Max Dreyer
Auf eigener Erde
Max Dreyer

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18.

Vor dem Schloß von Rotenmoor werden Teppiche abgeladen.

Jochem, der neue Herr, braucht die farbigen Gewebe. Er liebt es, seine Blicke breit und langsam über den Schimmer der Fläche sich ausschreiten zu lassen. Das beruhigt ihn, das entrückt ihn, das trägt ihn in leuchtende Lande.

Nicht, als ob er nicht fleißig bei der Arbeit wäre. Jeden Morgen um halb sechs muß ihn Kreimann, sein getreuer Kammerdiener, wecken. Und im Dienst kann man sich auf Kreimann verlassen, ob er sonst ein Phantast ist, nicht weniger als sein Gebieter.

Jochem hat sich ihn aus Berlin mitgebracht, wo er schon im letzten Jahre den Dienst versah, nachdem sein Herr ihn einem unglückseligen Dasein entrissen hatte.

Philander Kreimann war ein Kind der Bühne, sein Vater war Theaterfriseur gewesen, seine Mutter Souffleuse. Philander hatte gute Mittel, eine 161 Devrientnase, große Augen und ein tönendes Organ, sein tragischer Ehrgeiz war groß, aber sein Pathos war falsch, und so wollte er über den Chor nicht recht hinausgedeihen. In Zeiten der Niedergeschlagenheit erlernte er das väterliche Handwerk. In einer Stunde des Zorns sagte er dem Theater Lebewohl.

Aber er kam im Geschäftsleben nicht recht auf die Beine. Er trug doch zu viel Nachdenklichkeit und Heimweh mit sich herum. So fand ihn Jochem, und der machte ihn zu seinem Kammerdiener.

Sie waren es beide zufrieden. Den Schuß Elegie und Höhenluft zu aller Geschicklichkeit und Diensttreue konnte Jochem gut vertragen, und sehr willkommen waren ihm die Geister des Schminktopfes, die Philander zu rufen verstand wie einer.

»Kreiphi, wir werden Schweine! Sie haben mich heute morgen nicht rasiert. Oder soll das stilgemäß sein, von wegen die Stoppelfelder da draußen?«

»Es ging so in der Hast –«

»Wenn wir erst so anfangen, dann enden wir auf dem Mist.«

Der Kultus seines Körpers war Jochem heilig. Sein Bade- und Ankleidezimmer ein Tempel der Schönheit. Die Opfergeräte strahlend in Marmor, Silber und Elfenbein. 162

Des Tempeldieners Tagewerk war reichlich bemessen.

Jochem selbst blieb der fleißige Arbeiter. Auf den Feldern, in der Schreibstube tat er nach Kräften sich um, vom Morgen bis in die Nacht.

Selten nur sah er Ursula und meist aus der Ferne. Sie in ihrem Revier und er in seinem, und beide bei der Arbeit. Das gab ihnen ein Gemeinsames und eine Fröhlichkeit dazu, wenn sie sich Grüße winkten.

Ein paarmal sprachen sie sich flüchtig. Ursula kam über die Grenze und musterte seine Rübenfelder. »Leider stehen sie immer besser, je öfter ich sie mir ansehe! Wütend kann man werden!«

»Und ich bin doch so unschuldig daran.«

»Niederträchtig ist es aber doch. Warum haben bei Dir die Nematoden weniger gehaust!«

»Ja, die Welt ist so. Der eine hat die dicksten Rüben und der andere die dicksten Maden. Ich will mir aber alle Mühe geben –«

Sein Hohn war liebenswürdig, ohne Großtuerei, und Frische war in seinem Wesen. Er hatte an die vier Stunden im Sattel zugebracht, Kleider, Handschuhe und Gesicht trugen Spritzflecke, seine Gelecktheit hatte erfreulichen Schaden gelitten, die 163 ästhetischen Geheimmittel und schauspielerischen Schnurrpfeifereien waren zu Hause geblieben.

Ursula verzieh ihm seine Teppiche, seinen Stil und die gepflegte Geste, da er von ihnen frei sein konnte. Und sie sprach mit ihm von landwirtschaftlichen Dingen, auf die er mit geschmackvoller Bescheidenheit einging.

Er hatte eine glückliche Stunde und hielt sich gut in der Gewalt. Dabei spürte er wie immer seine Wirkung, und je mehr er gefiel, um so mehr gelang ihm eine kühle und reinliche Festigkeit. So fand er den lange ersehnten Lohn. Ursula forderte ihn auf, doch einmal am Abend nach Eichhof hinüberzukommen.

»Mit Freuden,« sagte er ruhig. »Heute und morgen wird es nichts werden. Aber wenn Ihr mich übermorgen haben wollt –?«

Er hatte gesiegt. Ursula, die sich in letzter Zeit steifnackiger als je gegen ihn gebärdet hatte, jetzt neigte sie sich ihm in Hulden. Nun ja – was bedeutet denn schließlich die hohe Stirn der Sprödigkeit und wozu anders ist sie im Grunde da, als daß sie sich einmal beugen muß! Weib ist Weib.

Freilich, mit Ursula muß man sehr fein sänftiglich fahren. Mit all den gaukelnden Farbenspielen, der schaukelnden Ueberlegenheit, dem tändelnden 164 Verblüffen, mit all dem Prickeln und Streicheln der Sinne, hier ist nichts damit zu erreichen.

»Kreiphi, ich muß heut' abend einen Charakterkopf haben, einen gutartigen, gereift, solide, jovial. Gewinnend in Ehren.«

Also gerüstet trat Jochem am Abend den Weg nach Eichhof an.

»Hast Du Deine Geige nicht mit?« fragte ihn Ursula. »Die aus der Provence, die so weint wie eine Frau?«

»Ich hab' mich so lange nicht mit ihr beschäftigen können, ich fürchte fast, die weinende Frau wird sich inzwischen getröstet haben.«

»Du bist ein heftiger Landwirt geworden. Und Du hast Freude an der Arbeit!«

»Nicht so sehr. Jedenfalls kann ich mit weniger auskommen.« Er kaute schmunzelnd die Oberlippe.

»Bild' Dir nur nicht ein, daß es leichter wird.«

»Ich weiß.«

»Je mehr Du erst verstehst, um so mehr wird es.«

»Dann werd' ich mich also bemühen müssen, möglichst wenig zu verstehen.« Er lachte sorglos und jung.

Inzwischen kamen Herr von Eich und Dame Doria. Auch sie fragten nach seiner Geige. Da setzte er ein zerknirschtes Gesicht auf. 165

»Das hat man nun davon! Wochenlang schindet man sich die Knochen lahm in seßhafter Arbeit und hat unerschütterliche bodenständige Vorsätze. Hilft aber alles nichts. Man ist der Vagabund und bleibt der Musikant.«

Sie nahmen seinen Kummer nicht schwerer als er war. Erreicht hatte Jochem aber doch, daß man ihn eines landwirtschaftlichen Gesprächs würdigte. Erst fragte er mehr und hörte, dann legte er sich selbst ins Zeug. Zunächst noch so, daß er um Rat nachsuchte, dann aber mit eigenen Gedanken, Entwürfen und Eroberungen.

Es müsse etwas geschehen – neue Kulturen brauche Rotenmoor. Warum würde hierzulande nicht mehr Hopfen gebaut? Sie hätten hier doch alle so guten Kalkmergel. Und Obstplantagen wolle er anlegen. Ueberhaupt, viel intensiver wolle er wirtschaften. Und etwas, von dem er sich besonderes verspräche: Geflügelzucht in größtem Maßstab wolle er treiben.

Herr von Eich nickte zu manchem, hier und da lächelte er, aber seinen Rat gab er freudig und seine Zweifel schonend.

Ursula jedoch, die Jochem mit grausam festen Blicken gepackt hielt, sagte höhnend: »Mir ist es, als hörte ich Onkel Bolko reden.« 166

Das war ein unerwarteter Hieb, schneidend und bitter hinein in das Glück seiner Beredsamkeit. Doch behielt er sich gut in der Gewalt, und mit einer Art freundlicher Selbstironie fuhr er fort: »Apropos – erfunden hab' ich auch was. Einen Hühnertastapparat. Wenn Onkel Bolko den sieht, wird er herbe.«

Mit dieser fröhlichen Sicherheit und Selbstbeherrschung entwaffnete er Ursula, und es blieb friedlich.

So konnte er sich beruhigt und gehoben in dem Zimmer umsehen, dessen stiller Geschmack und wie natürliche Innigkeit ihm unendlich wohl taten. »Wie gut habt Ihr es hier,« sagte er mit ehrlicher Wärme.

»Und Du in Deinem Schloß –«

»Ach, das ist ja mein ganzer Schmerz! Dieser Hexenkessel von ästhetischen Ruchlosigkeiten! Ich bin weiß Gott kein Stilist –«

»Na, na –«

»Und eine gewisse Reihe von Kakophonien und ein paar Schönheitspflästerchen – à la bonheur. Aber nichts als Pflaster statt der Schönheit –!«

»Und so ist Rotenmoor?«

»So ungefähr. Hier steckt jeder Stil und jeder Geschmack dem anderen die Zunge raus. Und so etwas von Farbenlehre!« 167

Er hielt dagegen, was seine Reisen ihm gezeigt hatten. Von normannischen Schlössern erzählte er Wunderdinge. Und immer waren es die Farben, von denen er sich tragen ließ, auf denen er sich wiegte, mit denen er lebte.

Gern hörte Ursula ihm zu. In seinen Worten war etwas, was die Gedanken beschwingte, ins Weite. Und dann kam es gar zu einer Vertraulichkeit, als sie ihm offenbarte: »Ich hab' es ja nie wahr haben wollen. Und hab' es immer als Verrat betrachtet an Eichhof und an mir selbst. Aber manchmal möchte ich in die Welt.«

Jochem sagte nichts darauf, und das war ihm zum Heile. Wie dankbar versunken war er in ein solches für Ursula bedeutsames Bekenntnis, das recht eigentlich an ihn gerichtet war. Dafür nahm Ursulas Vater das Wort.

»Aber Kind! Da fühlst Du nicht mehr und nicht weniger, als was alle Menschen fühlen!«

Nun wandte sie sich fast leidenschaftlich gegen ihn. »Fühlen das alle? Um so schlimmer! Aber ich – ich fühl' es ja im Grunde gar nicht so, Gott sei Dank. Reisen ist es eigentlich gar nicht, was ich möchte. Und wenn es bei allen anderen natürlich ist, bei mir wäre es eine ganz unnatürliche Treulosigkeit!« 168

Der Vater und Doria lachten dazu, wie sie sich so kindlich beschimpfte. Jochem nicht, er blickte still in ihr Wesen hinein.

»Aber fortfliegen können möchte ich manchmal, nur auf ein paar Stunden. Und dann wieder hier sein. Und nicht bloß Städte und Länder sehen – in vergangene Zeiten möchte ich zurück. Das heutige London ist mir höchst gleichgültig, aber nach dem Tower verlangt es mich. Und auf der Alhambra sitzen und auf einem der Nürnberger Warttürme mich niederlassen – so was möchte ich können.«

Ihr Vater und Doria sprachen dazu, gute und gescheite Dinge von deutscher Heimatinnigkeit, die doch wandern muß, vom Zaubermantel deutscher Romantik, und von deutschen Bauernjungen, die Wikinger waren. Jochem aber schwieg, und dies Schweigen nahm Ursula ihm gut. Sie wurden eine Art Bundesgenossen in der Stille, Bundesgenossen gegen die Aelteren, die nun einmal so rationalistisch sind, daß sie für alles Worte finden müssen und in Worten sich geistig am wohlsten fühlen.

Und von diesem Bewußtsein nahm Jochem auf den Heimweg einen inneren Glanz mit sich, in den seine Phantasie – jetzt brauchte er ihr keine Gewalt mehr anzutun – immer mehr von ihren 169 unerschöpflichen Wünschen hineinwarf. So wurde das Leuchten ein Feuer und wirbelte auf in hellen Flammen.

»Reisen – mit mir sollst Du reisen! Nein, fliegen, fliegen werden wir! Den Zaubermantel habe ich, von Glück und Sehnsucht ist er beschwingt. Ich hülle Dich ein in ihn, uns beide umhüllt er, und die Zärtlichkeit, die in Dir schläft, wärmt sich an meiner Brust.«

So schritt er durch den Abend und träumte, sehnte sich und sang.

Er konnte nicht schlafen, er wanderte durch die Zimmer seines Schlosses und wanderte zurück in vergangene Zeiten. Ein beglaubigter Chorstuhl aus salischer Zeit – welch ein Ruhesitz zum Träumen! – sah durch all die Räume der Jahrhunderte, über all ihre Zeugen hinab bis in den reichen Hausrat des Empire.

Aber es tat nicht wohl, hier zu wandern. Nein, nein – weh wurde einem zu Sinn. Wär' es doch eine Wildnis gewesen! Aber diese Ordnung, diese Uebergänge, diese Verbindungen, diese Ergänzungen und diese Verzierungen – oh! – wie schlimm waren die, wie bitterböse! Daß es so was von übeltäterischen Händen geben konnte! 170

»Nein, Ursula, so sollst Du nicht mit mir wandern. In dieses Gräuel führe ich Dich nicht hinein. Hier muß erst einmal grimmige Arbeit getan werden.«

Er rieb sich die Hände. Und an der frohen Leidenschaft für die Ersehnte steigerten sich seine künstlerischen Forderungen.

Hier sollst Du ein Reich finden, Ursula, ganz wie es Deiner würdig ist, Deiner und Deines Traumwandels, der mir so viel Entzücken gibt. Der recht eigentlich die Brücke ist zwischen uns beiden. Du hast Dir ja lange genug Mühe gegeben, das Bauernmädchen zu sein, das Du nicht bist. Nun bist Du mir nahe. Und hast es mir selbst freiwillig offenbart.

Hier sollst Du Dein Reich finden! Eine neue Aufgabe blüht mir, eine schönere, farbiger und sinnenfreudiger, als die da draußen. Aber beides soll Hand in Hand gehen, wie bei Dir. Daß Du Wohlgefallen an mir habest.

Heute aber gehören meine Gedanken diesem Reich der schönen Freude.

Und sein Geschmack schritt durch die Räume und zerstörte und schuf.

Er ließ sich eine Flasche Wein bringen, an Schlaf konnte er noch nicht denken. Es wurde zwei, ehe er ins Bett kam. Und Philander hatte um halb sechs seine bittere Not. 171

 


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