Max Dreyer
Die Siedler von Hohenmoor
Max Dreyer

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Krisen

Getragen schritt Horst durch den Frühlingsabend. Es war so viel Hoffnung, so viel Gläubiges in der Natur. Im Westen der letzte Feuerstrich, eine freudige Verkündigung neuer Sonnentage. Darüber der breite, topasfarbige Streif, irisierend, wie zitternd von dem Zauber der Frühlingsnächte, der auf die Erde tropfen will. Und wann wölbt der Himmel, der sich bestirnende, so wie jetzt in diesen Tagen des jungen Lichtes sich auf zu der Höhe trostreicher Unendlichkeit?

Mit reiner Freude gedachte Horst seiner Arbeit und der Kameraden. Neue organisatorische Gedanken gingen ihm auf. Neue geschäftliche Pläne. Schichten eines erlesenen Töpfertones waren in dem Ziegeleigelände gefunden. Unter den Kameraden war ein gelernter Scheibentöpfer, ein geschickter und geschmackvoller Keramiker. Kacheln und Geschirr wollten sie herstellen. Eine aussichtsreiche Industrie, die ihre Finanzen, die immer bedürftigen, stärken würde.

Vor ihm liegt die Baracke, die gelobte, die geschmähte, im Dunkel. Nur spärlicher Lichtschein aus einzelnen Fenstern.

Da – wie ein Schatten schleicht eine Gestalt den Weg entlang. In Mantel und städtischem Hut, einen Reisekoffer in der Hand. Scheu wie ein Flüchtling –

Es fährt Horst durch den Kopf: ist das nicht Radatz, der unsichere? Natürlich ist er's! Und heimlich reißt 161 er jetzt aus – da der Führer nicht im Bau ist. Soll er laufen, so weit die Beine ihn tragen! Mit solchen Brüdern hab ich nichts zu schaffen! Schade um jedes Wort, das man an euch verliert!

Aber, daß meine Mannschaft sich nun so zersetzt! Und verstecke ich mich nicht selbst, wenn ich den Mann so an mir vorüberschleichen lasse? Keine vornehme Bequemlichkeit! Ihn stellen! Bin ich der Führer oder nicht? Er soll wenigstens Hals geben! Ich verkriech mich nicht mit ihm zusammen in Heimlichtuerei!

»Radatz, sind Sie das?«

»Jawohl, Herr Hauptmann.« Die Stimme knickte ein.

»Wollen Sie verreisen?«

»Ja.«

»Haben Sie Urlaub?«

»Ich – ich habe eine traurige Nachricht von zu Hause. Mein Onkel ist gestorben –« Der Mann log.

»Beruhigen Sie sich. Er ist nur scheintot«, sagte Horst mit überwältigender Kühle.

Der Ausreißer stand, eingekeilt zwischen Beschämung und Unmut. Horst ließ ihn stehen. Eine kurze Wendung. »Reisen Sie glücklich!« Er hatte ihm den Rücken gedreht.

Gleich berief Horst eine Versammlung der Siedlerschaft.

»Kameraden. Der frühere Siedler Radatz hat sich heimlich entfernt. Daß er sich entfernt hat, ist seine Sache. Daß er es heimlich tat, seine und unsere. Nichts schlägt so wie dies dem Geiste unserer Gemeinschaft ins Gesicht. In der vollen Freiheit, vollen Ehrlichkeit ist sie aufgebaut. Und so frei und ehrlich soll sie bleiben. Wir glauben an unser Werk. Zum Glauben gehören Opfer – wir bringen sie freudig. Dies unsere Gesinnung – oder ist sie es nicht mehr? Leicht ist unsere Arbeit, unser Leben nicht. Lockende Rufe von draußen kommen zu manchem von uns. Und nun will 162 ich Euch fragen, ist noch einer oder der andere hier, der nicht mit ganzem Herzen weiterschafft an unserer Arbeit – offen soll er es sagen. Wir wollen ihn gewiß nicht hindern, daß er geht – fördern wollen wir ihn auf seinem neuen Weg. Aber Offenheit wollen wir! Lassen wir den Betrug sich bei uns einnisten, dann stürzt unser Bau zusammen!«

Die Worte wirkten, der Ton zwang. Alle gelobten sich aufs neue dem Siedlungswerke zu.

»Wir sind seit langem wieder einmal in größerem Kreise beisammen. Hat einer sonst noch was auf dem Herzen?«

Maurer Mulitz meldete sich. »Ich kann mir nicht helfen – daß wir damals nach Mehrheitsbeschluß allesamt gegen den Streik uns einsetzen mußten – das halte ich nicht für richtig.«

Gegenrufe: »Wieso?« – »Allesamt! Bei uns gibt es nur ein Allesamt!« – »Kameraden sind wir!«

»Ich hab da etwas gegen mein Gewissen tun müssen – als Streikbrecher bin ich mir vorgekommen –«

»Lächerlich!« – »Was war das für ein Streik!« – »Ein wilder allerhöchstens.« – »Mit Brandstiftung!« – »Mit Überfall aus dem Hinterhalt.«

Mulitz ließ sich nicht beirren. »Ich bin der Meinung, daß wir andere Aufgaben haben. Auch zum Polizeidienst sind wir nicht da. Sollte sich so etwas wiederholen, muß ich mir ausbitten, daß ich hier in der Siedlung bei meiner Arbeit bleiben darf.«

Kunz wurde erregt. »Lieber Mulitz, wir haben uns stets als geschlossenen Verband betrachtet! Einer für alle, alle für einen! Wollen wir den Mordbrennern zuliebe uns in unsere Bestandteile auflösen? Und einpacken mit unserem gemeinsamen Siedlungswerk? Und was haben Sie, gerade Sie gegen Mehrheitsbeschlüsse? Damit müßte sich doch Ihr gewerkschaftliches Gewissen am ersten beruhigen.« 163

»Wir sind hier keine Gewerkschaft. Eine Arbeitsgemeinschaft sind wir, in der jeder persönlichen Überzeugung Freistatt gewährt ist.«

»Die sich aber doch jederzeit einheitlich zur Nothilfe organisieren kann.«

»Um Nothilfe ging es hier doch gar nicht. Handelte es sich hier vielleicht um lebenswichtige Betriebe –?«

»Wenn wir schon den neuen Staatskatechismus gelten lassen – erst recht handelt es sich hier darum! Was ist jetzt lebenswichtiger, als daß die deutsche Erde bestellt wird? Und dann die Brandstiftung – ist das nicht unmittelbare Lebensbedrohung!«

Es gab parlamentarische Erregung. Die meisten waren für Kunz, wenige für Mulitz. Immerhin bildeten sich Parteien. Die Augen hingen an Horst. Er nahm das Wort.

»Ich kann den Standpunkt vom Kameraden Mulitz nicht ablehnen.« Kunz hebt die Schultern, das Lid von Dankwardt zuckt. »Gewissensnote müssen wir unter allen Umständen ehren. Natürlich liegt mir an nichts so viel, wie an unserer Einheit. Und tatsächlich – wie es auch diesmal geschehen ist – wird ein großer Zug die Bedenken der einzelnen mit sich reißen. Auch die Kameradschaftlichkeit von Mulitz hat sich noch immer bewährt. Aber wir müssen grundsätzlich anerkennen, daß in solchen und ähnlichen Fällen jemand seiner Überzeugung treubleiben darf, ohne sich damit außer dem Rahmen unseres Verbandes zu bewegen. Über die sogenannten inneren Feinde sind verschiedene Auffassungen möglich. Nur über den äußeren nicht!«

Kleister! schalt Kunz in seinem Gemüt. Er war böse auf Horst. Aber seine Disziplin hieß ihn hier schweigen. Unter vier Augen würde das Weitere sich finden.

»Noch eins darf ich zur Sprache bringen«, bemerkte Mulitz, der jetzt Oberwasser hatte. »Es scheint sich hier 164 so etwas wie Schnüffelei ausbilden zu wollen. Man hat mir meinen Verkehr aufgemuzt – daß ich manchmal in der Stadt mit einem alten Freund zusammenkomme. Der ist allerdings eingefleischter Kommunist. Aber wenn man darin nicht mehr freie Hand haben soll –!«

»Natürlich hat man die«, erklärte Horst. »Wir sind hier doch nicht in einer Kleinkinderbewahranstalt.« Und dann fügte er mit Bedacht hinzu, und es grub sich die gerade Falte zwischen seinen Brauen: »Übrigens bin ich in ähnlicher Lage wie Sie. – Auch ich – suche sogar den Gedankenaustausch mit kommunistischen Kreisen. Ich meine, wir sollen und müssen ergründen, was in deutschen Geistern vorgeht. Nur so können wir deutsche Arbeit leisten.« –

Die drei Offiziere saßen in Dankwarts Zimmer. Kunz würgte an seiner Erregung. »Nun sind wir so weit. Der Zersetzungsprozeß beginnt! Wenn erst dieses Phrasengespenst, die Gewissensfreiheit bei uns herumspukt! Mit dem jeder seinen Privatunfug treibt! Dienstpflicht, verdammte, haben wir und Kameradschaft. Und Kameradschaft und Dienstpflicht. Vorbildlich! Und weiter nichts auf der Welt – es ist wahrlich genug. Und vor allem keine Gespenster!«

»Du gehst durch die Wand, Kunz!«

»Dann ist die Wand danach! Ich bleib dabei, so lange wir immer und immer wieder den sozialen Knüppel unserer vaterländischen Empfindung zwischen die Beine werfen lassen, so lange, kann ich nur sagen, verdienen wir wahrlich den Knüppel!«

Dankwart nickte mit der starren Asketenmiene. »Alles in allem – da es nun mal ohne Politik nicht geht – können sich eben nur Glaubensgenossen in einer Gemeinschaft wie unserer zusammenfinden. Die meisten stehen ja glücklicherweise auf unserem Boden. Die paar andern – hinaus! Und geeigneten Ersatz! Es gibt brave Kerle genug ohne Dach – die gerne kommen!« 165

Horst warf heftig den Kopf. »Nein – nein. Das ist ja das Allerverkehrteste! Damit werden wir ja bloß ein Klüngel mehr! Ein Häufchen Partei und weiter nichts! Wir haben doch wahrlich was Größeres im Sinn gehabt! Alles, was deutsch ist im Denken und Wollen – ist nicht Gust Elbenfried mit seinem kommunistischen Christentum, mit diesem rührend innerlichen Kommunismus der Herzen, einfach eine Notwendigkeit in unserm Kreis? Etwas wie ein klein Deutschland wollen wir sein! Und nun verschont mich gefälligst mit Ketzergerichten!«

Kunz lachte höhnend. »Ein Deutschland – ohne Ketzergerichte? Wie unvollständig bleibt Dein Abbild!«

Dankwart aber, und die Bronze seines Gesichtes dunkelt unmutig: »Du wirst immer mehr zum Schwärmer, Horst. Und das macht mir Sorge. Mir und uns.«

»So sägt mich ab.«

Dankwart weiter – und das schwere Lid hob sich auf zu besonderem Vorstoß. »Du hast selbst davon gesprochen, von Deinem Verkehr mit der Kommunistendame. Darf ich Dir meine Ansicht sagen?«

»Bitte.«

»Als Führer tätest Du besser, diesen Verkehr einzustellen.«

»Lieber Dankwart –«

»Man wird Dich nicht verstehen. Und ein Führer – soll verständlich sein.«

»Wohl. Aber vor allem soll er doch selbst verstehen, mein ich. Und möglichst viel. Meine Methoden müßt Ihr mir schon lassen.« Er hielt die Ruhe, aber ein wehrhafter Ton meldete sich.

Dankwart, den bitteren Mund verzogen, mit seinem gelinden Zynismus: »Lieber Horst – hättest Du gesagt: meine weibliche Privatsache, Hände davon – gut! Oder: wenn ich einen Gegner so oder so unschädlich mache, seid mir doch dankbar – besser! Aber ein 166 ›geistiger Austausch‹ – geht dabei etwas verloren, trifft das auch uns. Und darum –«

Horst wurde es der Erörterung zuviel. Sprödigkeit, Stolz, ritterlicher Sinn wehrten sich gegen die ganze Art dieser Betrachtung. »Wir geraten da nach meinem Geschmack zu sehr ins Persönliche. Meinen Standpunkt in der Sache hab ich Euch bezeichnet.«

In den festen Worten war ein metallenes Klingen. Das bedeutete Schluß der Vorstellung, die Freunde wußten es.

Kunz, der am ersten sich umstimmte, suchte erfreuliche Mitteilungen in das Schweigen zu bringen.

»Ein Paar Pferde habe ich gestohlen.«

»Was? Gestohlen – wo?«

»Dem Roggendorfer habe ich sie abgeknöpft. Zwei zähe ostpreußische Schecken. Kosten so gut wie nichts.«

»Kunz –«

»Horst – sei Du der Organisator des Sieges. Ich sei der Organisator des Geschäfts. Zwei Schälpflüge hab ich uns auch gelangt. In Süldemitz. Auf Abzahlung. Ohne Termin. Na – und da wir keine hastigen Orientalen sind –«

»Natürlich dürfen wir nicht –«

»In allem Ernst, Horst – die lieben Leute haben von uns so unendlichen Nutzen gehabt – da erlauben wir ihnen eben gütigst, sich ein klein bißchen erkenntlich zu zeigen. Manus manum. Und weil ich auf diese Manikür mich verstehe –«

»Was uns aber nicht an ordnungsmäßiger Abrechnung hindern wird.« Horst erhob sich. »Und morgen also zuerst ins Ödland. Gut Nacht!« Er reichte den Freunden die Hand und ging.

Die beiden blieben noch eine Weile zusammen.

»Die Höhe hat er,« sagte Kunz, und was ihn ihm zürnte, wurde von der Anerkennung verschlungen. 167 »Weshalb wir jetzt auch gegen ihn Stimmung machen. Und an ihm stürzen werden.«

»Das tut er ja leider allein.« Dankwarts Auge war wie Nacht. »Knochenerweichung geht weiter.«

Kunz schrak auf. »Und was soll werden? Wer soll uns führen? Kannst Du es?«

»Nein.«

»Kann ich es? Strammheit allein – lächerlich. Dazu gehört dies gewisse Etwas. Was er hat – und keiner von uns.«

Dann rückte er sich kräftig zurecht. »Unsinn! Wir übertreiben. Und machen Verschwörung. Verschwörer übertreiben immer. Es renkt sich alles wieder bei ihm ein. Gesunder Kern – also!«

»Wenn nicht ein Weib dahinter steckte.« Heiser die Worte, vor Bitterkeit, höchstem Mißtrauen und tiefster Verachtung.

»Das bißchen Weib.« Kunz lächelte, er war noch leidlich unbeschwert. Dann schlug er lebhaft mit den Flügeln. »Wenn man ihm das Weib auf irgendeine Art vom Halse schaffte!«

Sehr abenteuerliche Gedanken brausten ihm durchs Hirn.

 


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