Alexander Dumas
Das Halsband der Königin - 3
Alexander Dumas

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XCIV.

Der Spruch.

Am Morgen, als alle Geräusche wieder erwachten, als Paris wieder Leben annahm und einen neuen Ring an den Kettenring des vorhergehenden Tages befestigte, hoffte die Gräfin, die Kunde von einer Freisprechung würde plötzlich mit der Freude und den Glückwünschen ihrer Freunde in ihr Gefängniß dringen.

Hatte sie Freunde? Ach! das Vermögen, der Credit bleiben nie ohne Gefolge, und Jeanne war doch reich und mächtig geworden; sie hatte empfangen, sie hatte gegeben, ohne sich auch nur den alltäglichen Freund gemacht zu haben, der am Tag nach einem Unglück verbrennen muß, was er den vorhergehenden Tag beschmeichelt hat.

Aber nach ihrem Triumph, den sie erwartete, würde Jeanne Parteigänger und Anhänger, sie würde Bewunderer und Neider haben.

Vergebens erwartete sie diese geschäftige Woge von Leuten mit freudigen Gesichtern in die Stube der Conciergerie Hubert eindringen zu sehen.

Von der Unbeweglichkeit einer überzeugten und kummerlosen Person ging Jeanne, dieß war die Abschüssigkeit ihres Characters, zu einer maßlosen Unruhe über.

Und da man sich nicht immer verstellen kann, so nahm sie sich nicht einmal bei ihren Wächtern die Mühe, ihre Eindrücke zu verbergen.

Es war ihr nicht gestattet hinauszugehen, um sich zu erkundigen, aber sie hielt ihren Kopf an ein Guckfenster, und hier horchte sie angstvoll, keuchend, auf die Geräusche des benachbarten Platzes, auf die Geräusche, die sich in einem verworrenen Gemurmel auflösten, nachdem sie die Mauern des alten St. Ludwigspalastes durchdrungen hatten.

Jeanne hörte sodann nicht einen Lärmen, sondern einen wahren Ausbruch von Bravos, von Schreien, von stampfenden Füßen und klatschenden Händen, etwas ganz Ungewöhnliches, Brausendes, was sie erschreckte, denn sie hatte nicht das Bewußtsein, daß man ihr so viel Sympathie bezeuge.

Diese lärmenden Salven wiederholten sich zweimal und machten Geräuschen anderer Art Platz.

Es kam ihr vor, als wäre es auch ein Beifall, doch ein ruhiger Beifall, der ebenso rasch starb, als er geboren war.

Bald wurden die Vorübergehenden auf dem Quai zahlreicher, als ob sich die Gruppen des Platzes auflösten und im Einzelnen ihre zerstreuten Massen abschickten.

»Ein herrlicher Tag für den Cardinal,« sagte ein Schreiber des Generalanwalts, auf dem Pflaster der Brüstung hüpfend.

Und er warf einen Stein in den Fluß mit jener Geschicklichkeit des jungen Parisers, der dieser von der Schleuder der Alten entlehnten Leibesübung gar manchen Tag seines Lebens gewidmet hat.

»Für den Cardinal,« wiederholte Jeanne. »Es ist also Nachricht da, daß der Cardinal freigesprochen ist?«

Ein Tropfen Galle, ein Tropfen Schweiß fiel von Jeanne's Stirne.

Sie kehrte hastig in die Stube zurück und fragte Frau Hubert:

»Madame, Madame, was höre ich sagen: was ist ein Glück für den Cardinal? Ich bitte, was ist denn ein Glück?«

»Ich weiß es nicht,« erwiderte diese.

Jeanne schaute ihr scharf in's Gesicht und fügte bei:

»Haben Sie die Güte, Ihren Mann zu fragen.«

Die Concierge gehorchte aus Gefälligkeit, und Hubert antwortete von Außen:

»Ich weiß es nicht!«

Ungeduldig, bebend, blieb sie einen Augenblick mitten im Zimmer stehen und rief:

»Was meinten die Vorübergehenden mit ihren Worten? man täuscht sich nicht in solchen Orakeln. Sie sprachen sicherlich vom Proceß.«

»Vielleicht,« erwiderte die mildherzige Hubert, »vielleicht wollten sie nur sagen, wenn Herr von Rohan freigesprochen worden, so werde dieß ein schöner Tag für ihn sein.«

»Sie glauben, man werde ihn freisprechen?« rief Jeanne, ihre Finger krampfhaft zusammenpressend.

»Das kann wohl geschehen.«

»Aber ich?«

»Oh Sie, Madame ... Sie wie er; warum Sie nicht?«

»Eine seltsame Voraussetzung,« murmelte Jeanne.

Und sie stellte sich wieder an die Scheiben.

»Madame,« sprach der Concierge, »Sie haben Unrecht auf solche Art Aufregungen zu suchen, die Ihnen unverständlich von Außen zukommen. Glauben Sie mir, bleiben Sie ruhig, bis Ihr Consulent oder Herr Frémyn kommen, um Ihnen vorzulesen ...«

»Den Spruch ... Nein! nein!«

Und sie horchte.

Eine Frau ging mit ihren Freundinnen vorüber. Sie hatten Festhauben auf und große Sträuße in den Händen. Der Geruch dieser Rosen stieg wie ein kostbarer Balsam zu Jeanne empor, welche Alles von unten einathmete.

»Er soll meinen Strauß haben,« rief diese Frau, »und noch hundert andere, der liebe Mann! oh! wenn ich kann, werde ich ihn küssen.«

»Und ich auch,« sagte eine Gefährtin.

»Er muß mich küssen,« sprach eine Dritte.

»Wen meinen sie?« dachte Jeanne.

»Ah! er ist ein sehr schöner Mann. Du bist keine Kostverächterin,« fügte eine letzte Freundin hinzu.

Und Alles ging vorbei.

»Abermals dieser Cardinal! immer er!« murmelte Jeanne. »Er ist freigesprochen, er ist freigesprochen!«

Und sie sprach diese Worte mit solcher Entmuthigung und zugleich Sicherheit, daß der Concierge und seine Frau, um keinen Sturm wie am vorhergehenden Tag mehr zu veranlassen, gleichzeitig ihr zuriefen:

»Ei! Madame, warum sollte denn dieser arme Mann nicht losgesprochen und in Freiheit gesetzt werden?«

Jeanne fühlte den Schlag, sie fühlte besonders die Veränderung ihrer Wirthe, und sagte, da sie nichts von ihrer Sympathie verlieren wollte:

»Oh! Sie verstehen mich nicht. Ach! halten Sie mich für so neidisch oder für so boshaft, daß ich meinem Unglücksgefährten das Schlimme wünsche? mein Gott! er werde freigesprochen, der Herr Cardinal; oh ja, er werde freigesprochen. Aber endlich möchte ich doch erfahren ... Glauben Sie mir, meine Freunde, es ist die Ungeduld, die mich so macht.«

Hubert und seine Frau schauten einander an, als wollten sie die Tragweite dessen, was sie zu sagen im Begriffe waren, ermessen.

Ein fahler Blitz, der unwillkürlich aus den Augen Jeanne's hervorsprang, hielt sie zurück, als sie eben den Entschluß faßten.

»Sie sagen mir nichts?« rief sie, ihren Fehler wahrnehmend.

»Wir wissen nichts,« erwiderten sie leise.

In diesem Augenblick rief ein Befehl Hubert aus seiner Wohnung. Die Concierge, welche mit Jeanne allein blieb, suchte sie zu zerstreuen; es war vergebens, alle Sinne der Gefangenen, ihr ganzer Verstand waren außen durch die Geräusche, durch die Athemzüge in Anspruch genommen, die sie mit einer durch das Fieber verzehnfachten Empfänglichkeit auffaßte.

Plötzlich entstand ein gewaltiger Lärm, eine mächtige Bewegung auf dem Platz. Die Menge strömte bis auf die Brücke, bis auf den Quai zurück, und dieß mit so starken, so oft wiederholten Schreien, daß Jeanne auf ihrem Beobachtungsposten darüber bebte.

Diese Schreie hörten nicht auf: sie waren an einen offenen Wagen gerichtet, dessen Pferde, weniger durch die Hand des Kutschers als durch die Menge zurückgehalten, kaum im Schritte gingen.

Die Menge bedrängte, umschloß sie und trug am Ende Pferde, Wagen und zwei Personen, welche darin saßen, auf ihren Schultern und Armen.

In den großen Strahlen der Sonne, unter einem Blumenregen, unter einem Gewölbe von Blätterwerk, das tausend Hände über ihren Köpfen bewegten, erkannte die Gräfin diese zwei Männer, welche die begeisterte Menge berauschten.

Bleich über seinen Triumph, erschrocken über seine Volksthümlichkeit, blieb der Eine ernst, betäubt, zitternd. Frauen stiegen bis auf die Felgen seiner Räder, rissen seine Hände an sich, um sie mit Küssen zu verzehren, und machten sich mit heftigen Stößen die Spitzen seiner Manschetten streitig, die sie mit den frischesten und seltensten Blumen bezahlt hatten.

Andere noch Glücklichere waren mit den Lakaien hinten auf den Wagen gestiegen; sie entfernten unmerklich die Hindernisse, die ihrer Liebe im Weg waren, nahmen den Kopf des vergötterten Mannes, drückten einen ehrfurchtsvollen und zugleich sinnlichen Kuß darauf und machten dann neuen Glücklichen Platz. Dieser angebetete Mann war der Cardinal von Rohan.

Frisch, freudig, funkelnd, erhielt der Zweite einen minder lebhaften, aber verhältnißmäßig eben so schmeichelhaften Empfang. Man belohnte ihn mit Freudenschreien und Vivats; die Frauen theilten sich in den Cardinal, die Männer riefen: »Es lebe Cagliostro!«

Diese Trunkenheit brauchte eine halbe Stunde, um über den Pont-au-Change zu gelangen, und Jeanne bemerkte die Triumphatoren bis zum Gipfelpunkt derselben. Sie verlor nicht den kleinsten Umstand.

Diese Kundgebung des öffentlichen Enthusiasmus für die Opfer der Königin, denn so nannte man sie, gewährte Jeanne einen Augenblick der Freude.

Doch plötzlich sagte sie:

»Wie! sie sind schon frei; schon sind für sie die Förmlichkeiten erfüllt, und ich, ich weiß nichts; warum sagt man mir nichts?«

Ein Schauer erfaßte sie.

Sie hatte neben sich Frau Hubert gefühlt, welche, stillschweigend, aufmerksam auf Alles was vorging, doch begriffen haben mußte und dennoch keine Erklärung gab.

Jeanne wollte eine unerläßlich gewordene Erklärung hervorrufen, als ein neuer Lärm ihre Aufmerksamkeit gegen den Pont-au-Change zog.

Ein Fiaker, umgeben von Leuten, fuhr ebenfalls den Abhang der Brücke hinauf.

In diesem Fiaker erkannte Jeanne, lächelnd und ihr Kind dem Volke zeigend, Oliva, welche auch wegfuhr, frei und toll vor Freude über die etwas ungebundenen Scherze, über die dem frischen appetitlichen Mädchen zugesandten Küsse. Das war allerdings plumper Weihrauch, doch mehr als genügend für Mlle. Oliva, dieser Weihrauch, den die Menge als letzte Würze des glänzenden, dem Cardinal gebotenen Festes ihr zusandte.

Mitten auf der Brücke wartete eine Postchaise. Herr Beausire verbarg sich darin hinter einem seiner Freunde, der allein sich der öffentlichen Bewunderung zu offenbaren wagte. Er machte Oliva ein Zeichen, und diese stieg mitten unter einem Geschrei, das sich ein wenig in Gezische verwandelt hatte, ein. Aber was ist für gewisse Schauspieler das Zischen, wenn man sie mit Wurfgeschossen bearbeiten und von der Bühne jagen konnte?

Als Oliva in die Chaise gestiegen war, fiel sie in die Arme Beausire's, der sie zum Ersticken wie eine Beute an sich drückte, eine ganze Wegstunde weit nicht mehr losließ, sie mit Thränen und Küssen überströmte und nicht athmete bis Saint-Denis, wo man die Pferde wechselte, ohne von der Policei belästigt worden zu sein.

Als Jeanne alle diese Leute frei, glücklich, gefeiert sah, fragte sie sich, warum sie allein keine Nachrichten erhalte.

»Aber ich! ich!« rief sie, »in Folge welcher ausgesuchten Grausamkeit eröffnet man mir nicht den Spruch, der mich betrifft?«

»Beruhigen Sie sich, Madame,« sprach Hubert eintretend, »beruhigen Sie sich.«

»Es ist nicht möglich, daß Sie nichts wissen,« erwiderte Jeanne; »Sie wissen! Sie wissen! unterrichten Sie mich.«

»Madame ...«

»Wenn Sie kein Barbar sind, unterrichten Sie mich, Sie sehen, wie sehr ich leide.«

»Madame, es ist uns niederen Officianten des Gefängnisses verboten, die Sprüche zu offenbaren, deren Lesung den Urkundsbeamten der Höfe zukommt.«

»Es lautet also so gräßlich, daß Sie es nicht wagen,« rief Jeanne in einem Ausbruch von Wuth, der dem Concierge bange machte und ihn die Erneuerung der Scenen vom vorhergehenden Tag ahnen ließ.

»Nein,« sagte er, »beruhigen Sie sich, beruhigen Sie sich!«

»Sprechen Sie doch.«

»Werden Sie geduldig sein und mich nicht bloßstellen?«

»Ich gelobe es Ihnen, ich schwöre es Ihnen, reden Sie.«

»Nun wohl: der Cardinal ist freigesprochen.«

»Ich weiß es.«

»Herr von Cagliostro freigesprochen.«

»Ich weiß es! ich weiß es!«

»Mlle. Oliva von der Anklage entbunden.«

»Weiter! weiter!«

»Herr Reteau von Villette ist verurtheilt ...«

Jeanne bebte.

»Zu den Galeeren! ...«

»Und ich! und ich?« rief sie vor Wuth mit den Füßen stampfend.

»Geduld, Madame, Geduld. Ist es das, was Sie versprochen haben?«

»Ich bin geduldig; reden Sie! Ich?«

»Zur Verbannung,« sprach mit schwacher Stimme der Concierge, die Augen abwendend.

Ein Blitz der Freude glänzte in den Augen der Gräfin, ein Blitz, der so schnell erlosch, als er erschienen war.

Dann stellte sie sich, als fiele sie mit einem gewaltigen Schrei in Ohnmacht, und stürzte rückwärts in die Arme ihrer Wirthin.

»Was wäre geschehen, wenn ich ihr die Wahrheit gesagt hätte?« flüsterte Hubert seiner Frau in's Ohr.

»Die Verbannung,« dachte Jeanne, einen Nervenanfall heuchelnd, »das ist die Freiheit, das ist der Reichthum, das ist die Rache, das ist, was ich geträumt ... Ich habe gewonnen!«


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