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XIII.

Wie lange es gedauert hatte, wußte sie nicht – nicht lange, eine halbe Stande vielleicht oder auch etwas mehr, als sie in einiger Entfernung ein grünes Licht erblickte. Das konnte nichts anderes sein als das Stationslicht von Rocanville.

In der nächsten Minute sprengte sie auch bereits über den Bahndamm und lenkte das Pferd durch einen Schenkeldruck dem auf der andern Seite der Geleise befindlichen Stationshause zu. Es gehorchte freiwillig der Leitung. Die Nähe von Menschenwohnungen machte es wohl unsicher. Draußen auf der Prärie und im Busch war das anders. Dort war es frei und ungebunden, und sein Wille war ihm das einzige Gesetz. Es war keines der gewöhnlichen Indianerponys, sondern ein früherer Broncho Broncho: spr. Bronko = wildes, auf einer Ranch gezogenes Pferd. Nicht zu verwechseln mit den Mustangs, den ursprünglichen wilden Pferden, die aber überhaupt nicht zum Reiten oder Fahren, sondern nur zu Zuchtzwecken zu gebrauchen waren. Letztere sind in Kanada nur noch in wenigen Trupps vorhanden. von auffälliger stolzer Schönheit, furchtlos im Kampfe mit anderen seines Geschlechtes, flink wie der Präriewind, seine Stirn kühn gewölbt über den scharfen Augen und die rote Mähne flatternd über den elegant gebogenen Hals und der Schwanz herniederfallend bis auf die zierlichen Hufe. O ja, Ku-mi-na-kusch hatte gewußt, worauf es ankam, und gut gewählt. Aber das Herz, das unter den glänzenden Flanken schlug, war nicht wild oder boshaft, wenn es keinen Kampf galt, oder wenn der Broncho jemand auf dem Rücken trug, dem sein sonst so wildes Herz in sanfter Zuneigung entgegenschlug wie diesem jungen rotbraunen Menschenkinde.

Es gelang Minnehaha daher auch ohne Schwierigkeit durch ein lautes Woah! ihr Tier zum Stehen zu bringen. Von seinem Rücken herabgleitend, band sie es an einem der Pfosten fest, die den erhöhten Bahnsteig bildeten. Dann sprang sie über die zwei oder drei zu diesem hinaufführenden Stufen und wandte sich nach der Türe, die zu dem Warteraum des kleinen Stationsgebäudes führte.

Sie war verschlossen. Altes umher lag in tiefem Dunkel, nur die grüne Signallaterne, die oben vom Dache des Hauses aus ihre Strahlen in die Ferne sandte, verbreitete einen geringen Lichtschimmer. Minnehaha preßte ihr Antlitz gegen die Scheiben des Fensters. Auch hier in der Office des Agenten war alles dunkel, und der Telegraphenapparat tickte unbeachtet hinter den gefrorenen Scheiben und druckte seine Botschaft auf den endlosen Papierstreifen, dem der Agent ganz sicher nicht vor dein kommenden Morgen irgendwelche Beachtung schenkte.

Das war es, was Minnehaha gefürchtet hatte. Nachtdienst war an der kleinen Station unbekannt, da höchstens ein oder zwei Frachtzüge die Strecke in der Nacht benutzten.

Sie begann, mit den Fäusten gegen die Tür zu hämmern und laut zu rufen.

Alles blieb ruhig.

War der Agent nur unwillig, seine Geschäftsstunden zugunsten irgendeines verspäteten Besuchers zu verlängern, oder befand er sich etwa gar nicht daheim? Dieser letzte Gedanke legte sich wie mit eisiger Lähmung auf das Herz des jungen Mädchens, denn ein solcher Fall raubte ihr alle Möglichkeit, mir Hilfe zu bringen. Sie mochte vielleicht im Orte zwei oder drei Leute finden, die bereit waren, ihr Beistand zu leisten. Aber hatten sie Waffen? Und was waren zwei oder drei Leute einem vor nichts zurückschreckenden Verbrecherpaare, wie Regen-ins-Gesicht und dem Yankee, gegenüber?

Sie donnerte heftiger gegen die Türe, und eine beginnende Verzweiflung darüber, daß ihre Versuche, mein Leben zu retten, an solchen kleinen äußeren Umständen scheitern sollten, trieb ihr die Tränen in die Augen.

»What is the matter (Was ist los)?« tönte plötzlich eine ärgerliche Stimme von irgendwoher an ihr Ohr.

Minnehaha tat einen tiefen erleichternden Atemzug, der es ihr momentan unmöglich machte, zu antworten.

»Ich bitte, machen Sie auf!« rief sie dann dringend. »Es handelt sich um ein Menschenleben.«

»All right!«

Der Agent hatte wohl die Mädchenstimme erkannt, und die letzten Worte mußten vollends alle seine Befürchtungen, daß etwa ein angetrunkener Farmer ihm die Heiligkeit seiner Ruhestunden stören wollte, beseitigt haben.

Eine geraume Weile verging, wenigstens schien es Minnehaha in ihrer fieberhaften Unruhe eine endlose Zeit. Dann kratzte ein Schlüssel in der Tür, sie öffnete sich, und das Mädchen schlüpfte in das von völliger Dunkelheit erfüllte Innere.

»Warte einen Augenblick,« sagte der Agent, »ich werde Licht machen.«

Das geschah, indem er eine vor dem Schalterfenster stehende Petroleumlampe anzündete. Dann wandte er sich um und faßte seine späte Besucherin ins Auge.

»Oh,« sagte er aber ganz überrascht, als er ein Indianermädchen in dieser erkannte.

Erst als er sich von seinem Erstaunen erholt hatte, setzte er hinzu: »Well girl, what is the trouble (Nun, Mädchen, was gibt's)?«

Minnehaha berichtete in fliegender Eile, was sie von der Gefahr wußte, in der ich schwebte. Der Agent war noch ein junger Mann; seine verantwortungsvolle Stellung hatte ihm aber bereits die ruhige, geschäftsmäßige, aber jeder Wichtigtuerei ermangelnde Sicherheit in der Behandlung plötzlicher, ungewöhnlicher Situationen gegeben, die man sonst nur bei dem reiferen Alter findet. Er hörte ruhig an.

»Komm hinein in die Office,« sagte er dann, indem er gleichzeitig die Lampe nahm und dem Mädchen dorthin voranleuchtete. »Den Indianer, den du meinst, kenne ich nicht. Mag sein, daß ich ihn schon gesehen habe, aber ich kenne ihn nicht beim Namen. Den Yankee kenne ich dafür um so besser. Er heißt Craig, und ist er ist, ist eine Teufelei in der Regel nicht weit entfernt. – Aber was sollen wir tun, Mädchen? – Setz dich! Ich denke, ich muß nach Esterhazy und Grayson telegraphieren, um eine Posse zusammenzurufen.«

»Bevor die hierherkommt und an Ort und Stelle eintrifft, ist es vielleicht schon zu spät!« rief Minnehaha, deren Angst und Unruhe sich mit jeder Minute Verzögerung vermehrte.

»Das mag sein,« gab der Agent zu. »Es ist aber alles, was wir tun können. Hier kriegen wir eine Posse nicht zusammen. Und wenn wir nur Verbindung mit Esterhazy und Grayson bekommen können, so ist diese Verzögerung noch nicht das schlimmste. – Doch sei still jetzt.«

Er hatte sich an den Telegraphenapparat gesetzt und ließ den Sender in einem raschen Wirbel klicken. Angstvoll beobachtete Minnehaha jede seiner Bewegungen und seine Gesichtszüge. Als er einige Zeit den Sender in dieser Weise bearbeitet hatte, glaubte sie, etwas wie Verdruß und Ärger in seinen Gesichtszügen zu lesen.

Plötzlich ließ er seine Hand sinken und lehnte sich in seinen Stuhl zurück.

»Hilft nichts, Mädchen,« sagte er. »Hatte es mir schon gedacht. Kann Esterhazy und Grayson nicht wecken. Die Boys schlafen dort schon oder sitzen irgendwo beim Poker, 's ist etwa eine Stunde her, daß ich mich mit meinem Kollegen in Grayson unterhielt und er mir sein ›Gute Nacht‹ zuklopfte.«

»Aber dann müssen wir ihn ja ohne Hilfe lassen!«

»Sieht fast so aus.«

»Um Gottes willen,« rief Minnehaha in Verzweiflung, »wir können doch nicht ruhig hier sitze« und einen Menschen ermorden lassen!«

»'s ist schon recht,« entgegnete der Agent, indem er sich im Haar kratzte, »aber was können wir tu«? Ich darf die Station nicht verlassen, wenigstens nicht für längere Zeit, ohne daß ich es gemeldet habe. – Halt, ich hab's!« rief er dann, plötzlich aufspringend und einen Blick auf die Uhr werfend. »In ungefähr einer halben Stunde kommt ein Güterzug aus dem Osten hier durch. Ich werde ihm das rote Licht zeigen und ihn hier halten lassen. Dann kannst du mit nach Esterhazy fahren und dort den Friedensrichter aufsuchen. Der wird dann wissen, was er zu tun hat.«

»Aber das ist wieder eine halbe Stunde,« klagte Minnehaha, mit ihrer Unruhe kämpfend.

»Es ist das einzige, was wir tun können. Und ein Glück, daß es nicht länger ist. Ich glaube auch nicht,« fügte er dann, die augenfällige Unruhe des jungen Mädchens bemerkend, beruhigend hinzu, »daß das viel ausmachen wird. Wenn die Kerle so viele Male geschossen haben, so beweist das, daß der Mann, auf den sie's abgesehen haben, sich in einem sicheren Versteck befindet, – in irgendeiner Höhle vielleicht – es gibt ja eine ganze Anzahl in den Bergen. Und das ist dann wie eine Belagerung, bei der eine halbe Stunde mehr oder weniger nichts entscheidet. – Aber laß mich jetzt das Signal stellen.«

Er verließ die Office und begab sich auf den Bahnsteig hinaus, wohin Minnehaha ihm folgte. Sie sah, wie er von irgendwoher eine Leiter herbeischleppte, nach dem Semaphor hinaufkletterte – eine Handhabung des Apparats von unten ist auf diesen einsamen Stationen zur Verhinderung von Mißbrauch vermieden – und das rote Licht einstellte.

»Komm herein, Mädchen,« sagte er dann, als das erledigt war, »der Wind bläst eklig hier auf der Strecke, und du klapperst ja jetzt schon mit deinen paar Knochen und Knöchelchen, daß man dich als ein Schellengeläute für ein Schlittengespann benutzen könnte. – Der Zug ist noch nicht in Sicht. Hätte eigentlich schon sein Kopflicht von oben sehen sollen. Aber die Jungen fahren wieder mal wie in einem Umzuge zur Maifeier.«

»Was soll ich mit meinem Pferde tun, wenn ich mit dem Zuge weiterfahre? Wir werden wohl nicht hierher zurückkehren, denn der Weg von Esterhazy nach dem Orte – –« sie konnte es nicht über sich gewinnen, ihn näher zu beschreiben – »ist kürzer, wenn wir in gerader Richtung südöstlich fahren.«

»Laß es laufen,« schlug der Agent vor. »Ich wette, es findet den Weg nach eurer Reservation auch ohne dich.«

»Ich weiß nicht,« entgegnete Minnehaha zweifelnd, »es ist ein Broncho. Aber ich muß es darauf ankommen lassen. Wenigstens will ich es auf den Trail bringen.«

» Well, dann spring auf!« rief der Agent, indem er den Strick des Pferdes, das ungeduldig mit den Hufen im Schnee scharrte, löste.

Minnehaha war aufgesessen, galoppierte eine Strecke an dem Bahndamm entlang und kreuzte ihn dann auf dem Übergang. Dort glitt sie herab und gab dem Pferde einen leichten Schlag mit der Hand, der es in weiten Sprüngen auf seinen Weg nach der Reservation sandte. Dann kehrte sie, langsam auf dem Bahndamm zwischen den Geleisen entlangschreitend, nach der Station zurück.

Als sie dort anlangte und einen suchenden Blick nach Osten richtete, sah sie in der Ferne ein Licht aufblitzen. Es mußte das Kopflicht des herannahenden Zuges sein.

Der Agent hatte auf sie gewartet.

»Der Zug ist in Sicht,« sagte er, »kaum sieben oder acht Meilen entfernt. Das Licht eines Personenzuges sehen wir bei klarer Luft auf zehn bis zwölf Meilen. Aber das Licht der Frachtzüge ist nicht so hell. Komm herein, denn es dauert immer noch eine Viertelstunde, bis er hier ist.«

Minnehaha folgte ihm nach der Office, wo sie sich auf einem Stuhle neben seinem Arbeitstische niederließ. Sie fröstelte, aber es war nicht so sehr die Kälte, als vielmehr die Unruhe, mit der sie eine kostbare Minute nach der andern verrinnen sah, die das verursachte. Gesprochen wurde nichts. Der Agent schien zu merken, daß seine Besucherin nicht zu einer Unterhaltung aufgelegt war, und beschäftigte sich damit, die eingelaufenen Telegramme – jedenfalls nur Diensttelegramme, denn andere erreichten diesen entlegenen Platz wohl kaum jemals – von der Rolle abzunehmen.

Die Minuten verstrichen mit endloser Langsamkeit. Dann wurde es heller in dem Zimmer. Das Kopflicht des näherkommenden Zuges fiel durch die gefrorenen Scheiben. Gleichzeitig dröhnte draußen auch ein schriller Pfiff.

»Da ist er!« rief Minnehaha mit einem Seufzer der Erleichterung und wandte sich nach der Tür.

»All right,« entgegnete der Agent, indem er seine Laterne nahm und ihr folgte.

Der Zug befand sich bereits ganz nahe, und auf einige Signale des Agenten mit der Laterne fuhr er langsam in die Station ein. Der Führer sprang aus dem letzten Wagen, der Kabuse, in der die Mannschaft sich aufhält, zur Erde, und der Lokomotivführer steckte seinen Kopf zwischen den dicken rauchgeschwärzten Segeltuchvorhängen hervor, die den Raum zwischen der Lokomotive und dem Kohlenwagen abschließen.

»Hello, what is the matter with you?« rief der Zugführer dem Agenten in jovialem Tone zu. »Warum läßt du uns hier halten? Fracht hast du doch nur alle sieben Jahre einmal. Hast auch nichts davon nach Kirkella gemeldet. Wir saßen gerade so schön beim Poker, als mir der Schwarze da auf der Maschine zupfeift »Rotes Licht voraus!«

»Ich habe doch Fracht für euch,« erklärte der Agent, während der Blick des Zugführers jetzt zum erstenmal auf die junge Indianerin fiel, als diese in den Lichtkreis der beider: Laternen trat. »Hier ist ein Frachtstück, das ihr mit nach Esterhazy nehmen sollt – –«

»Aber du weißt doch, das ist gegen – –«

»Weiß ich – weiß ich. Zum Henker mit den Vorschriften, wenn es sich darum handelt, ein Menschenleben zu retten. Ich nehme die Verantwortung auf mich. Und nun macht euch wieder auf den Weg. Steig ein, Mädchen!«

Er faßte sie leicht am Arme und führte sie mach der Kabuse, wo er ihr half, die Stufen zu ersteigert.

»Aber willst du mir nicht wenigstens sagen, was das alles bedeuten soll,« protestierte der Zugführer.

»Nichts will ich dir sagen,« war die scharfe Antwort. »Um des Himmels willen, zögere nicht länger, denn du darfst keine Minute verlieren. Die Sache ist verdammt ernst. Das Mädchen hat Zeit bis Esterhazy, dir alles zu erzählen, was du wissen willst.«

»All right.«

Der Zugführer schwang seine Laterne, ein Pfiff ertönte als Antwort, und mit einem schweren Aufeinanderstoßen der Wagen und stöhnend und keuchend setzte sich der lange Zug in Bewegung. – –

Minnehaha hatte die Kabuse betreten, wohin ihr der Zugführer mit seinen zwei Untergebenen, die, vor dem Wagen stehend, der Szene mit allen Zeichen einer vollkommenen Verständnislosigkeit beigewohnt hatten, folgte.

Die Kabuse war durch eine von der Decke hängende und wie gewöhnlich schlecht brennende Petroleumlampe erleuchtet. In der Mitte stand ein langer Tisch. Eine Anzahl verstreuter Karten, die darauf lagen, verrieten die Beschäftigung, in der die Insassen durch das unvermutete Haltesignal unterbrochen worden waren. Am Ende des Wagens spendete ein freigebig mit Kohlen gespeister Ofen eine behagliche Wärme, während einige Lagerstätten an den Wänden und ein ziemlich baufälliger Schrank mit verschiedenem Eß- und Kochgeschirr die Ausstattung vollendeten.

Minnehaha ließ sich auf einem der herumstehenden Stühle nieder, und der Zugführer und seine beiden Untergebenen folgten ihrem Beispiel.

»Well, Mädchen,« begann der erstere im Tone des Scherzes, »du mußt bei dem Agenten in Rocanville einen gehörigen Stein im Brette haben, daß er deinetwegen den Zug halten läßt.«

»Oh, es ist nicht das,« erwiderte sie. »Ich muß Hilfe von Esterhazy herbeiholen, um zu verhindern, daß ein Mensch ermordet wird.« Sie sagte es mit stockender Stimme, und ihre Glieder schlugen wie von Kälte geschüttelt, obwohl ihr das Blut heiß in den Adern brannte. »Wir hatten telegraphiert, konnten aber keine Verbindung erhalten. Schließlich besann sich der Agent, daß ein Frachtzug durchkommen würde, und er sagte, er würde ihn halten lassen.«

»Was sagst du von einem Mord?«

Minnehaha berichtete ihm in kurzen Worten, worum es sich handelte.

»Well, boys,« sagte der Zugführer, zu seinen Gehilfen gewandt, als sie geendet, »ich kalkuliere, das ist etwas, das über das Verständnis eines gewöhnlichen Menschenkindes, wie wir Railroader (Eisenbahner) es sind, hinausgeht. Ich begreife wohl, daß mal einer den andern über den Haufen schießt, wenn er sich gerade nicht anders helfen kann – aber daß einer in kaltem Blute stundenlang auf einen andern losfeuert, ohne daß ihn die Schießerei wieder nüchtern macht, das bringt wohl nur ein Indianer fertig.«

»Es sind zwei,« warf Minnehaha etwas gereizt ein, »und, der eine davon ist ein Weißer.«

»Richtig,« entgegnete der Zugführer, »und deshalb nehme ich an, daß sie sich inzwischen wohl anders besonnen haben werden und nach Hause gegangen sind. Aber das werdet ihr ausfinden müssen. Ich kalkuliere, du mußt dich an den Friedensrichter in Esterhazy wenden.«

»Das ist meine Absicht, sind wir noch nicht bald da?«

» Well, wir haben das Wegerecht. Die Strecke ist frei, und du siehst, wie die beiden Schwarzen auf der Maschine Dampf aufgesetzt haben. Ich wette, wir fahren mit unsern fünfzig Wagen so schnell wie der Expreß.«

Tatsächlich donnerte der Zug mit einer Geschwindigkeit auf seiner eisernen Bahn dahin, daß Minnehaha auf ihrem Sitze hin und her geworfen wurde, und das Getöse der schnellen Fahrt jede weitere Unterhaltung fast unmöglich machte.

Eine – zwei Stationen, deren grüne Signallaternen nur einige verlorene Strahlen durch die gefrornen kleinen Fenster der Kabuse blinken ließen, flogen vorüber – –

Dann ein langgezogener Pfiff.

»Esterhazy!« rief der Zugführer.

Gleichzeitig traten die Luftbremsen in Tätigkeit; der Zug begann heftiger zu rücken und verlangsamte seine Fahrt. Nach wenigen Minuten lief er in die Station ein, die schweigend in der Dunkelheit lag. Der Agent schlief wohl bereits. Auf jeden Fall kümmerte er sich nicht um den Frachtzug. Was ging der ihn an? Wenn er Fracht hatte, würde er diese schon aus dem Bahnsteig zurücklassen und die Frachtscheine mit etwaigen andern Dienstpapieren würde er am andern Morgen in seinem Briefkasten, finden. Sich in seiner Nachtruhe dadurch stören zu lassen, wurde von ihm nicht verlangt.

Minnehaha und der Zugführer waren aus dem Wagen gesprungen, noch bevor der Zug richtig zum Stillstand gekommen war. Der Zugführer lief an der Wagenreihe entlang nach der Lokomotive, wechselte einige Worte mit deren Führer und wandte sich dann Minnehaha wieder zu.

»Come on, girl!« rief er, »wollen sehen, ob wir den Friedensrichter finden.«

Sie eilten hinaus aus der Station und betraten die Dorfstraße. Das Hotel war das einzige Haus des Ortes, aus dem ihnen Licht entgegenschimmerte.

»Hier ist wenigstens noch jemand wach, und wir können fragen, wo der Friedensrichter wohnt,« bemerkte der Zugführer und schritt, gefolgt von Minnehaha, auf das Hotel zu.

In der Office befanden sich nur zwei oder drei von den Bewohnern des Ortes, die auf Stühlen saßen und mit der endlos geduldigen und selbstgenügsamen Schweigsamkeit, deren nur ein Westerner fähig ist, ihre Pfeifen rauchten. Sie hätten zwar auch zu Hause rauchen und schweigen können, aber im Hotel muß das wohl interessanter sein, denn man findet fast in jedem einige Ortsbewohner, die sich dort bis zum Torschluß dieser nicht sehr aufregenden Beschäftigung hingeben.

Die Bar schien bereits geschlossen zu sein, denn der Bartender in seiner weißen Jacke und Schürze, die beide aber deutliche Spuren seiner eben beendeten Geschäftstätigkeit zeigten, stand an dem Officecounter (Ladentisch) und sprach mit dem Eigentümer des Hotels.

»Hello,« rief der letztere, seine verwunderten Blicke auf die beiden Neuangekommenen richtend. »Was bringst du denn hier? Wußte gar nicht, daß dein Zug hier hält.«

»Wir suchen den Friedensrichter, Dick,« entgegnete der Zugführer. »Wer ist es?«

Das unvermutete Erscheinen des Zugführers mit einem indianischen Mädchen hatte unter den wenigen Anwesenden Aufsehen erregt, das sich noch steigerte, als dieser nach dem Friedensrichter fragte.

»Was willst du mit dem Friedensrichter, Frank?« fragte der Hotelbesitzer, der mit dem Zugführer gut bekannt schien – was zu seinem Geschäft gehört – zurück. »Und wo hast du das Mädchen aufgegabelt?«

»Oh, die ist all right,« wehrte der Zugführer einen möglichen ungerechtfertigten Verdacht ab. »Aber sie erzählt, da sind zwei Leute, ein stelzfüßiger Heimstätter, der Craig heißt, und ein Indianer, den sie Regen-ins-Gesicht nennt, die da irgendwo am Qu'Appelle-River es auf einen Mann aus Winnipeg abgesehen haben. Er hat in einer Höhle oder irgendwo Deckung gesucht, und sie schießen auf ihn.«

Minnehaha, die bisher schweigend dabei gestanden, sah, wie der Wirt bei diesem Bericht die Farbe wechselte.

»Wir müssen Hilfe holen, um einen Mord zu verhindern,« fuhr der Zugführer fort, »wenn ich ja auch glaube, daß die Sache nicht ganz so schlimm ist. In Rocanville war niemand zu finden, und ich habe das Mädchen deshalb hierhergebracht.«

»Oh, so einem Indianermädchen kannst du nichts glauben!« rief jetzt der Wirt. »Ich kenne die beiden, die sie meint. Es sind ganz harmlose Jungen, die nicht daran denken würden, jemand zu ermorden. So ein Unsinn! Ich würde mich an deiner Stelle gar nicht mit der Sache befassen, du blamierst dich bloß damit. – Woher weißt du denn, girl, daß die beiden auf einen Menschen schießen und nicht auf einen Bären? Hast du sie gesehen?«

Unter der direkten Anrede fühlte sich Minnehaha doch verpflichtet, das Wort zu nehmen.

»Es ist keine Zeit, Ihnen das zu erzählen,« rief sie, dem Weinen nahe über das neue Hindernis, das sich ihren Rettungsversuchen entgegenstellte, »und es hätte wohl auch keinen Zweck, da Sie ja doch das Recht zu haben glauben, mich als eine Lügnerin hinzustellen, bevor Sie wissen, um was es sich handelt.«

Das reine, klangvolle Englisch, in dem ihre Antwort gegeben war, machte den Wirt augenscheinlich noch mehr betroffen, als die stolze Zurückweisung seiner plumpen Beleidigung.

»Wo, sagst du, daß die Schießerei stattfindet?« fragte er, und seine Gesichtsfarbe hatte sich mehr und mehr in ein aschiges Grau verwandelt.

Die Frage war mit einer solchen Hast und so dringend gestellt, daß sie Minnehahas Verdacht erweckte. Sie erinnerte sich jetzt auf einmal, was ihrem Gedächtnis bisher ganz entschlüpft war, daß ich ihr erzählt hatte, wie ich Regen-ins-Gesicht beim Verkaufe seines Mondscheinwhiskys gerade in diesem Hotel beobachtet hatte. Das schien ihr den Schlüssel zu dem seltsamen Verhalten des Mannes zu liefern.

»Dicht am Flusse, ungefähr fünf Meilen westlich von unserer Reservation,« antwortete sie, es nicht für geraten haltend, ihm die Wahrheit zu sagen, wenn sie sich auch über den Grund, der sie dazu veranlaßte, nicht ganz klar war.

» Well,« mischte sich der Zugführer jetzt wieder in das Gespräch, aber in seiner Haltung augenscheinlich beeinflußt durch die Bemerkungen des Wirtes, »dem Friedensrichter werden wir die Sache doch mitteilen müssen. Er mag dann tun, was er will. Wer ist es?«

»Mr. Russel, der Eisenwarenhändler. Aber er ist nicht daheim. Ist nach seiner Farm gefahren.«

»Ist schon wieder zurück,« warf einer der umhersitzenden Lungerer ein.

»Nein,« widersprach der Wirt eifrig. »Du hast sein Schimmelgespann gesehen – nicht wahr?«

»Ja, und ich denke, ich kenne doch Russels.«

»Es war ein anderes. Du findest Russel nicht daheim, Frank.«

» Well,« entschied der Zugführer, »das endet die Sache, soweit ich beteiligt bin. Ich kann auch mit meinem Zuge nicht ewig hier bleiben. Möchte so schon wissen, was die Kompagnie dazu sagen wird. Good night boys! – Was willst du tun, Mädchen? Willst du mit nach Grayson fahren und dort dein Glück versuchen, oder willst du hier bleiben?«

Minnehaha richtete einen Moment lang ihre Blicke prüfend auf die übrigen Anwesenden, denen die Szene ungeheures Behagen bereitet zu haben schien, wie aus ihrem Grinsen deutlich zu erkennen war. Dann gab sie die Hoffnung auf, hier Hilfe zu finden.

»Ich fahre mit nach Grayson,« sagte sie und verließ, ohne ein weiteres Wort zu sprechen, das Hotel.

Der Wirt mußte hinter ihr eine Bemerkung gemacht haben, denn ein lautes Lachen der Zurückbleibenden schallte ihr nach.

Nach kaum zwei Minuten befanden sie sich wieder in der Kabuse des Zuges, der sich auf ein Laternensignal des Führers sofort in Bewegung setzte.

Seinen Untergebenen teilte der Führer nur kurz mit, daß der Friedensrichter nicht daheim sei. Wenn aber auch sein natürliches Anstandsgefühl ihn veranlaßte, in Gegenwart des Mädchens nichts von den Bemerkungen des Wirtes zu erwähnen, so zeigte sein verändertes Benehmen doch, daß sie nicht spurlos an ihm vorübergegangen waren. Er versuchte nicht mehr, eine Unterhaltung mit ihr zu führen, sondern nahm mit den anderen das unterbrochene Kartenspiel wieder auf.

Minnehaha war es nicht unangenehm, auf diese Weise sich selbst und ihren unruhigen Gedanken überlassen zu sein. Sie Halle ihren Stuhl in eine Ecke gerückt und war darauf niedergesunken, kraftlos und bis zum äußersten erschöpft unter der Furcht, daß jede Minute, die sie hier so nutzlos opfern mußte, mein Leben enden könnte.

Sie begann zu beten, heiß und inbrünstig, wie sie kaum jemals zuvor gebetet hatte.

Es beruhigte sie wunderbar. Hatte die heilige Jungfrau ihre Gebete nicht immer vor den Thron des Höchsten gebracht und ihnen dort Gehör verschafft? Nicht nur Ruhe war es, die das Gebet ihr brachte, sondern Zuversicht, wie sie sie empfunden, als der Blizzard sie überrascht und als der Medizinmann ihres Stammes den Christengott aus ihr austreiben wollte und für seinen Frevel selbst niedergeschmettert wurde, – Zuversicht, daß ich noch am Leben war und daß sie in Grayson die Hilfe finden würde, die eine Kette unglückseliger Zufälle ihr bisher versagt hatte.

Nach kaum einer halben Stunde störte sie ein Pfiff der Lokomotive aus ihrer Versunkenheit auf. Der Zug näherte sich Grayson. Er hatte die Strecke von Esterhazy in einer ungewöhnlich kurzen Zeit zurückgelegt. Es mochte wohl dem Lokomotivführer selbst Vergnügen bereiten, aus seiner Maschine herauszuholen, was sie nur hergeben wollte. Und das Recht besaß er ja dazu, da er auf freier Strecke, wenn kein Personenzug auf dieser das Wegerecht in Anspruch nimmt, durch Geschwindigkeitsvorschriften nicht gebunden ist.

» Well, Mädchen, hier sind wir,« rief der Zugführer, indem er aufstand und seine Karten auf den Tisch warf. »Ich kalkuliere, du mußt dir jetzt selbst helfen. Wir müssen weiter. In Grayson ist eine Station der Mounted Police. Die werden wohl wissen, was sie zu tun haben.«

Er öffnete die Tür und trat, gefolgt von Minnehaha, hinaus auf die Plattform. Der Zug fuhr bereits ganz langsam, und noch ehe er vollständig zum Halten gekommen war, sprang Minnehaha zur Erde, worauf er auf ein Signal des Führers sich sofort wieder in beschleunigte Fahrt setzte.

Der Mond war inzwischen aufgegangen, und das Dunkel hatte sich gelichtet. Die Kälte spürte Minnehaha kaum, obwohl der Atem, sobald er aus der Lunge kam, zu Kristallstaub gefror und in feinen weißen Wolken zur Erde niederschwebte.

Sie hatte die Station verlassen und stand in der Dorfstraße. In keinem der etwa zwei Dutzend Häuser war ein Licht zu sehen.

Wohin sollte sie sich wenden?

Ihr Blick war zur Seite gewandert. Etwas abseits von den übrigen Häusern stand ein Kirchlein, dessen kleiner Turm mit dein Kreuz sich deutlich aus dem Helldunkel der Winternacht abhob.

Ein freudiges Gefühl durchzuckte Minnehaha. Ihr Vertrauen auf die Fürsprache der heiligen Jungfrau hatte sie nicht getäuscht. Hier war die Erhörung ihres Gebetes.

War denn nicht Grayson eine Missionsstation des Oblatenordens? Warum hatte sie das so ganz vergessen gehabt? Dort, das Haus neben der kleinen Kirche mußte das Missionshaus sein, in dem sich die Priester des Ordens aufhalten, wenn sie sich nicht im Missionsdienst in den näheren und entfernteren umliegenden Ortschaften befinden.

Hier war ihr Hilfe sicher. Hier würde man sie nicht als eine Lügnerin bezeichnen, weil ihre Haut rot war.

So schnell sie konnte, legte sie die Strecke nach dem Missionshause, das kaum größer war als die übrigen Häuser des Ortes, zurück.

Atemlos kam sie dort an und hämmerte gegen die Tür. Es dauerte eine geraume Weile, bis ihr andauerndes Klopfen Erfolg hatte. Dann wurde die innere Tür geöffnet, und der Lichtschein einer in der Halle brennenden Lampe ließ durch die Glasscheiben der äußeren Tür eine ältere Frauensperson sichtbar werden, die jetzt auch die äußere Türe des Sturmvorbaues öffnete.

»Was willst du?« fragte sie überrascht, als ihre Blicke in der Mondbeleuchtung auf die junge Indianerin fielen.

»Ist einer der Väter daheim?« fragte Minnehaha atemlos.

»Komm herein!«

Sie schloß die Tür hinter dem Mädchen und prüfte es dann noch einmal mit einem langen verwunderten Blick, in den sich freilich auch etwas von der Säuerlichkeit mischte, die man oft genug bei Personen findet, deren Lebensinhalt aus Theorien besteht. Denn diese Theorien halfen ihr über den Umstand, daß sie durch den späten Besuch im Schlafe gestört worden war, nicht hinweg; dazu bedarf es eines warmen menschlichen Gefühls, das aber nur zu leicht unter Theorien und pedantischen Lebensformeln erstarrt.

Daß einer der Väter in der Nacht zu einem Sterbenden gerufen wurde, geschah wohl nicht selten, und eine Fahrt von fünfzehn bis zwanzig Meilen in der Winterkälte, hinaus auf eine der umliegenden Farmen, war dann nichts Ungewöhnliches. Daß aber ein Indianermädchen hier mitten in der Nacht von irgendwoher erschien, war ebenso seltsam wie der Umstand, daß sie geläufig Englisch sprach.

»Du warst wohl in Lebret?« versuchte die Alte erst ihre Neugierde in dieser Beziehung zu befriedigen.

»Ja, aber sagen Sie mir, ob einer der Väter hier ist?«

»Es sind zwei da, Pater Gabriel und Pater Heß,« war die mit einer stark deutschen Aussprache des Englischen gegebene Antwort.

»Rufen Sie einen, so schnell Sie können!« drängte Minnehaha.

»All right,« erwiderte die Haushälterin, denn das war zweifellos ihre Stellung hier im Hause, indem sie ohne weiteres Zögern die Treppe hinaufschlürfte. Sie war überzeugt, daß es sich um einen Sterbenden handelte, der die heiligen Sakramente verlangte.

Minnehaha hörte, wie sie oben gegen eine Tür pochte und etwas in einer Sprache rief, die sie nicht verstand, von der sie aber vermutete, daß es Deutsch war, da die Mission einem deutschen Orden gehörte.

Es währte nur wenige Minuten, dann stand ein Priester vor Minnehaha, noch beschäftigt, die breite schwarze Schärpe seiner Soutane zuzuhaken und das an einer Schnur von seinem Halse herabhängende Ordenskreuz in diese hineinzustecken.

Er war ein Mann von etwa fünfunddreißig Jahren, mit einem kurz geschnittenen Vollbarte, der ihm in Verbindung mit dem schwarzgeränderten Klemmer, den er trug, mehr das Aussehen eines Marineoffiziers als das eines katholischen Geistlichen gab.

»Was ist los, Mädchen?« rief er.

»Oh, Pater, Sie müssen einem Manne Hilfe bringen, der ermordet werden soll. Ich war schon in Rocanville und Esterhazy, aber es war ganz vergebens.«

Und in Worten, die sich fast überstürzten, erzählte sie ihm alles, was ihm zum Verständnis der Situation nötig war. Sie verschwieg auch nicht, wie sie in ihrer Verzweiflung über all die Fehlschläge, Hilfe zu finden, Zuflucht zum Gebet genommen habe und daß sie sicher sei, daß die heilige Jungfrau sie zu diesem Missionshause geleitet.

»Was sollen wir tun?« fragte der Pater, als sie geendet. »Wir müssen die Polizei in Kenntnis setzen. Das Telephon geht nicht mehr; es ist zu spät. – Bleib hier. Die Haushälterin wird dir eine Tasse Kaffee kochen, während ich die Polizisten wecke. Sie müssen eine Posse zusammenrufen, und du wirst dann wohl mit ihnen fahren müssen, um ihnen den Weg zu zeigen. – Aber sagtest du nicht, der Mann, den sie ermorden wollen, sei ein Arzt aus Winnipeg?«

»Ja, und ich glaube, er kommt aus Ihrem Lande?«

»Dann sollte ich ihn doch kennen. Weißt du, wie er heißt?«

»Dr. Otto Werner.«

»Mein Gott,« rief er aus, »den kenne ich sehr gut.« Und während er noch sprach, fuhr er in seinen Pelz, der in der Halle an einem Haken gehangen hatte, stülpte sich eine warme Mütze über die Ohren, und der Haushälterin noch einige Worte zurufend, verließ er eiligst das Haus.

Es währte fast eine halbe Stunde, bevor er zurück war. Ein großer Kastenschlitten mit einer Anzahl bewaffneter Männer und zwei Polizisten zu Pferde, die vor dem Hause hielten, bewiesen den Erfolg seiner Mission.

»Hast du Kaffee gehabt?« fragte er hastig. »Ja? – gut. Dann steig ein und zeig den Männern den Weg. Gott gebe, daß es nicht zu spät ist!«

Die letzten Worte mußte er bereits hinter dem Schlitten herrufen, der, als Minnehaha noch kaum in ihn hineingeklettert, von einem Gespann kräftiger Pferde gezogen, über die Schneefläche zu sausen begann.

Minnehaha hatte einen Platz neben einem großen breitschultrigen Manne erhalten, der sich ihr als der Friedensrichter zu erkennen gab und sie genau über die Richtung, die sie einzuschlagen hätten, auszufragen begann. Das sonst übliche Schellengeläute hatte man den Pferden natürlich nicht angelegt, und so bewegte sich der Schlitten mit seiner Last, gefolgt von den beiden berittenen Polizisten, ziemlich lautlos über den Schnee.

Sie hatten einige Meilen auf diese Weise zurückgelegt, als sich ihnen aus östlicher Richtung ein leichter Schlitten, ein sogenannter Cutter, näherte, der in kurzer Zeit ihren Weg kreuzen mußte.

»Hello!« rief eine erstaunte Stimme, als der Schlitten dicht herangekommen war. »Wo wollt ihr hin?«

»Bist du das, Dick?« fragte einer aus der Gruppe der Männer um Minnehaha.

»Ja,« schrie der Fremde zurück. »Auf was seid ihr aus?«

»Wir fahren auf die Jagd! Good by!« war die Antwort, und unaufhaltsam sauste der Schlitten vorwärts

Minnehaha hatte die Stimme erkannt. Es war die des Hoteleigentümers aus Esterhazy. Sie wußte jetzt, daß es ein glücklicher Gedanke gewesen war, ihm eine falsche Richtung anzugeben.

Als sie sich nach einer Weile umwandte und zurückschaute, sah sie, wie er seinen Cutter in einem großen Bogen umlenkte und die Richtung, die er gekommen war, wieder zurückverfolgte.

Das Erscheinen der Posse hatte ihm gezeigt, daß das Indianermädchen seine Absichten durchschaut und ihn auf eine falsche Fährte gesandt hatte und daß er jetzt jeden Gedanken, die Genossen seiner nächtlichen Geschäfte vor der ihnen drohenden Gefahr zu warnen, aufgeben mußte. Jetzt war es im Gegenteil wohl die Sorge, wie er seine eigene Haut am besten in Sicherheit brachte, die ihn auf seiner Heimfahrt ausschließlich beschäftigte. Denn daß auch für ihn das Spiel aus war und daß er die weitere Entwicklung der Dinge am zweckmäßigsten aus sicherer Entfernung mit ansah, darüber konnte er sich nicht mehr im Zweifel befinden.

Es war in den frühesten Morgenstunden, als die Posse endlich in der Nähe des dicken Baumes anlangte, den der kleine Stumme Minnehaha beschrieben und der ihr gut genug bekannt war, obwohl ihr niemals der Gedanke gekommen, daß er hohl sei und seine Höhlung in die Erde hineinführe. In einiger Entfernung, gedeckt durch dichte Gebüschgruppen, wurde halt gemacht.

Minnehaha horchte angstvoll in die Nacht hinein, deren Stille nur von dem Brausen des eisigen Windes und einem gelegentlichen Wolfsgeheul unterbrochen wurde, das sie bereits seit dem Augenblicke begleitet hatte, als sie die Prärie verlassen und in das bewaldete Hügelland eingedrungen waren. Nichts anderes war zu hören – kein Schuß!

Waren sie doch zu spät gekommen?

Minnehaha hatte ein Gefühl, als ob sich das Blut in ihren Adern zu Eis verwandele – – Die Ungewißheit war nicht zu ertragen – –

Die Männer hielten im Flüsterton eine rasche Beratung ab. Einer aus der Posse, der Jägerkleidung trug, das heißt, dicke, weißwollene Hosen und ebensolchen Sweater, durch deren Farbe verhindert werden soll, daß etwaige andere sich in der Gegend befindende Jäger ihn hinter Büschen für ein Wild halten und darauf schießen, wurde als Späher ausgeschickt, da seine Kleidung, die ihn auf der Schneedecke fast unsichtbar machte, ihn als besonders geeignet dazu erscheinen ließ.

Nach einer Weile kam er zurück und berichtete, daß das Plateau leer sei, er aber von der Höhe desselben unten in der Schlucht die Gestalten der beiden Verbrecher und einen mit zwei Pferden bespannten Schlitten gesehen habe.

Minnehaha atmete hoch auf.

War das nicht ein Zeichen, daß die Hilfe noch zur rechten Zeit kam? Würden die Verbrecher noch länger hier verweilt haben, wenn sie ihr mörderisches Werk schon vollbracht hätten?

Aber wo befand ich mich?

Die Männer begannen sich jetzt nach verschiedenen Richtungen zu verteilen. Einige wollten sich bis an den Rand des Plateaus schleichen und die Verbrecher mit ihren Gewehren decken, die andern sollten vom Flusse aus die Schlucht betreten und die Gefangennahme bewirken.

Minnehaha wurde bedeutet, in dem Schlitten zurückzubleiben, bei dem außerdem noch eine Wache zurückgelassen wurde, um die Pferde ruhig zu halten. Das hielt sie aber nicht aus. Die Männer hatten sich kaum entfernt, als sie sich aus dem Schlitten schwang und ihnen nacheilte. Da ihr die Gegend gut bekannt war, fand sie einen Abstieg und langte auf dem Flußbett an, noch bevor die Männer es erreicht hatten. Erst allmählich sammelten sie sich am Eingänge der Schlucht, sich aber vorsichtig in Deckung haltend.

Die beiden Verbrecher schienen alles andere eher zu erwarten, als eine Überrumpelung. Selbst ein furchtsames Schnauben der Pferde, welche die Nähe des Menschen witterten, erweckte ihren Verdacht nicht. Sie mochten es wohl auf einen herumstreifenden Wolf zurückführen, der die Tiere beunruhigte.

Als die Gruppe vollzählig war, brach sie, geführt von einem der Polizisten, den gespannten Revolver in der Hand, in die Schlucht hinein.

»Hands up!«

Zu gleicher Zeit krachten von oben zwei Schüsse, um den Verbrechern anzuzeigen, daß sie auch von oben gedeckt seien und jeder Widerstand vergeblich war. Das hatte die beabsichtigte Wirkung. Sie hatten auf dem Rande ihres Schlittenkastens gesessen und waren so vollständig von dem in scharfem Befehlstone ihnen zugerufenen Kommando überrascht und verblüfft, daß sie wie Automaten in eine aufrechte Stellung schnellten und die Arme emporstreckten.

Der Indianer stand in stoischer Ruhe, aber die Augen des Yankees traten fast aus ihren Höhlen, aus seinem plötzlich aschgrau gewordenen Gesicht malte sich tödliches Entsetzen, und seine Glieder zitterten, als ihnen der Polizist zurief: »Im Namen des Königs, ihr seid meine Gefangenen!« und einige andere hinzusprangen und ihnen unter dem Schutze der drohenden Revolver Handschellen anlegten.

»Wo ist der Mann, den ihr ermorden wolltet – oder ermordet habt?« rief der Polizist weiter.

Der Indianer rührte sich nicht.

Der Yankee, der sein Spiel verloren sah, machte eine Bewegung nach dem unterirdischen Gewölbe.


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