle bedeutenden Künstler ihren Tagen vorauseilen – das Publikum ist wie eine Uhr, die nachgeht, sagt Delacroix –, haben jetzt eine weit schwierigere Aufgabe zu lösen als früher: ihr Geist ist in beständiger, fieberhafter Schaffenserregung; es ist wie ein Wettrennen nach Neuem, noch nicht Dagewesenem, Anstaunenswertem. Gemäß dem Prinzip: es gibt nichts Neueres als das Vergessene, suchen diese Künstler in Museen und Bibliotheken, und aus Altem und Modernem entsteht die Mode unserer Welt.

Mit einer leisen und lächelnden Geringschätzung pflegen wir im Bereich exakter Daseins- und Bildungsfragen auf den Standpunkt zurück- und herabzublicken, den unsere Vorfahren eingenommen haben. Ein zugleich wehmütiges und humoristisches Gefühl ergreift uns, gedenken wir der Lebenskünste von ehedem. Muß es da nicht sonderbar, fast seltsam anmuten, wenn nun plötzlich unsere Großmütter in den Geschmacks- und Modefragen wieder maßgebend werden? Wenn Menschen von heute nicht Mühe noch Kosten scheuen, alles so zu besitzen, nachzuahmen und zu tragen, wie es damals modisch war? Alte Spitzen und Stickereien, Pompadours und Perlentäschchen, Medaillons an Ketten und Bändern, Tuniken, Volants und Schals, langgestreckte Taillen, weite Röcke – alles wie es damals war. So angetan, sitzen wir in den Biedermeiersesseln unser Ahnen, schreiben wir an ihren schubladenreichen Bureaus, stellen wir alte Gläser in die Schränke, legen wir verblaßte Fächer in Vitrinen aus, hängen wir bleiche Daguerreotyps an die Wände, – alles stilgemäß und altmodisch, nur die Empfindung und der Gedanke modern.

Das war nicht immer so. Es war eher umgekehrt. Es gab eine Zeit, da man auch im Denken und Empfinden mehr Ehrfurcht und Pietät vor dem Alter und seiner Erfahrung hatte, vor allem, was vergangen ist. Da man in allen seinen Voreltern gleichen wollte – nur in Toilettensachen nicht. In Goethes »Aufgeregten« ermahnt der alte Chirurgus Brehme seine Tochter Karoline: sie möge in allen Dingen ihrer vortrefflichen Urgroßmutter gleichen, der seligen Bürgermeisterin von Bremenfeld. »Diese würdige Frau«, sagt er, »war durch Sittsamkeit die Ehre ihres Geschlechtes und durch Verstand die Stütze ihres Gemahls. Betrachte dieses Bild jeden Tag, jede Stunde, ahme sie nach und werde verehrungswürdig wie sie!« Und da er fragt, warum Karoline beim Anschauen des Bildes lache, entgegnet die schöne Tochter: »Ich will meiner Urgroßmutter gern in allem Guten folgen, wenn ich mich nur nicht anziehen soll wie sie.« Sie amüsiert sich im besonderen über das Häubchen mit den Fledermausflügeln. Aber der Vater sagt: »Zu ihrer Zeit lachte niemand darüber, und wer weiß, wer über euch künftig lacht, wenn er euch gemalt sieht; denn ihr seid sehr selten angezogen und aufgeputzt, daß ich sagen möchte, ob du gleich meine hübsche Tochter bist, sie gefällt mir. Gleiche dieser Frau an Tugenden und kleide dich mit besserem Geschmack, so habe ich nichts dagegen, vorausgesetzt daß, wie sie sagen, der gute Geschmack nicht teurer ist als der schlechte.«

Der Standpunkt dieses Vaters ist nicht neu. Die Mode wird immer nur von der Jugend schön gefunden, weil sie für die Jugend geschaffen ist. »Es ist viel bequemer«, sagt Baudelaire einmal, »zu behaupten, daß alles absolut häßlich ist in dem Anzug einer Epoche, als sich zu bemühen, die geheimnisvolle Schönheit, die darin enthalten sein kann, herauszuziehen, und sei sie noch so winzig oder noch so leicht.« Von dem Geheimnis dieser Schönheit hängt oft die Laune, die geistige und gemütliche Disposition der Frau ab. In einem modernen Lustspiel erscheint eine junge Dame; sie klagt beweglich über ihre schlechte Stimmung und verschwindet; bald kommt sie wieder, in einer neuen bezaubernden Toilette strahlend: »Jetzt ist mir wieder wohler.«

Die Uebergangszeit, in der wir leben, wirft ungeheure Kontraste auf. In der Epoche der gesegneten Egalité tiefste Bedürftigkeit und Dürftigkeit neben neuem, parvenühaftem Reichtum. Immerhin würde, wie gesagt, das Verlangen nach Unterdrückung des Luxus ein Verkennen der wirtschaftlichen Ausgleichskräfte bedeuten. »Der Wechsel der Moden«, sagt Chamfort, »ist die Steuer, die die Industrie des Armen der Eitelkeit des Reichen auferlegt.« Nur wird in vielem zu sehr aufgetragen, unterstrichen, übertrieben, auch in Modedingen. Heißt die Parole: kurze Röcke!, so wird der Rock bis zum Knie abgeschnitten, wie auch die Taille fast verschwindet, sind Dekolletés modern. Nicht, daß man von den Frauen verlangte, sie sollten – wie jener Maler, der sich einen wertvollen Pelz anschafft, ihn aber nicht trägt, damit sein diebischer Portier nicht auf den herrlichen Besitz aufmerksam werde, – ihre schönen Sachen im Schranke lassen: nein, sie sollen sich elegant anziehen, wo es hinpaßt, und einfach und unauffällig, wo die Umgebung es erfordert.

»Liebste Kläre, ich brauche ein Hütchen für die P oder R!« Mit diesen Worten stürzte neulich eine junge Frau, die in Westend wohnt, in den Salon einer unserer ersten Modistinnen. Alles lachte. Die Kundin war von dem richtigen Gefühl geleitet, daß sie sich mit einem Reiher- oder Federhut nicht ungeniert in eine Elektrische setzen könne. Das Wort Balzacs: »Die Feder verlangt den Wagen« paßte noch heute, wenn die Autos und Droschken nur nicht so kostspielig wären. Wenn man in dem Augenblick, da ein Gegenstand der Toilette gewählt wird, daran denkt, wo man ihn trägt, wird selten etwas Falsches ergriffen werden. Suchte ich früher in Paris Kleider oder Hüte aus, so fand ich ratsam, der Verkäuferin zu sagen: N'oubliez pas, c'est pour la province, sonst hätte sie einem sicher zu Objekten zugeredet, die man sehr leicht in Paris, aber nur sehr schwer in Berlin tragen konnte.

Von dieser gewissen Art der Gediegenheit und Diskretion, die wir einmal besaßen, ist zurzeit wenig zu spüren. Besonders nicht in der Gegend des Kurfürstendamms. In keiner anderen Stadt der Welt ist das möglich, was jetzt dort zu erblicken ist. Die Dame trägt in London und Paris auf der Straße oder Promenade ihr tailor made und behält sich ihre elegante Kleidung für den Wagen, das Theater, das Konzert, die Geselligkeit und die Restaurants à la mode vor. Anders bei uns: Der Eitelkeitsmarkt, der sich täglich auf unserem WW-Boulevard breit macht, dieser Karneval, dieses Kaleidoskop von Kleidern spottet jeder Beschreibung. Die elegante Dame wird, vor allem auf der Straße, alles vermeiden, was Aufmerksamkeit erregt, was die Blicke auf sie lenkt. Alles Getue, Geflirte, alles laute Wesen, alles, was Aufsehen macht, ist unfein. Es scheint, als herrsche am Kurfürstendamm das entgegengesetzte Prinzip: Auffallen um jeden Preis. Es soll nicht geleugnet werden, daß die weibliche Jugend, die den Kurfürstendamm bevölkert, einen gewissen Geschmack und Chic sich zu kleiden verrät, aber diese Vorzüge verwandeln sich durch die Art oder Unart, wie sie zur Schau gestellt sind, ins strikte Gegenteil. Wenn eine Dame einen kostbaren Pelzmantel trägt, der bis zu den Knien reicht und von da ab ihre Beine durch spinnwebfeine Seidenstrümpfe schimmern, so ist das nicht damenhaft. Entweder es ist sehr kalt, dann paßt der Mantel, aber nicht die Strümpfe, oder es ist warm, dann passen die Strümpfe, aber nicht der Mantel.

Die Frau, die das Glück hat, noch in des Lebens Blüte zu stehen, darf, ja soll der Mode geben, was der Mode ist, aber sie soll es mit Vernunft und Würde und ohne Eitelkeit tun. Die Mode ist eine Kunst, die erlernt sein will. Einer Frau wird es ja doch am leichtesten gemacht zu zeigen, ob sie künstlerisch geartet ist, weil sie den Willen und die Fähigkeit zur Kunst jeden Tag und jede Stunde durch ihre Kleidung beweisen kann. So ist am Ende das Modekapitel im Leben einer Frau nicht ein Kapitel der Koketterie, sondern ein Ausdruck der geistigen Kräfte, die in einem Menschen schlummern, ist die fortgesetzte symbolische Aeußerung einer schönen Menschlichkeit.


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