Alexander Dumas
Das Halsband der Königin - 3
Alexander Dumas

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LXIX.

Der Abschied.

Die Königin stand am andern Morgen ganz lächelnd und ganz schön auf, um in die Messe zu gehen.

Ihre Wachen hatten Befehl, Jedermann zu ihr kommen zu lassen. Es war ein Sonntag, und Ihre Majestät hatte beim Erwachen gesagt:

»Das ist ein schöner Tag; heut ist's eine Freude zu leben.«

Sie schien auch mit mehr Vergnügen, als gewöhnlich, den Wohlgeruch ihrer Lieblingsblumen einzuathmen; sie zeigte sich freigebiger in den Geschenken, die sie bewilligte; sie beeiferte sich mehr ihre Seele in die Nahe Gottes zu bringen.

Sie hörte die Messe ohne Zerstreuung, und hatte nie ihren majestätischen Kopf so tief gebückt.

Während sie mit Inbrunst betete, schaarte sich die Menge, wie an den anderen Sonntagen, auf dem Wege von den Gemächern zur Capelle zusammen, und selbst die Stufen der Treppen waren bedeckt mit Cavalieren und Damen. Unter den letztern glänzte bescheiden, aber elegant gekleidet, Frau von La Mothe.

Und in dem doppelten Spalier, das die Edelleute bildeten, sah man rechts Herrn von Charny, dem viele von seinen Freunden zu seiner Genesung, zu seiner Rückkehr und besonders zu seinem strahlenden Gesichte Glück wünschten.

Die Gunst ist ein feiner, durchdringender Wohlgeruch, er vertheilt sich mit einer solchen Leichtigkeit in der Luft, daß von den Kennern lange vor der Oeffnung des Räucherpfännchens das Aroma erkannt, festgestellt und geschätzt wird. Olivier war erst seit sechs Stunden der Freund der Königin, aber schon nannte sich Jedermann den Freund Oliviers.

Während er alle diese Glückwünsche mit der guten Miene eines wahrhaft seligen Menschen hinnahm und, um ihm mehr Ehre und Freundschaft zu erweisen, die ganze Linke des Spaliers zur Rechten überging, gewahrte Olivier, genöthigt, seine Blicke auf der Gruppe, die ihn umschwärmte, umherlaufen zu lassen, allein sich gegenüber ein Gesicht, dessen düstere Blässe und Unbeweglichkeit ihm mitten unter seiner Berauschung auffiel.

Er erkannte Philipp von Taverney, der, in seine Uniform eingezwängt, die Hand am Griffe seines Degens hielt.

Seit den Höflichkeitsbesuchen, die der Letztere im Vorzimmer seines Gegners gemacht, seit der Einsperrung Charny's durch den Doctor Louis hatte keine Berührung zwischen den zwei Nebenbuhlern stattgefunden.

Charny, als er Philipp sah, der ihn ruhig, ohne Wohlwollen und ohne Drohung anschaute, begann mit einem Gruße, den ihm Philipp von fern erwiderte.

Hierauf sagte Olivier, indem er mit seiner Hand durch die Gruppe schnitt, die ihn umgab:

»Verzeihen Sie, meine Herren ... lassen Sie mich eine Pflicht der Höflichkeit erfüllen.«

Und er durchschritt den zwischen dem Spaliere rechts und dem Spaliere links liegenden Raum, und ging gerade auf Philipp zu, der sich nicht rührte.

»Herr von Taverney,« sagte er, während er noch höflicher, als das erste Mal, grüßte, »ich mußte Ihnen für den Antheil danken, den Sie an meiner Gesundheit zu nehmen die Güte hatten, doch ich bin gestern erst hier angekommen.«

Philipp erröthete und schaute ihn an, dann schlug er die Augen nieder.

»Nein,« fuhr Charny fort, »ich werde die Ehre haben, Ihnen morgen Ihren Besuch zurückzugeben, und ich hoffe, Sie hegen keinen Groll mehr gegen mich.«

»Durchaus nicht, mein Herr,« erwiderte Philipp.

Charny war im Begriff, seine Hand auszustrecken, damit Philipp die seinige darauf legte, als die Trommel die Ankunft der Königin verkündigte.

»Die Königin kommt, mein Herr,« sprach Philipp langsam, ohne daß er die freundschaftliche Geberde Charny's erwidert hatte.

Und er punctirte diese Worte durch eine mehr schwermüthige, als kalte Verbeugung.

Ein wenig erstaunt, beeilte sich Charny, zu seinen Freunden im Spalier links zurückzukehren.

Philipp seinerseits blieb, als ob er Schildwache stände.

Die Königin näherte sich, man sah sie Mehreren zulächeln, Bittschriften nehmen oder abnehmen lassen, denn von fern hatte sie Charny erblickt, und indem sie mit jenem verwegenen Muthe, dem sie bei ihren Freundschaften die Zügel schießen ließ und den ihre Feinde Schamlosigkeit nannten, keinen Blick mehr von ihm verwandte, sprach sie ganz laut die Worte:

»Bitten Sie heute, meine Herren, bitten Sie, ich vermöchte heute nichts abzuschlagen.«

Charny war bis in die Tiefe seines Herzens durchdrungen von dem Ausdruck, von dem Sinn dieser Zauberworte. Er bebte vor Wonne, und dieß war sein einziger Dank gegen die Königin.

Plötzlich wurde diese ihrer süßen, aber gefährlichen Beschauung durch das Geräusch eines Trittes, durch den Ton einer fremden Stimme entzogen.

Der Tritt knarrte zu ihrer Linken auf der Platte, die bewegte aber ernste Stimme sprach:

»Madame ...«

Die Königin erblickte Philipp; sie vermochte eine erste Bewegung des Erstaunens nicht zu unterdrücken, als sie sich so zwischen diese zwei Männer gestellt sah, deren einen zu sehr und den andern nicht genug zu lieben sie sich vielleicht zum Vorwurf machte.

»Sie Herr von Taverney!« rief sie rasch sich fassend; »Sie! Sie haben sich etwas von mir zu erbitten? Oh! sprechen Sie.«

»Zehn Minuten Audienz, nach der Muße Eurer Majestät,« antwortete Philipp, indem er sich verbeugte, ohne die strenge Blässe seiner Stirne entwaffnet zu haben.

»Auf der Stelle, mein Herr,« erwiderte die Königin, während sie einen verstohlenen Blick auf Charny warf, welchen sie nicht ohne ein unwillkürliches Beben so nahe bei seinem ehemaligen Gegner sehen konnte; »folgen Sie mir.«

Und sie ging rascher, als sie den Tritt Philipps hinter dem ihrigen hörte, während Charny an seinem Platz geblieben war.

Sie setzte indessen ihre Ernte an Briefen, Eingaben und Bittschriften fort, gab einige Befehle und trat in ihre Gemächer.

Eine Viertelstunde nachher wurde Philipp in die Bibliothek geführt, wo die Königin am Sonntag empfing.

»Ah! Herr von Taverney,« sprach sie mit freudigem Tone, »treten Sie ein und machen Sie mir sogleich ein gutes Gesicht. Ich muß Ihnen gestehen, ich habe eine Unruhe, so oft ein Taverney mich zu sprechen wünscht. Sie sind von schlimmer Vorbedeutung in Ihrer Familie. Beruhigen Sie mich geschwind, Herr von Taverney ... und sagen Sie mir, Sie kommen nicht, um mir ein Unglück mitzutheilen.«

Noch bleicher nach diesem Eingang, als er es während der Scene mit Charny gewesen war, beschränkte sich Philipp, da er sah, wie wenig Absichtlichkeit die Königin in ihre Sprache legte, darauf, daß er erwiderte:

»Madame, ich habe die Ehre, Eure Majestät zu versichern, daß ich ihr dießmal nur eine gute Nachricht bringe.«

»Ah! es ist eine Nachricht!« rief die Königin.

»Ach! ja, Eure Majestät.«

»Oh! mein Gott!« sagte Marie Antoinette, die den heitern Ton wieder annahm, der Philipp so unglücklich machte, »Sie haben gesagt; ach! Ich Arme, die ich bin! würde eine Spanierin ausrufen, Herr von Taverney hat gesagt: ach!«

»Madame,« erwiderte Philipp mit ernstem Tone, »zwei Worte werden Eure Majestät so vollständig beruhigen, daß Ihre edle Stirne sich nicht bloß heute nicht bei der Annäherung eines Taverney verschleiern, sondern daß sie sich nie mehr durch die Schuld eines Taverney Maison-Rouge verschleiern wird. Heute noch, Madame, wird der letzte dieser Familie, dem Eure Majestät einige Gunst zu bewilligen die Gnade gehabt hat, verschwinden, um nie mehr an den französischen Hof zurückzukehren.«

Alsbald warf die Königin die freudige Miene von sich, die sie als Hilfsmittel gegen die muthmaßlichen Gemüthsbewegungen bei dieser Zusammenkunft angenommen hatte.

»Sie gehen!« rief sie.

»Ja, Eure Majestät.«

»Sie ... auch!«

Philipp verbeugte sich und erwiderte:

»Meine Schwester hat schon den Kummer gehabt, Eure Majestät zu verlassen; ich, ich war der Königin noch weit unnützer, und ich gehe.«

Die Königin setzte sich ganz unruhig bei dem Gedanken, daß Andrée ihren lebenslänglichen Abschied am Tage nach einem Zusammensein bei Louis verlangt hatte, wo Herrn von Charny das erste Anzeichen des Gefühles, das man für ihn hegte, zu Theil geworden war.

»Seltsam!« murmelte sie träumerisch, und sie fügte kein Wort mehr bei.

Philipp blieb wie eine marmorne Bildsäule stehen und wartete auf die Geberde, die ihn entlassen sollte.

Die Königin erwachte plötzlich aus ihrer Erstarrung.

»Wohin gehen Sie?« fragte sie.

»Ich will mich zu Herrn von Lapeyrouse begeben.«

»Herr von Lapeyrouse ist in diesem Augenblicke in Neu-Foundland.«

»Ich habe alle Anstalten getroffen, um zu ihm zu gelangen.«

»Sie wissen, daß man ihm einen gräßlichen Tod geweissagt hat?«

»Gräßlich, das weiß ich nicht,« entgegnete Philipp, »doch einen schnellen Tod, das ist mir bekannt.«

»Und Sie reisen?«

Er lächelte mit einer so edlen und so sanften Schönheit.

»Gerade darum will ich Lapeyrouse nachfolgen,« sagte er.

Die Königin versank abermals in ihr banges Stillschweigen.

Philipp wartete noch einmal ehrfurchtsvoll.

Die so edle und so muthige Natur Marie Antoinette's erwachte verwegener, als je.

Sie stand auf ... trat auf den jungen Mann zu und sprach zu ihm, indem sie ihre weißen Arme auf ihrer Brust kreuzte:

»Warum gehen Sie?«

»Weil ich sehr reiselustig bin,« antwortete er mit sanftem Tone.

»Aber Sie haben schon die Reise um die Welt gemacht,« entgegnete die Königin, die sich einen Augenblick durch diese heldenmüthige Ruhe bethören ließ.

»Die neue Welt, ja, Madame,« fuhr Philipp fort, »doch nicht um die alte und die neue Welt zusammen.«

Die Königin machte eine Geberde des Aergers und wiederholte, was sie zu Andrée gesagt hatte:

»Eisernes Geschlecht, stählerne Herzen, diese Taverney. Ihre Schwester und Sie, Sie sind zwei furchtbare Leute, Freunde, die man am Ende haßt. Sie gehen, nicht um zu reisen, denn Sie sind dessen müde, sondern um mich zu verlassen. Ihre Schwester wurde, wie sie sagte, von der Religion berufen, sie verbirgt ein Feuerherz unter der Asche. Kurz, sie wollte gehen, und sie ist gegangen. Gott mache sie glücklich! Sie, Sie, der Sie glücklich sein könnten, Sie gehen nun auch ... ich sagte Ihnen vorhin, die Taverney bringen mir Unglück!«

»Schonen Sie uns, Madame; wenn Eure Majestät die Gnade hätte, besser in unsern Herzen zu suchen, so würde sie eine grenzenlose Ergebenheit darin sehen.«

»Hören Sie,« rief die Königin zornig, » Sie sind ein Quäker, Ihre Schwester ist eine Philosophin, unmögliche Geschöpfe; sie stellt sich die Welt wie ein Paradies vor, wo man nur unter der Bedingung Eintritt finde, daß man zu den Heiligen gehöre; Sie halten die Welt für die Hölle, in welche nur die Teufel eintreten; und Sie beide haben die Welt geflohen: der Eine, weil Sie darin das finden, was Sie nicht suchen; die Andere, weil sie nicht darin finden, was Sie suchen. Habe ich Recht? Ei! mein lieber Herr von Taverney, lassen Sie die menschlichen Geschöpfe unvollkommen sein; verlangen Sie von den königlichen Familien nur, daß sie die unvollkommensten der menschlichen Geschlechter seien; seien Sie duldsam oder seien Sie vielmehr nicht selbstsüchtig.«

Sie betonte diese Worte mit zu viel Leidenschaft.

Philipp war im Vortheil.

»Madame,« sagte er, »die Selbstsucht ist eine Tugend, wenn man sich derselben bedient, um die Gegenstände seiner Anbetung noch zu erhöhen.«

Marie Antoinette erröthete.

»Alles was ich weiß,« sagte sie, »ist, daß ich Andrée liebte, und daß sie mich verlassen hat; daß ich große Stücke auf Sie hielt, und daß Sie mich ebenfalls verlassen. Es ist demüthigend für mich, zwei so vollkommene Personen ... ich scherze nicht, mein Herr ... mein Haus verlassen zu sehen.«

»Nichts kann eine Person demüthigen, die so erhaben ist, wie Sie,« erwiderte Taverney kalt; »die Beschämung erreicht hohe Stirnen, wie die Ihrige, nicht.«

»Ich besinne mich auf's Ernstlichste, was Sie verletzt haben mochte,« fuhr die Königin fort.

»Nichts, nichts hat mich verletzt,« erwiderte Philipp lebhaft.

»Ihr Grad ist bestätigt worden; Ihr Glück ist im besten Zuge; ich zeichnete Sie aus ...«

»Ich wiederhole Eurer Majestät, daß mir nichts bei Hofe mißfällt.«

»Und wenn ich Ihnen sagte, Sie sollen bleiben ... und wenn ich es Ihnen befehlen würde? ...«

»Ich hätte den Schmerz, Eurer Majestät mit einer Weigerung zu antworten.«

Die Königin versenkte sich zum dritten Mal in jene stillschweigende Zurückhaltung, die für ihre Logik das war, was bei dem ermüdeten Fechter die Handlung ist, durch die er seinen Gegner aus der Lage zu bringen sucht.

Und da sie aus dieser Ruhe immer durch einen unerwarteten Schlag heraustrat, so sagte sie, indem sie ihren klaren Blick auf Philipp heftete:

»Es ist vielleicht Jemand hier, der Ihnen mißfällt? Sie sind argwöhnisch.«

»Niemand mißfällt mir.«

»Ich glaubte, Sie ständen schlecht ... mit einem Cavalier ... mit Herrn von Charny ... den Sie im Duell verwundet haben ...« sagte die Königin, sich stufenweise belebend. »Und da es einfach ist, daß man die Leute flieht, die man nicht liebt, so werden Sie, sobald Sie die Rückkehr des Herrn von Charny bemerkten, den Hof zu verlassen gewünscht haben.«

Philipp antwortete nicht.

Die Königin, die sich in Beziehung auf diesen so redlichen, so wackern Mann täuschte, glaubte es mit einem gewöhnlichen Eifersüchtigen zu thun zu haben. Sie setzte ihm ohne Schonung zu.

»Sie wissen erst seit heute, daß Herr von Charny zurückgekommen ist,« fuhr sie fort. »Ich sage, seit heute! und heute verlangen Sie Ihren Abschied von mir?«

Philipp wurde mehr bleifarbig, als bleich. So angegriffen, so mit Füßen getreten, erhob er sich grausam.

»Madame,« sagte er, »es ist wahr, ich weiß die Rückkehr des Herrn von Charny erst seit heute; nur ist es länger, als Eure Majestät denkt, denn ich habe Herrn von Charny gegen zwei Uhr Morgens an der Parkthüre getroffen, welche mit den Apollo-Bädern in Verbindung steht.«

Die Königin erbleichte ebenfalls, und nachdem sie mit einer Bewunderung, gemischt mit Schrecken, die vollkommene Höflichkeit betrachtet hatte, die der Edelmann in seinem Zorne behielt, murmelte sie mit erloschener Stimme:

»Gut, mein Herr, gehen Sie, ich halte Sie nicht zurück.«

Philipp verbeugte sich zum letzten Mal und ging mit langsamem Schritte weg.

Die Königin fiel, wie vom Blitze getroffen, in einen Lehnstuhl und rief:

»Frankreich, du Land der edlen Herzen!«


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