Max Dreyer
Auf eigener Erde
Max Dreyer

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16.

»So stark war der Frühling noch nie!« sagte Ursula zu Doria. »Müde ist man zum Sterben. Und kann doch nicht schlafen.«

Sie wurde des Lenzes nicht froh. Und das erste Mal, daß sie klagte.

»Es ist zu dumm. Ich habe bisher nie gewußt, daß ich einen Kopf habe.«

»Du strengst Dich zu sehr an, Kind.«

»Ach, wenn ich faulenze, ist es noch schlimmer. Warum wird man eigentlich nicht mehr zur Ader gelassen wie in früheren Zeiten!«

Ueber Nacht war es grün geworden. Das Licht der Birken flirrte. In blasser Helle zitterte das Himmelsblau. »Als ob die ganze Welt ihre Nerven hätte!« sagte Ursula, und sie sprang auf und ließ sich ihren »Bob« satteln. Heraus aus dem Lächerlichen! Ist sie nicht auf ihrem Eichhof und ihres Vaters Statthalter? 146

Die Rübenarbeiter wollen beaufsichtigt sein. Arbeit gibt es aus den Feldern. Und ihr Tagewerk ruft nach ihr.

Sie ritt am Walde entlang. Durch den Hauch des knospenden Laubes hindurch. Er hängte sich ihr in die Kleider, ins Haar. Und der Kuckuck rief. Immer behielt sie diesen Ruf im Ohr, seine drängende Sehnsucht, seinen dreisten Jubel – den lauten Frühling. Diesen mochte sie nicht, heut' nicht, er weckte ihren Zorn, und »Bob« mußte es entgelten in überlangem Jagdgalopp.

Dann nahm ihr Vater sie an sich mit all seiner neckischen Güte. Im Frühling, ja, da zeige es sich. Die Leichtbeschwingten wollen fliegen. Und das Schwere, Bodenhafte nur senke sich tiefer in die Erde. Sie aber sei nicht schwer, sie mache sich nur schwer. Eine Libelle sei sie, eine verzauberte Prinzessin. Und sie wolle in den Flimmer, in die Welt.

Davon wurde sie nur zorniger. Bis er sie dann streichelte und aus dem Bannkreis entließ. »Ich spaß' doch nur, Jung', und übertreibe. Von der Libelle haben wir alle unser Teil, Gott sei Dank. Und sind alle verzauberte Königskinder – je jünger und je mehr Kind, um so mehr verzaubert. Sei man gut, bist doch 'n richtiger Klutenknerer! Und sollst 147 es bleiben! Und nun sag' 'mal, was meinst Du zu der neuen Drillmaschine?«

Sie war nicht ganz besänftigt und wurde es nicht. Es lag nun einmal etwas auf ihr. War es das Zerwürfnis mit Anselm?

Zu einem Zerwürfnis hat er das Geplänkel werden lassen. Er, er! Warum, warum ist er nicht gekommen, ihr Lebewohl zu sagen? Sie hatte es nicht so gemeint, das mußte er doch fühlen. So etwas fühlt man doch, wenn zwei so wie sie beide miteinander gewandert sind. Und nun soll sie ohne ihn sein? Deshalb? Das ist doch zu dumm. Und ein dummer Junge ist und bleibt er.

Schon hat sie die Feder in der Hand, ihm zu schreiben. Aber dann wirft sie sie fort. Und lehnt sich aus dem Fenster, greift in den Fliederbusch und reißt sich einen Zweig herein. Drückt das Gesicht in die Knospen und weckt ihren Duft, der noch schläft.

Soll er doch bleiben, wo er ist, der Junge, der Dickkopf!

Aber Bernd, ihr Freund und Lehrer, der kein Junge ist und kein Dickkopf, warum hat der sich auch verkrochen? Warum schreibt er nicht, wie es sich gehört? Freilich, sie ist ihm einen Brief schuldig. Aber, Du lieber Gott, wenn man immer die Feder 148 in der Hand hat wie der –! Dann kann man doch schreiben, auch wenn man nicht immer seine Antwort bekommt.

Und sie selbst hat nun mal was Besseres zu tun! Ist er empfindlich? Dann kann er ihr gewogen bleiben. Zärtlich ist sie ja auch gerade in ihrem letzten Brief nicht gewesen. Als sie ihm schrieb, daß sie jetzt genug hätte von den Büchern, daß die jetzt hinter den Ofen flögen. Der Märzwind riefe zu was Besserem.

Du bist noch von allen der Beste, Jochem. Wenn Du Dich auch nicht gerade übermäßig angestrengt hast. Denn es ist auch schon reichlich lange her, daß Du mir die Bilder aus der Provence geschickt hast, die mich überdies gar nichts angeht.

Aber mit Dir ist auch am leichtesten fertig zu werden. Wohl weil Du selbst am meisten Beweglichkeit hast. Und ich wollt', ich hätt Dich hier, und Du machtest mir den Hof, und ich könnte Dich ärgern. Denn Dich geärgert zu haben, das geht einem nicht übermäßig nahe. Aber Anselm –

Ach was! Er ganz allein ist an allem schuld. So Hals über Kopf abzureisen! Und jetzt kein Sterbenswort. Nein – nein – nicht weiter darüber nachdenken! 149

Aber seltsam ist es doch auf der Welt. Jetzt hat sie ihr Eichhof und steckt mitten in der Arbeit – all das ist ihr gegeben, wonach sie immer und immer sich gesehnt hat. Und nun ist doch etwas in ihr – so etwas wie eine leere Stelle. So etwas von unerfüllten Wünschen. Etwas Stilles und Wehes von Vereinsamung dann und wann. Zum Lachen – zum Weinen – zum Lachen!

Und sie umschlingt Doria, die gerade ins Zimmer tritt, und drückt sie und fordert: »Du sollst sagen, daß Du mich lieb hast! Warum sagst Du mir das nie?«

Mit der wachsenden Sommerzeit wird es besser. Als sie im Wiesengras die Glieder gebadet hat, als sie im Heu sich hat wälzen können, da ist ihr wieder kräftiger zu Sinn, gründiger und froher. Kein besseres Schlafmittel als Heuduft. Kein helleres Arbeitslied als Sensenklang.

Gut stand der Roggen. Tief und schwer gingen seine grünen Meereswogen, und schnell reifte er heran. Als Ursula in der Frühe zu der großen Ernte hinausritt, an der Spitze der Mähmaschinen, stolz wie ein Feldherr, da hatte sie für alle Frühlingsnöte nur ein lachendes Vergessen.

Und nun, als sie sie am wenigsten brauchte, kamen auch Gedenkzeichen von ihren Freunden. 150 Einer nach dem anderen schrieben sie ihr. Wie es sich ja allerdings gehörte.

Erst Jochem, und eine eigene Komposition hatte er beigelegt, eine Ballade. Was er schrieb, war selbst eine Komposition, gestellt und auf Eindruck bedacht. Und wirkte nicht, eben weil es sollte.

Dann kam Bernd, mit klaren, einfachen Worten. Es wäre ja ganz selbstverständlich, daß sie jetzt keine Lust und keine Zeit hätte, zu korrespondieren. Er hätte gehofft, dieser Tage selbst in die Kraft und Pracht ihres Sommers einen Blick tun zu können. Aber da wäre ihm wieder eine Arbeit aufgehalst, und nun müsse er sich mit einem Gruß begnügen.

Das war schon besser. Nur fand sie, daß er eine Neigung hatte, sich mit seinen Arbeiten hervorzutun.

Als letzter fand Anselm sich ein, mühsam. Er hatte mit sich gerungen, in jedem Worte war noch etwas von dem Kampf. Und das Ganze war schmerzensreich und war ihr doch das Willkommenste.

Anselm schrieb:

»Liebe Ursula!

Du sollst ein Lebenszeichen von mir haben. Ihr seid jetzt bei der Ernte – ich sitze hier vier Treppen hoch, und der Asphalt zittert bis zu mir herauf mit seinem Lärm und seinem glühenden 151 Dunst. Erst hatte ich ein Gartenzimmer, aber die Bäume taten mir zu leid. Berlin ist sehr gut für mich. Wer mit sich selbst zu tun hat, kann hier am besten in sich geh'n, und das ist doch, was ich will. Und dann – Berlin macht bescheiden, woran ich es doch immer mehr hatte fehlen lassen.

Vater geht es gar nicht gut. Bernardine hilft ihm und mir mit ihrer festen Hand, die so ist, daß sie erst immer weh tut. Aber nachher weiß man doch, was man an ihr hat. Beide lassen Euch grüßen.«

Kein Wort von dem Zerwürfnis, das zwischen ihnen war. Das kleinlich und lächerlich war – ja, das war es! Und er hatte es abgetan. Das paßte so gut zu seiner großen Art. Und dieses war schön und freute, wenn es auch nicht ohne Beschämung für sie abging.

Aber der Brief an sich, was er sagte und was er verschwieg, war einfach zum Heulen traurig. Sie kennt ihren Anselm, sie fühlt, was er trägt. »Ihr seid jetzt bei der Ernte« – darin liegt alles. Und der Bäume auf dem Steinhof, den sie in Berlin Garten nennen, jammerte es ihn. Immer stiller wird er, versunkener und einsamer. Nichts hat er als Bernardines harte Hand. Und doch braucht 152 keiner mehr Liebe als der Junge, weil keiner mehr Liebe fühlt als er.

Zum Heulen ist es. So schreibt ein junger Student, dem Berlin und das Leben sich auftut! Einer schreibt so, der die Bitternis sich sucht und in die Seele drückt und sich zu Tode kasteit.

Sie will ihm antworten. Aber was kann sie ihm sagen! Was können die Tintenflecke ihm sagen! Bei ihm sein! Und seine Hände nehmen, die selbstquälerischen, diese großen verlegenen Jungenhände, denen etwas fehlt, die etwas halten und fassen müssen, die hungrig, hungrig sind.

Dann kommt die Ernte wieder über sie und die ganze Sommerpracht, die von keinem Mitleid wissen mag, die Sonnenlust, die sich selber nur leuchtet.

Es kommen die kleinen Mühen, Sorgen und Aergernisse, aber die sind gut, die beflügeln, die Sporenstiche sind es für den starken, fröhlichen Lebensritt.

Heut häuft es sich ein wenig. Zu Mittag, als sie beim besten Einfahren sind, bricht ein Gewitter über sie los. Als Ursula am Nachmittag die Hocken auf den Feldern sich ansieht, findet sie auf dem einen Schlag die Garben so liederlich gestellt, daß sie in eine wilde Untersuchung sich stürzt. Und am Abend 153 kriegt das eine Kutschpferd Kolik. Gerade muß ihr Vater, der beste Tierarzt in der Runde, zur Stadt geritten sein. Sie überwacht die Einreibung des Tieres, die Einwicklung des Bauches, die Mischung und Darreichung des Glaubersalztranks. Sie bleibt dabei, wie der Braune umhergeführt wird. Als der Vater nach Hause kommt, ist die Gefahr vorüber.

Da schmeckt Ursula das Abendbrot. Und es schläft sich so gut. Nichts mehr von der Frühlingsmüdigkeit, der halbwachen. Jetzt ist sie das, was man schön müde heißt, und im Schlafen und Wachen ist Freudigkeit und Stärke. 154

 


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