Fjodor Dostojewski
Der lebenslängliche Ehemann
Fjodor Dostojewski

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XIV

Alexander und Nadeschda

In das Zimmer trat ein sehr junger Mann; er mochte etwa neunzehn Jahre alt sein, vielleicht sogar noch etwas weniger; so jugendlich sah sein hübsches, selbstbewußtes, hochmütiges Gesicht noch aus. Er war gut gekleidet; wenigstens saß ihm alles gut; von Statur war er etwas über Mittelgröße; das schwarze, dichte, in Büscheln auseinanderstehende Haar und die großen, kecken, dunklen Augen fielen in seiner Physiognomie ganz besonders auf. Nur die Nase war etwas breit und aufgestülpt; sonst wäre er vollkommen schön gewesen. Er trat mit einem gewissen Aplomb ein.

»Ich glaube, ich habe Gelegenheit, mit Herrn Trussozki zu sprechen«, sagte er gemessen und betonte dabei mit besonderem Genusse das Wort »Gelegenheit«, indem er nämlich damit zu verstehen gab, daß ein Gespräch mit Herrn Trussozki für ihn weder eine Ehre noch ein Vergnügen sein könne.

Weltschaninow begann den Zusammenhang zu verstehen, und auch Pawel Pawlowitsch schien etwas zu ahnen. In seinem Gesichte prägte sich eine gewisse Unruhe aus; indessen beherrschte er sich. 159

»Da ich nicht die Ehre habe, Sie zu kennen«, antwortete er würdevoll, »so nehme ich an, daß ich mit Ihnen nichts zu besprechen haben kann.«

»Hören Sie zuerst, und sagen Sie dann erst Ihre Meinung!« sagte der junge Mann selbstbewußt und in lehrhaftem Tone, zog eine schildpattne Lorgnette heraus, die er an einem Schnürchen hängen hatte, und betrachtete durch diese aufmerksam die auf dem Tische stehende Champagnerflasche. Nachdem er die Musterung der Flasche in aller Ruhe beendet hatte, klappte er die Lorgnette wieder zusammen und sagte, indem er sich wieder an Pawel Pawlowitsch wandte:

»Alexander Lobow.«

»Was soll das heißen: ›Alexander Lobow‹?«

»Das ist mein Name. Haben Sie von mir gehört?«

»Nein.«

»Wie sollten Sie allerdings auch. Ich komme in einer wichtigen Angelegenheit, die Sie speziell betrifft; erlauben Sie aber, daß ich mich hinsetze; ich bin müde . . .«

»Setzen Sie sich!« sagte Weltschaninow auffordernd; aber der junge Mann hatte sich schon vor der Aufforderung hingesetzt.

Trotz des zunehmenden Schmerzes in der Brust interessierte sich Weltschaninow für diesen jungen Frechling. In seinem hübschen, kindlichen, frischen Gesichte glaubte er eine entfernte Ähnlichkeit mit Nadeschda zu entdecken.

»Setzen Sie sich auch hin!« forderte der Jüngling Pawel Pawlowitsch auf und wies ihm mit einer nachlässigen Kopfbewegung einen Platz gegenüber an.

»Es macht mir nichts aus; ich werde stehen.«

»Sie werden müde werden. Sie, Herr Weltschaninow, können meinetwegen hierbleiben.«

»Ich wüßte auch nicht, warum ich weggehen sollte; ich bin hier zu Hause.«

»Wie Sie wollen. Ich muß gestehen, es ist mir sogar lieb, daß Sie bei meiner Aussprache mit diesem Herrn zugegen sind. Nadeschda Fedossejewna hat Sie mir in sehr schmeichelhaften Ausdrücken empfohlen.« 160

»Was Sie sagen! Wann hat sie denn dazu Zeit gefunden?«

»Unmittelbar nach Ihrem Besuche; ich komme ebenfalls von dort. Die Sache ist nämlich die, Herr Trussozki«, wandte er sich an den dastehenden Pawel Pawlowitsch: »Wir, das heißt ich und Nadeschda Fedossejewna«, sagte er, kaum die Zähne auseinanderbringend und sich auf dem Lehnstuhl nachlässig herumrekelnd, »wir lieben einander schon lange und haben uns heimlich verlobt. Sie sind jetzt als Hindernis zwischen uns getreten; ich bin hergekommen, um Sie aufzufordern, den Platz zu räumen. Ist es Ihnen gefällig, meiner Aufforderung Folge zu leisten?«

Pawel Pawlowitsch schwankte ordentlich zurück; er war ganz blaß geworden; aber auf seinen Lippen erschien sogleich ein boshaftes Lächeln.

»Nein, es ist mir durchaus nicht gefällig«, entgegnete er lakonisch in scharfem Tone.

»Sehen Sie einmal an!« sagte der Jüngling; er drehte sich auf seinem Lehnstuhl ein wenig hin und her und schlug ein Bein über das andere.

»Ich weiß nicht einmal, mit wem ich rede«, fügte Pawel Pawlowitsch hinzu, »und ich bin sogar der Ansicht, daß wir weiter nichts miteinander zu sprechen haben.« Nach diesen Worten hielt er für nötig, sich ebenfalls hinzusetzen.

»Ich habe es Ihnen ja gesagt, daß Sie müde werden würden«, bemerkte der Jüngling nachlässig. »Ich hatte soeben Gelegenheit, Ihnen mitzuteilen, daß mein Name Lobow ist, und daß ich mit Nadeschda Fedossejewna heimlich verlobt bin, also können Sie nicht sagen, wie Sie es doch eben getan haben, daß Sie nicht wüßten, mit wem Sie es zu tun haben; auch können Sie nicht der Ansicht sein, daß wir weiter nichts miteinander zu sprechen hätten: Um von mir gar nicht zu reden, handelt es sich um Nadeschda Fedossejewna, der Sie sich in einer so unverschämten Weise aufdrängen. Schon das allein bildet einen ausreichenden Gegenstand für unsere Aussprache.«

Er sagte das alles in der Art, daß er in geckenhafter Manier die Zähne nicht ordentlich auseinandertat und sich nicht einmal dazu herbeiließ, die Worte vollständig 161 auszusprechen; er zog sogar wieder die Lorgnette hervor und richtete sie während des Sprechens auf irgendwelchen Gegenstand.

»Erlauben Sie, junger Mann! . . .« rief Pawel Pawlowitsch gereizt; aber der »junge Mann« trumpfte ihn sofort ab.

»Zu jeder andern Zeit würde ich es mir natürlich von Ihnen verbitten, daß Sie mich ›junger Mann‹ nennen; aber jetzt müssen Sie wohl selbst zugeben, daß meine Jugend ein sehr wesentlicher Vorzug ist, den ich vor Ihnen habe, und daß Sie selbst, zum Beispiel als Sie heute Ihr Armband überreichten, sehr gewünscht hätten, auch nur ein klein wenig jünger zu sein.«

»Ach, du Gründling!« flüsterte Weltschaninow.

»Jedenfalls, mein Herr«, erwiderte Pawel Pawlowitsch, seine Anrede würdevoll verbessernd, »erachte ich dennoch die von Ihnen angeführten, übrigens recht unpassenden und zweifelhaften Gründe nicht für ausreichend, um noch weiter darüber zu debattieren. Ich sehe, daß das Ganze eine törichte Kinderei ist; gleich morgen werde ich mit dem ehrenwerten Fedossej Semjonowitsch darüber Rücksprache nehmen; jetzt aber ersuche ich Sie, sich zu entfernen.«

»Nun sehen Sie nur das Benehmen dieses Menschen an!« rief der Jüngling, indem er sich in heftiger Erregung an Weltschaninow wandte und seinen bisherigen Ton aufgab. »Nicht genug, daß er von dort mit Schimpf und Schande weggejagt ist, will er uns auch noch morgen bei dem Alten denunzieren! Sie verbohrter Mensch, beweisen Sie dadurch nicht, daß Sie sich des Mädchens mit Gewalt bemächtigen wollen, daß Sie sie diesen geistig altersschwach gewordenen Leuten abkaufen wollen, die sie aufgrund unserer barbarischen sozialen Zustände in ihrer Macht haben? Sie hat Ihnen ja doch, möchte man meinen, hinlänglich ihre Verachtung bewiesen, indem sie ihnen Ihr heutiges unpassendes Geschenk, Ihr Armband, hat wieder zustellen lassen; was wollen Sie noch weiter?«

»Niemand hat mir ein Armband wieder zugestellt, und das ist auch ein Ding der Unmöglichkeit!« sagte Pawel Pawlowitsch zusammenzuckend. 162

»Wieso ein Ding der Unmöglichkeit? Hat es Ihnen denn Herr Weltschaninow nicht übergeben?«

»Hol dich der Teufel!« dachte Weltschaninow und sagte dann mit gerunzelter Stirn:

»Nadeschda Fedossejewna hat mich allerdings vorhin beauftragt, Ihnen, Pawel Pawlowitsch, dieses Etui wieder zuzustellen. Ich wollte es nicht nehmen; aber sie bat mich so sehr . . . da ist es . . . es tut mir leid . . .«

Er zog das Etui aus der Tasche und legte es verlegen vor Pawel Pawlowitsch hin, der ganz starr geworden war.

»Warum haben Sie es denn nicht schon früher übergeben?« fragte der junge Mensch Weltschaninow in strengem Tone.

»Ich bin wohl noch nicht dazu gekommen«, erwiderte dieser mit finsterer Miene.

»Das ist sonderbar.«

»Wie-ie?«

»Das ist mindestens sonderbar; das müssen Sie selbst sagen. Indessen will ich gern annehmen, daß hier ein Mißverständnis vorliegt.«

Weltschaninow hatte die größte Lust, sofort aufzustehen und das Jüngelchen an den Ohren zu ziehen; aber er konnte sich nicht halten und lachte ihm plötzlich losprustend ins Gesicht; sofort fing der junge Mensch ebenfalls an zu lachen. Anders verhielt es sich mit Pawel Pawlowitsch; hätte Weltschaninow den schrecklichen Blick gesehen, den dieser auf ihn richtete, als er über Lobow lachte, so würde er verstanden haben, daß dieser Mensch in diesem Augenblicke eine verhängnisvolle Grenze überschritt. Aber obgleich Weltschaninow diesen Blick nicht sah, so sagte er sich doch, daß er Pawel Pawlowitsch zu Hilfe kommen müsse.

»Hören Sie mal, Herr Lobow«, begann er in freundschaftlichem Tone, »ohne auf eine Erörterung der übrigen Gründe einzugehen, die ich nicht berühren will, möchte ich Ihnen nur bemerken, daß Pawel Pawlowitsch bei seiner Bewerbung um Nadeschda Fedossejewna denn doch mehreres zu seinen Gunsten in die Wagschale zu legen hat: erstens kennt man ihn in dieser ehrenwerten Familie sehr genau; zweitens 163 erfreut er sich einer vortrefflichen, geachteten Stellung, und schließlich besitzt er Vermögen; er muß sich daher beim Anblicke eines solchen Nebenbuhlers, wie Sie, natürlicherweise wundern. Denn wenn Sie auch vielleicht ein Mensch mit großen Fähigkeiten sind, so sind Sie doch noch so jung, daß er Sie als Nebenbuhler schlechterdings nicht ernst nehmen kann . . . und darum ist er im Rechte, wenn er Sie ersucht, mit diesem Gespräche aufzuhören.«

»Was heißt das: ›noch so jung‹? Ich bin schon einen Monat über neunzehn Jahre. Nach dem Gesetze kann ich schon längst heiraten. Das könnte Ihnen genügen!«

»Aber welcher Vater wird sich dazu entschließen, Ihnen jetzt seine Tochter zu geben, auch wenn Sie künftig einmal mehrfacher Millionär oder so ein Wohltäter der Menschheit werden sollten? Ein Mensch von neunzehn Jahren kann nicht einmal für sich selbst die Verantwortung tragen, und Sie wollen sogar noch eine fremde Zukunft auf Ihr Gewissen nehmen, das heißt die Zukunft eines ebensolchen Kindes, wie Sie es sind! Das ist doch wohl nicht ganz ehrenhaft; wie denken Sie darüber? Dies Ihnen auszusprechen habe ich mir deswegen erlaubt, weil Sie selbst sich vorhin an mich wie an einen Vermittler zwischen Ihnen und Pawel Pawlowitsch gewandt haben.«

»Ach ja, richtig; er heißt ja Pawel Pawlowitsch!« bemerkte der Jüngling; »wie geht es nur zu, daß mir immer vorschwebte, er heiße Wassili Petrowitsch? Was ich sagen wollte«, wandte er sich an Weltschaninow. »Sie haben mich durchaus nicht in Erstaunen versetzt; ich wußte, daß Sie alle von dieser Sorte sind! Nur merkwürdig, daß mir über Sie gesagt wurde, Sie hätten bis zu einem gewissen Grade etwas Neuzeitliches. Aber das sind alles Nebensachen; um was es sich handelt, ist dies, daß da meinerseits nicht nur nichts Unehrenhaftes vorliegt, wie Sie sich erlaubten sich auszudrücken, sondern vielmehr das volle Gegenteil, und das hoffe ich Ihnen klarmachen zu können.

Erstens haben wir uns miteinander verlobt, und zweitens habe ich in Gegenwart zweier Zeugen geradezu versprochen, daß, wenn sie einmal einen andern liebgewinnen oder 164 es einfach bereuen sollte, mich geheiratet zu haben, und wünschen sollte, sich von mir scheiden zu lassen, daß ich ihr dann sofort das schriftliche Zugeständnis eines von mir begangenen Ehebruches einhändigen und dadurch ihrem Antrage auf Ehescheidung bei der zuständigen Behörde eine rechtliche Unterlage geben werde. Ja noch mehr: Für den Fall, daß ich in der Folge anderen Sinnes werden und mich weigern sollte, ihr dieses schriftliche Zugeständnis einzuhändigen, werde ich ihr zu ihrer Sicherstellung gleich an unserm Hochzeitstage einen Wechsel über hunderttausend Rubel auf mich übergeben, so daß sie im Falle meiner Hartnäckigkeit in betreff der Ausstellung der Bescheinigung meinen Wechsel sogleich präsentieren und mich dergestalt übertrumpfen kann! Auf diese Weise ist alles sichergestellt, und ich setze niemandes Zukunft aufs Spiel. Also das ist das erste.«

»Ich möchte darauf wetten, daß Ihnen das dieser, wie heißt er doch, Predpossylow ausgesonnen hat!« rief Weltschaninow.

»Hi-hi-hi!« kicherte Pawel Pawlowitsch boshaft.

»Was hat dieser Herr zu kichern? Sie haben es erraten: Es ist eine Idee von Predpossylow, und Sie müssen selbst sagen, eine schlaue Idee. Das alberne Gesetz ist damit vollständig paralysiert. Selbstverständlich beabsichtige ich, sie immer zu lieben, und sie lacht furchtbar; aber die Einrichtung ist doch sehr geschickt, und Sie müssen zugeben, daß sie ehrenhaft ist, und daß sich nicht jeder zu einer solchen Handlungsweise entschließt.«

»Meiner Ansicht nach ist diese Einrichtung nicht nur nicht ehrenhaft, sondern sogar garstig.«

Der junge Mann zuckte die Achseln.

»Ich bin wiederum weit davon entfernt, mich über Sie zu wundern«, bemerkte er nach einem kurzen Stillschweigen; »alles dies hat längst aufgehört, mich in Verwunderung zu versetzen. Predpossylow würde Ihnen kurz und bündig sagen, daß dieser Mangel an Verständnis für die natürlichsten Dinge bei Ihnen aus einer Verkehrung der gewöhnlichsten Gefühle und Begriffe hervorgeht, erstens infolge eines 165 langen, törichten Lebens und zweitens infolge des langen Müßigganges. Indes verstehen wir einander vielleicht noch nicht; Sie waren mir ja doch günstig geschildert worden . . . Sie sind wohl schon gegen fünfzig Jahre alt?«

»Bitte, bleiben Sie bei der Sache!«

»Entschuldigen Sie meine indiskrete Frage, und ärgern Sie sich nicht darüber; ich fragte ohne besondere Absicht. Ich fahre fort: Ich bin ganz und gar nicht ein zukünftiger mehrfacher Millionär, wie Sie sich auszudrücken beliebten (was war das nur für eine Idee von Ihnen!). Was Sie hier an mir sehen, ist alles, was ich besitze; aber dafür glaube ich fest an meine Zukunft. Ich werde kein Held und niemandes Wohltäter sein; aber ich werde mir und meiner Frau eine sorgenfreie Existenz verschaffen. Allerdings besitze ich jetzt noch nichts, und ich bin sogar im Hause dieser Leute seit meiner Kindheit erzogen worden . . .«

»Wie denn das?«

»Ich bin der Sohn eines entfernten Verwandten der Frau Sachlebinina, und als alle meine Angehörigen gestorben waren und mich als achtjährigen Knaben zurückgelassen hatten, da nahm mich der Alte zu sich ins Haus und brachte mich nachher auf das Gymnasium. Dieser Mann hat sogar einen guten Charakter, wenn Sie es wissen wollen . . .«

»Ich weiß es.«

»Ja; aber er ist ein gar zu altmodischer Kopf. Indes, ein guter Mensch ist er. Jetzt bin ich allerdings schon längst aus seiner Obhut ausgeschieden, da ich den Wunsch hatte, mir meinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen und niemanden als mir selbst verpflichtet zu sein.«

»Wann sind Sie denn aus seiner Obhut ausgeschieden?« erkundigte sich Weltschaninow neugierig.

»Schon vor etwa vier Monaten.«

»Nun, jetzt ist mir alles verständlich: Sie sind also Jugendgespielen! Wie ist's? Haben Sie eine Anstellung?«

»Ja, eine private, im Bureau eines Notars, mit fünfundzwanzig Rubeln monatlich. Natürlich ist das nur vorläufig; aber als ich bei ihren Eltern um ihre Hand anhielt, hatte 166 ich auch das noch nicht. Ich war damals bei der Eisenbahn angestellt, mit zehn Rubeln, aber alles nur vorläufig.«

»Haben Sie denn wirklich um ihre Hand angehalten?«

»In aller Form, und schon vor längerer Zeit, vor drei Wochen.«

»Nun, und wie wurde es?«

»Der Alte fing furchtbar an zu lachen; dann aber wurde er sehr ärgerlich, und sie wurde oben im Entresol eingeschlossen. Aber Nadeschda hielt heldenmütig stand. Übrigens war das ganze Mißlingen darauf zurückzuführen, daß er schon von früher her eine Pike auf mich hatte, weil ich in seinem Ressort eine Stelle aufgegeben hatte, in die er mich vor vier Monaten hineingesetzt hatte, noch vor der Beschäftigung bei der Eisenbahn. Er ist ein prächtiger alter Mann, ich wiederhole es noch einmal, in seiner Häuslichkeit schlicht und vergnügt; aber sowie er in sein Amtslokal kommt, da können Sie sich gar nicht vorstellen, was er für eine Miene aufsetzt! Wie ein Jupiter sitzt er da! Ich habe ihm natürlich zu verstehen gegeben, daß seine Manieren nicht mehr meinen Beifall hätten; aber der Hauptstreit kam von dem Gehilfen des Tischvorstehers her; dieser Herr hatte die Dreistigkeit, sich über mich zu beschweren, weil ich ihm grob gekommen wäre; und dabei hatte ich doch nur zu ihm gesagt, seine geistige Entwicklung sei eine mangelhafte. Da warf ich ihnen denn die Geschichte vor die Füße und bin jetzt bei dem Notar.«

»Haben Sie denn in jener amtlichen Stellung ein hohes Gehalt bekommen?«

»Ich bitte Sie, als Außeretatmäßiger! Der Alte legte zu, was ich für meinen Lebensunterhalt brauchte – ich sage Ihnen, er ist ein guter Mensch, aber wir geben trotzdem nicht nach. Allerdings gewähren einem fünfundzwanzig Rubel keine gesicherte Existenz; aber ich hoffe, bald bei der Verwaltung der verschuldeten Güter des Grafen Sawilejski mitbeschäftigt zu werden; dann bekomme ich ohne weiteres dreitausend Rubel; sonst aber werde ich Sachwalter. Heutzutage werden Leute, die etwas leisten können, gesucht . . . Hören Sie nur, wie das donnert; es kommt ein Gewitter; nur gut, 167 daß ich noch vor dem Gewitter hergekommen bin; ich habe nämlich den Weg von dort zu Fuße zurückgelegt und bin fast immer rasch gelaufen.«

»Aber erlauben Sie, wann haben Sie denn unter diesen Umständen Zeit gefunden, mit Nadeschda Fedossejewna zu sprechen, noch dazu, wenn Sie dort keinen Zutritt haben?«

»Ach, das geht ja doch über den Zaun! Haben Sie vorhin die Rothaarige bemerkt?« fragte er lachend. »Na, die ist uns behilflich, auch Marja Nikititschna; nur ist Marja Nikititschna eine Schlange! . . . Warum runzeln Sie denn die Stirn? Sie fürchten sich doch nicht vor dem Donner?«

»Nein, ich bin krank, sehr krank . . .«

Weltschaninow empfand tatsächlich auf einmal einen heftigen Schmerz in der Brust, stand vom Lehnstuhl auf und versuchte im Zimmer auf und ab zu gehen.

»Ach, dann störe ich Sie gewiß . . . Seien Sie unbesorgt, ich gehe sofort!«

Der junge Mensch sprang von seinem Platze in die Höhe.

»Sie stören mich nicht; es tut nichts«, sagte Weltschaninow höflich.

»Wie soll denn das nichts tun, ›wenn Kobylnikow Leibschmerzen hat‹ . . . erinnern Sie sich an die Stelle bei Schtschedrin? Lieben Sie Schtschedrin?«

»Ja.«

»Ich auch. Na also, Wassili . . . ach so, richtig, Pawel Pawlowitsch, lassen Sie uns zum Ende kommen!« wandte er sich fast lachend an Pawel Pawlowitsch. »Ich formuliere, damit Sie es besser verstehen, die Frage noch einmal: Erklären Sie sich bereit, gleich morgen in aller Form vor den beiden Alten und in meiner Gegenwart auf alle Ihre Ansprüche in bezug auf Nadeschda Fedossejewna zu verzichten?«

»Dazu bin ich durchaus nicht bereit«, erwiderte Pawel Pawlowitsch ungeduldig mit zorniger Miene und erhob sich ebenfalls von seinem Platze, »und ich ersuche Sie noch einmal, mich nicht weiter zu belästigen . . . denn das ist doch alles nur törichte Kinderei.« 168

»Nehmen Sie sich in acht«, versetzte der junge Mann mit einem hochmütigen Lächeln und drohte ihm mit dem Finger; »verrechnen Sie sich nicht! Wissen Sie auch wohl, welche Folgen ein solcher Rechenfehler haben wird? Ich sage Ihnen als Warnung: Nach neun Monaten, wenn Sie sich dort schon werden Mühe und Ausgaben gemacht haben und hierher zurückkehren, werden Sie sich genötigt sehen, hier selbst auf Nadeschda Fedossejewna zu verzichten; und wenn Sie nicht verzichten wollen, wird es für Sie um so schlimmer sein; dahin werden Sie es bringen! Ich muß Sie darauf hinweisen, daß Sie es jetzt machen wie der Hund auf dem Heu (entschuldigen Sie, es ist nur ein Vergleich): Er selbst kann das Heu nicht fressen, gönnt es aber keinem andern. Ich sage Ihnen das aus Humanität: Denken Sie über die Sache nach; zwingen Sie sich dazu, wenigstens einmal in Ihrem Leben gründlich über etwas nachzudenken!«

»Ich bitte Sie, mich mit Ihren guten Lehren zu verschonen!« schrie Pawel Pawlowitsch wütend. »Und was Ihre gemeinen Andeutungen anlangt, so werde ich gleich morgen meine Maßregeln ergreifen, energische Maßregeln!«

»Gemeine Andeutungen? Wovon reden Sie denn? Sie sind selbst ein gemeiner Mensch, wenn Sie solche Gedanken haben. Übrigens bin ich damit einverstanden, bis morgen zu warten; aber wenn . . . Ach, schon wieder dieser Donner! Auf Wiedersehen, ich habe mich sehr gefreut, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben!« rief er Weltschaninow mit einem Kopfnicken zu und lief eilig davon, offenbar um dem Gewitter noch zuvorzukommen und nicht in den Regen hineinzugeraten. 169

 


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