Alexander Dumas
Zwanzig Jahre nachher
Alexander Dumas

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Die Erkenntlichkeit der Königin Anna

Athos traf keineswegs auf so viele Schwierigkeiten, wie er gedacht hatte, um bis zur Königin Anna zu gelangen; schon bei dem ersten Schritte ebnete sich ihm alles, und die angesuchte Audienz wurde ihm für den nächsten Tag nach dem Lever zugestanden, dem beizuwohnen ihn seine Geburt berechtigte. Athos wurde in die Appartements der Königin eingeführt: sein Name war schon zu oft in den Ohren der Königin erklungen und hatte in ihrem Herzen widergehallt, als daß sie ihn nicht erkannt hätte; sie verhielt sich jedoch gleichgültig und begnügte sich damit, daß sie den Edelmann mit einer Festigkeit anblickte, welche den Frauen verstattet ist, die entweder durch ihre Schönheit oder ihre Geburt Königinnen sind. »Es ist ein Dienst, den uns zu erweisen Ihr Euch anbietet, Graf?« sprach die Königin Anna nach kurzem Schweigen. »Ja, Madame, es ist noch ein Dienst,« erwiderte der Graf, empfindlich darüber, daß ihn die Königin nicht zu erkennen schien. Athos war ein edles Gemüt, jedoch ein armseliger Hofmann. Anna faltete die Stirne; Mazarin, der vor einem Tische saß und in Papieren blätterte, wie es ein einfacher Staatssekretär hätte machen können, hob den Kopf empor. »Redet!« sprach die Königin. Mazarin fing an, wieder in seinen Schriften zu blättern. »Madame,« begann Athos wieder, »zwei unserer Freunde, zwei der eifrigsten Diener Ihrer Majestät, Herr d'Artagnan und Herr du Vallon, die der Kardinal nach England schickte, sind plötzlich in dem Momente verschwunden, in dem sie wieder Frankreichs Boden berührten, und man weiß nicht, was mit ihnen geschehen ist.« »Nun?« fragte die Königin. »Nun,« versetzte Athos, »ich wende mich an die Huld Ihrer Majestät, um zu erfahren, was aus diesen zwei Kavalieren geworden ist, und behalte mir vor, mich nachher nötigenfalls an Ihre Gerechtigkeit zu wenden.« »Mein Herr,« entgegnete die Königin Anna mit jenem Stolze, der gewissen Männern gegenüber beleidigend war, »darum stört Ihr uns also mitten unter den wichtigen Sorgen, die uns beschäftigen? Das ist eine Polizeiangelegenheit, und Ihr wißt, mein Herr, oder sollt es vielmehr wissen, daß wir keine Polizei mehr haben, seit wir nicht mehr in Paris sind.« Athos verneigte sich mit kalter Ehrerbietung und sagte: »Ich denke, Ihre Majestät wird es nicht nötig haben, sich bei der Polizei zu erkundigen, was mit den Herren d'Artagnan und du Vallon geschehen ist; wollte Sie so gnädig sein, in dieser Hinsicht den Herrn Kardinal zu befragen, so könnte der Herr Kardinal, wenn er nur seine eigene Erinnerung befragt, Antwort erteilen.« »Gott vergebe mir,« rief die Königin mit jener geringschätzenden Lippenbewegung, die ihr eigen war, »ich glaube, daß Ihr ihn selber befragt.« »Ja, Madame, und ich habe hierzu auch beinahe das Recht, denn es handelt sich um Herrn d'Artagnan, verstehen Ihre Majestät wohl, um Herrn d'Artagnan –« sprach er auf eine Weise, damit er die Stirn der Königin sich beugen lasse unter den Erinnerungen der Frau. Mazarin sah ein, daß es Zeit sei, der Königin Anna zu Hilfe zu eilen und er sagte: »Herr Graf, ich will Euch gern etwas mitteilen, was Ihre Majestät nicht weiß; was nämlich mit diesen zwei Edelleuten geschehen ist. Sie waren ungehorsam und befinden sich in Verhaft.« »So bitte ich denn Ihre Majestät,« versetzte Athos stets ruhig und ohne Mazarin zu antworten, »diese Verhaftung des Herrn d'Artagnan und du Vallon aufheben zu wollen.« »Mein Herr,« erwiderte die Königin, »was Ihr da begehrt, ist eine Maßregel der Disziplin, die mich nichts angeht.« »Diese Antwort hat d'Artagnan nie gegeben, wenn es sich um den Dienst Ihrer Majestät handelte,« erwiderte Athos, voll Anstand sich verneigend. Er machte zwei Schritte rückwärts, um wieder die Türe zu erreichen, aber Mazarin hielt ihn zurück, während er der Königin zuwinkte, die sichtlich erblaßte und Miene machte, einen strengen Befehl zu erteilen. »Mein Herr,« sprach die Königin Anna zu Mazarin in einem Tone, aus dem sie trotz aller Verstellungskunst den wahren Ausdruck nicht verbannen konnte, »seht, ob sich etwas für diese zwei Kavaliere tun läßt.« »Madame,« entgegnete Mazarin, »ich werde tun, was Ihrer Majestät gefällt.« »Tut, was der Herr Graf de la Fère bittet. Nicht wahr, mein Herr, so nennt Ihr Euch?« »Ich führe noch einen andern Namen, Madame, ich nenne mich Athos.« »Madame,« sprach Mazarin mit einem Lächeln, welches verriet, wie leicht er eine halbe Andeutung verstand; »Ihre Majestät kann ruhig sein, Ihre Wünsche werden vollzogen werden.« »Ihr habt es gehört, mein Herr,« sprach die Königin. »Ja, Madame, ich habe von der Gerechtigkeit Ihrer Majestät nichts Geringeres erwartet. Ich werde sonach meine Freunde wiedersehen, Madame, nicht wahr? So versteht es wirklich Ihre Majestät?« »Ja, mein Herr, Ihr werdet sie wiedersehen; doch sagt an, Ihr gehört zur Fronde, nicht so?« »Madame, ich diene dem König.« »Ja, auf Eure Weise.« »Meine Weise ist die aller Kavaliere, und ich kenne deren nicht zwei,« antwortete Athos mit Stolz. »Geht also, mein Herr,« sprach die Königin, und verabschiedete Athos mit einem Winke. »Ihr habt erreicht, was Ihr zu erreichen gewünscht, und wir wissen, was wir zu wissen gewollt.«

Während Athos, nicht ohne Argwohn, durch den Flur ging, der zur Treppe führte, fühlte er sich plötzlich an der Schulter berührt und wandte sich um. »Ah!« rief er, »Herr von Comminges!« »Ja, Herr Graf, ich bin es, und bin mit einer Sendung beauftragt, wegen welcher ich bitte, mich ganz für entschuldigt zu halten.« »Mit welcher Sendung, mein Herr,« fragte Athos. »Wollet mir Euer Schwert übergeben, Graf!« Athos lächelte, öffnete das Fenster, das auf die Straße blicken ließ, und rief hinaus: »Aramis!« Ein Edelmann wandte sich um, es war derselbe, den Athos schon vorher erkannt zu haben glaubte; es war Aramis, der den Grafen freundschaftlich grüßte. »Aramis!« rief Athos, »ich werde verhaftet.« »Gut,« antwortete Aramis phlegmatisch. »Mein Herr,« sprach Athos, während er sich wieder zu Comminges wandte und ihm höflich sein Schwert beim Griff übergab, »da ist mein Schwert, bewahrt es mir sorgsam auf, um es mir, wenn ich wieder das Gefängnis verlasse, zurückzustellen. Ich halte darauf, es wurde einst meinem Großvater von dem Könige Franz I. zum Geschenk gemacht. Zu seiner Zeit hat man die Edelleute bewaffnet und nicht entwaffnet. Nun, wohin werdet Ihr mich führen?« »Fürs erste in mein Zimmer,« entgegnete Comminges. »Die Königin wird sodann den Ort Eures weiteren Aufenthaltes bestimmen.«

 


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