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IX.

Ich fuhr plötzlich empor.

Eine kleine Hand hatte leicht meinen Arm berührt, und im Augenblick war ich wach und blickte um mich.

An meinem Lager kniete Minnehaha. Sie war offenbar von der Rückseite in das Tepee gelangt, denn die Zeltwand war dort noch ein wenig verschoben. Das Feuer brannte langsam, genährt durch ein paar kräftige Stämme, die zu seiner Unterhaltung für die Nacht vollkommen ausreichten.

Draußen schien alles noch dunkel zu sein, und ich wußte im Augenblick nicht, ob es spät in der Nacht oder früh am Morgen war.

»Du mußt fort,« sagte sie in englischer Sprache.

Sie schien in großer Erregung zu sein. Ihre Brust hob und senkte sich in hastigen Atemzügen, und auf ihrem Gesicht lag ein rosiger Hauch, der selbst unter der leichten Hautfärbung ihrer Rasse nicht zu verkennen war. Sie war wunderbar schön in diesem Augenblicke. Nie zuvor war mir ihre auserlesene Schönheit so zum Bewußtsein gekommen. Und diese Schönheit wurde nicht im mindesten beeinträchtigt durch den Umstand, daß sie ihre Augenlider mit den langen, wie Seide glänzenden schwarzen Wimpern niedergeschlagen hielt, um meinem Blicke nicht zu begegnen. Es war vergebens. Im Moment meines Erwachens hatte ich einen Blick in diese jetzt verhüllten Augen getan. Einen kurzen Blick nur, denn wie in Verwirrung oder Schreck hatten sich die Augendeckel sofort darüber gelegt. Aber er hatte genügt, mich neben der natürlichen und selbstverständlichen Erregung noch etwas anderes darin lesen zu lassen. Etwas anderes, das ich mir nicht klar machen konnte – und durfte. – –

Ich hatte mich aufgerichtet und nach meiner Uhr gesehen – Es war kaum vier Uhr.

»Well,« entgegnete ich, »ich glaube selbst nicht, daß es noch irgendwelchen Zweck hat, wenn ich hier bleibe. Ich war bereits entschlossen, nach dem Frühstück aufzubrechen. Aber es ist mir lieb, daß du noch einmal gekommen bist –«

»Du verstehst mich nicht,« rief sie dringend. »Du mußt sofort gehen.«

»Was ist los?«

»Regen-ins-Gesicht hat den Stamm gegen dich aufgehetzt. Er hat reichlich Whisky verteilt, und du weißt, wenn ein Indianer betrunken ist, weiß er nicht, was er tut, und ist wie ein wildes Tier. Sie sind alle gegen dich, und ich bin sicher, sie werden dich überfallen, und dann bist du verloren. Bedenke, einer gegen so viele und die meisten davon wild gemacht durch den Whisky!«

»Und wann denkst du, daß sie mir ihren Besuch machen werden?«

»Wer kann das sagen? Vielleicht warten sie bis morgen früh, vielleicht sind sie schon in wenigen Minuten hier.«

»Und was ist aus eurem Fest geworden?«

»Das wurde nicht fortgesetzt. Schi-pi-ku-pi-neß wurde krank.«

»Der Halunke. Er hat sich diesmal in seiner eigenen Falle gefangen.«

»Was meinst du damit?«

Ich erzählte ihr die Umstände, die es gefügt hatten, daß der alte Gauner das mir zugedachte Gift selbst geschluckt hatte. Sie hörte aufmerksam zu, schien etwas verdutzt, da offenbar diese Lösung des Rätsels in die eigene Theorie, welche sie sich darüber gebildet hatte, nicht ganz hineinpaßte, dann aber sagte sie: »Weißt du, es war doch Gott, der das so fügte. Er sieht das Vergangene und Zukünftige und wollte Schi-pi-ku-pi-neß für sein frevelhaftes Beginnen strafen. Deshalb gab er dir den Gedanken ein, die Schalen zu vertauschen.«

Ich hielt es nicht für angezeigt, etwas darauf zu erwidern, sondern fragte: »Warum hast du dich vor mir nicht sehen lassen? Ich bin doch deinetwegen hierhergekommen.«

Sie erschien zerknirscht, schwieg aber.

»Hielt man dich gefangen?«

»Nein.«

»Und du wußtest, daß man den Tanz veranstaltete, um dich von dem christlichen Glauben abwendig zu machen?«

»Ich wußte es, aber das gelingt ihnen nie. Ich verließ mich auf Gott, der alles recht machen würde.«

»Und Regen-ins-Gesicht?«

»Er ist der böse Geist unseres Stammes. Solange er seinen Whisky verteilt, tut jeder, was er verlangt.«

»Das scheint mir auch so. Und weißt du, wo er ihn her hat?«

»Nein.«

»Ich weiß es aber. Er braut ihn selbst zusammen mit einem stelzbeinigen Yankeefarmer namens Jack Craig, der irgendwo in der Nähe eurer Reservation eine Farm hat.«

»Woher weißt du das?«

»Ich habe es in Esterhazy entdeckt, wo sie den Whisky verkaufen und den Erlös dafür zum größten Teil wieder im Kartenspiel an andere Gauner verlieren.«

»Um Gottes willen, das muß verhindert werden,« rief sie erschrocken. »Oh, wenn doch Dead Body hier wäre! Er könnte mir raten, was zu tun ist. Nicht nur, daß Regen-ins-Gesicht den ganzen Stamm mit diesem unseligen Zeug vergiftet, so daß ich fürchte, sie werden nächstens noch alle möglichen Ausschreitungen begehen, sondern wir werden auch, wenn das die Behörden entdecken, sicher bei ihnen noch mehr in Verruf kommen, als es ohnehin – und leider nicht ganz mit Unrecht – der Fall ist. Wir werden dann noch viel mehr zu leiden haben.«

»Ich denke, es wird nur einer zu leiden haben,« erwiderte ich mit Nachdruck, »und das wird Regen-ins-Gesicht selbst sein.«

Draußen fiel plötzlich ein Schuß, dem gleich darauf noch zwei oder drei andere folgten.

Minnehaha fuhr zusammen.

»Komm!« rief sie, »wir haben schon zu lange verweilt.«

»Oh, ich glaube nicht, daß das Schießen viel zu bedeuten. hat,« beruhigte ich sie. »Du weißt, wenn ein Indianer Whisky bloß gerochen hat, fängt er schon an, mit seinem Schießeisen herumzufuchteln.«

»Mag sein; aber eben deswegen dürfen sie dich hier nicht finden. Sie sind zu aufgereizt gegen dich, und es ist ihnen in solchem Zustande ganz gleich, was sie tun! Sie denken an keine Folgen.«

Sie erhob sich bei diesen Worten, faßte meinen Arm, wohl um mir keine Gelegenheit zum Widerspruch zu lassen, und zog mich nach der Rückseite des Tepees.

Es erschien mir jetzt selbst geraten, ihrer Mahnung Folge zu leisten. Vorher wollte ich mich aber wenigstens von der alten Indianerin, die mir Gastfreundschaft gewährt hatte, und ihrem Jungen verabschieden. Der letztere hatte bis jetzt fest geschlafen. Erst bei den Schüssen draußen war er emporgefahren. Die Alte hatte schon während meines ganzen Gesprächs mit Minnehaha wach auf ihrem Lager gesessen und uns beobachtet, ohne aber natürlich zu verstehen, was wir sprachen.

Ich reichte ihr jetzt eine Banknote, die ihr als arme Witwe recht willkommen sein mußte, reichte dann ihr und dem Jungen die Hand und folgte Minnehaha durch die Öffnung in der hinteren Zeltwand, diese hinter mir wieder schließend.

Tiefes Dunkel umgab uns.

»Kannst du ohne Sattel reiten?« flüsterte Minnehaha, indem sie gleichzeitig nach meiner Hand suchte und mich vorwärts zog.

»Ich denke,« erwiderte ich.

»Ich habe zwei Pferde dort im Busch angebunden. Sie gehören Regen-ins-Gesicht. Ich habe sie aus dem Fenz (der Umzäunung) geholt. Aber ich fand keine Sättel.«

»Wozu zwei Pferde? Du willst doch nicht etwa auch die Reservation verlassen?«

»Ich gehe mit dir, bis ich weiß, daß du sicher bist. Ich kenne jeden Fußbreit des Landes hier herum. Sobald du in Sicherheit bist, reite ich zurück und bringe die Pferde wieder in den Fenz.«

»Aber man wird entdecken, daß du mich gewarnt und mir zur Flucht verholfen hast.«

»Was tut das? Vor Gewalttaten bin ich sicher.«

Das langgezogene klagende Geheul eines Wolfes, das von den Wänden der nahen Berge in unheimlichem Echo zurückgegeben wurde, klang durch die dicke Nachtluft. Ein anderes Heulen folgte und wurde ausgenommen wieder von anderen, die sich, aus verschiedenen Richtungen kommend, mit dem ersten mischten.

Noch ehe das Echo verklungen war, fegte ein Windstoß von den Bergen uns entgegen und hob den feingepulverten Schnee in dichten Wolken. Vom Flußbett herauf kam ein anderer Windstoß, und zusammenprallend begannen sie einen wilden Kampf um die Oberherrschaft in der froststarren Landschaft, und während sie kämpften, fegten frische Wolken von Schneestaub, wie von Furien gepeitscht, aus allen Richtungen nach dem Kampfplatz. Aufeinanderstoßend auf ihrem Wege, balgten sie sich untereinander, jede unduldsam gegen die Einmischung der anderen, und ihr Sausen und Pfeifen klang wie das Geschrei einer Horde Nachtgeister.

»Laß uns eilen!« schrie meine Begleiterin mit Anstrengung, um sich in dem Brausen des Windes überhaupt verständlich zu machen. »Die Wölfe sind in der Nähe, und ich fürchte, die Pferde könnten unruhig werden und sich losreißen.«

Sie zog mich weiter hinein in das Dunkel. Bald nahm uns der Busch auf, der in der Nähe des Kamps mit den Bergen zugleich begann, der uns aber in seiner laublosen Kahlheit nur geringen Schutz gegen die Windsbraut und die durch die Nachtluft gepeitschten Schneewolken gewährte.

Ein unruhiges, ängstliches Schnauben zeigte mir an, daß wir in der Nähe der Pferde angelangt waren.

»Quiet, Pat! (Ruhig, Pat) – Be quiet, Dick, old boy!« rief ihnen Minnehaha zu.

Sie kannten wohl die Stimme, denn ein leises Wiehern antwortete ihr.

»Sie sind noch da, Gott sei Dank! – Hier, nimm du den Braunen. Ich nehme den Schimmel, er kennt mich.«

Mit diesen Worten löste sie den Halfter und schwang sich gewandt wie eine Katze auf das eine Pferd, während ich auf das andere kletterte. Ich hatte noch kaum meinen Sitz gefunden, als sie schon beide Pferde antrieb.

»Du brauchst nichts zu tun,« rief sie, »ich führe dein Pferd, denn ich kenne den Weg.«

Und hinein in das dicke Unterholz brachen wir, und die Zweige der Bäume und Sträucher schlugen gegen uns, daß wir beide uns vornüber auf den Hals der Pferde legen mußten.

Soweit ich erkennen konnte, schlugen wir eine Richtung ein, die nordöstlich vom Flußbett abführte.

Nach. einer Weile bogen wir in eine Talsenkung ein. Das Gebüsch wurde weniger dicht, und die Winde, die hoch oben über den Häuptern der Hügel pfiffen, senkten sich nur in einzelnen Stößen auf uns hernieder.

»Wo führst du mich hin, Minnehaha?« fragte ich, denn das Sprechen war jetzt schon wieder ohne zu große Anstrengung möglich.

»Der nächste Weg wäre freilich der Trail nach Rocanville gewesen,« antwortete sie, »aber dort und auf dem Flusse hätten sie zuerst nach uns gesucht. Ich hoffe, sie haben noch nicht entdeckt, daß du den Kamp verlassen hast, und werden uns einen guten Vorsprung lassen.«

»Wie sollten sie uns hier finden während der Nacht?« erwiderte ich. »Sie können unsere Spuren im Gestrüpp nicht sehen, und bevor es hell wird, sind sie vom Winde verweht.«

»Sie haben Hunde,« war ihre Antwort.

»Auch die können ihnen nicht viel helfen,« beruhigte ich sie. »Die Schneedecke zwischen dem Dorf und der Stelle, wo wir die Pferde bestiegen haben, ist unter dem Winde in steter Bewegung, und jede Spur von Geruch, die unsere Füße etwa zurückgelassen haben, ist längst fortgeblasen. Und hier, wo es ruhiger ist, können sie höchstens die Pferdespuren wittern, und die sind ihnen nicht verdächtig.«

Wieder erklang jetzt das langgezogene, jämmerlich klagende Geheul eines Wolfes von irgendwoher aus dem Gebüsch. Es stieg hinauf an den Bergwänden, hinweg über die Wipfel der Bäume, bis das ganze Tal mit seinem schauerlichen Echo erfüllt war. Und den Schrei eines ihres Geschlechts erkennend, kam die Antwort aus den tiefen Kehlen anderer, die, von Hunger gepeitscht, durch den Wald strichen.

Sie klangen näher und näher, bis das Unterholz vor uns knackte und einige lange, geschmeidige, bis auf die Rippen abgemagerte Formen, die sich mit unheimlicher Deutlichkeit aus dem fahlen Abglanz der Schneedecke abhoben, sich durch das Gebüsch bewegten.

Die Pferde waren stehengeblieben und bäumten sich mit aufgeblähten Nüstern und Schaum vor dem Maule hoch auf. Ohne Zügel, denn die Pferde trugen nur den Halfter und einen daran befestigten Strick, an dem Minnehaha das meinige führte, wäre ich fast von dein Rücken meines Tieres herabgeglitten.

Minnehaha drängte ihr Pferd dicht an das meinige heran und legte ihre Hand, wie Schutz suchend, auf meinen Arm.

»Hast du eine Waffe?« fragte sie, und aus ihrer Stimme klang die Furcht.

»Sei ruhig, ich habe meinen Revolver,« entgegnete ich.

Ich war aber weit davon entfernt, selbst ruhig zu sein. Solange wir uns auf dem Rücken unserer Pferde halten konnten, waren wir sicher genug, aber diese gaben jetzt schon Zeichen der lebhaftesten Unruhe von sich, und ohne Zügel hatten wir nur geringe Kontrolle über sie. Wir mußten jeden Augenblick erwarten, daß sie einen entsetzten Sprung tun und uns abwerfen würden.

Und was dann in dem nachtdunklen Busche folgen würde, das gehörte zu den Tragödien, wie sie sich jeden Winter in der schweigenden kanadischen Wildnis abspielen. Denn die kanadischen Wölfe sind einstweilen noch ohne die heilsame Furcht vor dem Menschen, welche deren in der Entfernung tötende Waffen dem amerikanischen Wolfe bereits eingejagt haben.

»Dann vorwärts!« rief Minnehaha, indem sie ihre mokassinbekleideten Füße in die Weichen ihres Pferdes stemmte, ihm mit einem von einem Baume gerissenen Zweige einen Hieb versetzte und gleichzeitig auch das meinige durch einen lauten Anruf vorwärtszutreiben versuchte. »Wir müssen sehen, daß wir freies Land gewinnen, damit sich die Wölfe nicht an uns schleichen können. Sie sind gefährlich dieses Jahr, denn wir haben nicht viel Schnee gehabt, und das Hochwild konnte sich daher meist vor ihnen retten. Wenn der Schnee hoch liegt, haben die Wölfe reichlich Nahrung. Das Wild kann dann nicht entkommen, da es mit seinen dünnen Beinen im Schnee einsinkt, »nährend die Wölfe darüber hinweghuschen. Jetzt sind sie fürchterlich dreist.«

Die Pferde schienen aber unwillig zu jein, vorwärtszugehen. Sie griffen zwar etwas stärker aus, aber sie brachen doch nur zögernd und mit allen Zeichen der Furcht durch das unter ihren Hufen brechende, trockene Buschwerk.

»Halt!« rief ich, indem ich gleichzeitig mein Pferd zum Stehen zu bringen suchte, was mir freilich nicht gelang, da Minnehaha mir etwas voraus war und es am Stricke nachzog. »Ich dulde nicht, daß du auch nur eilten Schritt weiter reitest. Du mußt zurückkehren, und zwar sofort. Du kannst es jetzt noch ohne Gefahr tun. Aber vor uns scheint es von Wölfen zu wimmeln. Die Rudel der ganzen Gegend scheinen sich hier ein Stelldichein gegeben zu haben.«

»Und du?«

»Sorge dich nicht um mich. Ich werde sehen, wie ich mit ihnen fertig werde. Schlimmstenfalles finde ich irgendwo einen Baum, auf dem ich bis zum Anbruch des Tages sicher bin. Die Bestien sind nur in der Dunkelheit gefährlich. Ich würde es mir niemals vergeben, wenn du meinetwillen in Gefahr kämst.«

»Woher weißt du, daß die Gefahr hinter uns nicht ebenso groß ist wie vor uns? Wir sind ungefähr drei Meilen geritten. Die Wölfe scheinen überall umherzustreifen, und anstatt einer Gefahr zu entgehen, würde ich vielleicht gerade in sie hineinreiten. Ich gehe auf keinen Fall zurück, bevor ich dich in Sicherheit weiß. Wir haben nur noch zwei Meilen bis zu einem kahlen Hügel, der den Wölfen keine Deckung gewährt. Dort kannst du sie mit deinem Revolver abhalten. Hast du genug Patronen?«

»Patronen genug, aber es handelt sich um das Laden.«

»Dann vorwärts. Unsere Sicherheit hängt von unserer Schnelligkeit ab. Kein Wort mehr!«

Ich war noch nicht zufriedengestellt, trieb aber doch mein Pferd an. Daß der Rückweg für Minnehaha nicht ohne Gefahr war, ließ sich nicht leugnen. Aber ich konnte ihr meinen Revolver geben, damit sie, wenn die Wölfe sie überfielen, das Begleitpferd erschießen und ihnen als Beute lassen konnte. Das hätte ihr sicher Zeit gegeben, den Kamp zu erreichen. Es setzte aber voraus, daß sie imstande war, sich auf dem Pferde zu halten, und nicht etwa bei den zu erwartenden Sprüngen desselben abgeworfen wurde, was trotz der Leichtigkeit und Geschmeidigkeit, mit der sie sich darauf hielt, keineswegs ausgeschlossen war.

Es war jedoch unmöglich, ihr das bei den unsicheren Bewegungen der Pferde und unter den häufigen Windstößen, die uns die Worte vom Munde wegbliesen und sie in den Schneewolken zerstäubten, auseinanderzusetzen. Und schließlich war die Gefahr vor uns in der Tat nicht größer als hinter uns, mit dem einzigen Unterschiede, daß wir hier immer weiter in die Wildnis hineinjagten, während im andern Falle ein Ritt von drei Meilen sie in Sicherheit gebracht hätte.

Schweigend stürmten wir dahin, die Pferde mit gespitzten Ohren und fliegenden Mähnen, ängstlich schnaufend und sich jedesmal entsetzt aufbäumend, wenn zwischen den Baumstämmen hindurch gelbglühende Augen leuchteten und dunkle, langgestreckte Körper mit kleinen, spitzen Ohren und hervorstehenden Rippen sich durch die Büsche stahlen.

Unsere Augen hatten sich vollständig an die Dunkelheit gewöhnt, und der Widerschein der weißen Schneedecke war genügend, um diese Nachtgestalten unheimlich deutlich zu machen.

Und sie kamen näher und näher. Wohl ein Dutzend waren um uns herum. Die Pferde zitterten, – bockten, – bäumten –

»Stop, Minnehaha!« schrie ich, als eben ein besonders dreister Wolf einen Sprung auf den Rücken meines Pferdes gewagt hatte, durch einen Hufschlag desselben aber heulend in das Gebüsch zurückgeworfen worden war.

Ich war vom Pferde geglitten, bevor meine Begleiterin noch verstand, was ich beabsichtigte; denn sie trabte mit beiden Pferden noch eine Strecke weiter, während ich meinen Revolver schußfertig machte.

Dann knallten in rascher Aufeinanderfolge drei Schüsse. Drei von den heulenden Stimmen schwiegen, und drei Körper lagen dicht beieinander auf dem Schnee. Ja, ich hatte gut gezielt. Das war aber auch nötig gewesen, und sie waren mir nahe genug gekommen, um mir das nicht allzuschwer zu machen.

Ohne mich einen Augenblick lang aufzuhalten, lief ich vorwärts nach der Stelle, wo Minnehaha mit den Pferden hielt, und schwang mich auf.

»Vorwärts jetzt!« rief ich. »Das wird uns wohl für eine Zeitlang Ruhe geschafft haben.«

Und wir trieben die Pferde wieder an, während ich mühevoll mit den in der grimmigen Kälte steifgefrorenen Fingern die abgeschossenen Patronen durch neue ersetzte.

»Noch eine Meile!« rief Minnehaha.

Drei der Wolfsstimmen hatte ich zum Schweigen gebracht, aber ein Dutzend anderer wurden laut. So dreist wie diese Nacht hatte ich die Bestien noch kaum gesehen. Aber der Blutgeruch war in der Luft, der Geruch, der ihre Begierde reizte. Und sie witterten ihn mit in die Luft gestreckten Mäulern, vor denen der Schaum stand, und die heißen, glühenden Zungen leckten die Lippen. In großen Sätzen sprangen sie nach der Stätte, wo eine Mahlzeit für ihre hungrigen Leiber bereitet war, wütend mit den andern kämpfend, die bestrebt waren, sich ihren Anteil zuerst zu sichern. Den Tod fürchteten sie nicht, aber den Hunger, denn der ist schlimmer als der Tod.

Die Augen der Pferde glühten in das Halbdunkel vor uns hinein. Sie sahen dort keine Wölfe und griffen aus mit langen Schritten und Sprüngen, unbekümmert um den Weg und unbekümmert darum, ob sie ihre Beine im Stachelgebüsch blutig rissen.

Nach einer Weile lichtete sich der Wald, und die Gegend wurde sandig und kahl.

Vor uns lag ein Hügel, nur an wenigen Stellen mit einigen kümmerlichen Sträuchern bewachsen.

Minnehaha streckte den Arm aus und deutete darauf hin.

Das war also unser Ziel, die Festung, von der aus ich eine Meute hungriger Wölfe bekämpfen sollte! Nun, sie bot wenigstens den Vorteil einer offenen Landschaft, die den Buschwölfen niemals recht geheuer vorkommt, – wir waren vor hinterlistigem Beschleichen geschützt, und es war hier beträchtlich heller, so daß ich ohne Schwierigkeit mein Ziel finden konnte, wenn sich das als nötig erweisen sollte.

Als wir die Höhe des Hügels erreicht hatten, sprangen wir ab.

»Halte du die Pferde!« wandte ich mich an meine Begleiterin. »Ich werde sehen, daß ich die Wölfe vertreiben kann.«

Ich entfernte mich etwas von der Spitze des Hügels, um den Kampf, der sich in den nächsten Minuten entspinnen mußte, nicht in zu großer Nähe der Pferde zu führen. Die Wölfe stahlen sich auch schon näher. Die Mahlzeit, die ich ihnen verschaffte, hatte nicht lange vorgehalten. Aber sie waren entschieden vorsichtiger und hielten oft an, um ihr traurig klagendes Geheul in die Luft zu senden. Ein besonders verwegenes Biest von kolossaler Größe kam bis auf zwanzig Schritt an mich heran, setzte sich in den Schnee lind fletschte die Zähne.

Ich richtete meinen Revolver auf ihn. Im nächsten Augenblicke sprühte der Feuerstrahl aus seinem Laufe, und der Knall des Schusses peitschte durch die Morgenluft.

Die Bestie wälzte sich in ihrem Blute, und nach einem Augenblicke furchtsamer Zögerung stürzte sich die Horde der übrigen auf sie, und bald war ihr Körper nichts als eine Masse blutiger, dampfender Fleischstücke, um die sie sich mit grimmiger Wut stritten.

Und wieder und wieder drückte ich meinen Revolver ab, bis ich alle sechs Schuß verbraucht hatte. Ich hatte kaum nötig, zu zielen, denn die Bestien bildeten einen Knäuel, in dem eine Kugel stets ihr Ziel fand.

Schnell leerte ich die Kammer und setzte neue Patronen ein, deren Kugeln den anderen mit gleich tödlicher Wirkung folgten.

Es war ein Kampf, der auch das verhärtetste Gemüt mit Abscheu erfüllt hätte. Die Luft sättigte sich in einem Übelkeit erregenden Grade mit Blutgeruch und Pulverdampf, und in die Schüsse mischten sich die Todesschreie und das Triumphgeheul der Rotte, wenn ihr wieder ein neues Opfer zur Stillung ihres rasenden Hungers geliefert wurde.

Der Mond, dessen Sichel ohne Leuchtkraft am Himmel gestanden, hatte längst seinen Meridian passiert und sank in die Baumwipfel, die sich im Westen als schwarze Schatten aus der Dunkelheit abhoben. Ein fahler, ganz fahler Schimmer im Osten verkündete den anbrechenden Morgen.

Ich hatte meinen Revolver noch einmal geladen und abgeschossen, und es waren nur wenige Wölfe übriggeblieben, die es vorzogen, mit den Kadavern ihrer Kameraden, die noch kurz zuvor mit ihnen auf der Streife gewesen waren, sich in das schützende Dunkel des umgebenden Gebüsches zurückzuziehen.

In diesem Augenblick hörte ich einen Ruf von Minnehaha.

»Schnell!« rief sie. »Ich höre Pferdestampfen. Man hat deine Schüsse gehört und weiß jetzt, wo wir sind. Wir müssen fort.«

Sie saß bereits auf dem Pferde, und ich schwang mich auf das meinige.

»Wohin?« rief ich, denn sie hatte die Pferde schon in entgegengesetzter Richtung angetrieben.

»Wir dürfen nicht weiter in den Wald hinein,« erklärte sie atemlos, während wir den Hügel hinabtrabten. Er war flach genug, daß wir das den Pferden zumuten konnten. »Sie würden unsere Spuren finden und verfolgen, denn es wird bald hell werden. Wir müssen uns nach dem Flusse wenden. Dort in der ausgetretenen Fahrbahn kann man einzelne Spuren nicht so leicht sehen. Wir reiten einige Meilen auf dieser Bahn entlang, bis wir irgendwo abbiegen können.«

Der Wald hatte uns inzwischen wieder aufgenommen, und wir brachen durch ihn hindurch dem Flusse zu. Um ihn zu erreichen, waren wir gezwungen, unsern Weg in schräger Richtung wieder eine Strecke zurück zu verfolgen, so daß wir, als wir nach etwa einer halben Stunde das Flußufer erreichten, kaum eine Meile in gerader Richtung von dem Indianerdorfe entfernt waren.

Unsere Verfolger mußten unsere Abbiegung bemerkt haben, denn sie waren uns auf den Fersen. Wir konnten in der Ferne das Stampfen von Pferdehufen und einen gelegentlichen in den eigentümlichen, hohen Kehltönen der Indianer ausgestoßenen Kriegsruf vernehmen. Das bewies zugleich den Zustand, in dem sich wenigstens ein Teil von ihnen befinden mußte, denn sich einem Verfolgten auf diese Weise bemerkbar zu machen, widersprach so sehr den Instinkten ihrer Rasse, daß sie es in nüchternem Zustande sicher vermieden hätten.

Wir hatten unsere Pferde jetzt in Galopp versetzt und flogen über die Schneedecke des Flusses, über die ich erst vor zwei Tagen zu Fuß gewandert war.

Den Pferden schien der Weg bekannt zu sein, denn sie bedurften kaum eines Antriebes, und mein Brauner wieherte verständnisvoll, als sei ihm jetzt das Ziel unseres nächtlichen Ausfluges völlig klar. Er drehte den Kopf nach dem an seiner Seite galoppierenden Schimmel, um ihm diese Feststellung mitzuteilen.

Bald kamen wir an der Stelle vorüber, wo ich von dem Kamme des Hochplateaus aus nach dem Flußbett abgestiegen war Eine halbe Meile weiter trat das Ufer an dieser Seite plötzlich eilte Strecke zurück, und als wir diese Stelle erreicht hatten, bogen unsere Pferde ganz von selbst um einen Felsenvorsprung, der sich hier kulissenförmig und parallel mit dem Ufer in den Fluß hineinschob und so gewissermaßen einen Seitenarm von diesem abtrennte.

Die dadurch entstandene Einbuchtung war kaum hundert Schritt lang, und die Pferde kamen, ohne daß wir ihnen ein Zeichen dazu gegeben hätten, hier zu einem so plötzlichen Halt, daß wir fast über ihre Köpfe geflogen wären.

Wir sprangen ab.

»Das ist merkwürdig,« sagte ich, »die Pferde scheinen den Weg hierher zu kennen. Aber wir sind wohl in eine Sackgasse geraten, denn soviel ich sehen kann, macht der Fluß hier nur eine Einbiegung, und der Weg führt nicht weiter.«

Es war dunkler hier als draußen auf dem Flusse, aber nicht dunkel genug, um mich nicht erkennen zu lassen, daß wir hier ringsum von Bergwänden eingeschlossen waren. Zu irgendeiner Zeit und aus irgendwelchen Ursachen war hier eine Abspaltung der vorderen Bergwand erfolgt, die nur nach dem Flusse zu eine Öffnung aufwies. Die Wände waren nicht sehr hoch, aber mit dichtem Gebüsch bewachsen, wie das Ufer hier überhaupt.

»Es ist kein Zweifel, wir sind in eine Sackgasse geraten,« wiederholte ich. »Die dummen Tiere haben uns schön angeführt. Wir müssen wieder zurück und haben nur unnütz Zeit verloren. Komm, laß uns weiterreiten!«

»Halt!« rief das Mädchen, indem sie ihre Hand auf meinen Arm legte. »Ich habe einen Gedanken. Du bleibst hier. Du kannst von hier aus leicht die Uferhöhe ersteigen. Aber warte damit, bis unsere Leute vorüber sind, damit sie nicht etwa durch das Brechen von Zweigen oder Abbröckeln von Steinen auf dich aufmerksam gemacht werden.«

»Und du?«

»Ich reite mit beiden Pferden weiter. Sie haben uns noch nicht gesehen und werden mich bei den Krümmungen, die der Fluß macht, auch noch eine ganze Weile lang nicht sehen. Sie folgen einfach den Hufschlägen, und wenn ich sie weit genug von hier fortgelockt habe, biege ich nach der andern Seite des Flusses ab. Das Land wird dort allmählich flach, und ich reite in einem großen Bogen nach dem Kamp zurück.«

»Sie würden dich aber vorher einholen.«

»Das ist möglich. Aber was schadet's? Sie entdecken dann einfach, daß sie überlistet worden sind, ohne daß sie eine Ahnung davon haben, wohin du ihnen entkommen bist. – Du mußt dich von hier aus nördlich wenden, dann kommst du nach Tantallon, denn es wird nicht ratsam sein, daß du nach der Höhle zurückgehst. Hier ist ein Beutel mit Pemmican – wir machen ihn jetzt von Moosefleisch, seit die Büffel nicht mehr da sind. Ich habe ihn mitgenommen, weil ich nicht wußte, wie lange unser Ritt dauern würde. Du wirst ihn brauchen können, denn du hast einen Weg von fünfzehn bis zwanzig Meilen vor dir.«

»Und du willst nach dem Kamp zurück?«

»Du bist in Sicherheit, wenn unsere List gelingt,« war ihre mit unsicherer Stimme gegebene Antwort.

»Das meine ich nicht. Ich habe nur ein Gefühl, als ob ich dich nicht zurückgehen lassen sollte. Du gehörst nicht mehr zu den Leuten dort – bist ihnen fremd geworden und kannst dich unter ihnen nur unglücklich fühlen.«

»Meine Welt ist dort, – die deinige da! –« antwortete sie, und ihre Stimme schien allen Klang verloren zu haben.

Dabei zeigte sie zuerst in der Richtung nach dem Kamp, dann machte sie mit dem Arm nach der entgegengesetzten Seite eine halbkreisförmige Bewegung, als wollte sie ein großes Gebiet anzeigen.

»Good by.«

Sie zog die Kapuze ihres Mantels dichter über ihre Augen, schwang sich auf ihr Pferd und galoppierte, das andere am Stricke mit sich führend, auf das Flußbett hinaus.

Ich stand und blickte ihr nach – – – – – stand auch dann noch, als die Dunkelheit längst die Umrisse ihrer Gestalt in sich aufgenommen hatte –

Sie hatte recht – – –

Ihre Welt lag dort in der engen Reservation – die meinige war die weite, weite Erde Gottes da draußen und die große Gesellschaft der Weißen. –

Was hatten diese beiden Welten miteinander zu tun?


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