Alexander Dumas
Zwanzig Jahre nachher
Alexander Dumas

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Der Prozeß

Am folgenden Tage führte eine zahlreiche Wache Karl I. vor den Gerichtshof, der ihn aburteilen sollte. Die Volksmenge drängte sich in den Straßen und benachbarten Häusern des Palastes; sonach wurden die vier Freunde auch schon bei ihren ersten Schritten von dem unübersteiglichen Hindernis dieser lebendigen Mauer aufgehalten; einige kräftige und streitsüchtige Männer aus dem Volke stießen Aramis so ungestüm zurück, daß Porthos seine furchtbare Faust erhob und sie auf das mehlbestäubte Gesicht eines Bäckers niederfallen ließ, welches, wie eine reife zerquetschte Traube, sogleich die Farbe änderte und sich mit Blut bedeckte. Der Vorfall erregte großes Aufsehen; drei Männer wollten auf Porthos losstürzen, allein Athos schaffte einen davon zur Seite, d'Artagnan den zweiten, und Porthos schleuderte den dritten über seinen Kopf weg. Einige Engländer, welche den Faustkampf liebten, würdigten die schnelle und leichte Art, mit der er diesen Streich ausgeführt hatte, und klatschten ihm Beifall zu. Es fehlte somit nicht wenig, so wären Porthos und seine Freunde, statt totgeschlagen zu werden, wie sie fürchteten, im Triumphe weggetragen worden, doch gelang es unseren vier Freunden, die sich vor allem scheuten, was sie zur Schau stellen konnte, sich diesem Triumphe zu entziehen. Durch diese herkulische Tat gewannen sie aber das, daß sich das Gedränge vor ihnen öffnete und daß sie zu dem Resultate gelangten, welches ihnen kurz zuvor unmöglich geschienen hatte, daß sie nämlich zu dem Palaste vordrangen. Ganz London drängte sich zu den Türen der Tribünen; als es nun den vier Freunden gelungen war, eine derselben zu erreichen, sahen sie die drei ersten Bänke schon besetzt. Das war nur ein halbes Unglück für Männer, welche nicht gerne erkannt sein wollten, ausgenommen Porthos, der so gerne sein rotes Wams und seine grünen Beinkleider gezeigt hätte, und dem es leid war, nicht auf dem ersten Range zu sitzen, und so nahmen sie denn ihre Plätze ein, ganz zufrieden darüber, daß sie es noch so weit gebracht hatten. Die Bänke waren amphitheatralisch eingerichtet, und so konnten die vier Freunde von ihrem Platze aus die ganze Versammlung überschauen. Auch wollte es der Zufall, daß sie gerade in die mittlere Tribüne gelangt waren und gegenüber dem Stuhle saßen, der für Karl I. hingestellt worden war.

Gegen elf Uhr morgens erschien der König an der Schwelle des Saales. Er war umgeben von Wachen, trat aber mit bedecktem Haupte und ruhiger Miene ein und warf nach allen Seiten einen zuversichtlichen Blick, als führte er den Vorsitz bei einer Versammlung ergebener Untertanen, und müßte nicht auf die Beschuldigungen eines Gerichtshofes von Rebellen Antwort geben. Die Richter waren voll Stolz, daß sie einen König zu demütigen hatten, und schickten sich augenfällig an, von diesem angemaßten Rechte Gebrauch zu machen. Es kam somit ein Gerichtsdiener, Karl I. zu melden, es wäre der Gebrauch, daß der Angeklagte sein Haupt vor seinen Richtern zu entblößen habe. Karl sprach nicht ein Wort, sondern wandte seinen Hut nach einer andern Seite, und drückte ihn noch tiefer auf den Kopf; als dann der Gerichtsdiener weggegangen war, setzte sich der König auf den Stuhl, der gegenüber für den Präsidenten bereit stand, und klopfte seinen Stiefel mit dem dünnen Rohre, das er in der Hand hielt. Parry, der ihn begleitete, stellte sich hinter ihn. Anstatt, daß d'Artagnan diesem Zeremoniell zugesehen hätte, blickte er Athos an, in dessen Antlitz sich alle Gemütsbewegungen abspiegelten, die der König von dem seinigen fernzuhalten, Stärke genug besaß. Er erschrak über diese Aufregung Athos', dieses kalten und ruhigen Mannes, und sprach an sein Ohr geneigt: »Ich hoffe, Ihr werdet das Beispiel des Königs annehmen, und uns nicht auf blöde Weise in diesem Käfige umkommen lassen.« »Seid unbekümmert,« entgegnete Athos. »Ah, ah,« fuhr d'Artagnan fort, »man scheint etwas zu besorgen, denn dort verdoppelt man die Posten; wir hatten nur Partisanen, nun gibt es Gewehre. Nun gibt es für jedermann etwas, die Partisanen gehören für die Zuschauer im Parterre, die Gewehre für uns.« »Dreißig, vierzig, fünfzig, sechzig Mann,« sagte Porthos, während er die neuen Ankömmlinge zählte. »O!« rief Aramis, »Ihr vergeßt ja den Offizier, Porthos, es scheint mir, daß er wohl auch gezählt zu werden verdient.« »In Wahrheit,« versetzte d'Artagnan und erblaßte vor Zorn, denn er erkannte Mordaunt, der mit entblößtem Schwerte die Musketiere hinter dem Könige führte, nämlich der Tribüne gegenüber. »Hat er uns etwa erkannt,« fuhr d'Artagnan fort; »wenn das wäre, so würde ich schnell zum Rückzuge blasen. Ich will mir durchaus keine Todesart aufdringen lassen, und möchte gern sterben, wie ich selber will. Nun will ich aber nicht, daß man mich in einer Schachtel erschieße.« »Nein,« versetzte Aramis, »er hat uns nicht erblickt, er sieht nur den König an. Bei Gott, mit welchen Augen starrt ihn nicht der Unverschämte an! Haßt er etwa Se. Majestät ebenso wie uns?« »Beim Himmel!« rief Athos, »wir haben ihm nur seine Mutter genommen, doch der König beraubte ihn seines Namens und seiner Güter.« »Das ist wahr,« bemerkte Aramis; »doch still, der Präsident spricht zum König.«

Der Präsident Bradshaw redete wirklich den erlauchten Angeklagten an. »Stuart,« sprach er, »vernehmt den Vortrag Eures Richters, und habt Ihr Bemerkungen zu machen, so richtet sie an den Gerichtshof.« Der König wandte den Kopf nach einer andern Seite hin, als ob diese Worte nicht an ihn gerichtet worden wären. Der Präsident wartete, und da keine Antwort erfolgte, so trat ein kurzes Stillschweigen ein. Von den 163 Mitgliedern konnten bloß 73 antworten, denn die übrigen waren darüber entsetzt, sich an einer solchen Handlung mitschuldig zu machen, und begaben sich ihrer Stimme. »Ich gehe nun zum Vortrag,« rief Bradshaw, ohne daß er die Abwesenheit von drei Fünfteln der Versammlung zu bemerken schien. Sofort nannte er der Reihe nach sowohl die gegenwärtigen, als auch die abwesenden Mitglieder. Die gegenwärtigen antworteten mit starker oder schwacher Stimme, nach Maßgabe, als sie den Mut für ihre Ansicht besessen oder nicht besessen hatten. Auf das zweimalige Namenverlesen der Anwesenden erfolgte ein kurzes Stillschweigen. Nun kam der Name des Oberst Fairfax an die Reihe und darauf trat jenes kurze, aber feierliche Schweigen ein, welches die Abwesenheit der Mitglieder verriet, welche an diesem Gerichte nicht persönlich teilnehmen wollten. »Der Oberst Fairfax,« wiederholte eine Stimme, die man an ihrem Silberklang als eine weibliche erkannte, »er ist zu klug, um hier zu erscheinen.« Ein lautschallendes Gelächter erfolgte auf diese Worte, die mit jener Kühnheit ausgesprochen wurden, welche die Frauen aus ihrer eigenen Schwachheit schöpfen, eine Schwachheit, die sie jeder Rache entzieht. »Das war eine Frauenstimme!« rief Aramis. »Meiner Treue, ich möchte viel darum geben, wenn sie jung und schön wäre.« Er stieg sonach auf die Bank und bemühte sich, in der Tribüne zu erlauschen, woher diese Stimme gekommen ist. Dann sprach er: »Meiner Seele, sie ist liebenswürdig; seht nur, d'Artagnan, wie jedermann auf sie blickt und wie sie trotz der Blicke Bradshaws doch nicht blaß geworden ist.« »Das ist Lady Fairfax selber,« entgegnete d'Artagnan. »Gedenkt Ihr noch ihrer, Porthos? Wir sahen sie mit ihrem Gemahle bei dem General Cromwell.« Eine kurze Weile darauf wurde die durch diesen seltsamen Zwischenfall gestörte Ruhe wieder hergestellt und der Vortrag fortgesetzt. »Diese Schlingel werden die Sitzung aufheben, wenn sie bemerken, daß sie nicht in hinreichender Anzahl versammelt sind,« sprach der Graf de la Fère. »Ihr kennt sie nicht, Athos, betrachtet doch nur Mordaunts Lächeln, seht, wie er den König angrinst. Ist das der Blick eines Mannes, welcher fürchtet, daß ihm sein Opfer entschlüpfen werde? Nein, so lächelt der befriedigte Haß, so lächelt die Rachelust, die der Sättigung versichert ist. Ha, fluchwürdiger Basilisk, das wird für mich ein glücklicher Tag sein, wo ich etwas anderes mit dir kreuzen werde, als den Blick.« »Der König ist wirklich schön.« sagte Porthos, »und dann seht, wiewohl Gefangener, ist er doch sorgfältig gekleidet. Seht nur, Aramis, die Feder auf seinem Hute ist wenigstens fünfzig Pistolen wert.«

Als der Vortrag beendigt war, befahl der Präsident, daß man zum Verlesen des Anklageaktes schreite. Athos wurde blaß; er betrog sich abermals in seiner Erwartung. Obschon die Richter nicht vollzählig waren, leitete man doch den Prozeß ein, also war der König im voraus schon verurteilt. »Ich sagte es ja, Athos,« sprach d'Artagnan, die Achseln zuckend; »doch Ihr zweifelt immer. Jetzt nehmt Euren Mut zusammen, und hört, ich bitte Euch, ohne zu große Entrüstung die kleinen Absurditäten, welche jener schwarzgekleidete Herr mit Erlaubnis und Vorrecht seinem Könige sagen wird.« Wirklich hatten noch nie so rohe Beschuldigungen, so gemeine Schmähungen und so blutige Anklagen eine königliche Majestät beschimpft. Karl I. hörte die Rede des Anklägers mit besonderer Aufmerksamkeit an, ging über die Schmähungen hinweg, beachtete die Anschuldigungen und antwortete, wenn der Haß zu grob auftrat, und der Kläger sich im voraus zum Henker machte, mit einem verächtlichen Lächeln. Im ganzen war diese Anklage, wobei der König jede Unvorsichtigkeit in Tücke, jeden Fehltritt in ein Verbrechen umgewandelt sah, ein Werk der Gewalttat und des Schauders, um so mehr, als das erste Gesetz der englischen Konstitution sagt: »Der König kann nicht fehlen.« Der Ankläger schloß mit den Worten: »Die gegenwärtige Anklage ist im Namen des englischen Volkes gestellt.« Bei diesen Worten erhob sich ein Murren auf den Tribünen und eine andere Stimme, keine weibliche, sondern eine männliche, tobende Stimme donnerte hinter d'Artagnan und rief: »Du lügst, und neun Zehnteile des englischen Volkes haben vor dem, was du sagst, einen Abscheu!«

Das war Athos' Stimme, der sich emporgerichtet, mit vorgestreckten Armen den öffentlichen Ankläger anredete. Bei dieser Anrede wandten der König, die Richter, die Zuschauer, kurz alle ihre Augen nach der Tribüne, wo die vier Freunde waren. Mordaunt machte es wie die anderen und erkannte den Edelmann, um welchen die drei anderen Franzosen blaß und drohend umherstanden. Seine Augen flammten vor Entzücken, er hatte nun diejenigen gefunden, an deren Aufsuchung und Tod er sein Leben gesetzt hatte. Eine wütende Gebärde rief zwanzig Musketiere herbei; er zeigte mit dem Finger nach der Tribüne, wo seine Feinde standen, und sprach: »Feuer auf diese Tribüne!« Da sprangen aber mit Gedankenschnelle d'Artagnan, der Athos mitten um den Leib faßte, und Porthos, welcher Aramis forttrug, von den Stufen herab, stürzten in die Vorhallen, eilten die Treppen hinab und verloren sich unter dem Gewühle, indes im Innern des Saales die angeschlagenen Feuerrohre 3000 Zuschauer bedrohten, deren Geschrei um Barmherzigkeit und dessen schreckvoller Lärm den Befehl aufhielt, der bereits erteilt worden war. Karl hatte gleichfalls die vier Franzosen erkannt; er drückte seine Hand an das Herz, um das Pochen zurückzudrängen, und hielt die andere Hand vor die Augen, um seine getreuen Freunde nicht erwürgen zu sehen. Mordaunt stürzte, blaß und zitternd vor Wut, das entblößte Schwert in der Rechten, mit den Hellebardieren aus dem Saale, durchspürte atemlos die Menge, und kehrte, da er nichts fand, wieder zurück. Die Verwirrung war ungeheuer. Es verging über eine halbe Stunde, ohne daß jemand sich verständlich machen konnte. Die Richter meinten, jede Tribüne wäre bereit loszubrechen; die Tribünen sahen die Gewehre gegen sich gerichtet und so blieben sie lärmend und aufgeregt zwischen Angst und Neugierde. Endlich ward die Ruhe wiederhergestellt. »Was könnt Ihr zu Eurer Verteidigung sagen?« fragte Bradshaw den König.

Karl sprach nun im Tone eines Richters und nicht eines Angeklagten, indem er das Haupt stets bedeckt hielt und nicht aus Demut, sondern als Herrscher aufstand: »Ehe Ihr mich fragt, gebt mir zur Antwort. Ich war frei in Newcastle und schloß dort mit beiden Häusern eine Übereinkunft ab. Statt daß Ihr diese Übereinkunft erfüllt hättet, wie ich es tat, habt Ihr mich von den Schotten erkauft, wohl nicht teuer, das weiß ich, und das gereicht der Sparsamkeit Eurer Regierung zur Ehre. Doch glaubt Ihr denn, daß ich aufgehört habe, Euer König zu sein, weil Ihr mich mit dem Preise eines Sklaven bezahlt habt? Keineswegs! Euch zu antworten, hieße das vergessen. Ich werde Euch somit nur dann antworten, wenn Ihr mir Euer Recht dargelegt habt, mich befragen zu dürfen. Euch antworten, hieße, Euch als meine Richter anerkennen, während ich Euch nur als meine Henker anerkenne.« Hier setzte sich Karl, mitten in der Todesstille ruhig, stolz und stets mit bedeckten Haupte, wieder auf seinen Stuhl. »Ach, warum sind meine Franzosen nicht hier!« murmelte Karl und wandte seine Augen nach der Tribüne, wo sie sich auf einen Augenblick gezeigt hatten; »sie würden sehen, daß ihr Freund würdig ist, im Leben verteidigt und im Tode beweint zu werden.« Er mochte aber seinen Blick noch so tief in das Menschengewühl versenken und zu Gott gewissermaßen um diese süße und tröstende Gegenwart flehen, er sah nichts als stumpfsinnige und scheue Gesichter, und so fühlte er sich mit dem Hasse und der Grausamkeit in Kampf versetzt. »Wohlan,« rief der Präsident, als er Karl entschlossen sah, völlig zu schweigen, »wohlan, wir werden Euch ungeachtet Eures Schweigens aburteilen. Ihr seid des Verrates, der mißbrauchten Gewalt und des Mordes angeklagt. Die Zeugen werden es bekräftigen. Geht, und die nächste Sitzung wird das zustande bringen, was Ihr Euch heute zu tun weigert.«

Karl erhob sich, und zu Parry gewendet, welchen er blaß und die Schläfe von Schweiß triefend sah, sprach er: »Nun, guter Parry, was ist es denn? was ergreift dich so sehr?« »O, Sire,« entgegnete Parry mit Tränen im Auge und kläglicher Stimme, »wenn Sie den Saal verlassen, so blicken Sie zur Linken.« »Weshalb, Parry?« »Sehen Sie nicht hin, ich bitte, mein König.« »Aber, was ist es denn? rede nur,« sprach Karl und versuchte, durch die Reihe der Wachen zu blicken, die hinter ihm standen. »Was ist es?« »Doch, Sire, nicht wahr, Sie werden nicht hinblicken? Man ließ das Beil, womit man Verbrecher richtet, auf einen Tisch legen. Dieser Anblick ist entsetzlich, Sire, ich bitte, nicht hinzusehen.« »Die Einfältigen!« sprach Karl; »halten sie mich denn für so feige, wie sie sind? Du hast wohlgetan, Parry, es mir zu sagen, ich danke dir.« Da nun der Augenblick des Fortgehens gekommen war, so verließ Karl den Saal und folgte seinen Wachen. In der Tat funkelte links von der Türe mit Unheil verkündendem Widerscheine des roten Teppichs das weiße Beil mit dem langen Stiele, der von der Hand des Scharfrichters schon geglättet war. Als nun Karl demselben gegenüber ankam, blieb er stehen, wandte sich um und sprach lächelnd: »Ah, ah, das Beil! Ein sinnreiches Schreckbild und würdig derjenigen, welche nicht wissen, was ein Edelmann ist. Du, Beil des Henkers, flößest mir keine Furcht ein,« fuhr er fort und schlug mit dem dünnen, biegsamen Rohr darauf, welches er in der Hand trug, »und ich schlage dich, geduldig und christlich erwartend, daß du es mir erwiderst.« Indem sich nun der König entfernte, sprach er zu Parry: »Gott vergebe mir, diese Leute halten mich wirklich für einen Krämer indischer Wollenstoffe und nicht für einen Edelmann, der an das Funkeln des Schwertes gewohnt ist. Denken sie denn, ich sei nicht so viel wert, wie ein Fleischer?« Unter diesen Worten gelangte er zur Türe; eine lange Reihe des Volkes hatte sich herangedrängt, welches keinen Platz mehr auf den Tribünen finden konnte und da es den interessantesten Teil des Schauspieles nicht sah, wenigstens das Ende desselben genießen wollte. Diese zahllose Menge voll drohender Gesichter erpreßte dem König einen leisen Seufzer. »Welche Leute,« dachte er, »und nicht einen ergebenen Freund!« Als er diese Worte des Zweifels und der Mutlosigkeit in seinem Innern sprach, sagte eine Stimme neben ihm als Antwort: »Heil der gefallenen Majestät!« Der König wandte sich schnell um, mit Tränen im Auge wie im Herzen. Es war ein alter Soldat seiner Garde, der den gefangenen König nicht wollte vorüberschreiten sehen, ohne ihm diese letzte Huldigung darzubringen. Indes in demselben Momente wurde der Unglückliche durch einen Schwertknopf fast zu Boden gestoßen. Unter diesen Mördern erkannte der König den Kapitän Groslow. »Ah,« rief Karl, »diese Strafe ist sehr hart für einen so geringen Fehler!« Dann setzte er beklommenen Herzens seinen Weg fort; doch hatte er noch kaum hundert Schritte zurückgelegt, als ihm ein Wütender, der sich zwischen zwei Soldaten vorneigte, ins Antlitz spie. Zu gleicher Zeit erhob sich lautes Lachen und dumpfes Murren, die Menge trat zurück, näherte sich wieder, wogte wie ein sturmbewegtes Meer, und dem Könige war, als sähe er mitten unter den lebendigen Wellen Athos' Auge funkeln. Karl wischte sich das Gesicht ab und sprach traurig lächelnd: »Der Unglückselige! Das hätte er sogar seinem Vater für eine halbe Krone angetan.« Der König irrte nicht; er sah wirklich Athos und seine Freunde, die sich abermals unter die Gruppen gemengt hatten, um den Märtyrerkönig mit einem letzten Blicke zu begleiten. Als jener Soldat Karl grüßte, zerschmolz Athos' Herz vor Freude, und als der Unglückliche nach jenem Schlage wieder zu sich kam, so konnte er in seiner Tasche zehn Guineen finden, die ihm der französische Edelmann hineingesteckt hatte; als jedoch jener ruchlose Mensch dem Könige ins Gesicht gespien, da griff Athos nach seinem Dolche. Allein d'Artagnan fesselte die Hand und sprach mit heiserer Stimme: »Halt!« Sonst hatte d'Artagnan nie weder Athos, noch den Grafen de la Fère geduzt. Athos hielt an sich. D'Artagnan stemmte sich auf Athos' Arm, winkte Porthos und Aramis, sich zu entfernen, und stellte sich hinter den Mann mit entblößten Armen, der über seinen ruchlosen Scherz noch lachte und den einige andere Wütende darüber belobten. Dieser Mann ging nach der City. D'Artagnan, stets auf Athos' Arm gestemmt, ging ihm nach und winkte Porthos und Aramis, daß sie ihnen folgen möchten. Der Mann mit entblößten Armen, der ein Fleischerknecht zu sein schien, ging mit zwei Kameraden durch eine stille und einsame Gasse, welche zum Flusse hinabführte. D'Artagnan ließ Athos' Arm los und schritt hinter diesem Manne her. Als die drei Männer bei dem Flusse ankamen, gewahrten sie, daß man ihnen nachsehe, hielten an, blickten sich auf unverschämte Art nach den Franzosen um und wechselten unter sich einige Worte. »Athos,« sagte d'Artagnan, »ich spreche nicht englisch wie Ihr, und so werdet Ihr mir als Dolmetsch dienen.« Bei diesen Worten verdoppelten sie ihre Schritte und überholten jene drei Männer. Auf einmal wandte sich d'Artagnan, schritt gerade auf den Fleischerknecht zu, welcher stehen blieb, berührte ihn mit der Spitze seines Zeigefingers auf der Brust und sprach zu seinem Freunde: »Athos, wiederhole ihm das: Du bist ein Ruchloser, du hast einen wehrlosen Mann beschimpft, du hast das Angesicht deines Königs besudelt, du mußt sterben! . . .« Athos wurde blaß wie ein Gespenst, faßte d'Artagnan bei der Hand und übersetzte jene seltsamen Worte jenem Manne, der sich, als er die unglückverkündenden Vorbereitungen und das furchtbare Auge d'Artagnans sah, zur Wehr setzen wollte. Bei dieser Bewegung griff Aramis nach seinem Schwerte. »Nein, kein Schwert!« rief d'Artagnan, »das Schwert ist nur für Edelleute.« – Darauf faßte er den Fleischer an der Kehle und fuhr fort: »Porthos, schlagt mir diesen Niederträchtigen mit einem Fauststreiche tot!« Porthos schwang seinen furchtbaren Arm, ließ ihn wie die Schnur einer Schleuder durch die Luft pfeifen, worauf die gewaltige Keule mit einem dumpfen Krachen auf den Schädel des Elenden niederfiel und ihn zermalmte. Der Mann stürzte nieder wie ein Stier unter dem Beile. Seine Kameraden wollten schreien, sie wollten entfliehen, allein die Stimme versagte ihrem Munde und die bebenden Knie brachen unter ihnen ein. »Athos,« fuhr d'Artagnan fort, »sagt ihnen noch das: So werden alle jene sterben, die vergessen, daß ein gefesselter Mensch ein geheiligtes Haupt ist, und daß ein gefangener König zweifach den Herrn vorstellt.«

 


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