Alexander Dumas
Das Halsband der Königin - 3
Alexander Dumas

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LXXXV.

Nach dem Drachen die Natter.

Es ist Zeit für uns, daß wir zu den Personen unserer Geschichte zurückkehren, welche die Notwendigkeit und die Intrigue sowohl, als die historische Wahrheit auf den zweiten Plan verwiesen haben.

Oliva schickte sich an, für Rechnung Jeanne's zu fliehen, als Beausire, der nach der Wiedererlangung Nicole's keuchte, durch eine anonyme Nachricht in Kenntniß gesetzt, sich bis in ihre Arme geleitet sah und sie von Cagliostro entführte, während Herr Reteau von Villette vergebens in der Rue du Roi-Doré wartete.

Um das glückliche Liebespaar, das zu entdecken Herr von Crosne ein so großes Interesse hatte, wieder aufzufinden, ließ Frau von La Mothe alle ihre vertrauten Leute in's Feld ziehen.

Sie wollte lieber, wie man leicht begreift, selbst über ihrem Geheimniß wachen, als es den Händen Anderer überlassen, und zur guten Durchführung der Angelegenheit, die sie vorbereitete, war es unerläßlich, daß Nicole nicht aufgefunden werden konnte.

Unbeschreiblich war ihre Angst, als jeder von ihren Emissären bei seiner Rückkehr ihr meldete, die Nachforschungen seien vergeblich gewesen.

Dabei erhielt sie in ihrem Versteck Befehl auf Befehl, vor der Königin zu erscheinen und über ihr Benehmen in Beziehung auf das Halsband Rede zu stehen.

Verschleiert, reiste sie nächtlicher Weile nach Bar-sur-Aube ab, wo sie ein Absteigequartier hatte, und als sie auf Umwegen unerkannt dort anlangte, nahm sie sich Zeit, ihre Lage unter ihrem wahren Lichte in's Auge zu fassen.

Sie gewann so zwei bis drei Tage, nur mit sich allein, und sie gab sich die Zeit und mit der Zeit die Stärke, durch eine solide innere Befestigung das Gebäude ihrer Verleumdungen zu behaupten.

Zwei Tage der Einsamkeit waren für diese tiefe Seele der Kampf, nach dessen Beendigung Körper und Geist gebändigt sein müßten, nach dem das gehorsame Gewissen sich nicht mehr, ein gefährliches Werkzeug, gegen die Schuldige umkehren würde, nach dem das Blut die Gewohnheit angenommen hätte, um das Herz zu kreisen, ohne je zum Gesicht aufzusteigen, um hier die Scham oder die Ueberraschung zu verrathen.

Der König und die Königin erfuhren ihren Aufenthalt in Bar-sur-Aube erst in dem Augenblick, wo sie schon zum Kriegführen vorbereitet war. Sie schickte einen eigenen Boten ab, um sie zu holen. Da erfuhr sie die Verhaftung des Cardinals.

Jede Andere als sie wäre durch diese kräftige Offensive niedergeschmettert worden; doch Jeanne hatte nichts mehr zu schonen. Was war eine Freiheitsfrage in der Wagschale gegen Fragen über Leben und Tod, die sich jeden Tag darin anhäuften?

Als sie die Einkerkerung des Kardinals und den Lärm erfuhr, den die Königin gemacht hatte, berechnete sie kalt:

»Die Königin hat ihre Schiffe verbrannt, sie kann unmöglich die Vergangenheit zurücknehmen. Indem sie sich weigert, sich mit dem Cardinal zu vergleichen und die Juweliere zu bezahlen, spielt sie quitt oder doppelt. Das beweist, daß sie ohne mich rechnet und nicht vermuthet, welche Kräfte ich zu meiner Verfügung habe.«

Aus diesen Stücken war die Rüstung gemacht, welche Jeanne trug, als ein Mann, halb Gefreiter, halb Bote, plötzlich vor ihr erschien und ihr ankündigte, er sei beauftragt, sie an den Hof zurückzubringen.

Der Bote, welcher beauftragt war, sie an den Hof zurückzubringen, wollte sie unmittelbar zum König führen; doch mit jener uns bekannten Gewandtheit sagte Jeanne:

»Mein Herr, nicht wahr, Sie lieben die Königin?«

»Zweifeln Sie daran, Frau Gräfin?« erwiderte der Bote.

»Nun wohl! im Namen dieser redlichen Liebe und der Ehrfurcht, welche Sie für die Königin hegen, beschwöre ich Sie, mich zuerst zu der Königin zu führen.«

Der Officier wollte Einwendungen machen.

»Sie wissen sicherlich besser als ich, um was es sich handelt,« sprach die Gräfin. »Sie werden daher begreifen, daß eine geheime Unterredung der Königin mit mir unerläßlich ist.«

Ganz zusammengeknetet von den verleumderischen Ideen, welche die Luft von Versailles seit mehreren Monaten verpesteten, glaubte der Bote, der Königin wirklich einen Dienst zu leisten, wenn er Frau von La Mothe zu ihr führte, ehe er sie dem König zeigte.

Man denke sich den Hochmuth, das stolze Bewußtsein der Königin, als sie diesem Dämon gegenüber stand, den sie noch nicht kannte, dessen schändlichen, treulosen Einfluß auf ihre Angelegenheiten sie aber wohl muthmaßte. Man denke sich Marie Antoinette, eine noch trostlose Wittwe ihrer Liebe, die dem Aergerniß unterlegen war, Marie Antoinette niedergeschmettert durch die Beleidigung einer Anklage, die sie nicht widerlegen konnte; man denke sich Marie Antoinette endlich, wie sie sich nach so vielen Leiden anschickte, den Fuß auf den Kopf der Schlange zu setzen, welche sie gebissen hatte.

Die erhabenste Verachtung, der schlecht bewältigte Zorn, der Haß der Frau gegen die Frau, das Gefühl eines unvergleichlichen Uebergewichts der Lage, dieß waren die Waffen einer der Gegnerinnen. Ein Herz voll von Geheimnissen, ein Geist voll von Ideen, die Verzweiflung als letzte Triebfeder, dieß war die zweite Person des Kampfes. Die Königin begann damit, daß sie als Zeugen zwei von ihren Frauen, mit gesenkten Augen, geschlossenen Lippen und langsamer feierlicher Vernetzung, eintreten ließ. Frau von La Mothe sagte, sobald sie die zwei Frauen erblickte, zu sich selbst:

»Gut, das sind zwei Zeugen, die man sogleich wegschicken wird.«

»Ah! endlich sind Sie da, Madame!« rief die Königin, »man findet Sie endlich!«

Jeanne verneigte sich zum zweiten Mal.

»Sie verbergen sich also?« fragte die Königin voll Ungeduld.

»Mich verbergen, Madame! nein, Madame,« erwiderte Jeanne mit einer sanften, kaum tönenden Stimme, als ob die durch die königliche Majestät hervorgebrachte Gemüthsbewegung allein ihren gewöhnlichen Klang dämpfte; »wenn ich mich verborgen hätte, so würde man mich nicht gefunden haben.«

»Sie sind aber doch davon gelaufen? Nennen Sie das, wie es ihnen beliebt.«

»Das heißt, ich habe Paris verlassen, ja, Madame.«

»Ohne meine Erlaubniß?«

»Ich befürchtete, Ihre Majestät würde mir den kleinen Urlaub nicht bewilligen, dessen ich bedurfte, um meine Angelegenheiten in Bar-sur-Aube zu ordnen, wo ich mich seit sechs Tagen aufhielt. Außerdem, ich muß es sagen, glaubte ich nicht, Eurer Majestät so nothwendig zu sein, daß ich genöthigt wäre, Sie wegen einer Abwesenheit von acht Tagen in Kenntniß zu setzen.«

»Sie haben Recht, Madame; warum haben Sie eine Verweigerung des Urlaubs von mir gefürchtet? Welchen Urlaub haben Sie von mir zu verlangen? Welchen Urlaub habe ich Ihnen zu bewilligen? Nehmen Sie eine Stelle hier ein?«

Es lag zu viel Verachtung in diesen letzten Worten. Verletzt, aber ihr Blut zurückhaltend, wie die von einem Pfeil verwundete Tigerkatze, erwiderte Jeanne demüthig:

»Madame, es ist wahr, ich habe keine Stelle bei Hofe, doch Eure Majestät beehrte mich mit einem so kostbaren Vertrauen, daß ich mich viel mehr bei ihr durch die Dankbarkeit gebunden glaubte, als Andere es durch die Pflicht sind.«

Jeanne hatte lange gesucht, sie hatte das Wort Vertrauen gefunden und legte einen Nachdruck darauf.

»Dieses Vertrauen,« wiederholte die Königin mit noch niederschmetternderer Verachtung, als bei ihrer ersten Anrede, »wir werden die Rechnung darüber sogleich in Ordnung bringen. Haben Sie den König gesehen?«

»Nein, Madame.«

»Sie werden ihn sehen.

Jeanne verbeugte sich und erwiderte:

»Das wird eine große Ehre für mich sein.«

Die Königin suchte ein wenig Ruhe, um ihre Fragen mit Vortheil zu beginnen.

Jeanne benützte diese Frist und sagte:

»Aber, mein Gott! Madame! wie streng zeigt sich Eure Majestät gegen mich! Ich zittere ganz.«

»Sie sind noch nicht beim Ende!« rief die Königin voll Ungestüm, »wissen Sie, daß Herr von Rohan in der Bastille ist?«

»Man hat es mir gesagt, Madame.«

»Sie errathen wohl, warum?«

Jeanne schaute die Königin fest an, wandte sich dann gegen die Frauen, deren Gegenwart sie zu beengen schien, und erwiderte:

»Ich weiß es nicht, Madame.«

»Sie wissen jedoch, daß Sie uns von einem Halsband gesprochen haben, nicht wahr?«

»Von einem Diamantenhalsband; ja, Madame.«

»Und daß Sie mir von Seiten des Cardinals ein Abkommen vorgeschlagen haben, um das Halsband zu bezahlen?«

»Das ist wahr, Madame.«

»Habe ich das Abkommen angenommen oder ausgeschlagen?«

»Eure Majestät hat es ausgeschlagen.«

»Ah!« machte die Königin mit einer Mischung von Zufriedenheit und Erstaunen.

»Ihre Majestät hat sogar eine Abschlagszahlung von zweimal hunderttausend Livres gegeben,« fügte Jeanne bei.

»Gut ... und hernach?«

»Hernach hat Ihre Majestät, da sie nicht bezahlen konnte, weil Herr von Calonne ihr das Geld verweigerte, das Etui den Juwelieren Böhmer und Bossange zurückgeschickt.«

»Durch wen zurückgeschickt?«

»Durch mich.«

»Und Sie, was haben Sie gethan?«

»Ich,« erwiderte langsam Jeanne, die das ganze Gewicht der Worte fühlte, welche sie auszusprechen im Begriffe war, »ich habe die Diamanten dem Herrn Cardinal gegeben.«

»Dem Herrn Cardinal!« rief die Königin, »und warum, wenn's beliebt, statt sie den Juwelieren zuzustellen?«

»Madame, weil ich Herrn von Rohan, der sich für diese Sache, die Eurer Majestät gefiel, interessirte, verletzt hätte, wenn ich ihm nicht die Gelegenheit bot, sie selbst zu beendigen.«

»Aber wie kommt es, daß Sie einen Empfangsschein von den Juwelieren erhalten haben?«

»Herr von Rohan hat mir denselben übergeben.«

»Doch der Brief, den Sie dem Juwelier, als von meiner Hand kommend, eingehändigt haben sollen?«

»Herr von Rohan bat mich, ihn zu bestellen.«

»Herr von Rohan hat sich also überall und immer in diese Sache gemischt?« rief die Königin.

»Ich weiß weder, was Eure Majestät hiemit sagen will, noch in was Herr von Rohan sich gemischt hat,« erwiderte Jeanne mit zerstreuter Miene.

»Ich sage, der Empfangschein der Juweliere sei falsch!«

»Falsch!« rief Jeanne voll Unschuld, »oh! Madame!«

»Ich sage, die vorgebliche Verschreibung für das Halsband, welche ich unterzeichnet haben soll, sei falsch.«

»Oh!« rief Jeanne, scheinbar noch mehr erstaunt, als das erste Mal.

»Ich sage endlich,« fuhr die Königin fort, »es sei nothwendig, Sie mit Herrn von Rohan zu confrontiren, damit wir Aufklärung über diese ganze Sache erhalten.«

»Confrontiren! Warum ist es nothwendig, Madame, mich mit dem Herrn Cardinal zu confrontiren?«

»Er selbst hat es verlangt.«

»Er?«

»Er suchte Sie überall.«

»Madame, das ist unmöglich.«

»Er wollte Ihnen, wie er sagte, beweisen, daß Sie ihn hintergangen haben.«

»Oh! Madame, zu diesem Ende verlange ich die Confrontation.«

»Sie wird stattfinden, Madame, das dürfen Sie glauben. Sie leugnen also, zu wissen, wo das Halsband ist?«

»Wie sollte ich es wissen?«

»Sie leugnen, den Herrn Cardinal bei gewissen Intriguen unterstützt zu haben?«

»Eure Majestät hat jedes Recht, ihre Ungnade auf mich zu werfen, aber keines, mich zu beleidigen. Ich bin eine Valois, Madame.«

»Der Herr Kardinal hat vor dem König Verleumdungen behauptet, die er gebührend zu begründen hofft.«

»Ich verstehe nicht.«

»Der Cardinal hat erklärt, er habe mir geschrieben.«

Jeanne schaute der Königin in's Gesicht und antwortete nichts.

»Hören Sie mich?« sagte die Königin.

»Ich höre, ja, Eure Majestät.«

»Und was antworten Sie?«

»Ich werde antworten, wenn man mich mit dem Herrn Cardinal confrontirt hat.«

»Bis dahin, wenn Sie die Wahrheit wissen, helfen Sie uns.«

»Die Wahrheit ist, daß Eure Majestät mich ohne Anlaß erniedrigt und ohne Grund mißhandelt.«

»Das ist keine Antwort.«

»Ich werde hier keine andere geben, Madame.«

Jeanne schaute die zwei Frauen noch einmal an.

Die Königin begriff, aber sie gab nicht nach. Die Neugierde konnte nicht die Oberhand über die menschliche Achtung gewinnen. In den Halbsagereien Jeanne's, in ihrer zugleich demüthigen und frechen Haltung drang die Dreistigkeit durch, welche aus einem erlangten Geheimnisse entspringt. Dieses Geheimniß hätte die Königin vielleicht durch Milde erkaufen können. Aber sie wies ein solches Mittel als ihrer unwürdig von sich.

»Herr von Rohan ist in die Bastille gebracht worden, weil er zu viel sprechen wollte,« sagte Marie Antoinette: »nehmen Sie sich in Acht, Madame, daß Sie nicht dasselbe Schicksal erfahren, weil Sie nichts sprechen wollen.«

Jeanne preßte ihre Nägel in ihre Hände, aber sie lächelte.

»Was kümmert sich ein reines Gewissen um die Verfolgung?« sagte sie; »wird die Bastille mich eines Verbrechens überweisen, das ich nicht begangen habe?«

Die Königin schaute Jeanne mit zornigem Auge an und rief:

»Werden Sie sprechen, Madame?«

»Ich habe nichts zu sagen, Madame, außer Ihnen.«

»Nun! sprechen Sie etwa nicht mit mir?«

»Nicht mit Ihnen allein.«

»Ah! steht es so?« rief die Königin, »Sie wollen verschlossene Thüren. Sie fürchten das Aergerniß des öffentlichen Geständnisses, nachdem Sie mir das Aergerniß des öffentlichen Verdachtes auferlegt hatten.«

Jeanne richtete sich auf und erwiderte:

»Sprechen wir nicht mehr davon; was ich gethan, habe ich für Sie gethan.«

»Welche Frechheit!«

»Ich unterwerfe mich in Ehrfurcht den Beleidigungen meiner Königin,« sagte Jeanne, ohne die Farbe zu wechseln.

»Sie werden diesen Abend in der Bastille schlafen, Frau von La Mothe.«

»Es sei, Madame. Doch ehe ich mich schlafen lege, werde ich meiner Gewohnheit gemäß zu Gott beten, er möge Eurer Majestät die Ehre und die Freude erhalten,« erwiderte die Angeklagte.

Die Königin stand wüthend auf, ging in das anstoßende Zimmer und schlug voll Heftigkeit die Thüren zu.

»Nachdem ich den Drachen besiegt habe, werde ich wohl die Natter zertreten,« sagte sie.

»Ich kann ihr Spiel auswendig, und ich glaube, daß ich gewonnen habe,« dachte Jeanne.


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