Max Dreyer
Auf eigener Erde
Max Dreyer

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25.

Anselm war gern Soldat. Es wurde ihm nicht leicht gemacht, aber gerade so war es ihm recht. Sein Rittmeister mochte ihn nicht leiden, dem war er zu geistig. »Gedanken schaden dem Sitz,« meinte der Mann, das Gesäß war ihm die Weltseele.

Nichts blieb Anselm erspart. Mit endlosem Stalldienst wurde er planmäßig heimgesucht. Das sollte ihm die Philosophie austreiben, aber es mehrte nur seine Weisheit.

Er fand dafür Freunde genug im Regiment. Unter den Offizieren, namentlich unter den jüngeren Leutnants, waren ernste Menschen, die sich mit Ideen abgaben. Und sogar Proselytenmacherei durfte er üben.

Mit ihm war als Avantageur ein Muttersöhnchen eingetreten, ein weicher, bildhübscher Junge, rotbäckig und rund. Der sich gern hinter seine Liebenswürdigkeit drückte, durch die er alles 233 gewann. Er hatte die besten Vorsätze, sich fröhlich durch das Leben zu faulenzen.

Ihn nahm Anselm sich gehörig vor. Erst glitt alles an seinem gleichgültigen Behagen ab. Dann forschte Anselm nach einer Schwäche bei ihm, nach einer Leidenschaft. Und es fand sich die Stelle, wo der Hebel anzusetzen war.

Hinz von Oidt hatte Rennreiterbegierden. Sie schliefen, aber sie lebten. Und Anselm rief sie wach.

Jeder schaffte sich einen Steepler an. Morgens in aller Frühe, vor dem Dienst, wurde er »gearbeitet«. Es waren viele Rennpferde im Regiment, ein Oberleutnant, der unter den Herrenreitern einen glänzenden Namen hatte und nie bei der Morgenarbeit fehlte, ein guter, hilfreicher Kamerad, nahm sich der beiden Jungen an.

Hinz war oft nach nächtlichen Gelagen nicht aus dem Bett zu kriegen. Aber Anselm ließ nicht locker. Er weckte erbarmungslos. Hinz schimpfte, aber diese »Massage seines Ehrgefühls« wirkte eindringlicher von Tag zu Tage.

Hinz aß und trank gern. Er war ernstlich gesonnen, sich ein Bäuchlein stehen zu lassen. »Weg damit,« sagte Anselm. »Weg mit dem Uebergewicht. Training! Sinngemäß leben! Du hast eine Aufgabe. Du sollst achtundsechzig Kilo reiten.« 234

Eine Aufgabe haben! Darauf kommt alles an. Ob man den Nordpol finden will, sich mit den Marsbewohnern verständigen oder ein Rennen gewinnen. Einen geraden Willen und einen geraden Weg! Darauf kommt es an.

Und als Anselm ihn so weit hatte, führte er ihn auch immer tiefer in das Gedankliche ein. Trotz mancher Rückfälle und gegen des Fleisches Uebermacht. Er sprach mit ihm von den Zusammenhängen, die er suchte. Er spähte mit ihm in die Weite. Hinz hatte seine Stunden, wo er sich geradezu fanatisch in religiöse Fragen warf. Und all diese seelische Wandlung – von wem war sie ausgegangen? Von seinem alten braven ramschnäsigen Steepler »Weiberfeind«, neunjährig, von »Warwich« aus der »Prima Ballerina«.

Es gab genug Leute im Regiment, die dem weltenfrohen Hinz solchen geistigen Umgang verleiden wollten. Ein witziger Mund hatte die beiden Avantageure »den großen und den kleinen Katechismus« getauft. Aber Hinz ließ sich durch nichts abschrecken. Anselm war und blieb sein Bester, die Stunden mit ihm waren seines Lebens Gehalt. Bis der Tod sie trennte, hat er ihm dankbare Treue gehalten. 235

Anselm hatte einen schweren Tag hinter sich. Todmüde kam er von der Felddienstübung zurück, die sich bis in den Abend hineingezogen hatte. Er kämpfte einen schweren Kampf, ob er sich ins Bett legen oder noch mit Giordano Bruno beschäftigen sollte, dessen Schrift »Ueber die Schatten der Ideen« ihm jetzt zu denken gab. Da brachte ihm der Postbote einen Brief, das Schreiben von Ursula.

Als er es las, sprang etwas in ihm entzwei. Es war ihm, als ob er innerlich verblutete. Und nun saß er leer und kalt und wesenlos. Dann kam es wieder herauf: Bernd Godenrath hat um meine Hand angehalten, und ich werde ihn heiraten!

Das war der Schmerz, nichts gab es außer ihm auf der Welt. Und Anselm packte ihn mit beiden wilden Händen, ihn zu erdrosseln. Dann hielt er ihn und sah ihm ins Auge und riß ihn an sich wie einen Freund. 236

 


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