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XI.

»Hello!« rief eine rauhe, heisere Stimme, die ich sofort als die des Stelzbeinigen erkannte.

Ob er eine Antwort hierauf erwartet hatte oder nicht, konnte ich nicht erraten; aber sein Anruf sollte jedenfalls seinem indianischen Freunde und Genossen, falls sich dieser etwa hier befand, jede Besorgnis über die Person des Näherkommenden nehmen. Ohne Zögern stapfte er denn auch in das Gewölbe hinein.

»Verdammte Rothaut,« sprach er halblaut, aber keineswegs in gereiztem Tone vor sich hin, als ihm wahrscheinlich ein Rundblick und das Ausbleiben einer Antwort aus seinen Ruf belehrt hatten, daß sein Genosse sich nicht hier befinde. »Dachte, er wäre hier.«

Eine Weile war dann alles ruhig, aber ein kräftiger Tabaksgeruch, der bis in meine Ecke drang, deutete darauf hin, daß er sich wahrscheinlich irgendwo niedergelassen hatte, um gemütlich seine Pfeife zu rauchen. Ich konnte mich offenbar auf ein langes Warten gefaßt machen, da seine Worte hatten erkennen lassen, daß er Regen-ins-Gesicht hier zu treffen gedachte. Daß man mich in meinem Versteck entdeckte, war fast unausbleiblich, obwohl ich mich dicht in die Ecke drückte und mein Gesicht in dem Kragen meiner Pelzjacke verborgen hatte, so daß nur meinen Augen ein freier Gesichtswinkel blieb.

Es handelte sich hauptsächlich darum, ob die beiden sich mit den Fässern zu schaffen machten. Geschah es, so mußten sie mich unfehlbar entdecken, und ich konnte mich nur auf die Überlegenheit verlassen, die mir mein schußbereiter Revolver verlieh. Geschah es aber nicht, so war eine Möglichkeit vorhanden, daß ich unentdeckt blieb. Jedenfalls schien mir aber ein vermutlich stundenlanges Ausharren auf meinem Posten bevorzustehen, unter der fortgesetzten Nervenspannung, mit der ich die kleinste Bewegung der beiden mit Auge und Ohr zu überwachen hatte. Jeder Schritt, den sie taten, konnte die Entdeckung meiner Anwesenheit bringen.

Dann kam es lediglich darauf an, wer zuerst schußfertig war, und in dieser Beziehung hatte ich den Vorteil auf meiner Seite. Voraussetzung hierbei war allerdings, daß mich inzwischen nicht etwa die unausgesetzte Nervenfolter, mit der ich jeden Augenblick einer Entscheidung entgegensehen mußte, die vielleicht erst nach Stunden und vielleicht überhaupt nicht kam, veranlaßt hatte, in meiner Wachsamkeit, wenn auch nur auf Augenblicke, nachzulassen. Denn dann konnte ich auf das in solchen Fällen immer übliche »Jagdpech« rechnen, das die Dinge immer gerade in einem Augenblicke zur Entscheidung bringt, wo man nicht darauf vorbereitet ist.

Es handelte sich also um ein Ringen zwischen meinem Willen und meinen Nerven. In dem Augenblicke, wo jener seine Kontrolle über diese verlor, blieb mir nichts mehr übrig, als die Entscheidung selbst herbeizuführen. Ich durfte es nicht geschehen lassen, meinen Gegnern den, wenn auch nur sekundenlangen, Vorteil der zuerst schußfertigen Waffe zu gewähren. Mein Tod bedeutete zuviel für sie, darüber mußten sie sich klar sein in dem Augenblicke, in dem sie meine Anwesenheit hier entdeckten.

Andererseits, wenn ich ihnen zuerst meinen schußfertigen Revolver unter die Nase halten konnte, lag die Möglichkeit vor, daß sie sich nicht erst in einen nutzlosen Kampf einließen. Der Befehl »Hands up!«, unterstützt durch eine gespannte Waffe, hat eine wunderbar überredsame Kraft, welche die Hände meist ganz automatisch emporfahren läßt.

Freilich war selbst in einem solchen Falle das Spiel, da ich es mit zwei Gegnern zu tun hatte, noch immer ein ungleiches, und ich war mir noch keineswegs darüber klar, was der weitere Verlauf der Dinge sein würde. Das beunruhigte mich einstweilen aber nicht. Im gegebenen Augenblicke würde ich schon wissen, was ich zu tun hatte. Mir vorher Pläne zu machen, deren Ausführung doch meist durch veränderte Umstände verhindert wird, hatte ich längst verlernt.

Das beste war jedenfalls, noch vor Ankunft des Indianers den Stelzfuß unschädlich zu machen. Dann blieb nur noch der Indianer, und einem gegenüber hatte ich alle Vorteile in der Hand. Stricke, den Yankee zu binden, hatte ich vorhin herumliegen sehen, und wenn ich ihn knebelte, war er verhindert, seinem Genossen eine Warnung zuzurufen.

Eben war ich im Begriffe, diesen Gedanken zur Ausführung zu bringen, als draußen ein lautes »Hello!« ertönte, worauf der Stelzfuß mit dem gleichen Ruf antwortete.

Es war zu spät.

Kaum eine Minute darauf betrat ein weiterer Besucher das Gewölbe. Ich konnte ihn zwar nicht sehen, erkannte ihn aber an der Stimme als Regen-ins-Gesicht.

»Na, kommst du endlich?« rief der Yankee ihm entgegen. »Charley, mein Freund, du verdammte Rothaut, ich kann dir sagen, wenn du mit einer Schildkröte eine Race laufen würdest, ich würde, Gott verdamm mich, auf die Schildkröte wetten! Oder hast du so lange geschlafen? Freilich, 's ist erst Mittag vorüber. Übrigens, wenn du noch nicht ausgeschlafen haben solltest, kann ich dir hier ein weiches Lager für deine zarten Glieder zurechtmachen.«

»Mebbiso, Regen-ins-Gesicht sein nicht so langsam wie faule Yankee,« entgegnete der Indianer mürrisch. »Mebbiso, ich haben nicht geschlafen gar nicht.«

»Wo hast du dich herumgetrieben?« fragte der Stelzfuß trocken.

Der Indianer beachtete die Frage aber gar nicht, sondern bemerkte nur: »Mich haben dir was zu sagen, Mebbiso.«

»Dann also, Mebbiso, los damit. Auf was wartest du denn, zum Henker!«

»Setz dich.«

»Ist das absolut notwendig?«

»Wie du wollen.«

Der Indianer hatte sich ein Faß neben den Feuerherd gerollt, und der Yankee machte sich daran, ein Feuer anzuzünden. Seine Pfeife aus der Tasche langend und, nachdem er sie aus einem recht modernen Tabaksbeutel gefüllt, in Brand setzend, blies der Indianer erst eine ganze Weile graue Rauchwolken vor sich hin, bevor er wieder das Wort nahm. Der Stelzfuß schien mit dieser Gewohnheit seines Freundes vertraut zu sein, denn er drängte ihn nicht zum Reden, sondern erhob sich, nachdem er das Feuer in Vorbereitung zu ihrer Destillationsarbeit zu hellen Flammen angefacht hatte, eine Kiste in die Nähe seines Kumpans, auf die er sich niedersetzte.

»Du wissen weißen Mann, was war in Esterhazy?« ließ sich Regen-ins-Gesicht endlich vernehmen.

»Welchen weißen Mann?«

»Du mir nicht erzählen, du ihn getroffen auf Trail?«

»Oh, den Hund meinst du? Was ist los mit ihm?«

»Haben sein bei uns in Kamp.«

»Hoffentlich hast du ihn merken lassen, daß die Luft in eurem Kamp seiner Gesundheit nicht zuträglich ist.«

»Wir wollten ihn teeren und federn, aber Minnehaha ihn haben sagen, junge Männer von Reservation wild von viel Haufen Whisky, ihn wollen aufhängen. Er dann reiten fort heimlich in Nacht.«

»Das ist ja recht interessant. Teeren und federn also wolltet ihr ihn? Schade, daß er kalte Füße bekam und davonrannte. Aber du scheinst mir noch mehr zu sagen zu haben. Also laß uns nicht von hinten anfangen, sondern von vorn, wie es guten Christenmenschen geziemt, besonders wenn sie Heiden sind, wie ihr verdammten Rothäute.«

Der Indianer schien diesen Beschimpfungen den Wert beizumessen, den sie offenbar verdienten, nämlich keinen; denn er begann zu erzählen, wie er mich im Kamp gefunden hatte, wohin ich gekommen wäre, um Minnehaha nachzustellen. Dann schilderte er unser Zusammentreffen hinter der Lodge und wie er darauf seine Freunde zusammengerufen habe, um mich zu überfallen, wie sie mich dann, nachdem sie meine Flucht entdeckt, verfolgt hätten und von Minnehaha überlistet worden seien. Mir gab dieser Bericht wenigstens Beruhigung darüber, daß die junge Indianerin sich in Sicherheit befand. Aus der weiteren Unterhaltung erfuhr ich dann noch, daß Regen-ins-Gesicht und seine Bande noch den ganzen Vormittag nach mir gesucht hatten und daß er dann endlich hierhergekommen war, um eine Verabredung mit dem Stelzfuß einzuhalten.

» Well,« erklärte der letztere, als der Indianer in seinem Bericht soweit gelangt war, »diesmal ist er entwischt. Wenn er uns noch einmal über den Weg läuft – –«

»Wenn – –« wiederholte der Indianer mißbilligend.

»Mebbiso, uns besser nicht warten auf das.«

»Was meinst du?«

»Mebbiso, du denken nicht, ich erzählen dir bloß zur Unterhaltung,« erwiderte Regen-ins-Gesicht, indem er nachdenklich ins Feuer spuckte.

» Well, ich dachte mir wohl, daß das Beste noch kommt, denn Unterhaltung schlägt nicht in dein Fach. Also was ist es? Heraus damit!«

»Ihm wissen zuviel von Whisky hier.«

»Teufel!« fuhr der Yankee jetzt erschrocken auf. »Hat er unsere Brennerei hier entdeckt?«

»Mich nicht wissen, wieviel ihm weiß. Ihm gehen zu Schi-pi-ku-pi-neß und sagen, du müssen nicht machen Minnehaha Squaw von Regen-ins-Gesicht, sonst ich sagen Sheriff, daß Regen-ins-Gesicht haben Haufen Whisky, und Sheriff dann, Mebbiso, er finden aus, wo Whisky herkommt.«

»Damn it!« fluchte der Stelzfuß. »Das wird Ernst, und es wird Zeit, daß wir uns nach einem derben Strick für ihn umsehen, denn mit Teeren und Federn ist's nicht mehr getan. Immerhin, aus dem, was er gesagt hat, geht nach nicht hervor, daß er unsere Fabrik hier entdeckt hat.«

»No,« meinte der Indianer trocken, »geht nur vor, daß ich Haufen Whisky an Indianer verschenkt und Mebbiso – ein Jahr – zwei Jahr Gefängnis.«

»Warum bist du aber auch so leichtsinnig damit umgegangen? Ich habe es dir immer gesagt, du solltest vorsichtig sein. Aber du hörst ja nicht. Und wenn ich genau wüßte, daß die Sache damit zu Ende wäre, möchte ich sagen, die ein oder zwei Jahre Gefängnis könnten dir gar nichts schaden.«

»Du reden wie dummer Yankee.«

»Und du handelst, wie ein noch dümmerer Indianer,« gab der Stelzfuß das Kompliment zurück. »Wenn Dummheit weh täte, würdest du schreien, daß man's in den Felsengebirgen hörte. – Aber bist du auch sicher, er weiß nichts davon, daß du den Whisky selbst fabrizierst? Denn daß ich dabei bin, kann er ja nicht wissen.«

Der Indianer, den ich recht gut von meinem Versteck aus beobachten konnte, zuckte die Achseln.

»Wer können wissen. Er haben gesagt, Sheriff werden wohl finden, wo Whisky herkommt.«

»Das kann das eine und auch das andere bedeuten. Aber es sieht aus, als ob er nicht glaubt, daß du ihn gekauft hast. Und es wäre schon schlimm, wenn die Polizei den zehnten Teil von dem erfährt, was sie gern, wissen möchte. Wenn wir sie erst mal auf unserer Fährte haben, müßten wir wenigstens ein ganzes Jahr still liegen, denn sonst hätten wir sie hier drin, bevor wir den Krempel hier beseitigen können. Damm it! Ich würde es ohnehin nicht tun, solange ich nicht bestimmt weiß, daß es nötig ist, denn ich habe nicht Lust, mir die schwere Arbeit, die uns das Ausgraben dieses Loches hier verursacht hat, von solch einem hergelaufenen Bluffer wegstehlen zu lassen. Wir müssen den Kerl finden, Charley, my boy! Es steht zuviel für uns auf dem Spiele. Weit kann er noch nicht sein, und sicher hat er den Weg nach der Eisenbahn eingeschlagen. Du mußt noch einmal deine Leute sammeln, old chap, und an der ganzen Eisenbahnlinie entlang suchen lassen. Irgendwo muß er zum Vorschein kommen.«

»Und dann?«

»Dann,« erwiderte der Yankee, und ein bestialisches Grinsen flog über die an sich schon brutalen Züge seines roten Gesichts. »Dann soll's ihm gehen, wie dem Detektiv von Regina, der uns vor drei Jahren – oder sind's schon vier? – ich weiß heute noch nicht, wie, hier entdeckt hatte.«

»Toter Mund nicht reden,« erklärte der Indianer philosophisch.

»Er wollte besonders schlau sein,« fuhr der Yankee fort, »und uns hier ganz allein beschleichen. Hatte wohl irgendwo Mondscheinwhisky gerochen. Und ich sage dir, Charley, old boy, wenn ich ihn nicht oben im Walde unversehens erwischt hätte, wie er im Grase lag und spionierte, säßen wir heute nicht hier, sondern in Prince Albert und nähten Postsäcke. Well, wir haben's ihm eingetränkt. Es hat mich zwar mein Bein gekostet, denn er war verdammt fix mit seinem Revolver, und die Doktoren hier sind Esel, die weiter nichts können, als einen in Stücke schneiden, – je mehr desto besser. Aber er hat dafür büßen müssen. Es war deine Idee, ihn nackt dort unten in der Andreaskreuzform auszuspannen, damit ihn die Moskitos langsam zu Tode quälten. Ihr Indianer versteht das ausgezeichnet, das muß euch der Neid lassen.«

»Moskitos waren schlimm damals.«

» You bet, they were! Und der Kerl sang, daß man's meilenweit hören konnte. Mir ist's, als ob ich sein Geheul heute noch hörte. Er brüllte ja stundenlang, und ich hatte richtig Angst, daß er uns jemand mit seinem Brüllen auf den Hals locken würde. Das hatte aber damals noch keine Gefahr. Heute wäre es anders. – Dem haben wir sein Spionieren gründlich verleidet. Für den Deutschen mußt du etwas ähnliches erfinden. Der soll zum zweitenmal seine Nase nicht wieder in Dinge stecken, die ihn nichts angehen. Dein Vorrat von solchen kleinen Marterkunststücken ist hoffentlich noch nicht erschöpft. Im Notfall weiß ich auch noch einige.«

Sein Blick, geleitet von einer zufälligen Bewegung des Kopfes, richtete sich in diesem Augenblicke in die Ecke, in der ich mein Versteck gefunden hatte, und ich hätte darauf schwören mögen, daß er mich trotz der Dunkelheit, die hier herrschte und die ihm von seinem Platze am hellen Feuer aus noch viel tiefer erscheinen mußte, gesehen habe. Ich hatte deutlich einen unbeschreibbaren Ausdruck, wie von Schreck und Überraschung, über sein Gesicht fliegen sehen – aber nur für einen Augenblick, dann war es ruhig wie zuvor in seiner typischen Roheit, die ungehindert zur Erscheinung kam, da er nur einige kurze Stoppeln als Bart trug.

Ich mußte mich aber doch getäuscht haben. Vielleicht war es nur ein Widerschein der spielenden Flammen gewesen, die unter dem Kessel tanzten und an dessen schwarzen Wänden hinaufleckten, denn er fuhr ruhig in seiner Unterhaltung mit dem Indianer fort.

Das war also die Lösung des Rätsels. Diese beiden Schurken hatten den gräßlichen Mord begangen, an den ich unter den Aufregungen der letzten zwei Tage schon gar nicht mehr gedacht hatte. Und in ihrer vertierten Brutalität brachten sie es fertig, sich seiner heute noch mit Befriedigung zu erinnern, während mir schon das Anhören dieser entsetzlichen Enthüllungen einen eisigen Strom durch die Nerven sandte. Das Herz schien mir stillzustehen, wenn ich an die unerhörten Qualen dachte, die das unglückliche Opfer dieser Schurken unter den beiden Martern ausgestanden haben mußte, während schon eine einzige in den langjährigen Indianeraufständen hingereicht hatte, das Herz auch des Tapfersten schwach zu machen.

Freilich, der eine war ein Indianer, und für ihn mochten derartige Martern nicht ganz den Charakter des Bestialischen haben, den die verrohte Natur des Yankees ihnen ganz uneingeschränkt und ohne jeden mildernden Beiklang verlieh. Für den Indianer sind derartige Qualen nur Prüfungen des Mutes, die ein Krieger in dieser oder jener Form selbst bestehen mußte, bevor er von seinem Stamme als solcher anerkannt wurde.

Die Sonnentänze, auch Dursttänze genannt – nach ihrer indianischen Bezeichnung Ni-pa-qua-si-mun, die in der Übersetzung lautet »Tag und Nacht tanzen, ohne den Durst zu löschen«, sind nicht ohne Grund so berüchtigt. Bei den Stämmen, die in der Nähe der Städte wohnen und die mit den Untugenden und Lastern der Weißen auch mehr und mehr deren Gebräuche annehmen, ist der Sonnentanz aus der Mode gekommen. Bei den entfernter wohnenden Stämmen, die mit auffälliger Zähigkeit an ihren Sitten und Gebräuchen festhalten, findet er aber immer noch statt Sie sind die hauptsächlichste Zeremonie der Indianer. Die Gemüter der Teilnehmer an dieser Feierlichkeit werden durch Fasten, Musik und unaufhörliches Tanzen bis zur Fieberhitze entflammt, wozu der Anblick der oft unglaublichen Martern, die sich die jungen Männer des Stammes zwecks Erlangung der Kriegerwürde und des Titels »Tapferer« auferlegen, nicht wenig beiträgt.

Gewisse Formen dieser Martern sind fast immer die gleichen, bilden gewissermaßen einen Rekord, den jeder zu erreichen oder noch besser zu schlagen versucht. Jeder hat das Recht, sich die Marter, der er sich zu unterziehen gedenkt, selbst zu wählen. Es wird nur verlangt, daß sie nicht in einer plumpen und zwecklosen Verstümmelung des Körpers besteht, sondern daß er seine Erfindungsgabe spielen läßt, eine recht lange währende Marter, die das Interesse der Zuschauer in unausgesetzter Spannung hält, zu ersinnen.

Eine der schlimmsten, zugleich aber auch zu häufigsten geübten Mutproben besteht darin, daß der Anwärter auf den Titel »Tapferer« sich zwei etwa zwölf Zentimeter lange und einen halben Zentimeter dicke Holzspeiler durch das Muskelfleisch seines Rückens stecken läßt, nachdem der Medizinmann mit einem langen Messer die nötigen Löcher vorgebohrt hat. Die Enden dieser Holzspeiler werden dann durch dünne Lederriemen miteinander verbunden, und durch die auf diese Weise entstandene Schlinge wird der Zügel eines möglichst temperamentvollen Pferdes geführt, das er nunmehr versuchen muß, nach dem inneren Hauptpfosten des Versammlungshauses zu leiten.

Gewöhnlich beginnt er damit, das Pferd um den Kamp herumzuführen und die Kreise immer enger zu ziehen, bis sich das Tier an den Lärm der Trommeln und den Gesang gewöhnt hat und es zuletzt seinem Führer durch die weite Eingangsöffnung in die Lodge hinein folgt. Das ist aber keineswegs immer eine einfache Sache. Oft genug werden die Pferde unruhig und versuchen, davonzulaufen. Nur wenn sie den Führer gut kennen und gewöhnt sind, ihm überallhin zu folgen, werden ihm unnötige Qualen erspart bleiben. Freilich hat er dann auch nicht gerade seinen Titel »cum laude« (mit Auszeichnung) gewonnen.

Und während den Yankee nur seine Verrohung zu dem scheußlichen mit dem Indianer zusammen verübten Verbrechen trieb, hatte der letztere wenigstens den mildernden Umstand der Tradition für sich, die dem tapfersten Feinde die größten Martern auferlegt, nicht aus kleinlicher Rache, sondern im Gegenteil aus Achtung für seinen Mut.

Wenn dieser Indianer aber auch wirklich um einige Grade weniger verroht und verkommen sein mochte als der Yankee, wovon ich aber noch keineswegs überzeugt war, die Vorstellung, daß Minnehaha, dieses so fein empfindende, mit den feinsten Instinkten des Lebens und Empfindens ausgestattete junge Wesen, als Squaw an der Seite eines Verbrechers und Rohlings leben sollte, hatte etwas ungemein Abstoßendes für mich und verursachte mir fast ein körperliches Unbehagen, wie wenn man ein widerwärtiges, schleimiges Gewürm berührt. Aber es war ja jetzt zu Ende, und er selbst hatte mir die ärgste Waffe gegen sich in die Hand gegeben. Freilich, schon dafür, daß er überhaupt seine unreinen Gedanken und Wünsche auf ein Geschöpf wie Minnehaha hatte richten können, hätte ich ihm am liebsten eine Kugel durch den Schädel gejagt, und ich mußte tatsächlich achtgeben, daß mein Finger nicht unversehens den Drücker berührte.

Die beiden hatten ihre Unterhaltung fortgesetzt, und besonders der Yankee erging sich in Schilderungen dessen, was er jedem antun würde, der es sich etwa einfallen lassen sollte, seine Nase zu tief in seine Angelegenheiten zu stecken.

Dann erhob er sich und blickte in den Kessel.

»Come on, Charley!« sagte er. »Das Wasser ist heiß. Zeit, laß uns an die Arbeit gehen.«

Durch eine kleine Lücke in den aufgestapelten Fässern konnte ich jede seiner Bewegungen beobachten und sah daher, wie er eine in der Nähe liegende Stange ergriff und diese durch den Bügel schob, an welchem der Kessel aufgehangen war.

»Noch nicht sein heiß Wasser,« widersprach der Indianer.

»Was so eine Rothaut davon versteht!« grunzte Mr. Craig mißbilligend. »Ich sage dir, wenn du vor zwei Minuten hier hineingefallen wärst, könnte ich dich jetzt schon als Ragout verspeisen. Faß an!«

Das letztere war in scharfem Befehlstone gesprochen, von dem es mich wunderte, daß der Indianer sich ihn ruhig gefallen ließ, der ohne weiteres das andere Ende der Stange ergriff und mit seinem Kumpan den Kessel aus dem Haken hob. In demselben Augenblicke glitt aber die Stange dem Yankee aus den Händen, der Kessel stürzte in das Feuer, das unter dem ausströmenden Wasser verlöschte, und durch die Dampfwolken und die augenblickliche Dunkelheit zischte ein Feuerstrahl, und der Knall eines Schusses wurde in donnerndem Echo von den Wänden des Gewölbes zurückgegeben.

Der Stelzfuß, das mußte ich anerkennen, besaß eine ungewöhnliche Gewandtheit mit der Waffe, denn er hatte so gut gezielt, daß seine Kugel sicher meinen Kopf nicht verfehlt hätte, wenn ich nicht, seine List im Augenblicke durchschauend, mich niedergeworfen hätte, noch bevor er seinen Revolver hatte hervorreißen und abdrücken können, obwohl das nur einen kurzen Moment erfordert hatte.

Der durchtriebene Bursche hatte mich also doch gesehen gehabt. Da er aber erkannte, daß er durch meine Waffe bedroht war, hatte er mit einer unglaublichen Selbstbeherrschung sofort jedes Zeichen des Schreckens und der Überraschung unterdrückt und war, als habe nicht das geringste den Gleichmut seiner Seele gestört, in der Unterhaltung mit seinem Freunde fortgefahren, hauptsächlich wohl, um Zeit zum Ausdenken einer List zu gewinnen, durch die er sich den alles entscheidenden Vorteil der Überraschung sichern könnte.

Der Indianer hatte mich offenbar nicht gesehen gehabt und zunächst die von dem Yankee beabsichtigte List mit dem Wasserkessel nicht begriffen, bis ihn der ihm in scharfem Tone zugerufene Befehl davon in Kenntnis setzte, daß sich etwas Ungewöhnliches ereignet hatte, das er zwar noch nicht verstand, demgegenüber es aber das beste war, sich dem Willen seines Freundes ohne Widerspruch zu fügen.

Das Echo des Schusses war noch nicht verhallt, als auch schon mein Revolver krachte. Die Dampfwolken waren noch viel zu dicht und das bißchen Licht, das durch den hohlen Baum fiel, zu unbestimmt, als daß mir ein genaues Zielen möglich gewesen wäre. Ich mußte aber meinen Gegnern zeigen, daß meine Waffe schußfertig und ich entschlossen war, den nötigen Gebrauch davon zu machen.

»Fein!« rief der Stelzfuß irgendwo hinter den Dampfwolken. »Kapitaler Schuß! Gerade durch das Schienbein meines Holzfußes. Noch ein halbes Dutzend solcher Schüsse, und ich werde mich langsam nach einem geeigneten Aste für ein neues Bein umsehen müssen.«

Eine ganze Füsillade, an der sich, der Anzahl der Schüsse nach, auch der Indianer beteiligte, folgte jetzt. Die Kugeln hatten nicht Zeit, den eigentümlich pfeifenden und durch alle Nerven gehenden Ton zu erzeugen, der im Kampf aus die Kombattanten stets eine so eigentümliche psychologische Wirkung ausübt, sie zu wahnsinniger Wut reizt und alles Gefühls der Menschlichkeit beraubt, der häßlicher, widerwärtiger und gefürchteter ist, als selbst eine tödliche Verwundung. Die Entfernung war zu kurz dazu. Die Kugeln schlugen mit einem hohlen »bang« meist in meine Barrikade leerer Fässer oder auch in die Erdwand des Gewölbes.

Die Absicht, welche die beiden Schufte mit dieser wilden Schießerei verfolgten, war nicht schwer zu durchschauen. Neben der Möglichkeit, daß einer der blind abgefeuerten Schüsse doch sein Ziel erreichte, kam es ihnen wohl hauptsächlich darauf an, mich durch ihren wütenden Angriff zu einem raschen Verbrauch aller sechs Schüsse meines Revolvers zu veranlassen, um sich, bevor ich ihn wieder zu laden vermochte, auf mich zu stürzen.

Dieses Spiel wollte ich ihnen aber verderben. Blind darauf los zu feuern, hatte für mich nicht den geringsten Sinn. Meine Gegner konnten sich dieses Vergnügen, wenn sie es als solches betrachteten, eher leisten, da der eine immer ein paar Schüsse übrig behalten konnte, bis der andere wieder geladen hatte. Ich begnügte mich damit, die abgeschossene Patrone geräuschlos durch eine neue zu ersetzen und mich gut in Deckung zu halten, und hatte mir vorgenommen, nur dann zu schießen, wenn ich ein Ziel sah und mich die dringendste Gefahr nötigte, von diesem letzten Mittel der Selbstverteidigung Gebrauch zu machen.

Wenn ich die Barrikade leerer Fässer hier als Deckung bezeichne, so war sie aber weit davon entfernt, als solche vollkommen zu sein. An mehreren Stellen wies sie Lücken auf, die auch meinen Gegnern nicht verborgen geblieben waren, denn nachdem es ihnen klar geworden, daß ich meine Patronen für den richtigen Moment aufsparte und es für sie keinen Zweck haben konnte, die leeren Fässer mit Blei zu füllen, begannen sie, durch diese Öffnungen hindurchzuschießen und zwar augenscheinlich von allen Richtungen aus, beim einmal schlug eine Kugel durch meinen Ärmel, obwohl ich seitwärts von der Lücke stand. Daß ich noch keine ernste Verwundung davongetragen, war der reinste Zufall, denn die schräg einfallenden Schüsse ließen mir kaum genügenden Raum zur Deckung, und hätte die in meiner Ecke herrschende Finsternis mich nicht völlig unsichtbar gemacht, so wäre ich von ihren Kugeln sicher erreicht worden.

Lange war dieser Zustand nicht auszuhalten. Aber noch bevor ich mir die Frage beantwortet hatte, in welcher Weise ich ihn ändern wollte, ließ das Schießen nach und hörte nach einigen vereinzelten Schüssen, die immer weiter entfernt klangen, ganz auf.

Ich wußte nicht recht, was ich daraus machen sollte. Hatten sie die Rollen vertauscht, sich hinter einer Deckung oder in einem Versteck verborgen, bis ich aus meinem Winkel hervorkommen und ihnen das gewünschte Ziel für ihre Schüsse bieten würde? Ein solcher Plan wäre gar nicht so dumm gewesen. Sie hätten dabei wieder alle Vorteile auf ihrer Seite gehabt, konnten gemächlich in ihrer Bewachung abwechseln und mich durch Müdigkeit und Hunger schließlich zwingen, meine Deckung zu verlassen und mich ihren Kugeln auszusetzen.

Ich horchte eine Weile. Nichts regte sich. Die Ruhe war beinahe noch unheimlicher als das wilde Schießen vorher.

Einige Blicke, die ich vorsichtig durch die Lücken zwischen den aufgestapelten Fässern warf, die mir aber freilich nur den Ausblick auf ein beschränktes Gesichtsfeld boten, ließen mich nichts erkennen. Das Gewölbe war überdies noch reichlich mit Pulverdampf angefüllt, und da von der Decke her noch kaum Licht entfiel, so war es unmöglich, irgendeinen Gegenstand zu erkennen.

Die Sache mußte ein Ende nehmen. Zum mindesten mußte ich ausfinden, ob sich meine Gegner noch hier befanden, oder ob sie etwa im Begriff waren, irgendwelche andere List zur Anwendung zu bringen. Das konnte nur geschehen, indem ich meinerseits eine List gebrauchte. Meine Auswahl davon war nicht groß, oder, um ganz genau zu sein, eine Auswahl besaß ich überhaupt nicht. Es blieb mir nur die eine, trotz ihrer häufigen Anwendung aber noch häufig erfolgreiche List, mich meinen Gegnern zu zeigen. Selbstverständlich nicht in Person. Ich entledigte mich deshalb meiner Pelzjacke, rollte sie zusammen und schob sie langsam und mit offensichtlicher Vorsicht an der Fässerwand vor.

Das Dunkel in der Höhle war nicht so dicht, daß der sich langsam vorschiebende Gegenstand hätte unsichtbar bleiben können, aber doch dicht genug, die Täuschung wirksam zu machen.

Obwohl ich darauf vorbereitet war, einen Schuß zu hören, fuhr ich doch zusammen, als plötzlich eine laute Detonation von der Decke her erfolgte und ein Ruck meiner Pelzjacke mich belehrte, daß eine Kugel sie durchschlagen.

Einer der Schützen hatte also den Baum oben auf dem Plateau erstiegen, um von hier aus sein Ziel zu erreichen, und die Höhlung des Baumes hatte den Knall des Schusses in einer Weise verstärkt, daß er einer Explosion gleichkam. Fast zu gleicher Zeit dröhnten aus dem Zugang zu dem Gewölbe zwei weitere Schüsse, die ich durch eine der Lücken in der Fässerbarrikade mit zwei oder drei Schüssen beantwortete.

Die Situation war jetzt wenigstens insofern geklärt, als ich festgestellt hatte, daß sich meine Gegner nicht mehr in dem Gewölbe befanden. Günstiger hatte sich meine Lage dadurch kaum gestaltet, aber es war schon ein Vorteil, den Standort meiner Feinde zu kennen. Allerdings konnte ich kaum berechnen, wie groß der Zirkel war, den der auf dem Baume sitzende Schütze mit seiner Waffe zu bestreichen in der Lage war. Und es begann jetzt Schüsse von dort zu regnen. Ich hörte die Kugeln um mich herum einschlagen. Von irgendwelchem Zielen konnte dabei natürlich keine Rede sein, denn der Pulverdampf mußte die ganze Höhlung des Baumes ausfüllen und dem Schützen, welcher von den beiden Halunken es auch sein mochte, jeden Einblick in das Gewölbe unmöglich machen.

Hätte ich es wagen können, einen Schuß hinaufzufeuern, so wäre ich meines Zieles ziemlich sicher gewesen. Ich durfte mich aber nicht in den Schußbereich wagen. Es wäre Unverstand gewesen, in meiner Lage irgend etwas zu riskieren. Was immer ich tat, mußte unter vollkommener Deckung geschehen. Ich begnügte mich daher, einige Kugeln in den Zugang zu dem Gewölbe zu jagen. Dort konnte ich hoffen, ein Ziel zu finden, und hatte sogar vor meinem Gegner den Vorteil eines engbegrenzten Schußfeldes voraus. Ich nahm aber darauf Bedacht, für alle Fälle immer wenigstens drei Schüsse in meinem Revolver zu behalten und die abgeschossenen Patronen durch neue zu ersetzen, bevor ich weiterfeuerte.

Eine Zeitlang tauschten wir auf diese Weise Schuß um Schuß, worein sich wie ein dumpfdröhnender Rhythmus in regelmäßigen Pausen das Krachen von oben her mischte. Dann wurde es in dem Gange still, während die Schüsse von oben schneller folgten. Hatte eine meiner Kugeln etwa ihr Ziel erreicht? Ich hatte keinen Schrei gehört, nicht einmal einen Fluch, und ohne einen solchen wäre es sicher nicht abgegangen, falls ich meinen Gegner nicht etwa sofort getötet. Ich hatte angenommen – denn sicher würde er mir nicht mehr Schießfläche bieten, als unbedingt erforderlich war – daß er in dem Gange auf dem Bauche lag und hatte deshalb auch niedrig gezielt. Es war also keineswegs unwahrscheinlich, daß ihm eine meiner Kugeln den Schädel durchbohrt und nicht Zeit gelassen hatte, sich von der Welt mit einem Fluche, der ihm wohl am nächsten gelegen hätte, zu verabschieden.

Das mußte sich bald genug entscheiden.

Es entschied sich aber keineswegs so schnell, wie ich erwartet hatte. Eine endlose Viertelstunde verstrich. Es war inzwischen ganz dunkel in dem Gewölbe geworden. Eine unheimliche Stille herrschte, nur hin und wieder durch einen gelegentlichen Schuß von oben unterbrochen.

Dann endlich hörte ich draußen einen Ruf, ohne aber entscheiden zu können, ob er vor der Höhle oder auf dem Uferplateau ausgestoßen worden war. Ich glaubte, die Stimme des Stelzfußes zu erkennen, konnte aber die Worte nicht verstehen.

Dem Rufe folgte ein Geräusch am Stamme des hohlen Baumes. Offenbar kletterte der Schütze dort von seinem Sitze in der Baumkrone herab.

Diese günstige Gelegenheit benutzend, sprang ich aus meinem Versteck hervor nach dem vorderen Teil des Gewölbes und stellte mich neben den Eingang. Es war mir jetzt klar, daß meine Kugeln ihr Ziel verfehlt hatten, und die beiden Schufte waren sicher dabei, irgendeine neue Teufelei zur Anwendung zu bringen. Wenn diese aber auch ihre Rückkehr nach dem Gewölbe mit einschließen sollte, so konnte ich ihnen das von meiner jetzigen Stellung aus gründlich verleiden. Eine lange Zeit verstrich, ohne daß sich etwas ereignete. Eine Stunde verging – vielleicht auch zwei. Freilich war es mir mehr erschienen, als ob es Ewigkeiten seien. Es mußte wohl schon nacht sein. Bisher hatte die Nervenspannung der letzten Stunden mich weder Hunger noch Müdigkeit fühlen lassen. Als aber jetzt Viertelstunde um Viertelstunde mit tödlicher Langsamkeit verstrich, legte sich nach der vorigen durchwachten Nacht die gruftähnliche Stille um mich wie Chloroformnebel auf meine Sinne.

Mehrmals fuhr ich erschrocken zusammen, als ich und) dabei ertappte, daß mir die Augen zugefallen waren und ich stehend, gegen die Wand gelehnt, in Schlaf zu sinken im Begriff stand.

Ein Geräusch im Gange schreckte mich plötzlich auf. Jede Spur von Müdigkeit war im Augenblicke verschwunden. Es war so dunkel in dem Gewölbe, daß ich es wagen konnte, mich ein wenig vorzuneigen und in den Gang hineinzublicken. Die Finsternis dort war kaum weniger dicht, aber an seinem Ende leuchtete der Schnee mit einer unbestimmten Helle durch den laublosen Busch, der den Eingang verbarg. Die Eingangsöffnung hätte sich somit ziemlich klar in meinem Gesichtsfeld abzeichnen müssen. Sie war aber um mehr wie die Hälfte durch einen großen Gegenstand ausgefüllt, der sich, wie ich jetzt beobachten konnte, in dem Gange vorwärtsbewegte. Welcher Natur dieser Gegenstand war, vermochte ich nicht zu erkennen, und auch seine genaue Form konnte ich in der Dunkelheit nicht ausmachen.

Rasch entschlossen drückte ich meinen Revolver zweimal auf ihn ab, hauptsächlich, um mir einige nähere Aufklärung über ihn zu verschaffen.

Ein heiseres Lachen hinter ihm beantwortete meine Schüsse.

»Damn you!« grölte der, der hinter ihm lag oder kauerte und ihn augenscheinlich als Deckung für sein Näherkommen benutzte. »Jetzt will der Kerl sogar noch meine wollenen Decken totschießen! Und ich habe sie so nett zusammengerollt.«

Es mochte sich hier in der Tat um ein Bündel wollener Decken handeln, die aber nach der Größe zu urteilen, mit Schnee oder irgendeinem andern Material angefüllt waren, um eine ausreichende Schutzwehr zu bilden. Es war mir nur unbegreiflich, warum die beiden Schufte die Höhle erst verlassen hatten, wenn sie doch jetzt so umfangreiche Vorbereitungen nicht scheuten, wieder hineinzugelangen.

Von oben durch den hohlen Baum krachten jetzt wieder Schüsse, die verrieten, daß der Indianer den Posten dort wieder eingenommen hatte. Das zwang mich, meinen Platz am Eingänge des Gewölbes zu verlassen, da dieser nicht nur von den Kugeln erreicht werden konnte, sondern diese hauptsächlich dorthin gerichtet waren, unverkennbar in der Absicht, mir das Verbleiben dort unmöglich zu machen.

Ich hatte mich in eine Ecke zurückgezogen, vorher aber noch einen Schuß auf das Bündel Decken abgegeben, obwohl dieser kaum irgendwelchen Erfolg haben konnte und ich außerdem mit meiner Munition sparsam umgehen mußte, da meine Patronen durch den Kampf mit den Wölfen und die hier bereits abgegebenen Schüsse nahezu aufgebraucht waren.

Ein seiner Energie nach zu urteilen recht aufrichtig gemeintes »Damn you!« antwortete meinem Schuß, und es wollte mir fast scheinen, als habe meine Kugel diesmal ihr Ziel nicht ganz verfehlt.

Es blieb mir nichts anderes übrig, als in meiner Ecke die Entwickelung der Ereignisse untätig abzuwarten. Daß meine Gegner keineswegs ein Betreten des Gewölbes beabsichtigten, war mir durch die Rückkehr des Indianers auf seinen Posten in der Baumkrone klar geworden. Aber was beabsichtigten sie?

Eine geraume Zeit verging, ohne daß ich das Rätsel lösen konnte. Das Bündel wollener Decken war nicht weiter gerollt, sondern mußte nah am Eingang des Gewölbes liegen geblieben sein. Aus dem Gange tönten fortwährend Geräusche. Mister Craig war dort anscheinend mit etwas beschäftigt, für das ich keine Erklärung hatte.

Und während der ganzen Zeit krachten in längeren oder kürzeren Pausen die Schüsse des Indianers.

Plötzlich sah ich einen Feuerschein aus dem Gange in das Dunkel des Gewölbes hineinleuchten, und ein Knistern wie von brennendem Holz bewies, daß ich mich nicht geirrt hatte. Ein lautes: »Hello! Charley!« von selten des Stelzfußes mußte gleichzeitig für den Indianer das Signal sein, jetzt heftiger zu feuern; denn seine Schüsse krachten in rascherer Aufeinanderfolge, um mich zu verhindern, mich der Mündung des Ganges zu nähern und etwa das Feuer zu löschen.

Der Zweck des Schutzwalles, den sich der Yankee mit Hilfe von wollenen Decken – der Schlitten des Indianers, von dem sie wohl stammten, stand vermutlich draußen in der Schlucht – konstruiert hatte, war jetzt erklärt. Er hatte dem Stelzfuß Gelegenheit geben sollen, gedeckt durch ihn, in dem Gange ein Feuer anzuzünden, um mich auszuräuchern, oder besser gesagt, im Rauche umkommen zu lassen.

Die lange Zeit, die zwischen seinem Verlassen der Höhle und dem Wiedererscheinen verstrichen war, hatte er zweifellos benutzt, um ausreichende Mengen von qualmerzeugendem Material herbeizuschleppen. In dem fahlen Lichtschein, der über den Ballen wollener Decken hinweg in das Gewölbe hineinleuchtete, konnte ich auch bereits dicke Qualmschwaden bemerken, die aus dem Gange hereinquollen.

Und ich mußte in meiner Ecke stehen und alles ruhig und untätig mit ansehen, denn die Kugeln des Indianers hinderten mich an jedem Versuch, das Feuer zu löschen.

Die Luft des Gewölbes war an sich schon dick durch den Pulverdampf und legte sich jetzt, als sich ein geradezu mephitischer Qualm mit ihr mischte, immer schwerer und beißender auf meine Atmungsorgane. Solange der Gang aber offen blieb und der hohle Baum einen Abzugsschacht bildete, konnte mir der Qualm nur lästig, aber nicht gerade gefährlich werden. Freilich konnte ich mich mit Sicherheit darauf verlassen, daß die beiden Schurken in ihrer Durchtriebenheit diesen Umstand nicht übersehen und geeignete Maßnahmen dagegen treffen würden. Bereits machte mich ein bestimmtes Geräusch am äußeren Ende des Ganges darauf aufmerksam, daß der Yankee draußen beschäftigt war, diesen mit Schnee zu füllen, um den Abzug des Qualmes nach dieser Richtung hin zu verhindern.

Die Atmosphäre in dem Gewölbe wurde jetzt nahezu unerträglich, da durch den verminderten Luftstrom auch der Abzug durch den hohlen Baum geringer wurde. Das Atmen wurde immer schwerer, die Augen schmerzten, und mehrmals versuchte die Lunge in krampfhaften Hustenanfällen den eingedrungenen beißenden Qualm wieder auszustoßen.

Ich mußte irgend etwas tun, die Sache zu ändern, denn von Zeit zu Zeit schienen sich bereits meine Sinne zu umnebeln, und ein Gefühl unsäglichen Übelseins kroch durch alle meine Nerven. Wasser! Ich mußte Wasser haben, um mir einen feuchten Umschlag auf das Gesicht zu legen und die Atmungsluft durch diesen zu filtrieren.

Die Schüsse von oben hatten aufgehört. Ich hätte auch nicht mehr danach gefragt, denn ich mußte mir auf jede Gefahr hin Erleichterung verschaffen. Als ich in der Finsternis nach der Tonne suchte, in welcher ich am Morgen das unter Wasser stehende und zum Aufweichen bestimmte Korn gefunden hatte, geriet ich, ohne mir dessen recht bewußt zu sein, nach der Mitte des Gewölbes und fühlte hier plötzlich, wie Wolken von fein zerstäubtem Schnee von der Decke herabschwebten und kühlend mein heißes Gesicht berührten.

Jetzt wußte ich, warum das Schießen von oben aufgehört hatte. Der schuftige Indianer war beschäftigt, die Öffnung in dem hohlen Baume mit Schnee zu schließen, dem er wahrscheinlich eine Unterlage von Ästen und Zweigen gegeben hatte.

Ich mußte lachen über die Teufelei, mit der sie jetzt ihr eigenes Werk unwirksam machten. Zu gleicher Zeit war ich mir aber unklar bewußt, daß dieses Lachen keineswegs das Resultat eines kühl abwägenden Verstandes, sondern von Sinnen war, über die ich allmählich meine Herrschaft zu verlieren begann.

Der Indianer hatte jetzt allerdings jeden Abzug des Qualmes verhindert, mir aber auch gleichzeitig die Freiheit meiner Bewegung in dem Gewölbe zurückgegeben.

Im Nu war ich in dem Gange, riß das Bündel mit den Decken heraus, das bereits von dem dahinter brennenden Feuer in Brand gesetzt worden war und unter Entwickelung stinkender Dämpfe langsam weiterglimmte, und trat, wie von einer Art Wahnsinn ergriffen, darauf herum.

Dabei war ich dem dahinter angelegten und hauptsächlich durch Pferdedünger genährten Feuer so nahe, daß mich der davon ausgehende Qualm fast erstickte. Rein automatisch, wie in einem Taumel und einem Willen gehorchend, der nicht mein eigener zu sein schien, sprang ich nach der Tonne zurück, als ich sah, daß mir das Austreten des Feuers nicht gelingen wollte, und schöpfte mit den hohlen Händen Wasser, das ich in das Feuer spritzte.

Zehnmal – zwanzigmal – ich weiß nicht wie oft, wiederholte ich das in wahnsinniger Eile und in halber Bewußtlosigkeit, während die Lunge schmerzhaft nach Atem rang, das Blut in den Schläfen hämmerte, es in den Ohren brauste wie Sturmwind – – und plötzlich alles zu Ende war – und ich zu Boden stürzte


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