Alexander Dumas
Das Halsband der Königin - 3
Alexander Dumas

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LXXXI.

Saint-Denis.

Die Königin war allein und in Verzweiflung. So viele Schläge trafen sie zugleich, daß sie nicht mehr wußte, von welcher Seite der heftigste Schmerz kam.

Nachdem sie eine Stunde in diesem Zustand des Zweifels und der Niedergeschlagenheit geblieben war, sagte sie sich, es sei Zeit, einen Ausgang zu suchen. Die Gefahr wuchs. Stolz auf einen über falschen Anschein davon getragenen Sieg, würde sich der König beeilen, das Gerücht zu verbreiten. Es könnte geschehen, daß dieses Gerücht auswärts so aufgenommen würde, daß der ganze Vortheil des begangenen Betrugs verloren ginge.

Dieser Betrug, ach! wie sehr machte sich ihn die Königin zum Vorwurf! wie gern hätte sie das entflogene Wort wieder zurückgenommen, wie gern hätte sie selbst Andrée das chimärische Glück entzogen, das diese vielleicht ausschlagen würde!

Hier erhob sich in der That eine andere Schwierigkeit. Der Name Andrée hatte Alles vor dem König gerettet. Aber wer konnte für diesen launenhaften, unabhängigen, eigenwilligen Geist stehen, den man Fräulein von Taverney nannte? wer konnte darauf zählen, daß diese stolze Person sich ihrer Freiheit, ihrer Zukunft zu Gunsten einer Königin entäußern würde, welche wenige Tage zuvor als Feindin von ihr geschieden war?

Was würde dann geschehen? weigerte sich Andrée, und dieß war wahrscheinlich, so stürzte das ganze Lügengerüste ein. Die Königin wurde eine Intrigantin von mittelmäßigem Geiste, Charny ein flacher Cicisbeo, und in eine Anklage verwandelt, nahm die Verleumdung die Verhältnisse eines unzweifelhaften Ehebruchs an.

Marie Antoinette fühlte, wie ihr Verstand bei diesen Betrachtungen sich verwirrte; sie hätte beinahe der Möglichkeit derselben nachgegeben; sie senkte ihren brennenden Kopf in ihre Hände und wartete.

Wem sich anvertrauen? Wer war denn die Freundin der Königin? Frau von Lamballe? Oh! die reine Vernunft, die kalte, unbeugsame Vernunft! Warum diese jungfräuliche Einbildungskraft versuchen, welche überdieß die Hofdamen nicht verstehen würden? Waren diese nicht knechtische Schmeichlerinnen der Wohlfahrt, zitternd bei dem Hauche der Ungnade, vielleicht geneigt, eine Lection ihrer Königin zu geben, während sie eines Beistands bedurfte?

Es blieb nur Fräulein von Taverney selbst. Das war ein Diamantherz, dessen Beschlüsse das Glas zerschneiden konnten, dessen unbesiegbare Festigkeit, dessen tiefe Reinheit aber allein mit den großen Schmerzen einer Königin zu sympathisiren vermochten.

Marie Antoinette würde also Andrée aufsuchen. Sie würde derselben ihr Unglück auseinandersetzen und sie anflehen, sie möge sich aufopfern. Ohne Zweifel würde sich Andrée weigern, denn sie gehörte nicht zu denjenigen, welche sich Unterwürfigkeit einflößen lassen; doch allmälig durch ihre Bitten besänftigt, würde sie nachgeben. Wer weiß übrigens, ob man nicht einen Aufschub bewirken könnte? ob der König nicht, beschwichtigt durch die scheinbare Einwilligung der beiden Verlobten, am Ende vergäße? Eine Reise würde dann Alles in's Reine bringen. Charny und Andrée könnten sich auf einige Zeit, bis die Hyder der Verleumdung keinen Hunger mehr hätte, entfernen und hernach aussprengen, sie haben sich gültig ihr Wort zurückgegeben, dann würde Niemand errathen, daß dieses Heirathsproject ein Spiel gewesen.

So wäre die Freiheit von Fräulein von Taverney nicht gefährdet worden; Charny würde die seinige ebenso wenig verlieren. Es gäbe für die Königin nicht mehr den gräßlichen Gewissensbiß, zwei Existenzen der Selbstsucht ihrer Ehre geopfert zu haben, und doch wäre diese Ehre, welche die Ehre ihres Gemahls und ihrer Kinder in sich schloß, nicht angegriffen: sie würde sie unbefleckt an die zukünftige Königin von Frankreich übertragen.

Dieß waren ihre Betrachtungen.

So glaubte sie Alles zum Voraus ausgeglichen zu haben, Wohlanstand und Privatinteressen. Man mußte wohl mit dieser Festigkeit der Logik in Gegenwart einer so furchtbaren Gefahr calculiren. Man mußte sich wohl mit allen Beweisstücken gegen eine Gegnerin bewaffnen, welche so schwer zu bekämpfen war, wie Fräulein von Taverney, wenn sie auf ihren Stolz und nicht auf ihr Herz hörte.

Als sie vorbereitet war, entschloß sie sich, auszugehen. Wie gern hätte sie Charny ermahnt, keinen falschen Schritt zu machen! aber sie wurde davon durch die Idee abgehalten, daß ohne Zweifel Spione sie belauerten; Alles werde auf ihrer Seite in einem solchen Augenblick schlecht ausgelegt; und sie hatte den geraden Sinn, die Ergebenheit und Entschlossenheit Charny's genugsam erprobt, um überzeugt zu sein, er würde Alles gutheißen, was sie zu thun für geeignet erachtete.

Es wurde drei Uhr. Mittagsmahl in großer Ceremonie, Vorstellungen, Besuche. Die Königin empfing alle Welt mit einem heitern Gesicht und einer Freundlichkeit, die ihrem wohlbekannten Stolze nichts benahm. Sie war sogar bemüht, gegen diejenigen, welche sie als ihre Feinde betrachtete, eine Festigkeit zu zeigen, die gewöhnlich den Schuldigen wenig ansteht.

Nie war der Andrang so groß bei Hofe gewesen; nie hatte die Neugierde so tief in den Zügen einer in Gefahr schwebenden Königin gewühlt. Marie Antoinette bot Allem Trotz, schmetterte ihre Feinde nieder, berauschte ihre Freunde, verwandelte die Gleichgültigen in Eifrige, die Giftigen in Enthusiasten, und erschien so schön und so groß, daß der König hierüber öffentlich seine Glückwünsche gegen sie aussprach.

Dann, als Alles wohl beendigt war, legte sie ihr erzwungenes Lächeln nieder und kehrte zu ihren Erinnerungen, das heißt zu ihrem Schmerz, allein, ganz allein in der Welt, zurück; sie wechselte ihre Toilette, nahm einen grauen Hut mit blauen Bändern und Blumen, ein Kleid von mauergrauer Seide, stieg in ihren Wagen und ließ sich, ohne Leibwachen, nur mit einer einzigen Dame nach Saint-Denis führen.

Es war die Stunde, wo die Nonnen, in ihre Zellen zurückgekehrt, vom bescheidenen Geräusch des klösterlichen Speisesaals zum Stillschweigen der Mediationen übergingen, denen sie sich vor dem Abendgebet hingaben.

Die Königin ließ Fräulein Andrée von Taverney in's Sprechzimmer rufen.

Knieend, in ihr Nachtgewand von weißer Wolle gehüllt, betrachtete Andrée aus ihren Fenstern den Mond, der hinter den großen Linden aufging, und in dieser Poesie der beginnenden Nacht fand sie das Thema zu all den inbrünstigen, leidenschaftlichen Gebeten, die sie zur Erleichterung ihrer Seele an Gott sandte.

Sie trank mit langen Zügen den unheilbaren Schmerz der freiwilligen Abwesenheit. Diese Marter ist nur starken Seelen bekannt: sie ist zugleich eine Qual und ein Vergnügen. Sie gleicht, was das Leiden betrifft, allen gewöhnlichen Schmerzen. Sie läuft auf eine Wollust aus, welche nur diejenigen fühlen können, die das Glück dem Stolz zu opfern wissen.

Andrée hatte aus freien Stücken den Hof verlassen; aus freien Stücken hatte sie mit Allem gebrochen, was ihre Liebe unterhalten konnte. Stolz wie Cleopatra, hatte sie nicht einmal die Idee ertragen können, Herr von Charny habe an eine andere Frau gedacht, und wäre diese Frau die Königin selbst.

Kein Beweis für sie von dieser für eine Andere glühenden Liebe. Sicherlich hatte die eifersüchtige Andrée aus diesem Beweise die ganze Überzeugung gezogen, die ein Herz bluten machen kann. Hatte sie aber nicht Herrn von Charny gleichgültig an ihr vorübergehen sehen? Hatte sie nicht die Königin im Verdacht gehabt, sie nehme für sich, freilich unschuldig, die Huldigungen Charny's in Anspruch, den sie so sehr bevorzugte?

Wozu sollte es fortan nützen, in Versailles zu bleiben? Um Complimente zu erbetteln? um die Nachlese mit lächelnden Mienen zu halten? um von Zeit zu Zeit mit einem angebotenen Arm. mit einer berührten Hand abgespeist zu werden, wenn die Königin auf der Promenade ihr die Artigkeiten Charny's leihen würde, weil die Königin in diesem Augenblick nicht im Stande war, sie für sich zu behalten?

Nein, keine feige Schwäche, kein Vergleich für diese stoische Seele. Das Leben mit der Liebe und der Bevorzugung, das Kloster mit der Liebe und dem verwundeten Stolz.

»Nie! nie!« wiederholte sich die stolze Andrée, »derjenige welchen ich im Schatten liebe, ist für mich nur eine Wolke, ein Porträt, eine Erinnerung; dieser verletzt mich nie, er lächelt immer mir zu, er lächelt nur mir zu.«

Darum hatte sie so viele Nächte in Schmerzen, aber frei zugebracht; darum zog Andrée, glücklich zu weinen, wenn sie sich schwach fand, zu verfluchen, wenn sie sich exaltirte, die freiwillige Abwesenheit, welche ihr die Unversehrtheit ihrer Liebe und ihrer Würde ließ, der Fähigkeit vor, einen Mann wiederzusehen, den sie haßte, weil sie gezwungen war, ihn zu lieben.

Und überdieß bereiteten diese stummen Beschauungen der reinen Liebe, diese göttlichen Entzückungen des einsamen Traumes der unbändigen Andrée weit mehr Lebensfreude als die leuchtenden Feste in Versailles, die Nothwendigkeit, sich vor Nebenbuhlerinnen zu beugen, und die Furcht, das in ihrem Herzen eingeschlossene Geheimniß an das Tageslicht entschlüpfen zu lassen.

Am Abend des St. Ludwigstages suchte also die Königin Andrée in Saint-Denis auf, und sie fand sie träumerisch.

Man meldete Andrée wirklich, die Königin sei soeben angekommen, das Capitel empfange sie im großen Sprechzimmer, und Ihre Majestät habe nach dem ersten Komplimente gefragt, ob man Fräulein von Taverney sprechen könnte.

Eine seltsame Erscheinung! es bedurfte für Andrée, ein durch die Liebe erweichtes Herz, nicht mehr, daß sie diesem Wohlgeruch entgegensprang, der von Versailles zu ihr kam, einem Wohlgeruch, den sie am Tage vorher verflucht, einem Wohlgeruch, der in demselben Maße kostbarer wurde, in dem er sich mehr entfernte, kostbar wie Alles, was sich verdunstet, wie Alles, was sich vergißt, kostbar wie die Liebe.

»Die Königin!« murmelte Andrée, »die Königin in Saint-Denis! Die Königin, die mich ruft!«

»Geschwind, beeilen Sie sich,« erwiderte man ihr.

Sie beeilte sich in der That, sie warf auf ihre Schultern die lange Mante der Nonnen, befestigte um ihren weiten Rock den wollenen Gürtel, und folgte, ohne einen Blick in ihren kleinen Spiegel zu thun, der Pförtnerin, welche sie geholt hatte.

Doch kaum hatte sie hundert Schritte gemacht, als sie sich gedemüthigt fühlte, daß sie so viel Freuden empfunden.

»Warum,« sagte sie, »warum hat mein Herz gebebt? In welcher Hinsicht berührt es Andrée von Taverney, daß die Königin von Frankreich das Kloster Saint-Denis besucht? Ist es Stolz, was ich empfinde? Die Königin ist nicht meinetwegen hier. Ist es Glück? ich liebe die Königin nicht mehr. Ruhig doch, schlimme Nonne, die weder Gott noch der Welt gehört; sei wenigstens bemüht, Dir selbst zu gehören.«

Andrée schalt sich so, während sie die große Treppe hinabging, und Herrin ihres Willens, tilgte sie auf ihren Wangen die flüchtige Röte der Hast, mäßigte die Raschheit ihrer Bewegungen. Doch um hiezu zu gelangen, brauchte sie mehr Zeit, die letzten sechs Stufen vollends hinabzugehen, als sie zu den dreißig ersten gebraucht hatte.

Als sie hinter den Chor zum Ceremonien-Sprechzimmer kam, in welchem der Glanz der Kronleuchter und der Wachskerzen unter den geschäftigen Händen einiger Laienschwestern zunahm, war Andrée kalt und bleich.

Als sie ihren Namen von der Pförtnerin aussprechen hörte, als sie Marie Antoinette auf dem äbtlichen Stuhle sitzen sah, während zu ihrer Seite die edelsten Stirnen sich beeiferten und beugten, wurde Andrée von einem Herzklopfen erfaßt, das ihren Gang mehrere Secunden hemmte.

»Ah! kommen Sie doch, daß ich mit Ihnen reden kann, mein Fräulein,« sagte die Königin halb lächelnd.

Andrée näherte sich und beugte den Kopf.

»Sie erlauben, Madame,« sprach die Königin, sich gegen die Superiorin umwendend.

Diese antwortete durch eine Verneigung und verließ das Sprechzimmer, gefolgt von allen ihren Nonnen.

Die Königin blieb allein mit Andrée, deren Herz so gewaltig schlug, daß man es ohne das langsamere Geräusch der Unruhe einer alten Uhr hätte hören können.


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