Max Dreyer
Auf eigener Erde
Max Dreyer

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41.

Anselm verkauft die Kunstschätze des Schlosses. Onkel Bolko hökert mit ihnen voll Lust. Mehr als einen Antiquitätenhändler seift er ein, er wenigstens schwimmt jetzt in ungetrübter Fröhlichkeit.

Anselm ist über den Büchern, gebückt, unbewegt, blaß und bebrillt. Immer über den Büchern, ganz wie seine Mutter. Er muß da sein, wo alle Fäden zusammenlaufen. Hier im Hauptquartier werden die Entwürfe gemacht, oft zu langsam und schwerfällig, denn Anselm ist noch unbeholfen. Und Onkel Bolkos Fixigkeit mehrt seinen Bedacht.

Aber seine Umsicht und Entschlossenheit wächst, mit ihnen die Klarheit über seine Lage und damit sein Kampfesmut.

Etwas wie ein trotziger Frohmut steht in ihm auf, fast was raubritterhaft Verwegenes und Verwogenes. Die sollen nur kommen, die mich hier aufheben und fortbringen wollen! Und er konnte der Belagerung mit lachendem, abenteuerndem Hohn begegnen. 429

Er war nach harter Prüfung bereit, noch mehr Land zu opfern, um sich auf kleinerem Boden sicherer zu halten. Es war zu spät. Die Hypothekengläubiger erlaubten keine Veräußerung mehr. Der Ring alter und neuer Forderungen hatte sich geschlossen. Jetzt ging es ums Ganze. Der Entscheidungskampf begann.

In dem Anspannen aller Kräfte fand Anselm seine Heilung. Durch Mühe und Arbeit gesund geschmiedet, stand er fest und stark auf dem Plan. Und wenn in die Ruhestunden die Erinnerung einzog, trug selbst sie ein kriegerisches Kleid. Denn sie spielte nicht mehr weich mit verlorenen Wünschen, sie war hart und voll Bitternis geworden.

Wochenlang hatte Anselm den verwüsteten Eichenwald gemieden. Heute, vor Sonnenaufgang – noch flatterte die Nacht über den grauen tiefen Wolken – saß er dort in der Wildnis auf einem Stumpf, verkrümmt und verbissen, und dachte zornig an das, was eine frevelnde Hand seinem Leben angetan hatte, ob diese Hand gleich im Grabe moderte.

Er ist auf einem Vorwerk gewesen, wo Streitigkeiten zwischen den polnischen Rübenarbeitern und dem Inspektor ausgebrochen waren, die Leute hatten vor Tau und Tag von dannen gewollt, er hat sie mit Ernst und ruhiger Herrschaft zur Pflicht geführt. 430

Nun hat ihn der Weg an den erschlagenen Wald gebracht. Er schreitet durch die Rodung, mitten unter den toten Stümpfen hält er Rast. Und nicht die Klage ist bei ihm, nur Zorn, Feindschaft und Kampf und der rauhe Wille.

Und das, was sich in ihm mehrt, ist die Leidenschaft für sein mißhandeltes Gut. Er hätte es nicht so lieb gehabt, wäre alles in glatter Ordnung gewesen, in dem stillen Behagen fester Habe. Er kann wohl nur im Schmerz aufflammen. Und nur für das, was leidet und Hilfe braucht. Jetzt aber wirft sich all seine Zärtlichkeit, das ganze Ungestüm seiner Jugend auf sein Land, das arm, zerstückt und verwüstet ist.

Er hatte nie etwas zum Lieben gehabt. Nicht Vater, nicht Mutter, keine Geschwister, kein Weib. Was ihn für Ursula erfüllte, dieses weite, großmächtige Traumleben, aus der stürmendsten Sehnsucht und der hilflosesten Scheu gemischt – dieses knabenhafte Brausen, Flammen und Wirbeln in Verzückung und Verzweifeln, es war ja doch bei ihm geblieben, war Einsamkeit gewesen und in Einsamkeit zu Ende gekämpft.

In solchen Stunden, da er seine Bitterkeit nicht sänftigen konnte, bekam auch Ursula ihr Teil.

Neid konnte er dann gegen sie fühlen. Hatte von dem nicht schon in dem Jungen etwas gewühlt? 431 Wie er um sein Rotenmoor, von dem sein Knabenherz nicht lassen konnte, in so bitterer Not war! Sie aber hatte ihr Eichhof, in stolzer Sicherheit, und sprach davon, gehoben und kühl, und sah auf ihn herab, halb mitleidig, halb hoheitsvoll, und beides tat weh. Ja ja, wie hatte sie ihm weh getan! Wer auf der Welt hatte ihm so viel Leid zugefügt. Wenn er den Schmerz hätte malen müssen, der hätte Ursulas Züge getragen!

Aber all diese Regungen kehrten immer nur zurück zu der Leidenschaft seines Lebens, zu der Liebe für sein Land.

Und in sonntäglicher Stunde, wenn die alten Gottesgedanken ihn bewegten und er dem Fluche nachsann, den die Evangelisten über irdisches Gut gesprochen haben, dann fand er eine klare und gerade Bahn hindurch zu dem Recht seiner Liebe. Heimatlose und Wanderer haben diesen Fluch in die Welt gesetzt – sollen wir den Herrn nicht weiter und gütiger verstehen? Ist nicht in aller und jeder Hingabe, gleichviel welcher, sofern sie das eigene Leben einsetzt für ein Geliebtes, für einen Menschen, für eine Idee, für eine Leidenschaft, für das Vaterland, die Heimat, für eine Habe – ist nicht in jeder Hingabe etwas von dem Kreuzestod und dem Erlöserwerk? Er läßt sich den Glauben an seinen Gott und 432 sein Gut, an seine Arbeit und seine Liebe nicht rauben.

Die Ernte ist reichlich in diesem Jahr. Für Ursula bringt sie glänzenden Gewinn. Anselm fristet davon sein Dasein. Noch hofft er auf einen wenn auch nur geringen Ueberschuß. Aber bald wird es klar, die Zinsen fressen fast den ganzen Ertrag.

Schlimm ist das, vernichtend im Grunde. Die Ernte war gut. Wenn es danach eine mäßige oder gar eine schlechte gibt? Indes – kann, ja kann denn nicht auch eine noch bessere kommen? Gewiß hat Rotenmoor schon bessere, sehr viel bessere erlebt. Aber was ist früher auch für das Gut geschehen, und wie ist es in den letzten Jahren vernachlässigt! Und jetzt – woher jetzt das Geld für die Meliorationen nehmen?

Was aber, wenn es jetzt, wo alles auf des Messers Schneide steht, einem der Gläubiger einfällt, nur mit dem kleinen Finger einen Stoß zu geben?

Doch auf drohende Gefahren blickt Anselm mit herber Freude. Und gerade die Bitternis gewinnt er lieb. Und wird einsamer und starrer in diesem verbissenen Frohlocken.

Anselm hat sich ein junges Pferd zugeritten, einen schwierigen Hengst. Der ist aus der alten Zucht 433 von Rotenmoor, die auch zugrunde geht. Auch er ein letzter seines Stammes, störrisch und scheu, wie es sich für einen solchen gehört. Und darin versteh'n die beiden sich gut.

Es ist Anselms Erholung, ihn im Gelände zu arbeiten. Mit den steilen, zerklüfteten Abhängen einer Kiesgrube kann sich das Tier nicht befreunden. Eben darum muß es an den Rand, immer wieder, und um den Rand herum, in allen Gangarten, gerade wegen seines wilden Steigens und Bockens.

So trifft Ursula den Freund. Gegen den herbstlichen Abendhimmel sieht sie die schwarze Gestalt der beiden in einem sich wirbeln und zucken und wüten, ein großes tobendes Ungeheuer.

Sie ist selbst beritten, behäbig auf einer sanften Stute. Jetzt galoppiert sie hinzu, und schon von weitem ruft sie. Anselm hat inzwischen seinen Willen bekommen und trabt ihr entgegen. Nun halten sie beieinander. Der Hengst ist schaumbedeckt und schnaubt Feuer, die milde Stute rümpft die Nüstern und wackelt vorwurfsvoll mit den Ohren.

Ursula schilt. »Was sind das wieder für Sachen! Bist Du immer noch das Kind und brauchst immer noch Deine Turmklettereien!«

Anselms geschwächte Lunge ist noch atemlos. Sie prüft mit Sorge sein blasses Gesicht. Aber schon 434 hat es ein junges Lächeln. Jungenhaft fröhlich ist er, daß er so abgekanzelt wird. Aber dann wirkt das Wort von der Turmkletterei, wirkt an Erinnerungen und macht ihn unfroh und spröde.

Er mustert sie, er mustert ihren Gaul, sein Blick wird hochfahrend. »Wirst Du so bequem, daß Du Dich auf solche Milchwagenpferde setzst?«

Was er spricht, ist so ganz anders als er selbst. Es ist so ganz unterhalb seines Wesens und hat so gar nichts mit ihnen beiden zu tun. Ursula vernimmt, wie hoch und hart alles in ihm gespannt ist, sie weiß nichts von eigener Empfindlichkeit, sie ist ganz sorgsam und zärtlich in ihn versunken. Und sie spricht mit einer Ruhe, die alle Ueberlegenheit vermeidet: »Ja, Anselm. Ich bin eine Madam.«

Da sie aber fürchtet, daß allzuviel Friedfertigkeit ihn beschämen könnte, spielt sie einen Trumpf nach. »Uebrigens machen meine Milchwagen höhere Ansprüche als ich.«

Nun stürzt sich aber Anselms ganzes Mißtrauen auf diese letzten Worte. Die Molkerei von Eichhof ist hervorragend, Rotenmoor kann sich gerade hierin am wenigsten mit dem Nachbargut messen. Will sie ihm das unter die Nase halten? Oder möchte sie ihm die Tatsache zu fühlen geben, daß überhaupt ihre Arbeitspferde so viel besser sind als die seinen? 435

Er schämt sich, daß er kleinlich ist, und will doch gerade das Kleinliche und die Beschämung nicht missen. »O – nichts gegen Deine Gutsherrlichkeit!« sagt er kühl.

Und wieder nimmt sie gütig alles hin, den fremden Ton und das gespitzte Wort und spricht einfach, fast mütterlich: »Anselm, wie reden wir bloß miteinander!«

Das trifft ihn. Aber wie er in sich geht, kriecht er noch mehr in sich zusammen. Er greift zu einem frostig sachlichen Gespräch, indem er Ursula fragt, was für Erfahrungen sie mit ihrer Stärkemühle gemacht habe.

»Darüber und über vieles andere möcht' ich mit Dir reden, wenn Du mich zum Abendbrot einlädst,« entgegnet sie unbefangen. »Ich bin sowieso auf dem Wege zu Dir.«

Nun schwingen andere Saiten in ihm. Er ist der Wirt, er gibt ihr Freundlichkeit und ist voll Fürsorge.

»Leider wirst Du es nicht gerade behaglich bei mir finden,« meint er, wie sie auf den Hof reiten.

»Wenn Du mich los werden willst – jetzt ist es zu spät!« gibt sie scherzend zurück.

Anselm nimmt die Mahlzeiten in seinem kahlen Arbeitszimmer, zwischen Bücherschränken und 436 Regalen. Hier setzen sie sich nieder. Ein ganz junger Teckel, der ihnen hilflos zärtlich um die Beine torkelt, bringt den einzigen Gemütston in diesen Raum.

Onkel Bolko findet sich ein. Auch er führt hier ein trocknes, aktenmäßiges Gesicht. Speise und Trank sind nicht dazu angetan, es sonderlich zu beleben.

Das alte mürrische Dienstmädchen, das sie bedient, stellt sich an den Samowar, den Tee zu bereiten. Aber hier schafft Ursula nun doch einen Wandel ins Anmutige, da sie selbst diese Besorgung übernimmt.

Onkel Bolko wird es lieblich zu Sinn, Anselm aber blickt nicht ohne Scheu auf ihre hausmütterlichen Hände.

Wie sie nun einmal im Zug ist, läßt sie es sich nicht nehmen, der bescheidenen Tafel selbst durch kleine Mittel, die das Geheimnis der Frau sind, ein freundlicheres Antlitz zu geben. Und dann geht sie weiter und macht Vorschläge, die sich bessernd mit der ganzen Umgebung beschäftigen.

Warum das Schreibpult nicht näher am Fenster stehe? Erstlich mal habe man da mehr Licht und zweitens biete die Wand dann Platz für ein Sofa oder eine Chaise. So was brauche man doch! Das 437 Ganze sehe ja aus wie eine Polizeistube, nicht wie ein menschliches Gelaß.

Und dann der eine Raum nebenan, der jetzt ganz leer und unbenutzt sei. Ihn könne sich Anselm doch als Wohnzimmer gemütlich machen. Da stehen nun all die vielen Sachen im Schloß – – Anselm wehrt sich gegen ihre Ratschläge mit Unruhe, fast mit Heftigkeit. So wie es sei, sei es gut und ihm gerade recht! So wolle er es haben und so solle es bleiben.

Onkel Bolko zieht die Brauen in die Höhe. Weiß sie denn immer noch nicht, daß auf diese Art mit dem Jungen nichts anzufangen ist?

Ursula aber hat das gute Gewissen ihres klaren und großen Gefühles. Sie läßt sich durch eine Verstimmung, die sich breit machen will, nicht beirren. Als dann Onkel Bolko sich seiner Betriebsamkeit ergibt und sie mit Anselm allein ist, geht sie der Sache auf den Grund.

»Anselm – ich muß mal ein offenes Wort mit Dir sprechen.«

»Das heißt, Du hast was an mir auszusetzen.«

»Ja. Sag mal, was ist eigentlich mit Dir? Warum ist es nicht mehr zwischen uns wie es früher war?« 438

»Ist es das nicht? Wenigstens, daß Du an mir was auszusetzen hast, das war doch auch früher schon.« Es soll leicht und scherzhaft klingen und hat doch einen wehen Ton, in dem etwas schrillt. »Im übrigen aber sind wir nun mal nicht mehr die Kinder.«

»Aber Freunde sind wir. Und ist das freundschaftlich?«

»Was meinst Du?«

»Wie Du Dich zu mir verhältst! Du vergräbst Dich vor mir! Mißtrauisch bist Du gegen mich und machst es mir unmöglich, zu Dir zu kommen. Ist das eine Art, daß ich – ich mich von Dir fernhalten muß?«

»Das sollst Du gewiß nicht.«

»Dann hab Dich auch nicht immerfort so, als wollt ich Dich beaufsichtigen oder bevormunden oder am Gängelband führen –«

»Nun, Ursula – ehrlich – ein ganz klein wenig neigst Du doch wohl dazu.« Er sagt es milde und lächelnd.

»Das ist nur Deine übertriebene Empfindlichkeit! Ich will ja weiter gar nichts, nur nützlich will ich Dir sein. Helfen möcht ich Dir!«

»Helfen –?« 439

»Herrgott, ist das auch schon wieder zu viel gesagt? Soll das Versteckspiel weitergehn? Soll ich nun aus lauter Zartgefühl nicht wissen, wie schwer Du zu kämpfen hast?«

»Lieber wär' es mir allerdings, wenn schon davon gesprochen werden muß – ich sagte es Dir, statt daß ich es von Dir höre.«

»Ja, ja, so bist Du! Aber auf solche Feinheiten gebe ich nichts. Und im übrigen: Du bissest Dir doch eher die Zunge ab, ehe Du es sagen würdest! Aber da wir nun einmal davon sprechen, so oder so – Anselm, ich kann das nicht länger mit ansehn! Ich kann nicht länger ruhig zugucken, wie Du Dich aufreibst! Es muß etwas für Dich geschehen!«

»Erlaube, Ursula!« Das ist ein Verweis.

»Beantworte mir eine Frage! Wenn ich in Deiner Lage wär' und Du in meiner – was würdest Du tun?«

»Natürlich würd' ich mit aller Kraft Dir beistehn.«

»Natürlich! Nun siehst Du! Und ich soll das nicht dürfen! Bin ich denn weniger als Du?«

»Nein, Ursula. Du bist mehr als ich. Du bist immer mehr gewesen. Und davon ist wohl alles gekommen.« In diesen letzten sinkenden Worten ist das Dunkle und Schwere. Sie starrt wie erschreckt und ratlos darauf hin. 440

»Was ist das? Was hast Du Dir da wieder zusammenphantasiert?«

Er schüttelt kurz und fest den Kopf. »Es ist schon so. Wir haben doch eigentlich nie auf demselben Boden gestanden. Du warst immer oben, ich unten.«

»Anselm, wie kannst Du das sagen!«

»Du tust so, als machte ich Dir einen Vorwurf daraus. Das wäre doch zum Lachen. Selbstverständlich war es so und ist es so. Ich war der dumme Junge. Und selbstverständlich ist Dein Leben eine ganz andere Bahn gezogen.«

Das war es also – daß sie von ihm gegangen war, das konnte er nicht überwinden. Von einem Schmerz, in dem ein Glück ist, schauert sie zusammen.

»Für mich ist es also gar keine Ueberraschung,« fährt er ruhig fort, »daß Du von oben zu mir herabsteigst mit Deiner Güte. Aber Du wirst auch verstehen –«

»Das ist ja alles nicht wahr, Anselm! Als Kamerad komm' ich zu Dir!«

»Ursula, Kameraden sind die, die Schulter an Schulter kämpfen. Die zusammenstehen und zusammen bleiben. Die zueinander gehören.«

»Und das tun wir nicht?« 441

Er sieht sie groß und klar an, unbestechlich, unerbittlich. Dann sagt er still, mit tiefem, schwerem Bedacht: »Nein, Ursula. Doch nicht so ganz. Wie könnt' es sonst wohl sein, daß ich mich so gegen Dich auflehnen muß?«

»Soll ich Dir sagen, warum Du das tust?« Sie hält sich nicht mehr, in einen Zorn ist sie gekommen, sie springt auf und läuft durch die Stube. »Weil Du so über die Maßen hochmütig und so heillos eigensinnig bist!«

»So magst Du es nennen –«

»Und weißt Du, daß Dein Hochmut besonders schlimm ist?«

»Nein.«

»Weil er mißtrauisch ist! Womit hab' ich Dein Mißtrauen verdient?«

Anselm sagt kein Wort. Er sieht sie nur an, groß und schwer. Da wendet sie sich ab. Ja, ja, ich weiß! Aber ich – ich hab' es abgetan, hab' es zu Ende gebracht und überwunden. Es war ein ehrlicher Kampf und ehrlicher Sieg. Kannst Du es nicht auch überwinden?

Es wirft sie hin und her. Da hält sie sich an dem, was wirklich und in drohender Nähe ist. »Aber mit all unserm Reden schaffen wir das eine nicht 442 aus der Welt. Du bist in Bedrängnis, Anselm. Was soll geschehen?«

»Ich werde weiter kämpfen.«

»Allein?«

»Ja!«

»Herrgott, Anselm – so stoß doch die Hand nicht zurück, die sich Dir bietet!«

»Ich bin Dir ja dankbar, Ursula« – er spricht mit fremder Höflichkeit – »aber Du wirst Dir selbst über den Beistand nicht klar sein.«

»Wer sagt Dir das?«

Nun nimmt er vollends eine geschäftliche Haltung an. »Jedenfalls kann ich es nicht verantworten, Dich in den Kampf mit hineinzuziehn.«

Das wird klanglos gesprochen, nüchtern und sorgfältig – und es verrät ihn doch. Dahinter steht zum Entsetzen die ganze Hilflosigkeit seiner Lage.

Sie will sich dagegen sträuben, daß er mit seinen Worten ein geschäftliches Maß an ihren Beistand legt, der aus der Seele kommt. Aber dann sieht sie in seinen weiten beherrschten Augen den ganzen Schmerz seines Lebens. Und über diesem Schmerz ein Losgelöstsein, ein Fernes und Schwebendes, das schon von den Dingen sich scheidet.

In Angst und Not starrt sie in sein blasses Gesicht. Und sie faßt seine Hand. »Anselm – lieber Anselm, was soll bloß werden!« 443

Er hebt den Kopf und spricht still aus klarer Höhe:

»Ich geh nicht von meinem Rotenmoor.«

Da wird ihre Not um ihn so groß, daß sie ruft:

»Anselm, ich bitte Dich – was ist schließlich Hab und Gut! Es gibt doch wohl etwas, was mehr ist!«

Nie hat sie so gesprochen. Nie hat sie so gefühlt. Das erste Mal, daß ihr Eichhof hinter sie tritt. Und nur der eine Gedanke hat Kraft in ihr: Für Dich! Was täte ich nicht für Dich!

Anselm blickt sie an, unsicher, wie verstört von ihrem Geständnis. Doch er gewinnt gleich den Boden wieder und sagt hell: »So redest Du jetzt! Und damals, als es bei Dir um Dein Eichhof ging –!«

Sie aber packt nur fester seine Hand. »Sag' mir, Anselm – hast Du denn nicht vor allem das eine Gefühl, daß Rotenmoor und Eichhof eins sind?«

Eine zitternde Pause Dann schüttelt Anselm leise den Kopf und sagt: »Nein.«

»Anselm! Eichhof gehört Dir!«

So öffnet sie ihm die Arme. So umfängt ihn flutend ihre ganze leuchtende Innigkeit.

Er aber reckt sich gequält und steift sich fest und blickt sie an mit zorniger Angst: »Ich kann nicht abhängig von Dir sein!« 444

 


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