Max Dreyer
Die Siedler von Hohenmoor
Max Dreyer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Frei und gut ist dasselbe

Es war nicht weit von Mitternacht, als Herr von Borkhus mit Horst den Wagen wieder bestieg. Strempel mußte fahren.

Der Mond leuchtete die menschenleere Straße ab. In dem Torweg, dem Gasthof gegenüber stand eine Frauengestalt.

Ein junges schlankes Weib – mehr konnte Horst nicht erkennen, zumal der Verwundete ihn in Anspruch nahm. Dann aber, da sie abfuhren, blitzte es ihm durch den Sinn: das ist deine Nachbarin, wer sonst! Was will sie hier! Und wieder: wer ist sie? Wollte sie sehen, wie es mit dem Verletzten stand? Um den sich sonst, im ganzen Orte niemand mehr kümmerte? Sie als die einzige – was trieb sie dazu?

Borkhus hatte sich längst wiedergefunden. Die Schmerzen drückten ihn nicht nieder, sie hoben ihn. Daß er selber litt, daran wuchs seine Kraft, sein Trotz, das bannte den Schatten.

»Ich würde es immer wieder tun,« sagte er, »der Würger«, frei und stark. »Wer mir an die Offiziers- und Mannesehre geht – wie ich ihn fasse, so muß er dran glauben! Immer tät ich es wieder!«

Jetzt dachte er an die vielen beschimpften, entehrten Kameraden. »Und das tat ich für euch alle!«

Horst sann nach und nickte düster und sprach: »Daß wir zum Symbol werden – jeder nach seines Wesens Bestimmung – das ist unseres Lebens Sinn!«

Borkhus nahm seine Hand. »Das ist das Wort! Zum Symbol werden! Wie ein Ruf erging es an mich! Welt gegen Welt! Und – ich konnte gar nicht anders.«

Es war dann, als käme Müdigkeit über ihn. Wieder aber regte er sich lebhaft, und es klang fröhlich: »War ich nicht heute abend auch ein Sinnbild: zerschlagen 36 von den Stuhlbeinen der Galerie! Gibt es was Erhabeneres? Hüten Sie mich Horst, daß ich nicht größenwahnsinnig werde!«

Doch jetzt brauchte er seine Ruhe und sprach nicht mehr.

Horst aber tauchte zurück in den Abend, mit Trauer, Schmerz, mit Zorn und mit Scham.

Deutschland – machst du es deinen treuen Söhnen nicht allzu schwer? Sind deine Feinde, deine Folterknechte dir nicht blutig, nicht roh, nicht feige, nicht heimtückisch genug – mußt du dir selbst der tückischste, der feigste Feind von allen sein!

Ein deutscher Mann spricht die selbstverständlichen deutschen Worte! Er sagt, daß du, Deutschland, deutsch bist und deutsch sein mußt. Was geschieht? Er wird aus dem Hinterhalt gemeuchelt!

In welchem Lande der Welt wäre so etwas denkbar – dann vor allem denkbar, wenn die Feinde, schlimmer als es im Kriege geschieht, dieses Land zerfleischen und zertreten! In Guatemala nicht, bei keinem Stamme der Maoris!

Soll man sich immer wieder damit trösten, daß du das Land ohne Beispiel bist, ohnegleichen im Großen wie im Armseligen, im Guten wie im Verruchten? Und wie lange soll dieser Trost vorhalten?

Ist es zu verwundern, wenn man schließlich da landet, wo diese rätselhafte Fremde sich angebaut hat? Wie sagte sie doch, höhnend und hart: »Deutsch ist mir ein zu unwesentlicher Begriff!«

International also – pazifistisch – eine Kommunistin offenbar. Freilich, er hatte sich die »Petrolösen« anders gedacht.

Ob sie in der Stadt ansässig war? In der, wie er wußte, seit geraumer Zeit ein Agitationsherd brannte, mit lichterlohen roten Flammen. 37

Ihr Gesicht wurde ihm lebendig. In diesem reizvollen Gegensatz zwischen seinem Vorn und der Seite. Diese fast derbe, sinnlich grausame Leidenschaftlichkeit der vollen Züge – so viel feine spröde Geistigkeit im Profil. Und in dem Ausdruck des Ganzen ein Schmerzliches – zu der flammenden Anklage eine stille Klage.

Jetzt war er dicht daran, sich auszulachen. Faselt dir nicht deine Fantasie was vor? Deine Weibentwöhntheit treibt mit dir ihren Schabernack, den sie als »weiberfest« dich rühmen.

Zum Teufel mit dem ganzen Weiberkram! Daß der sich immer wieder ungerufen melden muß! Und ist doch kein Platz für ihn, jetzt in dem Siedlungswerk.

Er denkt an die Genossen, die heute auch dabei waren – die sich wieder mal einsetzten mit Leib und Leben, wenige gegen viele. Daß man an diesen deutschen Jungen seine Freude hat, ist das nicht der Inbegriff!

Wäre es nur nicht deutsch gegen deutsch gegangen! Gegen undeutsch, ja! Aber gegen dieses Undeutsch, das nun einmal so verteufelt deutsch ist! War so und wird so sein! Ist unser Fluch! Und stammt aus unseres Wesens Tiefe!

Und wieder schlug ihn der große Schmerz. Und der Schmerz schlug ihn hart.

So heißt es aus dem Fluch Segen bereiten! Vielleicht, daß wir sonst einschlafen würden und in Faulheit ersticken! Nun heißt es für uns, nimmer müde sein! Wachen und schaffen! Und Schaffen und wachen! So heißt es! Und so soll es sein!

Horst fand die Freunde und die ganze Mannschaft noch auf den Beinen. Fast gleichzeitig mit ihm waren die Fußgänger eingetroffen. Jetzt ging es an ein Erzählen. Horst ließ mit Bedacht den Genossen das Wort.

Der Balbutz übernimmt freudig den Bericht. Schildert mit einer Anschaulichkeit, die keine falschen Farben 38 nötig hat, der Handlung Verlauf. Bemüht sich sachlich zu bleiben, bis der Schluß mit seiner Klopffechterei ihm Gemüt und Stil bewegt und die Schleusen seines Wortschatzes zieht.

Die »feigen Halunken« und »elenden Hundeseelen« – diese Ausrufe seines Zornes wecken Widerspruch. Mulitz, der Maurer, schüttelt den breiten Kopf, in den eckigen Augen zuckt etwas auf. »Das mußt nicht sagen, Balbutz! Ein paar hatten einen Mordschneid! Und – Gesinnung ist schließlich Gesinnung.«

»Gesinnung – Stuhlbeine – viele gegen einen – der ahnungslos und wehrlos ist – das ist Gesinnung? Schweinkram ist es!«

Fünf stimmen ihm lebhaft zu. Andere nicken gelassener. Einer ruft: »der heilige Josef soll reden!« Bei dem geht es ins Höhere und Tiefere, aber sowas wollen sie jetzt.

Gustav Elbenfried errötet wie ein Mädchen. »Ich soll –«

»Ja, du sollst«, rufen jetzt viele.

Der also Bestellte rudert mächtig mit den Armen durch die Luft, wie ein großer Vogel, dem der Aufflug nicht gelingt. Dann erst kommt er in Schwung, und seine Kinderaugen leuchten innig auf.

»Ihr hört von mir immer das alte Lied. Was ist Schuld an dieser Tücke, an diesem bösartigen Haß? Das, was die ganze Welt krank macht und verdirbt. Das Geld ist es, der Reichtum. Vom Geld kommt deshalb alles Üble, weil es das Lieblose ist. Darum macht es die Menschen böse. Christus wußte schon, was er vom Reichtum sprach. Was hat die Kirche, die selber Schätze sammelt – was hat sie von je gerade hieran herumgedeutet! Aber dies Wort müssen sie doch lassen stahn!«

Gisbert ist zu dem heiligen Josef getreten. Er sieht in der einen Ecke, wo der Schreiber Metzling sitzt, so 39 etwas wie mißtrauische Blicke. Unterschicht – Oberschicht. Als ob die Offiziere schwiegen, um die Leute auszuhorchen. Nun nimmt er selbst das Wort. Er spricht schlecht, aber in dem, was er sagt, ist seine Seele.

Daß Elbenfried recht habe! In Reichtum und Macht kann niemals der Mensch sich ausleben, sich ausstrahlen, sich verwirklichen! In seinem Besitz, in seinen Genüssen, ist er auf sich selbst beschränkt, sein eigener Gefangener. Und so verdorrt er. Darum – er muß, muß heraus aus seinem Selbst. Nur so wird er frei, nur so wird er gut – denn frei und gut ist dasselbe. Und so befreit, in selbstloser Hingabe und Güte, gehören wir nicht uns, gehören wir allen. So erst sind die Kerkermauern unserer Endlichkeit durchbrochen. So erst haben wir teil an dem All, so erst sind wir vereinigt mit dem Wirken des Ewigen.

Dankwart rückt auf dem Stuhl, als brenne Feuer darunter, in seinem schweren Augenlid wettert es mit Macht.

Kunz aber springt in die Höhe. Seine Glieder fliegen. Etwas Ungebändigtes zittert in seinen heißen Augen. »Alle und das All – wollen wir herumhampeln im luftleeren Raum! Wollen wir im Äther vereisen! Deutschland ist das All! Wißt ihr, daß wir die Feinde im Lande haben – den Franzmann im Lande haben! Daß er uns das Mark aus den Knochen zieht! Und daß wir wehrlos sind! Entwaffnet! Entwaffnete deutsche Männer! Könnt ihr das aus und zu Ende fühlen! Wollt ihr darüber eure südasiatische Weisheit kleistern! Das eine will ich jetzt wissen, ist ein einziger unter uns, der heut und morgen, so lange er lebt und leibt, nicht mit Jubel und Hurra und Hosianna dem Landesfeind an den Kragen geht, sobald der Tag der Erlösung naht! Und sich darauf freut! Das sollt ihr mir jetzt sagen – Du, Gisbert – und Gust Elbenfried, 40 Du – und Du, Maurer Mulitz. Seid ihr bereit und freut ihr euch darauf?«

Die Antworten waren ehrlich und schnell. »Das ist ja ganz was anderes!« – »Selbstverständlich ist das!« – »Und natürlich freut sich jeder darauf!«

»Gut,« sagte Kunz und wischte sich die zornig feuchten Augen, und es löste sich aus ihm wie ein Schluchzen. »Nach eurer Religionsphilosophie brauchte ich das. Ich mußte das hören! Ich wäre sonst nicht einen Tag länger in der Gemeinschaft geblieben.«

 


 << zurück weiter >>