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Eine Zeit, die keine Speisekarte kennt,
lebt in der Geschichte nicht.
Die Goncourts.
Ein Ausspruch unserer alten Köchin fällt mir jetzt oft ein: »Das ist das größte Unglück, was einem passieren kann: arm zu sein und eine fürstliche Zunge zu haben.« Sie meinte Geschmacksfähigkeiten, die nach dem Besten verlangen. Dabei ist doch das größte Mißgeschick für eine Köchin, keinen Geschmack zu haben; eine Köchin ohne Geschmack hat ihren Beruf verfehlt. Zwar haben wir in diesen mageren Zeitläuften erfahren, daß der gute Geschmack oft sehr hinderlich sein kann. Der Berliner sagt: von wegen die Zutaten. Und die Köchin sagt: Wo man nichts reintut, kommt auch nichts raus. »Entbehren sollst du, sollst entbehren!« Das Faustwort klang den armen Köchinnen den ganzen Tag um die Ohren. Die Unvernünftigen – und es ist das Privileg der Köchin, unvernünftig sein zu dürfen – betrachten die Zeit, in der wir leben, als eine Art persönlicher Beleidigung. Können tiefgreifende Schicksale den Charakter des Menschen umformen? Das Wesen der Köchin haben sie nicht geändert. Wie ja überhaupt die Kochkunst die konservativste aller Künste ist, weil wenig in ihr neu erfunden wird. »Die Erfindung eines neuen Gerichtes bedeutet mehr für das Glück der Menschheit als die Entdeckung eines Sterns«, behauptete Brillat-Savarin.
Zugegeben, der Dirigent der Küche darf jetzt nicht verschwenden. Es gehörte keine große Kunst dazu, anständig zu kochen, da man nur zuzugreifen brauchte. Doch es ist eine Kunst, in der Beschränkung etwas zu leisten. Aber in der Beschränkung zeigte sich bei den meisten Küchenheldinnen nur die Beschränktheit, der Mangel an Talent, an Phantasie und Kompositionsgabe. »So'n bißchen was Niedliches mit 'nem Pfiff«, wie mir mal eine alte Hausfrau sagte, fällt selten einer Köchin ein. Und vor allem – unsere Durchschnittsköchin hat Scheu, sich in ihrem Beruf weiterzubilden; sie studiert nicht, das heißt, sie liest keine Kochbücher oder nicht genug, sie ist nicht wild auf neue Rezepte, kurz, sie hat keinen Ehrgeiz. Die meisten haben weder von der französischen, noch von der österreichischen, noch von der italienischen Küche eine schwache Ahnung. Gabriele Reuter scherzte einmal: »Der einzige Mensch, der sich für perfekt hält, ist die Köchin; es muß doch ein himmlisches Gefühl sein, früh morgens aufzustehen und sich zu sagen: ich bin vollkommen.«
Eben diese perfekten Köchinnen werden selten etwas vorschlagen, haben keine Einfälle – eine Klage, die man täglich hört. Hier muß die Tätigkeit und Umsicht der Hausfrau einsetzen; sie selbst hat der gute und schöpferische Geist der Küche zu sein. Je tüchtiger die Hausfrau ist, desto mehr wird die Köchin leisten. Erhält die Köchin sozusagen eine Konkurrentin, so wird ein relativer Ehrgeiz über sie kommen. Vergebens hat man früher den jungen Frauen vorgehalten, ihre Großmütter seien so gute Köchinnen gewesen; jetzt aber ist es wieder Mode geworden, zu kochen und, vor allem, zu backen: dem Versagen der Konditoren und Bäcker verdanken wir diese Chance.
Das ist das Wichtigste, was ein junges Mädchen, nach meiner Erfahrung, lernen muß: kochen. Sie mag so gelehrt und fanatisch in ihrem Beruf sein, wie sie Lust hat, – doch sie soll auch kochen können. Es ist nicht gut, wenn Angestellte merken, daß die Prinzipalin nichts vom Geschäft versteht; es ist eine Kalamität aller Tage. Eine ganz andere Autorität in ihrer Wirtschaft genießt die junge Frau, die von der Küche etwas weiß. Sie wird, wenn die Köchin plötzlich erkrankt, nicht ratlos vor ihrem Herde stehen. Außerdem ist die Kochkunst wirklich ein interessantes Studium – ein Feld unbegrenzter Möglichkeiten –, sie entwickelt in mancher Frau neue Eigenschaften; sie verlangt Umsicht, peinliche Sauberkeit und Geschicklichkeit.
Es war vor diesem Kriege. Wir kamen aus einer Gesellschaft, man zog sich im Korridor die Mäntel an, und die jungen Frauen erzählten, was sie am nächsten Vormittag alles unternehmen wollten. Die eine mußte zum Anprobieren, die andere zum Schlittschuhlaufen, eine dritte in den Tattersall und so fort. Mein Begleiter fragte mich: »Hast du gehört, daß eine dieser Damen gesagt hätte: ich muß morgen eine Gans braten oder eine Apfeltorte backen?«
Ellen Key schreibt in ihrem Buch von der »Frauenbewegung«: »Dieselben Frauen, die mit fünfundzwanzig voll Verachtung erklärten, sie würden nie ihre Nase in Kochtöpfe stecken, sind mit fünfzig Jahren von der Bedeutung des Tisches für die Tätigkeit des Gehirns überzeugt; ja, sie sind jetzt ebenso stolz, wenn sie ein schmackhaftes Gericht bereitet haben, wie damals in ihrer Jugend, als sie ein Examen bestanden.« Diese Beobachtung ist sehr richtig. Ich selbst kenne eine junge Frau, die studiert, einen Gelehrten geheiratet und im Laufe der Ehe, nachdem sie schon drei Kinder geboren, eingesehen hat, daß es ihr am Wichtigsten fehle, nämlich am praktischen Verständnis für die Küche.
Sie wartete nicht, bis sie fünfzig wurde, sondern ging hin und nahm einen Kochkursus. Heute bäckt und kocht sie ausgezeichnet und bildet sich in der Tat mehr auf ihre Torten ein als auf ihr Abiturientenexamen. Man kann vielleicht einwenden, daß sich z. B. eine englische Köchin von ihrer Dame nichts dreinreden ließe. Aber eine englische Köchin kann, soviel ich weiß, für englische Begriffe anständig kochen.
Der schönste Lohn für die Hausfrau ist die gute Laune ihrer Gäste. Auch die gescheitesten Leute und sie vielleicht am ehesten – l'homme d'esprit seul sait manger – sind in ihrer Stimmung abhängig von Speise und Trank. Plutarch erzählt von Cäsar, er habe ein Gastmahl ebensogut zu ordnen verstanden wie eine Schlacht, Kant war ein ausdauernder Dineur, Goethe liebte die Freuden der Tafel über alles, Richelieu, Danton, Mirabeau, Rossini waren große Feinschmecker und verstanden ungemein viel von gastronomischen Dingen, Talleyrands Koch war der berühmte Antonin Carême, der alte Dumas hat ein sehr brauchbares Lexikon der Kochkunst geschrieben und sein Sohn mischte den bekannten (japanischen) Francillonsalat. Paul Heyse bereitete eigenhändig am Teetisch seine stadtbekannten Eierkuchen. – Und die Frauen! Die Königin von Saba hat allerlei kulinarische Entdeckungen gemacht, Kleopatra benutzte ihre berühmte Küche als politisches Mittel; ein pikantes Pilzgericht wurde ihr zugeschrieben. Katharina von Medici brachte in die französische Küche einen italienischen Einschlag; sie importierte unter anderem auch die sizilianische Erfindung des Marzipans. Madame Maintenon war die Urheberin der »côtelette en papillote«, Georges Sand, die den Ausspruch getan hat: »Heutzutage können ein Edelmann und ein Pâtissier eine Prinzessin heiraten«, legte auf die Gerichte, die sie ihren Freunden persönlich bereitete, beinahe größeren Wert als auf ihre Romane, und die Prinzessin Soubise brachte das berühmte Zwiebelpüree in Mode.
Der größte Epikuräer seiner Zeit war einst Bernard de Fontenelle, der Neffe Corneilles, Dichter, Philosoph, Redner, Mathematiker und Akademiker, – »diese kostbare Porzellanvase, die im Mittelpunkt Frankreichs stand, um mit der äußersten Sorgfalt hundert Jahre lang behütet zu werden« – er lebte nämlich dank seinem guten Magen und noch gesunderem Egoismus von 1697 bis 1797 – war der Held vieler kulinarischen Anekdoten. Die beste ist diese. Er ist mit seinem akademischen Genossen Dubos zum Diner verabredet. Man macht das Menü und kann sich über die Zubereitungsart des Spargels nicht einigen. Schließlich bestellt man die eine Hälfte der Spargel in Butter und die andere à la vinaigrette.
Nach der Suppe wird Dubos vom Schlage getroffen. Während sich die Dienerschaft um den Sterbenden bemüht, läuft Fontenelle zur Küche und ruft: »Mettez toutes au beurre!«
Frankreich, »das Land des Champagners und der Trüffeln«, ist auch das Land, wo man die feinsten Saucen rührt, deren Kunst sich ursprünglich auf der Verwendung der konzentrierten Fleischbrühe aufbaute, und eben diese Saucen sind das letzte Geheimnis der veritablen französischen Küche, die allerdings jetzt durch fremde Einflüsse vielfach defrancisiert ist. Man muß in Paris sehr ortskundig sein, um die paar Restaurants ausfindig zu machen, wo der Küchenchef der guten alten Tradition und der einfachen Linie herrscht und wo auf die Qualität und Reinheit des Materials der Hauptwert gelegt wird. Leider hatten auch wir bereits die barbarischen »Wachteln in Calvillen« und die ausgehöhlten, mit Vanilleeis gefüllten und mit einer heißen Schokoladensauce übergossenen Edelbirnen von den Amerikanern übernommen. Doch dies ist ein Kapitel für sich. Genug – »der Franke nur kann essen«, sagt Grillparzers Küchenjunge. An sich kann das Material, können Fleisch und Fisch überall von derselben Qualität sein: erst die Sauce bringt Charakter, Aesthetik und Abwechselung in das Einerlei der Zubereitungen, erst die Sauce macht das triviale Gericht zu einer Köstlichkeit … et le turbot fut mis à la sauce piquante. Wir haben in der letzten Zeit, da der Glanz auch unserer Küche zusehends verblich, gelernt, Schellfisch, Kabeljau und amerikanisches Büchsenfleisch so interessant herzurichten, daß man zum Glück kaum noch wußte, was man vor sich hatte: »es war mir sehr befreundet und dennoch kannt' ich's nicht«. Alles dank der schützenden Hülle irgendwelcher Saucen, Saucen, die man vielleicht in keinem Kochbuch findet, die man selbst komponiert oder deren Zusammensetzung nur in mündlicher Ueberlieferung fortlebt. Denn die besten Kochbücher sind oft die ungedruckten, und die Hausfrau, die das Zeug zu einer guten Köchin hat, wird auch auf Reisen keine Gelegenheit verpassen, anregende Rezepte zu sammeln; sie wird nichts Neues genießen, das ihr schmeckt, ohne Anstrengung zu machen, die Zubereitung zu ergründen; ihre eigene Küche wird dadurch internationalen Akzent empfangen, mannigfaltiger und reicher werden.
Allerdings muß schon in der Küche dafür gesorgt sein, daß der Magen nicht der Gefahr der Ueberladung ausgesetzt wird; denn man lebt nicht von dem, was man ißt, sondern »von dem, was man verdaut«, und die Verdauung beginnt bereits in der Küche. Wie sagte doch ein alter gewiegter Oberkellner, der einen schwachen Magen hatte und nicht gern sah, wenn seine Klienten ein schweres Gericht bestellten: » Ça flatte le palais, mais ça gâte l'estomac.«
Leider sind nun unsere »Perfekten« wenig mit der Küchenhygiene vertraut, und handelt es sich gar um Krankenkost, so kann man bisweilen sein Wunder erleben. Auch in dieser Beziehung hat die junge Frau sich zu unterrichten; sie muß wissen, daß es hier noch weit mehr denn sonst auf die Qualität und die bescheidenen Quantitäten, auf die Umsetzung der kompakten Küche in mehr flüssige Nahrung ankommt, daß der Magen des Kranken zwar angeregt, aber nicht durch deplacierte Würzen aufgeregt werden darf. Immerhin haben wir in der Küchenhygiene einiges gelernt; wir erkannten die drei Grundfehler unserer Küche vor dem Kriege: zu viel Fleisch, zu fett, zu schwer. Deshalb enthalten viele bewährte Kochbücher für uns überholte Weisheiten. Mit der Masse der empfohlenen Zutaten können wir jetzt nicht arbeiten und können wir es einst wieder, so werden wir uns hüten, es zu tun, weil wir inzwischen eingesehen haben, daß wir zu allem unnötig viel Zutaten gebrauchten, daß weniger gesunder und kulinarischer ist. Die Rezepte »einfacher« Torten und Speisen, die fünfzehn bis zwanzig Eier verlangen, entlocken uns nur noch ein Lächeln, entlocken uns keine Mandel Eier mehr. Wie ein Bonmot empfindet man die Angabe eines, sonst sehr ernsten, Kochbuches, auf welche Weise man ein kräftiges Koteletts erhalten kann: man bindet drei Kotelettes zusammen, brät sie, benutzt aber nur das mittlere, das den Saft der beiden anderen aufgesogen hat.
Die Zeit für solche römischen Ueppigkeiten und lukullischen Ausschweifungen ist vorbei. Unsere Küche kehrt wieder zur Natur, d. h. zum einfachen Geschmack zurück. Wie unsere ganze Kultur aus der Kompliziertheit herausstrebt, so wird auch die Küche, die mit aller Kultur innig zusammenhängt, an die gebotene Bescheidenheit der Lebensführung Anschluß suchen. Uebrigens sind die wahren Gastrosophen immer anspruchslose Naturen gewesen, von jenem Apicius an, der das berühmteste Kochbuch des Altertums geschrieben hat, die zehn Bücher über das Küchenwesen; von ihm wird erzählt, daß er sich seine Nahrung nicht an den üppigen Tafeln der reichen römischen Bourgeois gesucht habe, denen er ein willkommener Gastfreund gewesen wäre, sondern in den versteckten anonymen Volksküchen, wo der gemeine Mann derbe und schlichte Speise fand. »Nur der Asket ist anspruchsvoll.«