Alexander Dumas
Zwanzig Jahre nachher
Alexander Dumas

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Die Gefängnisse des Herrn von Mazarin

Die zwei improvisierten Soldaten schritten gravitätisch hinter dem Kammerdiener her; er schloß eine Türe der Vorhalle auf, dann eine zweite, welche zu einem Wartezimmer zu führen schien, und wies ihnen ein paar Schemel. »Der Wachbefehl ist ganz einfach,« sprach er zu ihnen, »laßt hier nur eine einzige Person eintreten, eine einzige, versteht wohl, nicht mehr. Dieser Person leistet in allem Gehorsam. Was die Rückkehr betrifft, so ist kein Irrtum möglich. Ihr wartet da, bis ich Euch ablöse.«

D'Artagnan war diesem Kammerdiener genau bekannt, denn es war Bernouin, der ihn seit sechs bis acht Monden wohl schon zehnmal bei dem Kardinal eingeführt hatte. Anstatt also zu antworten, war er bemüht, nur »ja« zu murmeln, und zwar nicht gascognisch, sondern so deutsch als möglich. Was Porthos betrifft, so forderte von ihm d'Artagnan und erhielt auch das Versprechen, in keinem Falle zu reden. Würde er aufs Äußerste getrieben, so war es ihm verstattet, das sprichwörtliche und schauerliche: »der Teufel!« zu sagen.

Bernouin ging fort und verschloß die Türe. »O,« rief Porthos, als er den Schlüssel im Schlosse drehen hörte, »hier scheint es Mode zu sein, die Leute einzusperren. Wie mich dünkt, haben wir nur das Gefängnis gewechselt; nur sind wir, statt dort Gefangene zu sein, dasselbe in der Orangerie, und ich weiß nicht, ob wir dabei etwas gewonnen haben.« »Porthos, mein Freund,« sprach d'Artagnan leise, »zweifelt an der Vorsehung nicht und laßt mich überlegen und nachsinnen.« »So überlegt denn und sinnt nach,« versetzte Porthos mißlaunig, da er sah, daß die Sache diese Wendung nahm, statt eine andere zu nehmen. »Wir sind achtzig Schritte weit gegangen und über sechs Stufen gestiegen; hier ist also, wie eben mein ausgezeichneter Freund Comminges gesagt hat, jener andere, dem unserigen gegenüberliegende Pavillon, den man mit dem Namen Pavillon der Orangerie bezeichnet. Der Graf de la Fère muß also nicht ferne sein, nur sind die Türen gesperrt.« »Das ist eine hübsche Schwierigkeit,« sprach Porthos, »und mit einem Drucke der Schultern . . .« »Bei Gott! Porthos, mein Freund!« rief d'Artagnan, »verspart Eure Kraftanstrengung, oder sie hat nötigenfalls nicht mehr so ganz den Wert, den sie verdient; hörtet Ihr denn nicht, es werde jemand hierherkommen?« »Allerdings.« »Nun, dieser Jemand wird uns die Türen aufschließen.« »Doch, mein Lieber,« entgegnete Porthos, »wenn uns dieser Jemand erkennt, und wenn er beim Erkennen zu schreien anfängt, so sind wir verloren; denn ich glaube doch nicht, daß Ihr die Absicht habt, mich diesen Mann totschlagen oder erwürgen zu lassen. Ein solches Verfahren wäre gut gegen die Engländer und Deutschen.« »O, Gott soll mich und Euch davor bewahren!« sprach d'Artagnan. »Der junge König würde uns vielleicht Dank wissen, allein die Königin könnte es uns nicht vergeben, und sie ist es, die wir schonen müssen; dann wäre es überdies unnötiges Blut – o, niemals, nein! ich habe meinen Plan. Laßt mich also gewähren, und wir werden lachen.« »Um so besser,« versetzte Porthos, »ich fühle hiezu das Bedürfnis.« »Stille«, flüsterte d'Artagnan, »da ist der angemeldete Jemand.« Man vernahm in der Vorhalle, das heißt im Vorgemache, ein leises Geräusch von Tritten. Die Türangeln knarrten und ein Mann in Kavalierkleidung, in einen braunen Mantel gehüllt, erschien mit einem breiten, über die Augen niedergeschlagenen Filzhute und einer Laterne in der Hand. Porthos drängte sich an die Wand, doch konnte er sich nicht dergestalt unsichtbar machen, daß ihn der Mann im Mantel nicht bemerkte; er reichte ihm seine Laterne und sprach: »Zünde die Lampe der Decke an.« Dann wandte er sich zu d'Artagnan und sagte: »Weißt Du die Ordre?« »Ja,« entgegnete der Gascogner. entschlossen, sich an die deutsche Sprache zu halten. »Tedesco,« murmelte der Kavalier, »va bene.« Er ging der Türe zu, welche jener gegenüberlag, durch die er eingetreten war, öffnete dieselbe und verschwand hinter ihr, nachdem er sie wieder abgesperrt hatte. »Nun,« fragte Porthos; »was tun wir jetzt?« »Jetzt wollen wir unsere Schultern gebrauchen, wenn die Türe versperrt ist, Freund Porthos. Alles zu seiner Zeit, und alles kommt demjenigen zu rechter Zeit, der zu warten weiß. Zuvor aber laßt uns diese Türe auf eine anständige Art verrammeln und dann diesem Kavalier folgen:« Die zwei Freunde schritten allsogleich ans Werk und verrammelten die Türe mit all' den Geräten, die sich im Saale vorfanden, ein Hindernis, welches den Eingang um so mehr verschloß, als die Türe nach innen aufging. »So,« sprach d'Artagnan, »nun sind wir versichert, im Rücken nicht überrumpelt zu werden. Jetzt gehen wir vorwärts.« Man kam zu der Tür, durch welche Mazarin verschwunden war. Sie war versperrt; d'Artagnan versuchte es umsonst, sie zu öffnen. »Nun handelt es sich hier darum, Euren Achseldruck geltend zu machen,« sagte d'Artagnan. »Drückt, Freund Porthos, doch sachte, ohne Lärm zu machen; drückt nichts ein, trennt bloß die Flügel, nichts weiter.« Porthos stemmte seine kräftige Schulter gegen eines der Fächer, das auch nachgab, und steckte seine Degenspitze zwischen den Riegel und den Schließhaken des Schlosses. Der gekrümmte Riegel wich zurück und die Türe ging auf. »Laßt uns eintreten,« sprach d'Artagnan. Sie traten ein; hinter einer Glaswand, beim Schein der mitten in der Galerie auf den Boden gestellten Laterne des Kardinals, erblickte man die Orangen- und Granatbäume des Schlosses Rueil in langen Reihen aufgestellt, die eine große Allee und zwei kleine Seitenalleen bildeten. »Kein Kardinal – bloß eine Lampe?« rief d'Artagnan; »zum Teufel, wo ist er denn?« Als er nun einen der Seitenflügel untersuchte, nachdem er Porthos einen Wink gegeben, den andern zu durchspüren, bemerkte er auf einmal einen aus seiner Lage gerückten Kasten und an der Stelle desselben eine Öffnung. Zehn Männer hätten Mühe gehabt, diesen Kasten in Bewegung zu setzen, doch mittels eines Mechanismus drehte er sich auf dem Boden, auf dem er stand. Wie schon erwähnt, bemerkte d'Artagnan eine Öffnung an dieser Stelle, und darin die Stufen einer Wendeltreppe. Er winkte Porthos mit der Hand und zeigte ihm die Öffnung und die Wendeltreppe. Die zwei Männer blickten einander bestürzt an. »Wenn wir bloß Gold suchten,« sprach d'Artagnan, »so hätten wir es schon gefunden, und wären reich für immer.« »Wieso?« »Seht Ihr denn nicht ein, Porthos, daß ganz wahrscheinlich unten an dieser Treppe jener berühmte Schatz des Kardinals liegt, von dem so viel geredet wird, und daß wir bloß hinabzusteigen brauchten, eine Kiste zu leeren, den Kardinal darin einzuschließen und fortzugehen, das mitnehmend, was wir an Gold zu schleppen vermöchten; wenn wir dann diesen Kasten wieder an seinen Platz stellten, würde uns niemand von der Welt, nicht einmal der Kardinal, fragen, woher wir unsern Reichtum haben.« »Das wäre wohl ein hübscher Streich für Gemeine,« versetzte Porthos, »der jedoch zweier Kavaliere unwürdig ist, wie mich dünkt.« »Das ist auch meine Ansicht,« entgegnete d'Artagnan: »ich habe somit auch gesagt; wenn wir nur Gold suchten, allein wir wollen etwas anderes.«

In demselben Momente und wo d'Artagnan den Kopf nach dem Keller neigte, klang an sein Ohr ein metallischer und dumpfer Schall gleich dem eines goldgefüllten Beutels, der geschüttelt wird; er erbebte. Bald darauf schloß sich wieder eine Tür, und der erste Schimmer eines Lichtes ward an der Treppe sichtbar.

Mazarin hatte seine Lampe in der Orangerie gelassen, um Glauben zu machen, daß er spazieren ging. Allein er hatte eine Wachskerze, um seine geheimen Goldkisten zu untersuchen. »He!« rief er auf italienisch, während er wieder langsam über die Stufen hinaufging und einen dickbäuchigen Säckel voll Realen untersuchte; »he, das reicht hin, um fünf Parlamentsräte und zwei Generale von Paris zu bezahlen. Auch ich bin ein großer Feldherr, nur führe ich den Krieg nach meiner Art.« D'Artagnan und Porthos lauerten sich jeder in eine Seitenallee hinter einen Kasten und warteten. Mazarin drückte an einer in der Wand verborgenen Feder, drei Schritte weit von d'Artagnan entfernt. Die Platte drehte sich und der Orangenbaum auf derselben nahm wieder seine Stelle. Nun löschte der Kardinal seine Kerze aus, steckte sie in die Tasche, nahm wieder seine Lampe und sprach: »Nun besuchen wir den Herrn de la Fère.« »Gut,« dachte d'Artagnan, »das ist unser Weg, wir gehen mitsammen.« Alle drei begaben sich auf den Weg; Herr von Mazarin ging in der mittleren Allee, Porthos und d'Artagnan in den Seitenalleen. Die beiden letzteren vermieden sorgsam den langen Lichtschein, den die Lampe des Kardinals bei jedem Schritte zwischen die Kästen streute. Dieser kam zu einer zweiten Glastür, ohne zu bemerken, daß man ihm folge, da der weiche Sand die Tritte seiner zwei Begleiter dämpfte. Hierauf wandte er sich links, bog in einen Korridor ein, den Porthos und d'Artagnan noch nicht wahrgenommen hatten, jedoch in dem Momente, wo er die Türe desselben aufschließen sollte, hielt er nachsinnend an. »Ah, diavolo!« rief er; »ich vergaß auf Comminges Anempfehlung; ich muß die Soldaten mitnehmen und vor die Türe stellen, um diesen Teufelsmenschen nicht in die Hände zu geraten. Vorwärts!« Er wandte sich mit ungeduldiger Miene um, um wieder zurückzugehen. »Gnädiger Herr,« sprach d'Artagnan, den Fuß voran, den Hut in der Hand und freundlichem Gesichte, »o bemühen Sie sich nicht, wir folgten Eurer Eminenz Schritt für Schritt und sind nun hier.« »Ja, wir sind hier,« wiederholte Porthos. Mazarin wandte seine Augen voll Schrecken von dem Einen zu dem Andern, erkannte beide und ließ unter stöhnendem Entsetzen seine Laterne aus der Hand fallen. D'Artagnan hob sie wieder auf, sie war zum Glück im Fallen nicht erloschen. »O, wie unbedacht, gnädiger Herr,« sagte d'Artagnan; »hier kann man ohne Licht nicht gut gehen; Eure Eminenz könnte an einen Kasten stoßen, oder in eine Vertiefung stürzen.« »Herr d'Artagnan!« stammelte Mazarin, der sich von seiner Überraschung nicht erholen konnte. »Ja, gnädigster Herr, ich bins, und ich habe die Ehre, Ihnen Herrn du Vallon vorzustellen, diesen meinen vortrefflichen Freund, für den sich Eure Eminenz früher so lebhaft zu interessieren so gütig waren,« D'Artagnan kehrte den Schein der Lampe nach Porthos erheitertem Anlitze, der nun zu begreifen anfing und darüber ganz stolz war. »Sie wollen zu Herrn de la Fère gehen,« fuhr d'Artagnan fort; »o gnädigster Herr, lassen Sie sich durchaus nicht abhalten. Zeigen Sie uns gefällig den Weg. und wir werden nachfolgen.« Mazarin kam allmälig wieder zur Fassung. »Meine Herren, seid Ihr schon lange in der Orangerie?« fragte er mit zitternder Stimme, da er an den Besuch dachte, welchen er seinen Schätzen gemacht hatte. Porthos öffnete den Mund, um zu antworten, d'Artagnan warf ihm einen Wink zu, und Porthos stumm gebliebener Mund schloß sich allgemach wieder. »Gnädigster Herr,« sprach d'Artagnan, »wir kommen eben erst an.« Mazarin holte wieder Atem, er war nicht mehr für seinen Mammon, er war nur noch für sich selbst besorgt. Eine Art Lächeln schwebte über seine Lippen hin. »Wohlan,« sprach er, »Ihr habt mich in der Schlinge gefangen, meine Herren, und ich erkenne mich für besiegt. Nicht wahr, Ihr verlangt von mir Eure Freiheit? Ich will sie Euch geben.« »O gnädigster Herr,« entgegnete d'Artagnan, »Sie sind überaus gütevoll, doch unsere Freiheit haben wir bereits, und wir bäten recht gerne um etwas anderes.« »Ihr habt Eure Freiheit!« rief Mazarin ganz erschreckt. »Sicher, und Sie, gnädiger Herr, haben dagegen die Ihrige verloren, und nun – gnädiger Herr, was wollen Sie, das ist so Kriegsbrauch – es handelt sich um die Auslösung.« Mazarin fühlte sich bis auf den Grund seines Herzens von Schauder durchweht. Sein durchdringender Blick heftete sich vergeblich auf des Gascogners höhnisches und auf Porthos gleichgültiges Antlitz. Beide standen in Schatten gehüllt, und die Sibylle von Cumä selber hätte in ihren Mienen nichts zu lesen vermocht. »Ich sollte meine Freiheit einlösen?« sprach Mazarin. »Ja, gnädigster Herr.« »Was soll sie denn kosten, Herr d'Artagnan?« »Bei Gott! gnädigster Herr, ich weiß das noch nicht. Wenn es Eure Eminenz gütigst erlaubt, so wollen wir deshalb den Grafen de la Fère befragen. Wolle demnach Eure Eminenz die Türe zu öffnen geruhen, die zu ihm führt, und in zehn Minuten werden wir im reinen sein.« Mazarin erbebte. »Gnädigster Herr«, fuhr d'Artagnan fort, »Eure Eminenz sieht, wie sehr wir dabei den Anstand beobachten, indes müssen wir notgedrungen bemerken, daß wir keine Zeit zu verlieren haben; schließen Sie also gefälligst auf, gnädiger Herr, und erinnern Sie sich ein für allemal, daß bei der leisesten Bewegung, die Sie, zu entfliehen, machen würden, bei dem geringsten Schrei, den Sie ausstießen, Sie uns nicht gram werden dürften, wenn wir zu irgend einer Gewalttätigkeit schritten, da wir uns in einer ganz eigenen Lage befinden.« »Seid unbesorgt, meine Herren,« erwiderte Mazarin, »ich werde nichts der Art versuchen, darauf gebe ich mein Ehrenwort.«

D'Artagnan winkte Porthos, daß er seine Wachsamkeit verdopple, dann wandte er sich wieder zu Mazarin und sprach: »Nun, gnädigster Herr, treten wir ein, wenn es gefällig ist.«

 


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