Max Dreyer
Auf eigener Erde
Max Dreyer

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42.

Zwei Einsame, die nebeneinander leben. Anselm verstiegen in Eis und Schnee und vergraben, Ursula auf weh und mild besonnter Höhe. Anselm gerät in immer wildere Schroffen: es ist so und soll so und muß so sein. Ursula blickt um sich, blickt zurück und schaut voraus, prüfend, fragend und sorgenvoll.

Und sie denkt: ist es wahr, daß sich im Leben alles als Vergeltung wiederholt? Ich hab' mir damals nicht helfen lassen wollen von einem, der mich lieb hatte. Und der, den ich lieb habe, stößt jetzt meine Hand zurück!

Gerade aber, wie sie über des Daseins Kreise sinnt, kommt ein Schreiben ihres Berliner Anwaltes, daß ihrer Ehescheidung jetzt nichts mehr im Wege stehe, nachdem Herr Professor Godenrath – und hier drängt sich dem Geschäftsmann ein Wort der Anerkennung ein – in aufopfernder Weise den Weg geebnet habe. 445

Bernd – wie freu' ich mich und was dank ich Dir, daß in Deinem Bilde nichts, nichts auch nur um eine Linie verrückt wird! Ein schöner Besitz ist das, eine so reinliche Habe! Wenn ich an Dich denke, ist es eine ungetrübte Flut, klar bis auf den hellen Grund. Jetzt, wo ich weiß, daß auch Du überwunden hast, wühlt kein Schmerz sie mehr auf, keine Reue. Nicht die Reue, daß ich mich von Dir lossagte. Aber auch nicht die Reue, daß ich mich Dir ergab. Und um diese Reue ist es viel. Denn Du bist es ja doch, wegen dessen Anselm mich verschmäht.

Aber wie dem sei, hell, sacht und erquickt werd' ich immer Dein gedenken, Du lieber klarer Bernd!

Und wenn die Vergangenheit nun doch bei mir bleibt, wenn sie mich packt und vielleicht zugrunde richtet, Du bist außer und über dieser Not, Du wirst nicht hineingezogen in Strudel und Nacht, Dein Bild bleibt mir hell und unverwirrt.

Anselm aber ist das dunkle, brauende Schicksal. Er ist das Verstiegene, das Steile und Tiefe, der Schmerz, das Leben. Nach ihm muß sie blicken, nach ihm sich sehnen immerdar. In ihm ist ihr eigenes Dasein beschlossen.

Er hat sie verstoßen, aber wie kann sie von ihm sich verstoßen lassen! Hat sie nicht ihr Recht auf ihr 446 Schicksal? Gehört sie nicht zu ihrem Leben? Solange sie atmet, muß sie bei Anselm sein.

Das ist die einfache große Notwendigkeit. Wie lächerlich und klein ist dagegen die Trennung, ist dies Voneinanderlaufen, sind Zorn und Stolz und alle Empfindungen und Empfindlichkeiten hüben und drüben!

Diese Höhe hat Ursula gewonnen, und nun blickt sie, lächelnd fast, auf die Irrungen vom Wege. Und nichts als der eine gesunde und lebensstarke Gedanke, der sie immer geführt hat, wirkt in ihr, mächtiger noch als zuvor: Du bist in Not, Anselm, und darum helfe ich Dir!

Ein unwirscher Novembertag – am Morgen hatte ihn gefroren, zu Mittag braute er lauwarmen Nebel über die Felder, um sich am Abend in Sturm und Regen auszuwettern – führte den Grafen Saß als Besuch zu Ursula. Er war geneigt, mit einem Gleichgestimmten das satte Lied von der guten Ernte durch alle Verse zu singen, sie aber dachte gleich an ihr unglückliches Rotenmoor.

Sie sagte dem Grafen, ernstlich und stark, daß er Anselm unter die Arme greifen sollte.

Der alte Herr sah sie an, erst mit zwinkerndem Forschen, dann, da ihr fester Blick seine Neugier beschämte, sachlich und kühl. Und er meinte so: »Mit 447 dem Rotenmoorer, meine gnädige Frau, ist die Sache die. Wer ihm unter die Arme greift, tut das nur in der Aussicht, ihm an die Kehle gehn zu können. Und ich fühle mich nicht stark genug, solcher Versuchung zu widerstehn.«

Er verzog den Mund, seine Yankeezähne blitzten: »Das wissen Sie ja selbst, gnädigste Frau, wie so ein gutes Kornjahr auf den Appetit wirkt. Und dabei wäre Rotenmoor an sich gar nicht besonders mein Fall.«

»Unter solchen Umständen ja ein Glück! Aber darum ist es doch das schönste Gut in der Runde!«

»War es. Doch davon abgesehen – es gibt nun mal ausgesprochene Neigungen, für Güter so gut wie für Menschen. Wenigstens bei mir. Und daran sehen Sie, daß ich auch meine Sentimentalität habe und gar nicht der business man bin, für den Sie mich halten.«

»Ich hab' mir sagen lassen, daß business men mit sentimentalem Einschlag die schlimmsten sind.«

»Das würde mir ja freilich manches an mir erklären.« Er war alles andere eher als gekränkt. »Aber was ich sagen wollte – so kalt mich das ganze Rotenmoor läßt, eine so lebhafte Zärtlichkeit habe ich für Ihr Eichhof. Vielleicht weil die Trauben gar so hoch hängen. Oder« – und seine Augen 448 leuchteten wagemutig in die Pause hinein – »wäre es unter Umständen doch zu verkaufen?«

Ursula fuhr zusammen, erschreckt von einem Dunklen, und blieb eine Weile wie betäubt. Aber dann lebte und lachte sie auf: »Eichhof zu verkaufen? O nein!«

Und dann dachte sie nur das eine, auf das es ihr ankam: daß von dem Grafen keine Hilfe für Anselm zu erwarten sei. Von ihm nicht und von keinem sonst.

Der Graf fuhr im Nebel davon. Mit dem Regensturm wehte Onkel Bolko herüber.

Etwas Kümmerliches hatte der triefende kleine Mann. Er war nicht mehr der Alte. Er war alt und hatte nicht mehr die Sorglosigkeit. Noch grub er, spürte und schürfte und leuchtete die Welt nach Erdgas ab. Aber sein Wunderglauben wankte

»Wir kommen da nicht raus!« sagte er und scheitelte seine Glatze mit dem linken Mittelfinger. »Jetzt seh' ich das selbst. Wir sitzen im Kessel der Wurst und kommen da nicht raus.«

»Wir müssen. Wo ist Anselm?«

»Rechnet. Der Schulmeister, der er ist. Wenn er den Bruch nicht hat, der ihm das Genick bricht, stirbt er unruhig.« So redete er, aber seine Mienen waren erheblich schwerer als sein Kasinodeutsch. 449

Und er schmiedete Pläne mit Ursula.

»Du mußt ihm das Geld geben,« sagte sie. »Von mir nimmt er es nicht. Du hast eine Entdeckung gemacht, eine Erfindung! Ja, ja, so muß es gehen!«

Das schien ihnen gut und leicht, aber dann kamen ihnen die düstersten Bedenken. Ja, wenn es nicht Anselm wäre! Der vergrabenste und schwerste aller Menschen. Es war ihnen unheimlich, ihn zu täuschen. Sie hatten beide vor ihm Angst.

Von seinem Leben sprachen sie, von seinem Tagewerk, Onkel Bolko mußte erzählen, erzählen.

»Wenn er des Nachts noch schlief, wollt' ich nichts sagen. Aber dann muß er aufs Feld. Schreitet sein Land ab, als könnten sie ihm heimlich 'nen Zipfel wegschneiden und forttragen. Oder er klettert auf seinen unklugen Hengst und rast übers Moor, daß der Mond die Augen voll nassen Torf kriegt. Das beruhigt ihn, sagt er. Aber mich nicht, mir kommt selber dabei das Nachtwandeln an. Neulich bin ich ihm nachgegangen. Auf seinem alten Hünengrab hab' ich ihn gefunden. Der Gaul rieb sich die Mähne am Ginsterbusch, der Junge saß auf den Steinen und stierte in die Mondwolken. Naß war es und kalt, und den andern Tag hustete er, daß Gott erbarm'!« 450

Ursula zuckte zusammen. »Glaubst Du, er hat den Kampf aufgegeben? Und will sich selber – sich selber nun auch aufgeben?«

»Das will ich nicht sagen. Aber so viel scheint mir sicher: Wenn er Rotenmoor verliert, dann – er braucht gar keine Hand dazu zu rühren – verliert er auch sich selbst. Es geht so ganz von selbst in einem hin.«

»Und das alles soll man so untätig mitansehn!« Es war ein Schrei des Jammers. Aber dann faßte sie sich. Und wurde starr und wie von Eisen. »Ich muß helfen und ich werde helfen. Ich weiß noch nicht, wie. Aber es wird etwas geschehen – durch mich. Und das, was not tut.«

Auch Onkel Bolko ist wieder untergetaucht. Ursulas Einsamkeit aber ringt immer und immer nur mit dem einen Gedanken.

Was not tut! Das eine weiß sie, mit kleinen Mitteln ist nichts geschafft. Ein Großes muß geschehen.

Und keine Zeit ist zu verlieren. Der Junge steht noch immer nicht wieder fest auf der Erde. Die Krankheit hat all das Zarte und Feine in ihm überfeinert und gespannt zum Zerspringen.

Etwas Uebersinnliches, Ueberirdisches hat er bekommen, etwas Schwebendes und Schwindendes. 451

Wie sagt Onkel Bolko von ihm? Er braucht keine Hand zu rühren, um sich selbst zu verlieren.

Ja, ja – er wird sich auflösen, wenn sein Rotenmoor ihn nicht mehr hält. Und wie lange kann es ihn noch halten?

Die Angst treibt sie umher. Und immer flammen die Worte Anselms vor ihr: daß ihrer beider Leben in verschiedenen Bahnen kreise, daß sie beide nicht zusammengehören!

Und wenn ich zu Dir komme, komme ich von oben mit der alten Ueberlegenheit, die Dich als Jungen abtat und zur Seite schob!

Du traust mir nicht. Darum, weil ich Dich einmal gering achtete und mein Leben Dir davonlief.

Ja, Anselm, das Leben ist wohl nun einmal so. Und jetzt, wo ich zu Dir zurückkehre, willst Du mich nicht, so wie ich zu Dir wiederkomme. Das ist wohl so Mannesart und Frauenlos.

Aber gibt es nicht mehr als diese ausgetretenen Lebensgänge? Gibt es nicht ein Fühlen, das über ihnen ist, einen Willen, eine Tat – etwas, was über sie hinwegträgt? Und ist dieses Etwas nicht das große Schicksal?

Du, Anselm, aus der Höhe Deines Schmerzes, willst Irrgänge nicht gelten lassen. Und doch bin ich in die Irre gegangen – wie es kam, wer kennt 452 all die Schwingungen und Schwankungen der Menschenseele? – Denn immer und von je bin ich bei Dir und mit Dir und Dein eigen gewesen.

Und wenn Dich Dein Kranksein und Deine Lebensnot um Rotenmoor nicht noch höher hinaustrieben als der Schmerz um das, was ich Dir tat, hinaus bis in luftleere Räume, wo man nichts Menschliches mehr fühlt, Du würdest Dich nicht so eisig verschließen in ein Nichtverstehen und würdest auf Möglichkeiten schauen und auf des Lebens reichen, mildtätigen Wandel.

Und würdest glauben, würdest mir und meiner Liebe glauben!

Was weiß sie von der Ueberlegenheit, die Dir wehe tut? Ganz demütig ist sie und will Dir dienen. Alles will sie für Dich tun!

Du kannst nicht abhängig von mir sein. Du kannst nicht zu mir kommen, kannst nicht bei mir Deine Zuflucht suchen. Darum muß ich zu Dir gehen. Ich muß meine Zuflucht suchen bei Dir! Nur so können wir uns wiederfinden.

Es gibt nur das eine. Wie ein Blitz flammt es über ihr. Von Licht und Feuer braust und brandet es um sie her. 453

Für Dich mein Eichhof! Mein Eichhof aufgeben für Rotenmoor! Dir alles bringen, was ich habe und was ich bin, und von Dir mich halten lassen –!

Sie ist geblendet und wie betäubt. Es dauert, bis sie wieder auf den Füßen steht. Aber dann stemmt sie sie fest auf die Erde.

Nein, nein, das ist übermenschlich, das ist mehr, als ich vermag!

Mein Eichhof –! – –

Sie hat die Augen geschlossen, sie wehrt sich gegen den Schmerz der Erleuchtung.

Aber das unbarmherzige Licht läßt nicht von ihr ab. Immer weist es den einzigen Ausblick, immer deutet es auf den einen Weg. Und zur Schnelligkeit mahnt es. Gleich muß es geschehen, heute. Morgen ist es vielleicht schon zu spät.

Mein Eichhof hingeben – wer weiß, was das bedeutet! Wer weiß es außer Dir und mir! Wirst Du dann noch sagen können, daß ich hochmütig zu Dir komme? Wo ist dann mein Hochmut? Ja, wo ist dann noch mein Mut, meine Kraft, mein Leben? Dann komm ich zu Dir, ganz schwach, ganz hilflos, und wenn Du dann mich nicht nimmst und was ich Dir bringe, dann bin ich verweht. Wirst Du mir so glauben, Anselm? 454

Es war ein kalter Abend, in Winternähe. Ursula fror es bis ins Mark. Auf ihren Wirtschaftshof war sie getreten, still und behütet stand das Vieh in den Ställen, die Arbeit ruhte schon. Ein scharfer Ost strich über die Dächer, eine Wetterfahne knarrte im Winde. Ursula blickte hinauf, »1735« war in die eiserne Platte eingezeichnet. Die Grundmauern der Scheune stammten aus dieser Zeit.

Und diese Zahl wies zurück in weitere Ferne, zu den Anfängen des Hofes und des Herrengeschlechts. Seit dem sechzehnten Jahrhundert saßen hier die Eichs, gradlinig lief der Stammbaum bis zu Ursula herab. Alle Erinnerungen, die volle Arbeit, das ganze Leben des Geschlechts ruhten auf ihr.

Sie geht vor das Tor, der Hof liegt höher als die Felder, man übersieht von hier aus das Land. Morgen werden die letzten Rüben abgeerntet. Kein Gut hat in diesem Jahr solchen Rübenertrag aufzuweisen wie sie, niemals hat sie auf eine Feldfrucht so stolz sein dürfen.

An den Torpfeiler stemmt sie den Rücken. Dies alles soll sie im Stiche lassen? Wie kann sie das! Wie kann sie das! Und von da hinten dunkelt der Wald herüber, in dem ihre Kindheit, ihre Träume schlafen, all die Dämmerungen ihres Lebens. 455

Sie hat ihren See fast vergessen. Die schwere Arbeit, die harte Wirklichkeit dieser letzten Tage hat nichts von seinem Tiefsinn wissen wollen. Jetzt wirbt er herüber mit dem Recht und der Macht des Geheimnisses und eines geheimen Bundes.

Ich kann ja nicht fort! Und wofür – wofür soll ich mich zertrümmern! Und wem soll ich diese Trümmer bringen, ein schenkender Bettler!

Wenn er mich nicht will? Wenn er mich auch so nicht aufnimmt? Wenn er mich wieder zurückweist?

Nein, das wird nicht geschehen! Kann ein anderer auf der Welt so wie er verstehen und fühlen, wie Großes ich tue? Ueberwältigen muß ich seinen Starrsinn, und nur so kann ich seiner mächtig werden. Nur dieses Große kann helfen.

Und wenn sein krankhaft verstiegener Sinn nun doch noch mächtiger ist als alle Selbstentäußerung und alle Hingabe? Soll ich mein Dasein auf ein Experiment stellen? Bin ich, Ursula von Eich, mit meines Stammes und meiner eigenen ehrlichen und gefestigten Arbeit und Habe nicht mehr als sein überspannter Trotz?

Ist mein Eichhof nicht das sichere Bollwerk und Rotenmoor der verlorene Posten? Hat er nicht zu mir zu kommen? 456

Ja, wenn er nicht Anselm wäre! Und ich – würde ich ihn wohl lieb haben, wenn er sich so einfach nehmen und erhalten ließe?

Schon sitzt sie und rechnet: Kann ich mit dem, was ich brächte, Rotenmoor für uns retten? Das Ergebnis: Ja, es geht. Nicht ohne Not. Aber dies bißchen Not, Du lieber Gott, wie leicht, wie glücklich würden wir beide daran tragen!

Wenn ich nur bei Dir bin! Wäre es nun so gekommen, daß Du Dir in Afrika die Farm angeschafft hättest und Du riefest mich – würde ich hier nicht alles aufgeben und zu Dir eilen? Und was ich ohne Besinnen tun würde für das fremde Land in fremdem Erdteil, das sollte ich für Rotenmoor nicht tun, das ich immer zärtlich geliebt habe?

Es kam eine schwere Nacht, mit schweren Gedanken und wilden Kämpfen. Am anderen Morgen waren die Fluren mit Schnee bedeckt. Das war Ursula wie ein Zeichen. Nun sah sie nichts von ihrem Land, es war von ihr getrennt und entfernt. Und Kirchhofsgedanken kamen ihr, und nach Anselm, der dem Tode befreundet war, streckten sich ihre Arme, schützend und sehnsuchtsvoll.

Dann wurde es fest in ihr. Ein großer Schmerz, als ob etwas brach. Und nun sah sie nicht rechts, nicht links, sie ging an den Schreibtisch und schrieb 457 an den Grafen Saß, der zur Jagd geblieben war: Besondere Umstände hätten den Verkauf von Eichhof nun doch in den Bereich der Möglichkeit gerückt.

Der Graf kam noch am Nachmittag. Seine Bedingungen waren durchaus annehmbar. Ursula indessen, kraft ihrer geschäftlichen Tapferkeit, erreichte mehr. Und wie sie ihren Willen hatte, wußte sie, daß mit dieser Summe Rotenmoor zu halten sei.

Der Graf, mit seinem halben Lächeln, denn er schenkte immer noch nichts, setzte nach diesen letzten Zugeständnissen den Kaufvertrag in den Grundlinien auf. An einem der nächsten Tage sollte vorm Notar alles erledigt werden.

Am Abend fuhr Ursula nach Rotenmoor im Schlitten, neue Flocken fielen, sanft und weich, und die Welt träumte. Weihnachtlich klangen die Schlittenglocken.

Ursula war voll Demut und voll Stärke. Und so kam sie zu Anselm, der sich durchs Haar strich und sie anstarrte wie eine Erscheinung.

So glich er selbst einer Vision, unirdisch und durchsichtig, wie er war. Und Ursula sagte sich bebend, hätte ich nur ein wenig gezögert, ich wäre leicht zu spät gekommen. 458

Nun sprach sie zu ihm, ganz einfache, stille und kurze Worte, und doch war eine Weihe in ihnen, die Frömmigkeit und Demut ihrer großen Liebe.

»Ich muß bei Dir sein, und was ich Dir tue, tue ich mir. So ist Dein Rotenmoor mir mehr als mein Eichhof. Ich habe Eichhof verkauft. Und jetzt läßt Du mich Deine Arbeit teilen.«

Das ist ihm erst wie eine ferne Musik. Dann braust es wie Orgelklang über ihn her. Denn er fühlt die Größe und Kraft dieser Frauentat. Und ein Fest ist um ihn.

Aber dann zuckt er in ängstlichem Trotz und schwingt von dem kleinen Stolz. Doch über ihm bleibt der Orgelklang. »So bist Du zu mir – so – so« – ruft er heiser – »Du glaubst doch nicht, daß ich das geschehen lasse!«

»Das wirst Du schon müssen. Ich habe Eichhof nicht mehr. Wir haben jetzt nur noch unser Rotenmoor.«

Unser Rotenmoor! Da ist sie, die große und gute Selbstverständlichkeit, die lächelnd herabblickt auf seine winzigen und wühlenden Empfindungen.

Und nun steht sie bei ihm wie das Natürliche, wie das Leben.

Er aber findet immer noch nicht, und sie läßt ihm Zeit. Vom Kaufabschluß redet er, daß ja 459 glücklicherweise doch dazu erst die notarielle oder gerichtliche Bestätigung gehöre. Redet von Pflichten und Kalkulationen. Und sie läßt ihn ausreden.

Dann sagt sie: »Nun sprichst Du wie ein praktischer Mensch. Und bei der Kalkulation wollen wir einmal bleiben. Wir verkaufen einfach Eichhof, damit wir Rotenmoor halten können. Ist das nicht klar und vernünftig?«

Wir – wir – und immer wir –

»Unter allen Umständen bleibst Du Herr auf Rotenmoor. Daran ist nicht zu rütteln. Anders kannst Du nicht leben, und ich auch nicht.«

Er kämpft, er rudert mit den Armen. »Du – ja – wenn ich Deine Größe hätte, dann würde ich jetzt« – wie erschreckt hält er inne. »Aber ich habe Deine Größe nicht!« fügt er schwer hinzu.

Sie spricht in stillem Glanz: »Eine Frauensache, Anselm. Ein Mann darf so etwas gar nicht. Und nun laß es gut sein. Ich tu ja nur, was ich muß.«

Noch rudert er, schmerzlich und bewegt und sucht festes Land. Dann tritt er langsam zu ihr hin. Ihre Augen helfen ihm gleich. Er setzt sich neben sie, er beugt sich zu ihr nieder und küßt ihre Hände und neigt sich vor ihr, die ihm ergeben ist. 460

Demütig sind sie beide voreinander, machen sich klein und gering und kauern wie bedürftig zusammen, ganz eng und dicht, in der weiten, einsamen Herrlichkeit ihres Glückes.

So bleiben sie lange.

Dann hebt er sich frei empor, er richtet ihr Gesicht zu sich auf und blickt hinein mit verklärtem Auge. »Und immer, immer bist Du mehr als ich! Aber es tut nicht mehr weh, Du – Du liebe Frau.«

Und er nimmt ihren Kopf an seine Brust.

 

Ende.

 


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