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II.

Wäre die rotbraune Hautfärbung nicht gewesen, man hätte die junge Indianerin für eine Angehörige der kaukasischen Rasse halten können, denn ihrer Gesichtsbildung fehlte der gewöhnliche Typus der Indianerrassen mit den breiten, wie Ecken hervorstehenden Backenknochen und der platten Nase. Der Schnitt des Gesichtes war zierlich und regelmäßig, und sie sah aus wie eine plötzlich zum Leben erweckte Bronzefigur einer griechischen Schönheit, ein Eindruck, der noch durch das keineswegs indianisch hartsträhnige, sondern weiche und wellige Haar verstärkt wurde.

Jetzt lag freilich ein Ausdruck des Schmerzes auf diesem überraschend anziehenden Gesicht.

»Mein Fuß,« sagte sie in englischer Sprache und mit einer überaus wohlklingenden Stimme. Sie machte eine Bewegung mit dem Fuße, der aber sofort ein leises Stöhnen des Schmerzes folgte, und ich begann ohne Zögern, den pelzgefütterten Mokassin aufzuschnüren und vorsichtig abzustreifen.

Ein kleiner, wohlgeformter Fuß kam zum Vorschein, der aber am Knöchelgelenk eine beginnende Schwellung zeigte und in einer etwas schiefen Stellung zum Unterschenkel fixiert war. Ich begann zu untersuchen, was aber trotz aller Vorsicht die ich dabei anwandte, nicht ohne wiederholtes schmerzhaftes Stöhnen abging. Gebrochen war der Fuß offenbar nicht, aber aus dem Gelenk gesprungen, und ich machte mich sofort daran, ihn wieder einzurenken, was mir auch mit zwei oder drei energischen Drehungen, die von einem deutlichen Knacken, aber auch von einem herzhaften Schrei aus dem Munde der jungen Indianerin begleitet waren, gelang.

»Du hast deinen Fuß verrenkt,« erklärte ich ihr dann, mich ebenfalls der englischen Sprache bedienend, »aber die Sache ist jetzt wieder in Ordnung. Freilich, ein paar Tage wirst du hier bleiben müssen, bis er wieder ganz heil ist.«

Ich nahm dann etwas Whisky und begann das Gelenk vorsichtig zu massieren, was ihr augenscheinlich große Erleichterung brachte. Dann legte ich mit Hilfe eines in zwei Stücke gerissenen Handtuches, da mir das ganze für diesen Zweck zu groß erschien, einen nassen Umschlag um das Gelenk, den ich warm bedeckte, und wandte mich dann der jungen Indianerin wieder zu.

»Well, wie fühlst du dich jetzt?«

»Besser, viel besser.«

Nachdem ihre Augen dann noch eine Weile forschend auf mir geruht hatten, fügte sie hinzu: »Ich kenne dich.«

»Du kennst mich?«

»Ja, du bist Dr. Werner aus Winnipeg. Ich habe deinen Namen gehört, als du in Lebret warst, vorigen Sommer.«

Es war richtig. Lebret ist eine Missionsanstalt des Oblaten-Ordens mit einem angrenzenden kleinen Nonnenkonvent und einer Erziehungsanstalt für Töchter katholischer Ansiedler, sowie einer Schule für indianische Kinder beiderlei Geschlechts, die hier nicht nur in den Elementarfächern, sondern auch die Mädchen in den Haushaltungskünsten und die Knaben in allen möglichen Handwerken unterrichtet werden. Ich war im Sommer dort gewesen, um meinen Freund, Baron von Amerhorst, zu besuchen, der früher preußischer Offizier war, dann aber die schmucke Uniform des Dragonerleutnants mit der Soutane des Oblaten-Ordens vertauscht hatte und sich in Lebret auf seine demnächstige Priesterweihe vorbereitete.

Wir hatten unsere Mahlzeiten in dem allgemeinen Speisesaal, zusammen mit den indianischen Zöglingen, eingenommen. Für die Patres und zwei oder drei Ordensbrüder war auf einem Podium eine besondere Tafel hergerichtet, und wir wurden dort von ein paar indianischen Mädchen bedient. Unter diesen, dessen begann ich mich jetzt wieder zu erinnern, befand sich dasselbe junge Mädchen, das jetzt ein Zufall, den ich noch immer nicht verstehen konnte, mitten in einem kanadischen Blizzard in meine Höhle geführt hatte.

Ihr von dem gewöhnlichen Indianertypus so sehr abweichendes Gesicht und die zierliche geschmeidige Figur, die sich nicht weniger als dieses von den meist recht plumpen, robusten Körpern der Indianerinnen unterschied, waren mir schon damals aufgefallen, und eine Bemerkung, die ich darüber zu meinem Freunde machte, hatte dieser lächelnd mit einem: »Jawohl, aber sie sind nicht alle so,« erwidert.

»Es ist übrigens eine Häuptlingstochter,« fuhr er dann fort, »eine Sioux und Enkelin von Dead Body, Dead Body = wörtlich: Toter Körper. von dem Sie gehört haben werden.«

Ich hatte nicht nur von Dead Body gehört, sondern war mehrmals mit ihm in Southey, wohin er manchmal aus seiner Reservation in den Touchwood Hills kam, um Einkäufe zu machen, zusammengetroffen. Er war eine der merkwürdigsten Erscheinungen, die mir jemals zu Gesicht gekommen waren. Sein Name Dead Body – früher hatte er wohl einen anderen geführt – stammte aus der letzten, von Riehl Riehl, ein Weißer von unbekannter Herkunft, war ein erbitterter Feind der Hudsons-Bay-Co. und hatte von 1865 bis 1885 in Manitoba wie auch in Saskatchewan verschiedene Indianeraufstände veranlaßt. Die blutige Revolution von 1885 war seine letzte Tat. Er wurde von den Regierungstruppen, denen sich die Farmer angeschlossen hatten, in der Nähe des Forts Qu'Appelle gefangengenommen und später in Regina hingerichtet. angestifteten Indianerrevolution. In einem Gefecht in der Nähe des Forts Qu'Appelle war Dead Body als tot auf dem Kampfplatze zurückgeblieben, später aber von seinen Stammesangehörigen als ihr Häuptling nach deren Lager gebracht worden, um mit alten Ehren und den üblichen unheimlichen Begräbniszeremonien bestattet zu werden.

Als diese nach zwei oder drei Tagen im vollen Gange waren, war Dead Body, der bis dahin bewußtlos und mit allen Anzeichen des Todes dagelegen hatte, wieder zum Leben erwacht und schließlich trotz seiner schweren Wunden von dem Medizinmanne seines Stammes, dessen Ruf sich dadurch ebenfalls verbreitete, gesund gepflegt worden.

Als ich ihn kennen lernte, mußte er wohl schon 70 oder 75 Jahre zählen, war aber noch ziemlich rüstig. Und obwohl er ein echter Indianer mit einem unauslöschlichen Haß gegen alle Bleichgesichter war, hatte er es doch, wohl aus Eitelkeit, über sich gewinnen können, in einem schwarzen Schulmeisterkittel, den er, Gott weiß wo, aufgegabelt und augenscheinlich mit unsäglicher Mühe jahrelang vor dem Verfall bewahrt hatte, einherzustolzieren. Daß sein Cowboyhut aus grauem Filz, seine langen schwarzen Zöpfe, seine hirschledernen Hosen und gleichen Mokassins damit nicht ganz übereinstimmten, schien ihn weiter nicht zu stören. Unsere Unterhaltung, obwohl recht freundschaftlich, – ich glaube tatsächlich, daß ich bei ihm in besonderer Gunst stand – war freilich immer ziemlich lückenhaft gewesen, da er nur ein paar Brocken Englisch sprach und mir damals die Siouxsprache noch ziemlich fremd war. Ich versuchte immer, ihm das meiste in der Kri-Sprache verständlich zu machen, die ich recht gut beherrschte, und von der er einige Kenntnisse hatte, da sein Stamm lange Jahre hindurch Kri-Indianer als Nachbarn gehabt hatte.

Das alles kam mir im Augenblicke in die Erinnerung.

Aber wie kam das Mädchen von Lebret hierher, eine Entfernung von etwa hundert englischen Meilen? (150 km)

»Ich bin nicht mehr in Lebret,« erklärte sie auf meine Frage. »Ich bin achtzehn Jahre und jetzt wieder in der Reserve.«

Das erklärte allerdings ihre Anwesenheit in dieser Gegend, denn die nächste Reserve, und um die konnte es sich nur handeln, begann kaum sechs oder sieben Meilen von hier. Wie sie aber in den Schneesturm hierher kam, wo sich weit und breit keine menschliche Behausung befand, war mir noch immer ein Rätsel.

»Wie ist dein Name, little woman?« (kleines Fräulein) fragte ich sie.

»Minnehaha,« war die Antwort.

»Das heißt so viel wie Lachendes Wasser?« fragte ich.

Sie nickte.

»Bist du nicht eine Christin?« fragte ich etwas überrascht, denn von den indianischen Kindern, die bis zum siebzehnten Jahre in den Missionen oder Industrieschulen, wie sie genannt werden, erzogen werden, während welcher Zeit sie jedes Jahr nur eine Ferienzeit von vier Wochen daheim in ihrer Reserve verbringen dürfen, nehmen die meisten den christlichen Glauben und damit einen andern Namen an, bevor sie am Schlusse ihrer Schulzeit nach ihren Reserven entlassen werden.

Es ist zwar den Leitern der Schule nicht erlaubt, zu lebhafte Beeinflussung nach dieser Richtung hin zu üben, und die indianischen Eltern tun während der kurzen Ferienzeit ihr bestes, den Kindern gegen jeden solchen Gedanken Schrecken einzujagen, da sie ja dann nach dem Tode die Eltern, die sich in einem andern Himmel befinden, nicht Wiedersehen würden, aber die geistige Atmosphäre, in der die Kinder so viele Jahre leben, bleibt nicht ohne Wirkung, und neun von zehn nehmen doch den christlichen Glauben an.

»Ich bin katholisch,« antwortete sie nicht ohne einen Anflug von Stolz, »und in der Schule nannte man mich Mary. Aber in der Reserve ...« Sie brach ab, und erst nach einer Weile fügte sie leiser hinzu: »Sie sind furchtbar böse auf mich – und wollten den Christengott wieder aus mir austreiben.«

»Well, Minnehaha,« sagte ich, und ich weiß nicht recht, warum ich den indianischen Namen gebrauchte, »das wirst du mir alles dann erzählen und auch wie du in diesem Blizzard – hör nur, wie es weht – hierhergekommen bist. Aber erst wollen wir etwas Kaffee machen, und du wirst wohl auch hungrig sein. Versuch eine Viertelstunde zu schlafen, dann werde ich alles fertig haben.«

Ich schürte das Feuer an, hing einen Kessel mit frischem Schnee gefüllt darüber und traf alle Vorbereitungen zu einer herzhaften Mahlzeit für meinen Schützling.

Die Augen der jungen Indianerin folgten jeder meiner Bewegungen, aber sie sprach kein Wort. Erst, als ich ihr den dampfenden Kaffee reichte und sie den frisch-duftenden Trank zu schlürfen begonnen hatte, wobei der Bann der Kälte, der ihren Körper umfangen hatte, sich in einigen wohligen Schauern auflöste, sagte sie: »Das ist gut.«

Sie aß dann von dem gebratenen Speck, den Kartoffeln und dem Biskuit mit dem gesunden Appetit der Jugend, der durch einige überschlagene Mahlzeiten verstärkt worden ist.

»Well, Minnehaha,« bemerkte ich dann, »wie fühlen wir uns jetzt? Besser, ich wette. Und was machen wir nun? Fühlst du dich müde? Willst du schlafen? Oder wollen wir uns unterhalten? Das hat aber Zeit. Du kannst mir morgen erzählen, wie du in diesem Wetter hierherkommst – oder auch übermorgen, denn daß du mit deinem Fuße vor einer Woche hier weg kommst, daran ist nicht zu denken.«

»Ich bin nicht müde,« erklärte sie.

»Das heißt also, wir wollen uns unterhalten. Wie ist dein Fuß?«

»Besser, aber er schmerzt noch.«

Ich ordnete die Felle und Decken so, daß der verletzte Fuß höher zu liegen kam, um das Blut aus dem kranken Gelenk abzuleiten, was ihr ersichtlich Erleichterung brachte.

»Und nun sage mir um Gottes willen, wie du in diesem Blizzard und allein und zu Fuß hierherkommst? Du hast doch in dieser Einöde nichts verloren, und wenn du nur eine Viertelstunde weiter entfernt gewesen wärest, hätte ich deine Rufe nicht gehört, und du wärest umgekommen.«

»Gott hat mich geführt,« erwiderte sie mit der ruhigen kindlichen Gläubigkeit, die noch kein blasser Zweifel angekränkelt hat. »Ich wußte, daß er mich retten würde, weil ich ihn nicht verlassen habe.«

»Was meinst du damit?«

»Ich bin vergangene Nacht aus der Reserve weggelaufen. Unser Medizinmann hatte entdeckt, daß ich Christin bin, und es dem ganzen Stamm verraten.«

»Aber kommt denn das nicht oft vor, wenigstens bei den Zöglingen der Industrieschulen?«

»O ja, aber das Christentum hält bei den meisten nicht lange vor. Wenn sie zurückkommen, werden sie doch bald wieder anders. Unser Stamm besonders ist recht streng. Unser Muskick-ki-wi-ni-ni Medizinmann. hatte entdeckt, daß ich Christin bin, und es dem ganzen Stamm verraten. Bei den andern ist das nicht so schlimm, sie geben meist nach einiger Überredung ihren Glauben wieder auf, oder wenn sie hartnäckig sind, wird ihnen das Leben so schwer gemacht, daß sie davongehen – nach den Städten. Und das fürchtet der Indianer. Denn was hat er in den Städten und unter den Weißen? Er muß die niedrigste Arbeit verrichten, und die Schlechtesten unter den Weißen glauben immer noch, daß der Indianer, weil er eine rote Haut hat, tief unter ihnen stehe. In der Reserve dagegen ist er sein freier Herr, arbeitet nur, wenn er will, und niemand verachtet ihn. – Mit mir war's aber noch etwas anderes. Mich wollten sie im Stamme behalten, weil ich eine Häuptlingstochter bin, obwohl mein Vater seit einem halben Jahre tot ist. Und wohl auch aus einem andern Grunde wollte man mich im Stamme behalten.«

Die letzten Worte sprach sie nur zögernd und mit leiser Stimme.

»Und wie hatte man entdeckt, daß du Christin bist?«

»Schi-pi-ku-pi-neß, Brauner Donner. unser Muskick-ki-wi-ni-ni, hatte mich eines Abends belauscht, als ich mein Gebet verrichtete, wie es uns die guten Väter in Lebret gelehrt haben.«

»Wie konnte Schi-pi-ku-pi-neß aber wissen, daß du zum Christengott und nicht zu dem Großen Geist deines Volkes, ich meine zu Kitschi-Manitu, betetest?«

Ein überlegenes Lächeln, wohl über meine Unkenntnis einer so einfachen Sache, umspielte ihre Lippen. Ich fühlte mich aber keineswegs zerknirscht darüber, denn ich wußte gut genug, wie wenig über die Religion und die religiösen Gebräuche der Indianer überhaupt bekannt ist.

Es gehört zu den merkwürdigen Gebräuchen der Indianer, selbst unter sich nur selten über religiöse Dinge zu sprechen. Und die gleiche scheue Zurückhaltung üben sie auch in bezug auf ihren Namen. Ein Indianer, nach seinem Namen gefragt, wird ihn fast niemals nennen, ebensowenig würden dies sein Weib und seine Kinder tun. Eine Nennung seines Namens, selbst in der feierlichsten Weise, würde als eine Art Blasphemie gegen die geheimnisvolle Naturkraft, zu der dieser Name in direkter Beziehung steht, und als eine unverzeihliche Beleidigung gegen den meist alten und weisen Indianer, der den Namen verliehen hat, angesehen werden. Wahrscheinlich aber würde der Indianer oder sein Weib den Fragesteller an ein anderes Mitglied des Stammes verweisen. Und selbst dann ist häufig noch ein gut Teil Diplomatie erforderlich, den Namen zu erfahren, obwohl diese Rücksichten der Pietät in der Hauptsache nur für die eigene Familie Geltung haben. Dieser große Respekt erklärt sich durch die Umstände, unter denen ein indianisches Papoose Papoose = Siouxname für Kind. Der Kri-Name ist » Awassis« und die Saulteaux (französischer Name für die Stämme der Objiways) nennen es » Appinochi«. seinen Namen erhält.

Meist wird der Medizinmann oder irgend ein anderer hervorragender Indianer mit der Wahl des Namens betraut, denn nach indianischer Anschauung steht der Mensch unter direkter Kontrolle einer besonderen Naturkraft oder eines Naturereignisses, das durch den Namen angedeutet werden soll, und dessen Gunst er sich später durch verschiedene Opfer zu erhalten bestrebt ist, da er ihrer Vermittlung in seinem Verkehr mit Kitschi-Manitu Kitschi-Manitu = der Weiße Gott. Matschi-Manitu = der Schwarze Gott (Teufel)., der viel zu erhaben ist, als daß er zu ihm direkt beten dürfte, benötigt.

Der Medizinmann, oder wer immer das Amt der Benamung übernommen hat, beobachtet nun die Naturereignisse in den ersten Lebenstagen des Kindes. Wenn ein Gewittersturm losbrechen sollte, würde das Papoose wahrscheinlich »Vier Himmel Donner« oder »Blitz aus den Wolken« genannt werden. Wenn irgendein Vogel vor dem Sturme vielleicht mit einem Warnungsschrei über den Kamp geflogen wäre, würde der Name wahrscheinlich lauten »Des schwarzen Habichts Warnung« oder »Der Vogel, der vor dem Sturm kommt«. Auf diese Weise erklärt sich auch der Name des berüchtigten Siouxhäuptlings Regen-ins-Gesicht, der mit seiner Bande die Truppe des Generals Custer bis auf einen einzigen Mann, der wie durch ein Wunder entkam und die Kunde von dem entsetzlichen Ereignis nach dem Hauptquartier brachte, niedermetzelte.

Später, wenn irgendein anderes bedeutsames Ereignis das rechtfertigt, kann der Indianer seinen Namen ändern, wie im Falle meines Freundes »Dead Body«. Diesen Namen kann er dann ohne Scheu gebrauchen. Diejenigen Indianer, die im steten Verkehr mit den Weißen stehen, was aber schließlich nur ein kleiner Teil ist, verlieren wohl zum Teil die Ehrfurcht vor ihrem Namen, und das war gewiß auch der Grund, weshalb die junge Indianerin mir den ihren so bereitwillig genannt hatte.

»Der Indianer betet nicht selbst zu Kitschi-Manitu,« erklärte sie auf meine Frage.

»Wer tut es denn,« fragte ich, »der Medizinmann? Denn ihr habt doch keine Priester.«

»Nicht immer der Medizinmann,« war die Antwort. »Irgendein Indianer, von dein wir glauben, daß er bei Kitschi-Manitu mehr angesehen ist, als der unwürdige Bittsteller. Und der veranstaltet dann einen Opfertanz. Aber auch er betet nicht zu Kitschi-Manitu direkt. Er betet zu dem Schutzgeist des Bittstellers, der dann die Bitte vor Kitschi-Manitu bringen soll. Mein. Schutzgeist war der des lachenden Wassers. Du mußt wissen, daß ich an den Wellen des Qu'Appelle-Rivers geboren bin und davon meinen Namen »Lachendes Wasser« habe. Und dann, kein Indianer, selbst wenn er am Sterben wäre, würde wagen, mehr als einmal oder zweimal im Jahre Kitschi-Manitu mit Bitten lästig zu fallen. Und ich habe mein Gebet zum Gott der Christen und zur Jungfrau Maria täglich verrichtet.«

»Und dabei hat euer Muskick-ki-wi-ni-ni dich beobachtet?« Sie nickte.

»Das ist doch aber kein Grund, von dem Stamme wegzulaufen,« sagte ich.

»Oh, du verstehst das nicht,« klagte sie. »Schi-pi-ku-pi-neß war fürchterlich wütend, als er fand, daß ich eine Christin geworden war, und drohte mir mit seiner bösen Medizin, die alle fürchten, und sagte, er müßte den Stamm zu einem Opfertanz zusammenrufen, damit der Christengott aus mir wieder ausfahre. Du mußt wissen, daß der Stamm jetzt keinen Häuptling hat, seit mein Vater tot ist. Und derjenige wird Häuptling sein, der mich zur Squaw bekommt. Ein Mitglied einer Häuptlingsfamilie kann aber niemals Christin sein. – – Und Regen-ins-Gesicht ist ein schlechter Mensch, der trinkt und stiehlt und seine Squaw schlecht behandelt, und ich fürchte mich vor ihm,« fügte sie anscheinend ganz zusammenhanglos hinzu.

»Wer ist Regen-ins-Gesicht,« fragte ich etwas überrascht. »Das war doch der Häuptling, der mit Sitting Bull und Crazy Horse die Sioux gegen General Custer führte und ihn und seine Soldaten niedermachte?« In der denkwürdigen Schlacht am Little Big Horn im Jahre 1876, die in der amerikanischen Poesie des Heldentodes so vieler tapferer Männer wegen als große Ruhmestat besungen, von der amerikanischen Geschichte dagegen als big blunder (arger Schnitzer) bezeichnet wird.

»Ich meine seinen Sohn. Der Name gilt bei uns Sioux noch so viel, daß man seinen Sohn als Papoose in den Regen gehalten hat, damit er den Namen mit Recht weiter tragen konnte. Regen-ins-Gesicht gehört eigentlich nicht zu unserm Stamme. Er ist aus den Staaten, wo er bei dem Stamme seines Vaters lebte, nach Kanada geflüchtet, weil man ihn drüben als Pferdedieb aufhängen wollte.«

»Aber warum fürchtest du dich vor ihm? Was kann er dir tun? – Pferde kann er hier wohl kaum stehlen, denn die Farmer haben wenige, und die Rotröcke Berittene Polizei. Würden ihm bald auf den Pelz kommen, wenn er etwa eins oder das andere mitgehen heißen wollte.«

»Das ist es nicht,« sagte sie leise und zögernd.

»Also was ist es denn?«

Sie wandte ihr Gesicht ab, um meinem Blicke auszuweichen.

»Er will mich zur Squaw haben,« erklärte sie, »um Häuptling unseres Stammes zu werden.«

»Will dich zur Squaw haben?« fragte ich verwundert. »Aber sagtest du nicht eben, er habe schon eine Squaw und behandelte sie schlecht?«

»Ja, aber wenn er Häuptling ist, kann er mehrere Squaws haben. Es gibt welche, die fünf und sechs haben.«

»Und da gibt's wohl viel Lärm und Streit?«

Sie lächelte.

»Doch nicht. Sie leben wie Schwestern zusammen.«

» Well, das ist mehr, als man von den Squaws in dem Lande erwarten könnte, aus dem ich komme.«

»Du bist über das große Wasser gekommen?«

» Yes, von Germany. Aber erzähle weiter. Ich weiß noch immer nicht, wie du in diesem Blizzard hierherkommst. Daß dich Regen-ins-Gesicht zur Frau haben möchte, ist mir nicht ganz unbegreiflich. Es sollte mich gar nicht wundern, wenn auch noch andere rote Gentlemen den gleichen Wunsch hegten. Aber schließlich ist das doch wohl eine Sache, bei der du auch noch ein Wort zu sagen hast. Deswegen brauchst du doch nicht davonzulaufen. Hast du keine Mutter mehr?«

»O ja, aber die wird vom Muskick-ki-wi-ni-ni vollständig beherrscht. Regen-ins-Gesicht ist der Sohn seiner Schwester, und er möchte ihn zum Häuptling haben. Aber das ist nicht der Hauptgrund. Schi-pi-ku-pi-neß ist viel zu habsüchtig, als daß er sich um seine Verwandten viel kümmerte. Aber Regen-ins-Gesicht gibt ihm immer Geld und Whisky –«

»Whisky? – Wo bekommt er denn Whisky her? Es steht doch strenge Strafe darauf, einem Indianer Whisky zu verkaufen.«

»Ich weiß nicht, wo er ihn her hat,« erwiderte sie nachdenklich, »und weiß auch nicht, wo er das Geld her hat, aber er hat beides reichlich, und ich habe ihn und Schi-pi-ku-pi-neß schon oft betrunken gesehen. Deshalb tut der Muskick-ki-wi-ni-ni, was Regen-ins-Gesicht will. Er hat dem Stamme gesagt, daß Kitschi-Manitu uns wieder zu einem großen Volke machen würde, wenn ich die Squaw von Regen-ins-Gesicht würde, und seine Strafen würden schrecklich sein, wenn ich's nicht tue. Du weißt, Sir, die Indianer glauben, daß Kitschi-Manitu ihnen seinen Willen im Traume kundgibt. Sie wissen es ja nicht besser, weil sie an den Christengott nicht glauben wollen. Ich weiß aber, daß Schi-pi-ku-pi-neß das bloß erfunden hat. Ich glaube ihm überhaupt nichts. Er ist ebenso schlecht wie Regen-ins-Gesicht.«

»Und was sagt deine Mutter dazu?«

»Oh, sie weiß, daß Regen-ins-Gesicht ein schlechter Mensch ist, der seine Squaw schlägt, und daß er auch mich mißhandeln würde, aber sie sagt, was Kitschi-Manitu verlangt, das muß man tun. Und ich wäre eine Sioux, und es wäre meine Pflicht, den Stamm groß und blühend zu machen. Und wenn ich ihr sage, daß Kitschi-Manitu gar nicht existiert, dann ist sie ganz entsetzt, läuft davon und verbleibt so lange in einem andern Tepee Tepee: sprich Tipi = Zelt der Indianer., bis ich sie mit vielen Bitten wieder zurückhole. Für heute hatte Schi-pi-ku-pi-neß den Opfertanz angesagt, an dem alle hervorragenden Stammesmitglieder teilnehmen sollten, und bei dem Schi-pi-ku-pi-neß den Christengott aus mir austreiben wollte. Und ich wußte, Gott würde mich strafen, wenn ich so etwas zuließe. Ich habe die ganze Nacht gebetet und heute morgen, als noch alles ruhig war im Dorfe, habe ich mich davon geschlichen.«

»Aber wo wolltest du hin?«

»Ich dachte an den Vater meines Vaters, an Dead Body, der in der Touchwood-Reserve wohnt, seit unser Stamm sich geteilt hat.«

»Good gracious!« (Lieber Himmel) rief ich aus. »Du kannst doch nicht daran denken, bei dieser Kälte und bei diesem Schnee einen Weg von siebzig bis achtzig Meilen zu Fuß zurücklegen.«

»Ich hatte etwas Geld,« erwiderte sie, »und wollte von Rocanville bis Southey den Zug benützen. Von Southey sind es nur noch etwa fünfzehn Meilen. Englische Meilen. Zwei Meilen ungefähr drei Kilometer. Und ich hätte dort auch wohl einen Farmer getroffen, der mich einen Teil des Weges in seinem Schlitten zurücklegen ließ. Dead Body hat mich lieb, und Schi-pi-ku-pi-neß hat Angst vor ihm, denn Dead Body hat viel mehr Macht über den Stamm als er. – Wie ich ein paar Meilen gegangen war – ich weiß nicht wie viele – fing die Luft an, dicht zu werden, und ich konnte fast nichts mehr sehen. Und ich betete, daß Gott einen Blizzard abwenden möge, denn ich war noch weit von Rocanville. Aber dann brach der Sturm los, als ich bis hierher gelangt war. Und ich wußte, daß ich irgendeinen Schutz finden mußte, um nicht im Schnee begraben zu werden. Aber ich hatte keine Angst, denn ich vertraute auf Gott, der mich retten würde. Und dann ließ er mich auch in der Bergwand dort eine Nische entdecken, in die ich mich einklemmte. Das Schneetreiben war dort nicht ganz so arg, und ich war entschlossen, dort auszuharren, bis der Blizzard vorüber war, wenn das auch zwei bis drei Tage dauern sollte. Meine Kleidung war warm, wenigstens warm genug, daß sie mich vor dem Erfrieren schützen würde. – Ich weiß nicht, wie lange ich so zugebracht hatte. Dann aber war es mir, als ob ich von Zeit zu Zeit einen Lichtschein bemerkte, einen ganz unbestimmten Schein, der durch das Schneetreiben leuchtete, du mußt wohl manchmal die Decke dort aufgehoben und wieder zugemacht haben – und jetzt wußte ich, daß Menschen in der Nähe waren. In meinem freudigen Schreck machte ich eine heftige Bewegung, glitt aus und stürzte aus der Nische heraus. Es war gar nicht hoch, aber ich hatte mir doch den Fuß verletzt – er schmerzte furchtbar – und ich konnte nicht weiter. Und dann kamst du – – der heiligen Jungfrau sei Dank!«

» Well, Minnehaha,« bemerkte ich in beruhigendem Tone, »du bist jetzt in Sicherheit, und in einer Woche ist auch dein Fuß wieder in Ordnung. Ich denke, du hast etwas übereilt gehandelt, aus der Reservation wegzulaufen. Kein Medizinmann der Welt kann dich zwingen, deinen Glauben aufzugeben oder irgend jemandes Squaw zu werden, wenn du das nicht willst. Warum wendest du dich nicht an euren Agenten, der würde dir doch helfen.«

»Der Agent,« erwiderte sie mit einer gewissen Bitterkeit, »hat nicht das Recht, sich in solche Sachen hineinzumischen. Aber er tut es viel zu sehr. Er hält die Indianer für Kinder, die stets einen Vormund nötig haben. Und wir sind doch ein freies Volk. Wenigstens wollen wir so viel von unsern Freiheiten festhalten, als ihr Weißen uns gelassen habt. Ich kann als eine Sioux nicht die Veranlassung sein, und würde Dead Body schwer kränken, wenn ich dem Agenten Gelegenheit gäbe, sich noch mehr in unsere Angelegenheiten zu mischen, als er es ohnehin schon tut. Du mußt wissen, Sir, daß die Sioux bei der Regierung überhaupt nicht gut angeschrieben sind. Wir haben keinen Vertrag mit ihr, wie die Kris und Saulteaux. Als die Sioux nach dem Kampfe mit General Custer aus Amerika Man spricht in Kanada von den Vereinigten Staaten stets als von »Amerika«. nach Kanada flüchteten, verteilte sie die Regierung auf verschiedene Reservationen. Sie wollte sie nicht zusammen haben, weil sie ihnen nicht traute. Sie gab ihnen Land und Pferde, aber nicht als Eigentum, sondern es wurde ihnen nur geliehen und kann ihnen jeden Tag wieder genommen werden. Und mehr als einmal schon hat man Dead Body zu verstehen gegeben, wenn es ihm nicht passe, könnte er mit seinem Stamme wieder dort hingehen, wo er hergekommen sei. Verschiedene von unsern jungen Leuten sind auch schon wieder nach Dakota zurückgewandert.«

Die Bitterkeit in ihrer Stimme hatte bei den letzten Worten noch zugenommen, und ein Ausdruck tiefer Traurigkeit verschleierte den bisher so klaren Blick ihrer Augen.

Jetzt war mir auch der augenscheinliche Haß verständlich, den Dead Body gegen alle Weißen hegte und den ich mir bisher nie hatte recht erklären können.

»Warum gehst du nicht nach Lebret zurück?« fragte ich. »Du bist doch wohl gern dort gewesen, und ich bin sicher, man würde dich dort wieder aufnehmen, wenn ich mit dem Vorsteher spreche.«

»Willst du, daß ich Nonne werden soll?« fragte sie, und ihre Augen nahmen einen Ausdruck an, als ob ihr Blick weit in die Ferne gerichtet sei.

Die Frage kam mir so unerwartet, daß ich einen Augenblick lang keine Antwort darauf zu geben wußte.

»Oh, man würde schon irgendeine Beschäftigung für dich finden,« antwortete ich schließlich, »und es würde ja auch nicht schwer halten, dir eine Stellung in irgendeiner guten Familie zu verschaffen.«

Ein trübes Lächeln, das ihrem schönen Gesicht einen Ausdruck unendlicher Weichheit verlieh, umspielte ihre Lippen.

»Du meinst es gut, Sir, das weiß ich. Du bist ein guter Mann. Das sagte auch der Indianerknabe, der in Lebret an der Lungenkrankheit starb, und den du behandelt hattest. – Die Indianer haben aber mit den Weißen nichts zu tun, sie sollen sich von ihnen fernhalten. Es ist der Untergang unserer Rasse, wenn sie sich mit den Weißen mischen. Ihr brüstet euch, daß sich ein Schuhputzer unter euch zu den höchsten Stellen im Lande emporarbeiten kann. Aber der Indianer würde immer Schuhputzer bleiben. Ich habe eure Städte nicht gesehen, aber ich weiß, daß wenn Weiße Indianerinnen geheiratet haben, sie sie in der Wildnis verstecken und nicht wagen, mit ihnen in den Städten zu leben. Nein, das Heil des roten Volkes besteht darin, daß es sich fern hält von den Weißen, sich in seinen Reserven abschließt und seine Sitten und Gebräuche festhält. Darin liegt unsere Rettung vor dem Untergange – – und ich weiß nicht einmal, ob es nicht dafür überhaupt schon zu spät ist. Für euren Glauben danken wir euch – für das, was ihr Zivilisation nennt, nicht.«

Während sie sprach, hatte ihr Gesicht ganz den kindlichen, mädchenhaften Ausdruck verloren und war überstrahlt von einer resignierten Hoheit, wie er den Heldinnen der Vergangenheit eigen gewesen sein mochte, wenn sie für die Rettung ihres Volkes auftraten. Ihre Worte hatten mich merkwürdig bewegt. Ich wußte nichts darauf zu antworten. Das junge Mädchen, das ich bisher für ein einfaches kindliches Gemüt mit dem üblichen beschränkten Ideenkreise gehalten und demgemäß behandelt hatte, ließ mich auf einmal einen Charakter ahnen, der eine seltsame Mischung von Gefühlen der Bewunderung und des Mitleids in mir wachrief.

Sollte ich ihr ein paar Phrasen sagen über die Zukunft ihres Volkes, an die ich selbst nicht glaubte? Eines Volkes, das rettungslos dem Untergange geweiht ist, obwohl es sich an Zahl vermehrt, dem wir die Zivilisation geben wollen, aber nur bis zur Klasse der Schuhputzer und Dienstboten. Hier war sie, ein Geschöpf mit heißem Blut und roter Haut, dessen Schönheit in jedem Salon Aufsehen erregt hätte und dem man doch den Zutritt verweigert hätte, weil er ihre rote Haut sie zur Paria stempelte. Hatte sie nicht recht, sich als Indianerin zu fühlen, die Zivilisation, die man ihr bieten wollte, als Beleidigung zu empfinden und den Traum von der Wiedergeburt ihres Volkes zu träumen? – – –

Das bittere Erwachen würde früh genug folgen. –

Es war spät geworden, und ich empfahl ihr zu ruhen.

Vermittels einer aufgespannten Decke stellte ich eine Art Scheidewand her und machte für mich auf der anderen Seite ein Lager zurecht, das der Hauptsache nach aus meinem dicken Pelze bestand.

Nachdem ich das Feuer dann noch für die Nacht versorgt, streckte ich mich auf meiner etwas dürftigen Lagerstätte aus, die aber durchaus noch nicht die schlechteste war, die ich während meiner Streifereien und Jagdzüge in Kanada genossen hatte.

Aber noch lange lag ich wach und horchte auf die heulende Windsbraut da draußen und dachte nach über das, was die junge Indianerin mir erzählt hatte.


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