Max Dreyer
Auf eigener Erde
Max Dreyer

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27.

Was Ursula zuerst und vor allem kennen lernen will, ist die Tätigkeit ihres Mannes. »Sobald Dein Urlaub vorbei ist, nimmst Du mich einmal mit in Euer Bureau.«

»So was – hat nun allerdings noch nie eine Dame getan –«

»Dann bin ich die erste. Und in Deine Vorlesung geh' ich natürlich auch.«

Dies letztere tat sie zuerst.

Bernd las über den deutschen Totentanz. Siebenunddreißig Hörer hatten ganz regelrecht bei ihm belegt, das war für einen so jungen und unbekannten Lehrer ein Ergebnis, auf das er stolz sein durfte. Er war es auch, und er las mit Freudigkeit.

Zwei Hörerinnen saßen zu seinen Füßen. Die besah sich Ursula ganz genau. Mürrisch und verbohrt war die eine, mit einer verbissenen Wut stenographierte sie Wort für Wort nach. Die andere hatte offenen Sinn und leichte Augen. Sie fing nur diesen 242 und jenen Satz sich ein. Ursula mußte lachen über eine Art Eifersucht, die gegen alle beide sich erhob.

»Sie sind alle beide mit Liebe dabei,« sagte sie nach der Stunde ihrem Mann. »Die eine liebt Dich um der Sache willen und die andere liebt die Sache durch Dich. Eigentlich müßte ich mir so was verbitten.«

Bernd sprach frei und gut. Ursula wachte fast leidenschaftlich über seine Wirkung. Einem Bankgenossen, einem hübschen, sehr gut angezogenen Jungen, der seine Gedanken wo anders hatte und mit seinen rosigen Fingernägeln liebäugelte, warf sie die wütendsten Blicke zu.

Dann wurde sie ängstlich und besorgt, ob Bernd es auch recht machte. Ob er nicht zu gründlich wurde, ob er nicht zu viel nüchterne Tatsachen gab, ob sein Schritt nicht zu sehr am Boden klebte

Nun war das Semester bald halb herum, und er saß immer noch in der Einleitung, hatte immer noch die Franzosen und ihre »danse macabre« beim Wickel.

Weiter, weiter! hätte sie ihm zurufen mögen. Und auch höher, höher! wenn ihr die Zusammenhänge fehlten und der Umblick versagte.

Aber dann beleuchtete er doch wieder eine Einzelheit so scharf und gewann von ihr solche Reflexe, 243 daß Ursulas flatternde Wünsche sich emsig niederließen.

Und als sie mit ihm nach Hause ging, sagte sie ihm stolz und froh, daß sie vieles gelernt, und daß er seine Sache gut gemacht habe.

Diese ersten Tage blieben sie ganz für sich. Die Abende verlebten sie zu Hause. Bernd ließ nicht von seinem Schreibtisch und seiner Arbeit. Dann konnte sie mit schalkhaft zorniger Eifersucht ihm dazwischen fahren, und es gab einen Krieg, in dem die Küsse siegten.

Manche Stunde des Tages brachten sie in den Museen zu. Sie wollte tiefer hinein ins Reich seiner Forschung.

Und wie freute er sich, mit ihr in all die Lande zu fahren, in denen seine Arbeit Weg und Steg kannte, die Höhen und die Täler, manchen nicht leicht zu findenden Punkt mit prachtvoller Fernsicht und so manchen Winkel zum Träumen. Nicht das Malerische allein suchte er ihr an den Bildern zu deuten, die Zeiten und Kulturen, die in den Bildern waren, sollten sich ihr öffnen. Auf den Gewändern als Zaubermänteln ließen sie sich in die Fernen tragen.

Dann wieder verriet er ihr in dem und jenem unscheinbaren Bilde, das niemand beachtete, eine verlorene Innigkeit, die er nur kannte und die ihm 244 lieb geworden war: hier den Dämmerschein, da ein Beseeltes in den Bäumen, eine Wohnlichkeit in altmütterlicher Fensternische, einen leisen Akkord im Spiel der Hände.

So wie er's vermochte, führte er sie. Nicht auf Schwingen des Sturms oder auf Fittichen der Morgenröte. Es war wohl auch genug Lehrhaftes dabei und ein wenig vom Schulmeister. Aber sie fand sich doch so gut und warm in seine Art. Und an der lag es nicht, wenn diese ganze Bilderwelt doch nie recht eigentlich in ihr Innerstes einzog.

Bernd fühlte das wohl, und die Erkenntnis gab ihm Fragen auf. Würde sie je das Heiligtum seiner Arbeit mit ihm betreten können?

Dann suchte er in ihrem Wesen nach der Erklärung dieser absonderlichen Kühle. Er fand, daß Dichtungen ihr nicht mehr als Bildwerke zu geben hatten, während das Theater mit seinem plumpen Firlefanz sie schlechthin zurückstieß. Oft genug sprachen sie darüber, in mancher stillen Stunde dachte Ursula selbst über diese Verschlossenheit nach.

»Vielleicht ist es dies,« sagte sie einmal zu Bernd, »Gedichte und Bilder sind so ganz anders als die Musik. Sie sagen zu viel und wollen zu viel sagen. Sie verschweigen nicht genug, und darum bleibt mir zu wenig. Bei den Bildern muß ich mir was denken, 245 bei Musik kann ich mir was denken – so viel ich will. Und ich hab' nun einmal einen so eigensinnigen Willen, und ich will so viel.«

Dabei drückte sie seine Hand. Und er nahm dies letzte Wort als eine große Zärtlichkeit.

Gab er ihr nicht Großes? Da er ihr alles, alles gab, was in ihm lebendig war! Und er zog sie an sich mit einer sicheren Freude. Sie aber legte den Kopf an seine Schulter und sah ihn an mit verlorenen Augen. Und er dachte, diese Verlorenheit gehöre ihm und ihrer Liebe.

Aber gerade jetzt kam, zum erstenmal so schwer, das ganze große Heimweh nach ihrem Eichhof über sie. Sie wollte es ihm sagen, aber dann zwang sie so viel an sich herum, daß sie keine Worte fand. Und hier setzte eine Untreue gegen ihn ein, gegen die sie sich wehrte, aber die sie doch bei sich behielt. 246

 


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