Hans Dominik
Das stählerne Geheimnis
Hans Dominik

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Die Mahlzeit war beendigt, und die beiden Herren von der Corporation folgten der Einladung Blakes, das Werk zu besichtigen. Unterwegs fand Price Gelegenheit, Curtis einen Moment beiseite zu nehmen.

»Wir müssen die Vertreter 'rausbekommen, die für das Trenton-Werk im Ausland tätig sind«, raunte er ihm zu, »die Kerls müssen ja fabelhaft tüchtig sein, die müssen wir für die Corporation gewinnen. Denken Sie doch nur, Curtis, Aufträge aus Japan! Das grenzt ja schon an Hexerei.«

Curtis konnte nichts erwidern, weil Blake zu ihnen trat. Über Fabrikhöfe und Lagerplätze führte ihr Weg sie zu den Ofenbatterien der großen Gießhalle. Zum erstenmal sahen Price und Curtis hier, was sie bisher nur aus den Berichten ihres Agenten Palmer kannten, und sie fanden es in Wirklichkeit noch gewaltiger und imposanter, als sie es sich vorgestellt hatten.

Mit Kennerblicken musterte der Präsident der Corporation die Elektroöfen, staunend betrachtete er die mächtigen Stapel von Stahlrohren, die zur Verschiffung bereit am Ufer des Stichkanals lagerten. Reichlich armstark waren diese Rohre, hundert Meter lang war jedes von ihnen.

»Geht alles nach Holländisch-Indien«, erklärte Blake. »Die Mijnheers wollen da eine fünfzehn Kilometer lange Gasfernleitung anlegen.«

»Ich jage unsere indischen Vertreter samt und sonders zum Teufel«, flüsterte Price Curtis zu. »Kein Wort haben die faulen Hunde von diesem Bauvorhaben berichtet.«

Seine letzten Worte gingen in dem Lärm unter, der ihnen aus der geöffneten Tür der Gießhalle entgegenschlug. Fünf Schleudergußanlagen waren in Betrieb und erfüllten den Raum mit dumpfem Brausen. Blake mußte schreien, um sich Curtis verständlich zu machen.

»Hier wird in zwei Schichten gearbeitet. Jede Grube liefert in vierundzwanzig Stunden vier Rohre. Zwanzig Rohre gehen jeden Tag aus der Halle. Zwei Kilometer Rohrlänge täglich, Mr. Price. In acht Tagen erledigen wir den holländischen Auftrag.«

Price gab es bei dem Lärm auf, etwas zu erwidern, aber fester denn je setzte sich bei ihm der Entschluß fest, das Trenton-Werk so schnell wie möglich der Corporation anzugliedern. Der Weg ging weiter durch andere Hallen und Werkstätten. Überall waren die Belegschaften in reger Tätigkeit, und mit stillem Ingrimm dachte Price daran, wie es in manchem Werk der Corporation aussah und wie sehr man dort die Arbeit strecken mußte, um sich wenigstens die besten Leute zu halten.

»So! Jetzt wären wir so ziemlich mit allem durch«, sagte Blake und schlug die Richtung auf das Verwaltungsgebäude ein.

»Was haben Sie denn da noch?« fragte Price, während er auf einen etwas abseits liegenden Bau deutete.

Blake zögerte ein wenig mit der Antwort.

»Das ist unsere Formerei, Mr. Price. Da ist augenblicklich nicht viel los.« Er wollte weitergehen, als Price ihn zurückhielt.

»Wenn Sie nichts dagegenhaben, würde ich die Anlage auch gern besichtigen, Mr. Blake. Man lernt noch immer gern dazu.«

Es blieb Blake nichts anderes übrig, als dem so deutlich geäußerten Wunsch von Price zu willfahren, obwohl ihm der Wissensdurst des Präsidenten durchaus nicht gelegen kam. »Wie Sie wünschen, Mr. Price«, erwiderte er gelassen und führte seine Gäste in das Formereigebäude.

»Na, ich danke schön!« rief Price beim Betreten des Raumes. »Sie sagen, hier ist nichts los. Wollte Gott, daß in unsern Formereien immer soviel los wäre!«

Sein Ausruf war nicht ganz unberechtigt. Reichlich ein Dutzend Werkleute waren dabei, ein mächtiges, aus vielen Teilen kunstvoll zusammengesetztes Holzmodell in den schwarzen Sand einzumauern.

Price verfolgte die Arbeiten geraume Zeit mit gespanntem Interesse und schien dabei etwas zu überschlagen und zu berechnen. »Ein strammer Brocken, Blake! Schätze, daß die Form zweihundert Tonnen Stahl schlucken wird.«

»Stimmt ziemlich genau, Mr. Price, das Gußstück ist mit hundertachtundachtzig Tonnen kalkuliert.«

»Ein tolles Ding, Mr. Blake. Komme nicht recht dahinter, was es werden soll. Glaubte erst, es könnte ein Turbinengehäuse sein, aber das ist es ja nicht.«

Blake biß sich auf die Lippen. Unmöglich konnte er Price erzählen, daß hier das Stück eingeformt wurde, das später einmal bei Station Null Roddingtons Schacht abschließen sollte. Das hätte sofort zu weiteren Fragen des neugierigen Präsidenten der Corporation geführt, die er weder beantworten wollte noch konnte. Ein Königreich für eine passende Ausrede! ging es ihm durch den Sinn, während Price die Gestalt des Holzmodells mit einem Eifer betrachtete, als sollte er später eine Zeichnung davon machen. Cranford bemerkte seine Verlegenheit und kam ihm zu Hilfe.

»Sie haben nicht so unrecht, Mr. Price. Auf den ersten Blick könnte man das Ding für einen Turbinenmantel halten, aber es ist etwas Chemisches. Für die ›United Chemical Limited‹ in Oswego bestimmt.«

»Interessant, Mr. Cranford, wirklich interessant!« sagte Price und wanderte um die Formgrube herum, um sich das Modell von allen Seiten zu besehen.

»Die Leute in Oswego taten sehr geheimnisvoll«, fuhr Cranford in seiner Erklärung fort. »Sie schickten uns nur das Holzmodell mit dem Auftrag, danach zu formen und zu gießen. Was es eigentlich sein soll, haben sie uns auch nicht verraten. Ich glaube, es ist das Abschlußstück für einen der Hochdruckbehälter, in denen sie dort Kohle hydrieren.«

»Das wäre vielleicht möglich«, sagte Price, ohne seine Augen von dem Modell zu lassen.

»Na, uns kann es ja schließlich egal sein«, mischte sich Blake wieder ein. »Die Hauptsache ist, daß die Leute uns den vereinbarten Preis für die Tonne Stahlguß prompt bezahlen.«

»Sehr richtig«, meinte Price. Er war während der letzten Minuten merkwürdig einsilbig geworden. –

Mit dem Besuch der Formerei war die Besichtigung des Werkes beendet. Nach einem kurzen Abschied fuhren Price und Curtis aus dem Werk. –

»Cranford, Mann! Sind Sie ganz des Teufels!« sagte Blake, als der Wagen davonrollte. »Wissen Sie nicht, daß Price im Aufsichtsrat der ›United Chemical‹ sitzt! Er wird sich natürlich schleunigst in Oswego erkundigen, warum man den Auftrag nicht der Corporation gegeben hat. Dann kommt der ganze Schwindel 'raus . . . Na, meinetwegen! Lange wird sich die Geschichte doch nicht mehr verheimlichen lassen.« –

»Warum hat dieser Oberingenieur mich so unverschämt angelogen?« sagte ungefähr zur gleichen Zeit Price in seinem Wagen zu Curtis.

»Ich habe mich auch darüber gewundert«, meinte der, »die Aufträge der ›Chemical‹ gehen doch selbstverständlich an die Corporation.«

»Selbstverständlich Curtis! Aber, warum schwindelt der Kerl? Da steckt irgend 'was dahinter, was wir herausbekommen müssen. Fiel es Ihnen nicht auf, daß Blake uns die Formerei am liebsten unterschlagen hätte? Die Leute haben da etwas zu verbergen. Aber was ist es?«

Curtis setzte zum Sprechen an und schwieg wieder.

»Sie wollten etwas sagen?« fragte der Präsident.

»Nichts, Mr. Price. Ein momentaner Einfall, aber das ist ja ganz ausgeschlossen.«

»Bitte, immer 'raus damit, Curtis! Was dachten Sie?«

»Daß das Gußstück vielleicht für Roddingtons Schacht bestimmt sein könnte.«

Price runzelte die Stirn. »Ich hätte bessere Einfälle von Ihnen erwartet, Curtis«, meinte er kurz. »Über Roddington sind die Akten geschlossen und über seinen verrückten Schacht auch.«

Geraume Zeit saßen die beiden im Wagen, der mit höchster Geschwindigkeit auf der großen Autostraße nach Südosten dahinschoß.

»Wir müssen Palmer mit der Sache beauftragen«, nahm Price nach einer Weile das Gespräch wieder auf. »Er muß es herausbringen, wer das merkwürdige Gußstück bestellt hat. Außerdem muß er uns eine Liste der Vertreter verschaffen, die für das Trenton-Werk tätig sind. Ich will damit nicht warten, bis wir das Werk selber haben. Diese wertvollen Kräfte müssen wir uns sofort sichern. Wer weiß, wie lange es noch dauert, bis wir mit dem Kuratorium klarwerden.«

In dem Augenblick konnte Price noch nicht ahnen, daß ihm diese Klarheit in einer halben Stunde in einer völlig unerwarteten und für ihn wenig erfreulichen Weise zuteil werden sollte. Bequem legte er sich in den Wagen zurück und blickte durch das Fenster hinaus. Die Autostraße folgte hier dem Lauf des Susquehannaflusses. Breit wälzte der Strom seine Wogen neben der Straße her.

»In fünfundzwanzig Minuten werden wir in Walton sein. Da soll der Fahrer tanken«, sagte Price und schaute danach schweigend auf das blinkende Wasser des Flusses. –

Es wurde bereits früher gesagt, daß die Erfolge Percy Drakes und der New-Yorker »Morning Post« die Konkurrenz nicht schlafen ließen und alsbald ein Run von Berichterstattern auf Roddingtons Werkflotte einsetzte. Ausnahmslos stießen sie jedoch auf geschlossene Abwehr. MacLane war der Mann dazu, auch die findigsten Reporter unverrichteter Sache heimzuschicken.

Was etwa zur See ankam, das wurde bereits in weitem Abstand von der Werkflotte durch die Zerstörer angehalten und mit einer ernsten Verwarnung nach Hause geschickt. Was sich in Flugzeugen näherte, bekam funktelegraphischen Befehl, sofort umzukehren. Wenn das nicht half, bellten die Abwehrgeschütze der Zerstörer. Unangenehme Schrapnellwolken standen in bedenklicher Nähe der vorwitzigen Flugzeuge im Äther und zwangen auch die verwegensten Reporter, sich zurückzuziehen. Minimal war die Ausbeute, die sie von ihrer Expedition in den Pazifik mitbrachten, in keinem Verhältnis stand sie zu den Unkosten, und sehr bald gaben die großen Zeitungen das aussichtslose Unternehmen auf.

Nur ein einziger konnte einen Erfolg verbuchen. Das war Oswald Lloyd, der Vertreter des »Daily Herald«, des schärfsten Konkurrenten der »Morning Post«. Durch die Erfahrungen der andern gewitzigt, traf er für sein Unternehmen ganz besondere Vorbereitungen, zu denen unter anderm eine Telekamera und Sauerstoffapparate gehörten. In Himalajahöhe überflog seine Maschine Roddingtons Flotte, während die Fernkamera unablässig arbeitete. Als die Zerstörer ihn entdeckten und das Feuer auf sein Flugzeug eröffneten, hatte er bereits hundert Aufnahmen auf seinen Platten und machte schleunigst, daß er aus dem Bereich der Geschütze kam.

In New York wurden die Bilder entwickelt, vergrößert, noch ein zweitesmal vergrößert, und da zeigten sich eigenartige Dinge auf ihnen. Da sah man Roddington und Dr. Wegener, deren Leichen zur Zeit dieser Aufnahmen schon dicht vor San Franzisko sein sollten, vergnügt und sehr lebendig auf dem Deck der »Blue Star« stehen. Da war weiter zu sehen, wie von der Plattform des Schachtes Gestein aus vollen Loren in die See gekippt wurde, ein sicherer Beweis dafür, daß die bergmännischen Arbeiten in der Tiefe noch weitergingen. Unumstößlich ging aus all diesen Bildern hervor, daß der alarmierende Bericht der »Morning Post« eine fette Ente war, und die Redaktion des »Daily Herald« ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen, dem Konkurrenzblatt eins auszuwischen. –

Der Wagen von Price hielt an einer Tankstelle in Walton. Während Treibstoff eingefüllt wurde, stieg der Präsident aus dem Wagen, um sich ein wenig die Beine zu vertreten. Ein Zeitungsboy lief ihm dabei in den Weg. Schon von weitem hörte er ihn schreien: »James William Roddington bei guter Gesundheit . . . Die Todesnachricht ein Bluff . . .!« Price hörte die Worte, ohne sie zu glauben. Zeitungen . . .! Pah . . .! Eine log immer mehr als die andere. Als Leiter eines großen Konzerns hatte er einige Erfahrungen darin, wie man falsche oder nur halbrichtige Nachrichten in die Spalten der Presse fließen läßt. Hatte ihm nicht Blake, der Generalbevollmächtigte Roddingtons, selber dessen Tod mitgeteilt? Erst jetzt kam's ihm zum Bewußtsein, daß das nicht geschehen war. Man hatte zwar verhandelt, als ob der Tod Roddingtons eine feststehende Tatsache sei, aber direkt bestätigt hatte Blake diese Nachricht niemals. Je mehr Price sich die Verhandlungen mit Blake ins Gedächtnis zurückrief, desto klarer wurde ihm das. Beunruhigt ging er auf den Zeitungsboy zu und kaufte die Nummer des »Herald«, sah die Schlagzeilen, sah auch die Bilder und erblaßte. Das konnte nicht retuschiert oder gestellt sein. Das waren zweifellos Originalaufnahmen, und die Daten darunter bewiesen schlagend, daß jene Nachricht der »Morning Post« falsch war.

»Curtis, sehen Sie das!« Die Stimme von Price klang heiser, als er es in den Wagen hineinrief. Curtis überflog den Artikel und ließ ihn erschrocken sinken.

»Wie ist das möglich, Price? Sie bekamen die Nachricht doch auch durch Barton aus Washington.«

»Barton . . . ja! Er hörte es von Admiral Jefferson. Curtis«, Price zerknitterte die Zeitung wütend in seiner Faust, »können Sie es sich denken, Curtis, daß die Corporation dem lebenden Roddington eine Anleihe von zehn Millionen Dollar gegeben hat? Können Sie sich vorstellen, daß wir solche Esel gewesen sind?«

Der Chauffeur trat hinzu und meldete, daß man weiterfahren könne.

»Vorläufig hierbleiben!« knurrte Price. »Wo ist die nächste Fernsprechstelle?«

Fünf Minuten später hatte er Verbindung mit dem Trenton-Werk. Cranford meldete sich am Apparat.

»Wo ist Blake!« schrie Price aufgebracht in die Muschel.

»Nicht mehr im Werk, Mr. Price. Kurze Zeit nach Ihnen fortgefahren.«

Price konnte nicht mehr an sich halten.

»Wissen Sie, daß die Todesnachricht Schwindel ist? Daß Roddington lebt, bei guter Gesundheit sogar?!« brüllte er in den Apparat. »Antworten Sie mir! Die reine Wahrheit will ich wissen, Mr. Cranford. Raus mit der Sprache!«

Während Price noch weiter an seinem Mikrophon tobte, fand Cranford Zeit, seine Gedanken zu sammeln. Als Price erschöpft eine kurze Pause machte, klang die Antwort aus Trenton an sein Ohr.

»Keine Ahnung von dem, was Sie meinen, Mr. Price. Wir sind hier ohne jede Nachricht.«

»Was heißt Nachricht?« erboste sich Price von neuem. »Ich will wissen, ob Roddington lebt oder tot ist!?«

»Ich kann es Ihnen wirklich nicht sagen, Sir. Das Werk hat noch keine Nachricht darüber bekommen.«

Price zitterte vor Wut.

»Worüber keine Nachricht? Daß er lebt? Daß er tot ist? Antworten Sie doch endlich, Cranford!«

»Ich sage es Ihnen ja fortwährend, Mr. Price, wir haben keinerlei Nachricht, weder über das eine noch über das andere. Das richtigste wäre es wohl, wenn Sie sich durch Funkspruch direkt erkundigten . . .«

Die unerschütterliche Ruhe des Oberingenieurs brachte Price zum Rasen. Mit einem kurzen »Danke! Schluß!« hieb er den Hörer auf die Gabel und kehrte zur Tankstelle zurück. Seine Laune war von einer Art, daß Curtis es lebhaft bedauerte, für die nächste Stunde im Wagen in seiner Nähe aushalten zu müssen. Vieles von dem, was er in den nächsten Minuten über die Personen Roddingtons und Blakes sagte, fiel sogar dem an mancherlei gewöhnten Curtis auf die Nerven. Danach versank er in ein dumpfes Grübeln und fand erst kurz vor New York die Sprache wieder.

»Hier ist eine Riesenschweinerei passiert, Curtis! Man hat uns nach allen Regeln der Kunst hochgenommen. Daß Roddington und Blake an der Sache beteiligt sind, ist mir außer Zweifel. Aber wie ist es möglich, daß Barton uns die falsche Nachricht auch von Washington meldete?«

»Sie glauben doch nicht, daß Oberst Barton etwas . . .?«

»Keine Rede davon, Curtis! Barton ist uns mit Leib und Seele verschrieben. Er ist selbst getäuscht worden. Es muß ihm alles daran liegen, die Scharte wieder auszuwetzen. Er wird dieser Intrige schon im eigenen Interesse auf den Grund zu kommen suchen.«

»Bleibt noch der Artikel der ›Morning Post‹«, warf Curtis ein. »Wo ist der zustande gekommen?«

»Das ist es ja, Curtis«, schrie Price, »wo ich immer wieder einhake und nicht weiterkomme. Wer hat der ›Morning Post‹ das Material für ihren Alarmartikel gegeben? Ich halte es für ausgeschlossen, daß der Verfasser – der Artikel war mit Percy Drake gekennzeichnet – sich das alles aus den Fingern gesogen hat. Außerdem die merkwürdige Übereinstimmung mit dem Gerücht in Washington. Barton soll mal dafür sorgen, daß die Herren in Washington sich diesen Mr. Drake vornehmen. Die haben ja schließlich auch ein Interesse daran.«

Der Wagen fuhr bereits in die Straße ein, in der das Gebäude der Corporation lag, als Price mit seinen Überlegungen und Schlußfolgerungen zu Ende kam.

»Ich glaube, auf diese Weise können wir das verdammte Lügennest ausräuchern. Oberst Barton steht ja gut mit Kapitän Bancroft und General Grove. Die beiden müssen dem ›Morning Post‹-Mann mal die amtlichen Daumenschrauben anlegen. Dann werden wir bald wissen, was hinter dem ganzen Schwindel steckt.«

*

MacLane war mit seiner Kunst zu Ende. So sorgfältig er auch die Belegschaft der Werkflotte beobachtete, so gründlich er einzelne, die ihm irgendwie auffielen, ins Gebet nahm, es fand sich niemand darunter, der als Geheimagent der »Morning Post« in Betracht kommen konnte. Ausnahmslos waren es biedere Werkleute, tüchtig in ihrem Beruf, aber durchaus ungeeignet, als Pressekorrespondenten zu wirken. Jonas Merrywater war wirklich das einzige schwarze Schaf in der Herde gewesen. –

Kapitän Bancroft in Washington las eben den Funkspruch, in dem MacLane ihm das negative Ergebnis seiner Nachforschungen mitteilte, als ihm Oberst Barton gemeldet wurde. Nach kurzem Hin und Her kam Barton auf die Artikel der »Morning Post« und die Person Percy Drakes zu sprechen. Vorsichtigerweise verschwieg er dabei die Wünsche der Corporation und schob das Interesse in den Vordergrund, das die Öffentlichkeit an der Affäre hatte. Zu seiner angenehmen Überraschung konnte er schon nach wenigen Sätzen feststellen, daß seine Gedanken sich mit denen des Kapitäns auf halbem Wege begegneten.

»Sie haben recht«, meinte Bancroft. »Es handelt sich hier um reichlich dunkle Machenschaften, denen wir auf den Grund kommen müssen. Wir glaubten zunächst, daß die ›Morning Post‹ einen Geheimagenten unter die Leute Roddingtons eingeschmuggelt hätte. Ich bekam jedoch die Nachricht, daß das nicht zutrifft.«

Kapitän Bancroft deutete, während er es sagte, auf den vor ihm liegenden Funkspruch.

»Ja, aber wie kommt die ›Morning Post‹ dann zu ihrer Sensationsmeldung?« fragte Barton. »Hat sich Mr. Drake das alles aus den Fingern gesogen?« Bancroft schüttelte den Kopf.

»Das wäre eine einfache Lösung, aber so harmlos liegt die Sache nicht, Oberst Barton. Es hat damals tatsächlich einen Unfall gegeben. Roddington und Doktor Wegener wurden bewußtlos aus dem Schacht geholt. Ein Agent einer fremden Macht, den wir inzwischen unschädlich gemacht haben, befand sich zu jener Zeit unter der Belegschaft und hat den Vorfall an seine Auftraggeber gefunkt . . .«

»Da hätte man ja eine Erklärung, Kapitän Bancroft. Die Leute der ›Morning Post‹ haben den Funkspruch aufgefangen und einen Alarmartikel daraus gemacht.«

»Der Funkspruch wurde verschlüsselt gesandt, in einem fremden Geheimcode. Wir waren in der Lage . . .« der Kapitän warf Oberst Barton einen vielsagenden Blick zu, ». . . ihn zu entziffern; aber es ist unmöglich, daß irgendein Mann von der ›Morning Post‹ das könnte.«

»Warum nicht, wenn er die Chiffre besaß?«

Das Gesicht Bancrofts überzog sich mit einer dunklen Röte. »Die ›Morning Post‹, am Ende dieser Percy Drake selber, im Besitz eines fremden Geheimcodes! – Der Gedanke ist unmöglich.«

»Unmöglich ist nichts in dieser Welt, Herr Kapitän. Sie konnten sich den Schlüssel verschaffen . . . nehme ich an«, fügte er augenzwinkernd hinzu. »Warum sollte es einem andern unmöglich sein, wenn er genügend Dollar auf den Tisch legt.«

Bancroft trommelte nervös auf der Tischplatte. Barton ließ ihn eine Weile gewähren, bevor er weitersprach.

»Wenn sich keine andere Lösungsmöglichkeit findet, müßte man dieser nachgehen. Das ist meine Meinung über die Sache, Kapitän Bancroft. Greifen Sie sich den verdächtigen Vogel, aber packen Sie hart zu, damit er ihnen nicht entkommt.« –

Lange, nachdem der Oberst gegangen war, saß Bancroft noch an seinem Tisch und ließ sich das eben Gehörte durch den Kopf gehen. Dann raffte er sich zu einem Entschluß auf . . .

Drake war im Gebäude der »Morning Post« dabei, einen schwungvollen Artikel zu verfassen, als ihm eine Besuchskarte gebracht wurde: »William Bancroft, Washington«; achtlos schob er sie beiseite.

»Sagen Sie dem Herren, daß ich jetzt keine Zeit habe. Für die nächsten zwei Stunden habe ich anderweitig zu tun.«

Der Diener verschwand mit der Karte; nach kurzem kam er zurück und legte sie zum zweitenmal auf den Tisch.

»Was soll das?« fragte Drake unwirsch. »Haben Sie ihm nicht gesagt, daß ich jetzt nicht zu sprechen bin?«

»Verzeihung, Mr. Drake, der Herr will sich nicht abweisen lassen. Er hat etwas für Sie aufgeschrieben.«

Erst jetzt warf Drake einen Blick auf die Karte und stutzte, als er zwei Buchstaben erblickte, die, mit Bleistift geschrieben, hinter dem Namen Bancroft auf der Karte standen. Zwei S, zwei einfache schlichte S. Aber Drake wußte, was sie zu bedeuten hatten. Secret Service, Geheimdienst hieß das. Er spürte ein unbehagliches Gefühl im Rücken. Aus gelegentlichen Erzählungen seiner Kollegen wußte er, daß der Geheimdienst der Bundesregierung nicht mit sich spaßen ließ. In aller Geschwindigkeit überflog er das Register seiner privaten und journalistischen Sünden, ob da irgend etwas vorhanden sei, was ihm die bedenkliche Ehre dieses Besuches verschaffen könnte. Er fühlte sich ziemlich schuldlos, und etwas beruhigt gab er den Auftrag, Mister Bancroft hereinzuführen.

Eine kurze Vorstellung. Als Kapitän Bancroft führte der Besucher sich ein. »Geheimdienst des Marineamtes!« durchzuckte es Percy Drake, während er dem Besucher einen Stuhl anbot.

»Sie würden mich durch eine Auskunft verpflichten, Mr. Drake«, eröffnete Bancroft die Unterhaltung.

»Bitte, Herr Kapitän. Ich stehe Ihnen ganz zur Verfügung, soweit es sich nicht etwa um Dinge handelt, zu deren Geheimhaltung ich beruflich verpflichtet bin.«

Bancroft nickte.

»Ich verstehe, Mr. Drake . . . Redaktionsgeheinmis. Ich glaube nicht, daß unsere Angelegenheit damit etwas zu tun hat.«

»Um so besser, Herr Kapitän. Es gibt Fragen, auf die ich nicht antworten dürfte, etwa nach den Gewährsleuten und Quellen für meine Aufsätze. Was meinen Sie, wie oft ich in diesen letzten Tagen wegen meiner Artikel über Roddington interpelliert worden bin.«

Bancroft machte eine Bewegung, als ob er etwas vom Tisch fortwischen wollte.

»Das interessiert uns nicht, Mr. Drake, das ist Roddingtons eigene Angelegenheit. Ich vermute allerdings, daß er Ihnen eine Schadenersatzklage anhängen wird, die nicht von schlechten Eltern ist.«

»Eine Schadenersatzklage?! Warum?! . . . Was haben ihm meine Artikel geschadet?«

Drake stieß die Worte erregt heraus. Bancroft zuckte die Achseln.

»Man spricht davon, Mr. Drake, daß große Finanztransaktionen durch die fälschliche Todesmeldung gestört worden sind. Es soll sich um eine Summe von zehn Millionen Dollar handeln. Es liegt auf der Hand, daß er versuchen wird, Sie dafür haftbar zu machen . . .«

Durch die halbgeschlossenen Lider beobachtete Bancroft den Eindruck, den seine Warte auf Drake machten. Der lag zurückgesunken im Sessel und wischte sich die Stirn mit seinem Taschentuch. Eine Klage um solche Summen . . . Im Geiste sah er einen Riesenskandal, seinen wirtschaftlichen und journalistischen Ruin voraus.

»Sind das Tatsachen – oder nur Gerüchte, Kapitän?« fragte er stammelnd.

»Ich möchte es für Tatsachen halten. Sie wissen, der SS erfährt unter der Hand so mancherlei.«

Bancroft ließ sein Opfer eine Weile zappeln, bevor er zum nächsten Schlag ausholte. »Die Angelegenheit, derentwegen ich zu Ihnen komme, betrifft einen gemeinschaftlichen Bekannten, Mr. Drake, einen gewissen Henry Collins.«

Als der Name »Collins« fiel, konnte Drake eine plötzliche Bewegung nicht unterdrücken.

»Collins? . . . Henry Collins? . . . Ja, ich erinnere mich. Er spricht gelegentlich auf der Redaktion vor. Hat bisweilen ganz brauchbare Nachrichten gebracht.«

»Wann war er das letzte Mal bei Ihnen, Mr. Drake? Es ist für uns wichtig, das zu wissen.«

Drake überlegte und schien die Zeit an den Fingern nachzurechnen. »Heute vor zwölf Tagen«, sagte er dann. Bancroft nickte. »Das stimmt mit seiner eigenen Aussage überein.«

Drake wurde wieder unruhig.

»Liegt gegen Mr. Collins etwas vor?« fragte er unsicher.

»Es liegt so viel gegen ihn vor, Mr. Drake, daß wir uns veranlaßt sahen, ihn in Haft zu nehmen. Vermutlich wird er für eine längere Reihe von Jahren ein Quartier beziehen müssen, in dem es keinen Hausschlüssel gibt.«

Das war ein grober Bluff von Bancroft, denn zu dieser Zeit erfreute sich Henry Collins noch durchaus seiner Freiheit und ging in irgendeinem Staat der Union seinen zweifelhaften Geschäften nach. Aber auf Percy Drake verfehlte die Mitteilung ihre Wirkung nicht. Er verlor den letzten Rest seiner Sicherheit, setzte zu einer Frage an und stockte wieder, weil er fürchtete, mit jedem Wort zuviel zu sagen und sich selbst in die Affäre zu verwickeln. Eine Weile ließ Kapitän Bancroft ihn gewähren, dann fuhr er gleichmütig fort.

»In dem bevorstehenden Prozeß werden Sie voraussichtlich auch als Zeuge vernommen werden. Unter Ihrem Eid, Mr. Drake! Da gibt es kein Redaktionsgeheimnis, und Sie müssen die volle Wahrheit auf den Tisch legen.«

»Ich, Kapitän Bancroft? . . . Zeuge in einem Prozeß gegen Collins? Ja, was habe ich denn mit der Sache zu tun?«

Kapitän Bancroft hielt Percy Drake jetzt für genügend erschüttert, um ihm den »Knock out« zu geben.

»Es wird eine schwere Anklage gegen Collins erhoben«, sagte er in ernstem Ton. »Er hat sich gewisse Papiere verschafft, deren Geheimhaltung im Interesse unserer Wehrmacht erforderlich gewesen wäre, und hat sie an Privatpersonen verkauft . . . an Privatpersonen, Mr. Drake, für die sie ganz und gar nicht bestimmt waren und die sie auch niemals von ihm kaufen durften. Das hat er im Vorverhör bereits gestanden.«

Drake mußte wieder zum Taschentuch greifen. Nervös und zittrig tupfte er sich damit die Stirn. Sein Gesicht war aschfahl, ein einziger Gedanke nur war in seinem Hirn . . . Der verdammte Code! . . . Warum habe ich mich auf den Kauf eingelassen?

Bancroft zählte im stillen langsam bis zehn, bevor er weitersprach.

»Für die Leute, die sich mit Collins eingelassen haben, gibt es nur einen Weg, wenn sie sich unangenehme Weiterungen ersparen wollen.« Drakes Augen hingen an seinen Lippen, während er fortfuhr. »Diese Personen müßten dem Geheimdienst reinen Wein einschenken und die zu Unrecht erworbenen Papiere zurückgeben. Dann könnte man die Angelegenheit niederschlagen, und sie brauchten auch nicht als Zeuge aufzutreten . . .«

Jetzt endlich fand Drake die Sprache wieder.

»Ist das sicher, Kapitän Bancroft? Wäre die Angelegenheit dadurch ein für allemal aus der Welt geschafft?«

»Darauf gebe ich Ihnen mein Wort als Offizier, Mr. Drake.«

Drake verfiel wieder in Schweigen. Eine Zeitlang kämpfte er mit einem Entschluß. Dann zog er ein Schlüsselbund aus der Tasche, öffnete ein Fach seines Schreibtisches und holte ein kleines Buch heraus.

»Gut, Herr Kapitän! Ich vertraue auf Ihr Ehrenwort. Mr. Collins verkaufte mir diesen Code hier. Es ist die Geheimchiffre einer auswärtigen Macht. Ich glaube nicht, daß ich durch den Erwerb gegen die Interessen oder Gesetze der amerikanischen Union verstoßen habe.«

Bancroft griff nach dem Buch. Ein Blick zeigte ihm, daß er eine Kopie des von ihm seinerzeit selbst erworbenen Geheimcodes vor sich hatte.

»Ihre Meinung ist irrig, Mr. Drake«, sagte er streng. »In der Hand eines Unbefugten kann dieser Schlüssel für unsere Interessen sehr gefährlich werden. Als ein pflichttreuer Bürger der Union hätten Sie den Geheimdienst von dem Erwerb in Kenntnis setzen müssen. Es war ein schwerer Fehler, daß Sie es nicht getan haben.«

Er steckte das Buch zu sich und stand auf.

»Und was wird nun?« fragte Drake bedrückt.

»Ich gab Ihnen mein Wort, Mr. Drake. Die Sache ist damit für Sie erledigt.« Er sah die jämmerliche Miene des andern und fuhr fort: »Vielleicht kann ich noch mehr für Sie tun. Wieviel haben Sie Collins gezahlt?«

»Fünftausend Dollar, Kapitän Bancroft.«

Bancroft pfiff durch die Zähne . . . fünftausend Dollar . . . das war der Betrag, um den er Collins bei dem Handel gedrückt hatte.

»Ich werde veranlassen, daß die Summe Ihnen vom Geheimdienst zurückvergütet wird, mein lieber Drake. Aber hüten Sie sich in Zukunft vor ähnlichen Erwerbungen, die Sache könnte auch einmal schiefgehen.«

Damit verließ der Kapitän den Journalisten. Der blieb in einer reichlich gemischten Stimmung zurück. Die eine große Sorge war er los, die andere lauerte drohend im Hintergrund. Würde Roddington wirklich wegen jener Artikel auf Schadenersatz gegen ihn klagen? In allen Tonarten verwünschte er Collins und seinen Code, die ihn in dieses Abenteuer hineingerissen hatten.

*

Jene Stahlrohre, die angeblich für Holländisch-Indien bestimmt waren und über die sich Price in Trenton so weidlich ärgerte, hatten inzwischen ihren Weg über den Pazifik und zur Werkflotte genommen. Nach der Ankunft der ersten Schiffsladung begann nun die letzte Etappe der Arbeiten, nicht ganz so riskant und schwierig wie die vorangegangenen, aber immer noch schwierig genug. Der kühne Plan Roddingtons und Dr. Wegeners ging ja dahin, aus diesen etwa schenkelstarken Rohren eine Leitung in den Schacht hinunter und weiter durch den Stollen bis zu der Karbidschicht im Urgestein zu verlegen. Seewasser sollte später durch diese Leitung in die Tiefe hinabstürzen, im Urgestein dort unten sollte sich in großem Maßstabe die chemische Umsetzung vollziehen, die man bisher nur im kleinen im Reagenzglase studiert hatte. Für jedes Kubikmeter Ozean, das man in den Schacht einfließen ließ, sollte dessen Mündung ein Kubikmeter Treibstoff entquellen.

Das war der Plan, genial in seiner Einfachheit und imposant, aber schwierig war die Ausführung. Wie man sich erinnern wird, waren bei Kilometer V und Kilometer X Luftschleusen in dem Schacht eingebaut. Das war notwendig, weil sonst der Druck der im Schacht stehenden Luftsäule nach unten hin unerträglich hoch geworden wäre. Aber die hundert Meter langen Rohre, die jetzt in den Schacht hinabgelassen werden mußten, ließen sich natürlich nicht wie kleine Maschinenteile durch diese Schleusen bringen. Man mußte die Schleusen vollkommen öffnen, um mit den langen Rohren hindurchzukommen, und das gab derartige Komplikationen, daß Roddington in diesen Wochen oft nahe daran war, noch in letzter Stunde am Gelingen des Werkes zu verzweifeln. –

Zusammen mit Dr. Wegener stand er auf der Plattform. In ihrer Nähe, etwas dichter am Schachtmund, befand sich Ingenieur Larking, der das Einhängen der langen Rohre überwachte. Wieder hatte die Tiefe zehn davon verschlungen, die Zeit für eine Durchschleusung war gekommen. Fünf Kilometer tiefer öffneten die Werkleute die Schleusentore, brausend und gurgelnd stürzte sich bei Station Null die Luft in den Schacht und strömte orkanartig in die Tiefe.

»Vorsicht, Roddington!« Das Heulen der in den Schacht stürzenden Luftmassen übertönte den Warnungsschrei des Doktors. Mit jähem Ruck warf er sich zu Boden und zog Roddington im Sturze nach sich. Seine Linke krallte sich in dessen Arm, seine Rechte umklammerte einen vorstehenden Haken in der Plattform. So vermochte er dem mächtigen Sog zu widerstehen, der alles in der Nähe mit Übergewalt zu dem Schachtmund hin riß, und so gelang es ihm auch, Roddington festzuhalten.

Auch Larking erkannte die drohende Gefahr, warf sich nieder, griff mit den Händen umher, um einen Halt zu suchen, und fand ihn auf der glatten Plattform nicht. Der Wirbelsturm warf ihn gegen die Fördermaschine, die unmittelbar neben dem Schacht stand. Für den Bruchteil einer Sekunde schien er gerettet zu sein, da der weite Montageanzug, den er über seiner Kleidung trug, sich an dem Steuerhebel der Maschine verfing. Für einen kurzen Moment nur, dann wurde der Luftdruck, der auf seinen Körper wirkte, übermächtig. Bis zur Brust hin schlitzte der Maschinenhebel den starken blauen Leinenstoff des Montageanzuges auf, die in den Schacht einstürzenden Luftmassen rissen ihn mit.

Der Doktor sah es, ohne helfen zu können. Minuten vergingen, bis der Luftdruck im Schacht sich ausgeglichen, die Atmosphäre sich wieder beruhigt hatte.

»Wo ist Larking?« fragte Roddington, als er wieder auf seinen Füßen stand.

Der Doktor deutete auf den Schachtgrund. »Vom Sog mit in die Tiefe gerissen, Mister Roddington.«

»Das erste Opfer, das unser Werk gefordert hat, hoffentlich bleibt es das letzte, Doktor Wegener«, sagte Roddington bedrückt.

»Grauenhaft, Roddington! Ein Sturz in eine Tiefe von zehn Kilometer. Der Körper Larkings muß mit Flintenkugelgeschwindigkeit bei Schleuse II aufgeschlagen sein.«

»Ich fürchte, Doktor Wegener, dies Unglück wird wieder böses Blut bei unsern Leuten machen.«

»Wir müssen daraus lernen, Roddington, es darf sich nicht wiederholen. Hoffentlich ist die Sache bei Schleuse I ohne Unfall verlaufen.« –

In Schleuse I hatte Mr. Trotter, ein erfahrener Ingenieur, die Leitung, und seiner Umsicht war es zu verdanken, daß hier alles glatt ging. Bevor er die Schleusentore öffnen ließ, band er seine beide Maschinisten und sich selbst mit schweren Kabelenden an das Gestell der Fördermaschine fest, so daß sie von den mit Gewalt in den unteren Schachtabschnitt hineinstürzenden Luftmassen nicht mit fortgerissen werden konnten. Trotzdem durchlebten sie kritische Minuten, während der Orkan nach unten brauste. Hier wurde eine Mütze mitgenommen, dort das eine oder andere Werkzeug mit in die Tiefe geschleudert, und dann kam etwas von oben. Etwas Bläuliches, einer menschlichen Gestalt Ähnliches, sauste mit Blitzzuggeschwindigkeit durch die Schleuse und verschwand in der Tiefe. Der Herzschlag stockte den drei Männern, die es sahen. Erst nach langer Zeit fanden sie die Sprache wieder.

»Was war das? Wer war das?« fragte Trotter.

»Einer von oben, den die Luft mitgerissen hat«, sagte einer der Maschinisten, »am Ende Mr. Larking, der hatte auf Station Null den Dienst an der Fördermaschine«, fügte der zweite hinzu.

»Pfui Teufel, der hatte Fahrt!« murmelte Trotter und schüttelte sich. »Von dem ist nichts mehr übrig, wenn er unten ankommt.« –

In der Tat war es Ingenieur Larking, der dreißig Sekunden, nachdem der Wirbelwind ihn in den Schachtmund hineinriß, durch die erste Schleuse stürzte. Trotz des rasenden Sturzes war er bei vollem Bewußtsein. Mit einer eigenartigen, fast gespenstischen Klarheit überschaute er seine Lage und erkannte, daß in wenigen Sekunden der fürchterliche Aufprall auf das stählerne Tor der zweiten Schleuse seinen Leib in Atome zerschmettern mußte. Mit dem Leben hatte er abgeschlossen, mit einer Art von wissenschaftlichem Interesse sah er seinem Ende entgegen. –

Sein Körper stürzte schnell, aber noch viel schneller brach die Luft von oben her in den Schacht ein. Lange vor ihm traf sie auf das geschlossene Tor der zweiten Schleuse, brandete dagegen, staute sich auf und flutete nach oben zurück.

Larking fühlte, wie ihn ein starker Luftstrom von unten her traf, und spürte plötzlich einen starken Ruck. Der zurückflutende Luftstrom hatte sich in seinem aufgerissenen Montageanzug verfangen und den Stoff in der Weise eines Fallschirms nach oben gebauscht, so daß er überall dicht an der Schachtwand anlag. Der Schacht hatte ja nur ein Meter lichte Weite. Ein Teil dieses Querschnittes wurde bereits durch den Körper des Ingenieurs ausgefüllt, den Rest versperrte der Leinenstoff seines Anzuges, und so wurde das kaum Denkbare Wirklichkeit.

Er merkte, wie die Geschwindigkeit seines Sturzes nachließ. Wie ein Puffer oder eine Bremse wirkte die unter ihm im Schacht eingeschlossene Luft. Immer langsamer glitt er in die Tiefe. Es war dunkel hier im Schacht zwischen den beiden Schleusen. Er konnte nicht sehen, wie schnell er an der Schachtwand entlang glitt, aber als er die Hand ausstreckte, fühlte er, daß die Geschwindigkeit nicht mehr allzu groß war, und ganz schwach begann sich Hoffnung in seinem Herzen zu regen. Die wahnwitzige Hoffnung, daß er aus diesem fürchterlichen Sturz – er befand sich in diesem Augenblick immer noch 1500 Meter über Schleuse II – mit dem Leben davonkommen könne. –

In Schleuse II stand Ingenieur Bowden am Telephon und hörte, was Dr. Wegener zehn Kilometer über ihm bei Station Null in das Mikrophon sprach, und antwortete dazwischen.

»Nein, Herr Doktor . . . Wir haben nichts gehört . . . der Körper müßte längst bei uns aufgeschlagen sein . . . ausgeschlossen, daß wir das überhört hätten . . . ein Sturz über zehn Kilometer, er müßte ja mit Sternschnuppengeschwindigkeit bei Schleuse II angekommen sein . . . er ist nicht angekommen, Herr Doktor . . . vielleicht schon unterwegs an einer der Zwischenstationen zerschellt, es wäre die einfachste Erklärung . . . Hören Sie, Herr Doktor Wegener! Hören Sie, Herr Doktor . . .«

»Was soll ich denn hören, Mr. Bowden?« knurrte die Stimme des Doktors ärgerlich dazwischen. »Hören Sie, Doktor Wegener, über uns klopft und trommelt es an der oberen Schleusentür. Soweit man's durch die Stahlwand verstehen kann, klingt es auch, als ob jemand ruft. Ich lasse die Tür eben öffnen und nachsehen.«

Roddington bemerkte das Erstaunen in Dr. Wegeners Zügen.

»Was gibt's, was hat Bowden gemeldet?« fragte er.

»Bowden ist verrückt geworden! Komplett übergeschnappt!« stieß Dr. Wegener heraus. Ärgerlich wollte er den Hörer an den Haken hängen, als die Stimme Bowdens wiederkam.

»Herr Doktor Wegener, es war Larking, der draußen anklopfte. Er ist lebendig bei Schleuse II angekommen.«

»Sind Sie toll geworden, Bowden?« brüllte der Doktor in den Apparat und fuhr im nächsten Augenblick zusammen, als ob er ein Gespenst sähe. Larking, den er längst eine formlose blutige Masse wähnte, sprach durch den Apparat zu ihm. Larkings Stimme klang an sein Ohr, etwas heiser, etwas stockend, aber doch unzweifelhaft die wohlbekannte Stimme.

»Ich bin's selbst, Mr. Wegener . . . ich bin am Leben . . . ein Wunder . . . ich weiß selber nicht, wie es geschah . . .«

Immer leiser wurde die Sprache, jetzt verstummte sie ganz.

»Sind Sie noch da, Larking?« rief Dr. Wegener in das Telephon.

»Was sagen Sie? Larking?!« während Roddington es fragte, nahm er ihm das Telephon aus der Hand, lauschte und vernahm die Stimme Bowdens.

»Er ist ohnmächtig geworden. Die Aufregung, die Todesangst . . . der lange Sturz . . .«

»Mensch! Bowden! Von wem sprechen Sie?«

Bowden merkte, daß nicht mehr Dr. Wegener, sondern Roddington am Apparat war.

»Ich spreche von Larking, Mr. Roddington. Von dem unfaßlichen Wunder . . . er ist unverletzt bei uns angekommen.«

Roddington ließ den Apparat sinken, wandte sich zu Dr. Wegener. »Was halten Sie davon, Doktor? Ist Bowden wahnsinnig geworden?«

Der Doktor schüttelte langsam den Kopf.

»Ich habe die Stimme Larkings im Apparat gehört, Roddington. Das Wunder ist geschehen.« – – –

Anderthalb Stunden später half ein Mann von Schleuse II Larking auf Station Null aus der Förderschale. Wie ein Lauffeuer hatte sich inzwischen die Kunde von seinem Sturz und der wunderbaren Errettung auf der Werkflotte verbreitet. Was von der Belegschaft nicht gerade Schicht hatte, war auf der Plattform versammelt, und nicht enden wollten die Cheer- und Hurrarufe, als Larking, von Roddington und Dr. Wegener geführt und gestützt, seinen Weg durch die jubelnde Menge nahm.

Zu gewaltig war der Eindruck dieses Empfanges auf den Ingenieur. Aufs neue überkam ihn Schwäche, er drohte den Armen Roddingtons und Dr. Wegeners zu entgleiten. Da drängten die Werkleute von allen Seiten heran, Dutzende von Händen griffen zu, und wie in einem Triumphzug trugen sie den Bewußtlosen in die Barkasse. –

Als er die Augen wieder aufschlug, lag er in einer Kabine der »Blue Star«. Dr. Wegener saß an seinem Lager und hielt seinen Puls.

»Alles in Ordnung, Mr. Larking. Nichts gebrochen, nichts verstaucht. Nur ein paar Schrammen und blaue Flecke. Sie haben ein märchenhaftes Glück gehabt.«

»Ich möchte aufstehen, Doktor Wegener«, sagte Larking und versuchte sich aufzurichten, »Hunger habe ich auch.«

»Aufgestanden wird erst morgen früh«, erklärte der Doktor kategorisch. »Aber eine ordentliche Mahlzeit werde ich Ihnen gleich servieren lassen.«

Das Essen kam, und danach fiel der Gerettete in einen gesunden Schlaf, der bis tief in den nächsten Morgen anhielt. Dann ließ sich Larking nicht mehr halten. In der Nachmittagsschicht tat er wieder seinen Dienst. – –

Aber wenn viele Jahre später noch zwei oder drei von den Männern, die auf Roddingtons Werkflotte mitgearbeitet hatten, irgendwo zusammentrafen – auf den Ölfeldern Pennsylvaniens oder bei den Kupferminen Kaliforniens – so kam die Rede immer wieder auf den abenteuerlichen Sturz Larkings und seine wunderbare Errettung. Von Mund zu Mund lief die Erzählung durch das weite Gebiet der Union, und jeder, der sie weitergab, fügte etwas hinzu, schmückte sie etwas aus, bis schließlich noch zu Lebzeiten Larkings aus dem tatsächlichen Geschehnis ein Mythos wurde.

*

Kapitän Bancroft war bedenklich von der Wahrheit abgewichen, als er zu Percy Drake davon sprach, daß Henry Collins hinter Schloß und Riegel säße. In Wirklichkeit befand sich dieser zweifelhafte Zeitgenosse auf freiem Fuß und ging in San Franzisko seinen Geschäften nach. Ein Zufall führte ihm in New York Kemi Itomo, den alten Bekannten von Manila her, über den Weg. Collins war auf der Suche nach einer neuen gewinnbringenden Tätigkeit. Itomo brauchte gewisse Informationen über die den Hafen von San Franzisko anlaufenden Schiffe Roddingtons und wußte noch nicht, wie Major Kyushu über die Persönlichkeit von Collins dachte. So kam das Geschäft zustande.

Zwei Tage später war Collins in Frisko und trat wieder in der Rolle auf, die er zuletzt bei seiner Flucht aus Babeldaob auf der »Gelderland« gespielt hatte. Als Schiffsheizer, der neue Heuer sucht, trieb er sich im Hafen herum. Das gab ihm gute Gelegenheit, Bekanntschaft mit dem Maschinenpersonal der einlaufenden Schiffe zu machen, wobei der arbeitslose Heizer eine bemerkenswerte Freigebigkeit entwickelte.

In den Hafenkneipen, in denen er die Möglichkeit, angeheuert zu werden, mit den neuen Freunden besprach, ließ er eine Lage nach der andern auffahren, und sehr bald war dabei von ganz andern Dingen die Rede als von einer Heuer. Ein ganzes Bündel von Nachrichten vermochte er während der nächsten acht Tage daraufhin an seinen Auftraggeber zu senden, die diesen einigermaßen in Erstaunen setzten.

. . . Die Leichen von Roddington und Dr. Wegener an Bord der »City of Frisco«? . . . Kein wahres Wort daran . . . Der Oberheizer der »City of Frisco« hatte die beiden noch springlebendig auf der Plattform gesehen, als der Frachter die Werkflotte verließ. Das Schiff hatte den Bauch voll Maschinen, die beim Schacht nicht mehr gebraucht wurden, aber keine Särge an Bord . . . Der Schacht von der Explosion zerstört? . . . Faustdicker Schwindel von vorn bis hinten. Tag und Nacht gingen die Bergmannsarbeiten in der Tiefe weiter, unaufhörlich kippten die Loren das geförderte Gestein über den Rand der Plattform in die See . . .

Rückfragen kamen von Itomo, der diese Nachricht an die höheren Stellen weitergab, ohne seinen Gewährsmann zu nennen. Verwunderung sprach aus den Fragen, dann ungläubiges Erstaunen, der unverkennbare Verdacht zuletzt, daß der Agent seine Auftraggeber täusche. Da entschloß sich Collins, stärkere Beweise zu geben.

Der nächste Frachter, der, von Roddingtons Werkflotte kommend, Frisko anlief, brachte eine größere Kiste mit, die für das Laboratorium der Harvard-Universität bestimmt war. Durch einen kühnen Trick gelang es Collins, dies Frachtstück auf dem Weg vom Schiff zur Bahn verschwinden zu lassen. Vier Tage später wurde es bei Itomo in New York abgeladen. Eine Nachricht von Collins gab die Erklärung, daß es Gesteinsproben aus dem tiefsten Schachtgrunde enthielt, die im Harvard-Laboratorium untersucht werden sollten.

Gleich nach dem Empfang der Sendung fuhr Itomo im Auto nach Washington; die Kiste stand vor ihm im Wagen. In Washington wurde sie diplomatisches Gepäck und trat im Flugzeug den langen Weg nach Tokio an, wo Major Kyushu sie in Empfang nahm, und dann beschäftigten sich japanische Geologen und Chemiker mit ihrem Inhalt. Das Ende dieser Untersuchung war ein Experiment, das aufs Haar demjenigen glich, das Dr. Wegener an Bord der »Blue Star« wenige Wochen früher Roddington gezeigt hatte. Mit Wasser zusammengebracht, ergab das rätselhafte Gestein ein reines, klares Benzin.

Als Major Kyushu den Bericht darüber las, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Er erkannte, was Roddington und der deutsche Doktor mit ihrem scheinbar so unsinnigen Unternehmen in Wirklichkeit bezweckten. Im Augenblick begriff er, daß ein Gelingen des Planes die amerikanische Stellung auf den Philippinen uneinnehmbar, ja unangreifbar machen mußte. Eine unerschöpfliche Treibstoffquelle in nächster Nähe der Inseln! Noch innerhalb der amerikanischen Hoheitsgrenze gelegen, so daß auch die schärfsten Verteidigungsmaßnahmen der Union ohne weiteres völkerrechtlich zulässig waren. Der Schacht Roddingtons der Küste so nahe, daß sich ohne große Schwierigkeiten in einer gegen jeden Angriff schützenden Meerestiefe eine Unterwasserleitung bis zum Lande führen ließ.

Schicksalswende für die Machtverhältnisse im Fernen Westen würde es bedeuten, wenn die neue Treibstoffquelle erst einmal floß. Jeder Versuch eines Gegners, den amerikanischen Streitkräften dort den Lebensnerv zu unterbinden, war dann aussichtslos. Hinfällig wurden alle Pläne einer japanischen Expansion nach dem Süden, welche die Welt schon seit Jahren beunruhigten.

Vertauscht würden dann vielmehr die Rollen sein. Nicht mehr bedroht, sondern unüberwindbar und selber drohend stand dann die amerikanische Macht im Süden, bereit und fähig, dem Inselreich bei seinem Vordringen nach Westen jeden Augenblick in die Flanke zu fallen . . .

Wie Bergeslast legte sich diese Erkenntnis Kyushu auf die Seele. Gab es noch eine Möglichkeit, die schicksalsschwere Entwicklung in zwölfter Stunde zu verhüten? Hundert Möglichkeiten überdachte er und mußte jede verwerfen. Allzu fest und unangreifbar stand der Schacht Roddingtons in der Tiefsee. Ungeheuerliche Sprengstoffmengen hätte man unter Wasser an ihn heranbringen und detonieren lassen müssen, um den riesenhaften Stahlrohren, die ihn bildeten, ernstlich Schaden zuzufügen. Und wenn es doch gelang, wenn das scheinbar Unmögliche wirklich glückte und der Ozean durch den zerrissenen Schacht in die Tiefe stürzte, bestand ja erst recht die Gefahr, daß die Treibstoffquelle mit Macht zu fließen begann; daß die Zerstörung das Gegenteil von dem erzielte, was damit bezweckt war.

Major Kyushu sah keinen andern Ausweg mehr, als alles das, was ihn in dieser Stunde bewegte und erschütterte, den Stellen vorzutragen, die für die Sicherheit des asiatischen Inselreiches verantwortlich waren, den Admiralen zuerst. Schweigend hörten Yoritama, Togukawa und Harunobu an, was er zu sagen hatte. Sie brauchten es nicht auszusprechen, was sie dabei empfanden. Die niederdrückende Erkenntnis, daß der kühne Schachzug eines einzelnen Mannes, keines Feldherrn, keines Politikers, eines einfachen Bürgers nur, im Begriff stand, ein großes mächtiges Reich mattzusetzen.

Geschehen mußte etwas, wenn man das große Spiel nicht für viele Jahre aufgeben wollte. Rücksichten durfte es nicht mehr geben, mochte der große Kampf um die Herrschaft über den Pazifik dabei auch sofort entbrennen. – –

Drei Tage und drei Nächte währten die Beratungen der Admirale und Heerführer, bis eine Möglichkeit entdeckt, ein greifbarer Plan geschmiedet wurde. Noch einmal zehn Tage würden die technischen Vorbereitungen dafür in Anspruch nehmen, noch einmal zwei Tage der Anmarsch einer Luftflotte und dann . . . wenn alles so ging, wie man hoffte . . . würde der Schacht Roddingtons nur noch eine Erinnerung sein. Die Erinnerung an eine Gefahr, der Tatkraft und mutige Entschlossenheit noch in letzter Minute ein Ende bereiteten. –

MacLane war einer Einladung Roddingtons auf die »Blue Star« gefolgt. Behaglich hatten sich die beiden Schulfreunde auf dem Achterdeck unter dem Sonnensegel niedergelassen und taten den eisgekühlten Getränken, die ein Steward vor ihnen aufbaute, alle Ehre an.

»Heute nacht wird die Rohrleitung bis nach Station Null hin fertig, Freddy«, sagte Roddington mit einem Seufzer der Erleichterung, »dann haben wir Gott sei Dank das dickste Ende hinter uns.«

»Und du wirst der berühmteste Mann in den Staaten sein, James, und kannst dich für den Rest deines Lebens auf wohlverdienten Lorbeeren ausruhen«, gab MacLane lachend zurück. »Wo hast du übrigens deinen Schatten gelassen? Wo steckt Doktor Wegener?«

»Ich vermute auf der ›City of Baltimore‹. Der Frachter hat das große Gußstück gebracht, mit dem wir morgen den Schacht auf Station Null schließen wollen. Wie ich den Doktor kenne, läßt er es sich nicht nehmen, den Transport dieses wichtigen Stückes zur Plattform hin zu überwachen.«

»Ein merkwürdiger Mensch, dieser Doktor Wegener«, meinte MacLane kopfschüttelnd. »Ich glaube, er hat im letzten Jahr keine tausend Stunden geschlafen.«

»Mit dem Wort ›merkwürdig‹ wirst du ihm nicht gerecht«, unterbrach ihn Roddington. »Sage lieber, ein treuer Mensch, ein Fanatiker der Arbeit, und unserer Sache auf Tod und Leben ergeben. Damit wirst du ihn besser kennzeichnen.«

MacLane wollte etwas erwidern, stockte, murmelte: »Wenn man vom Wolf spricht, dann . . .«

Dr. Wegener kam von der Brücke her über das Deck.

»Wieder einmal eine verdächtige Geschichte, Roddington«, begann er unvermittelt, »eben bekam ich einen Funkspruch der Harvard Universität. Professor Waterford, ein alter Bekannter von mir, beschwert sich, daß die Kiste mit den Gesteinsproben, die ich ihm brieflich avisierte, immer noch nicht angekommen ist. Ich war selber dabei, als sie an Bord der ›City of Frisco‹ gebracht wurde. Die Sache ist mir unbegreiflich!«

MacLane spitzte die Ohren, denn derartige Dinge fielen in sein Ressort. Ein Dutzend Fragen prasselten auf den Doktor nieder; dann wußte MacLane alles, was er von ihm erfahren konnte, und begab sich in die Funkstation der »Blue Star«. Bald danach flogen Depeschen durch den Äther. Fragen an den Kapitän der »City of Frisco«, die sich schon wieder auf halbem Wege zwischen San Franzisko und den Philippinen befand. Der alte Seebär konnte nur wenig darauf antworten. Er beschränkte sich auf die Mitteilung, daß die Kiste ordnungsgemäß ausgeladen und abtransportiert worden sei. Von dem, was ihr danach auf dem kurzen Wege zur Bahn passiert war, wußte er nichts und konnte auch der ganzen Sachlage nach nichts wissen, denn Mr. Collins pflegte bei seinen dunklen Geschäften jedes unnötige Aufsehen zu vermeiden.

Viel lebhafter war der Widerhall, den MacLanes Funkspruch bei Kapitän Bancroft fand. Der hatte mit Hilfe des von Collins erworbenen Geheimschlüssels vor kurzem ein paar recht interessante Nachrichten aus dem Äther gefischt. Von einem merkwürdigen Gestein war in den entzifferten Funksprüchen die Rede, das den Geologen der Universität Tokio zur Untersuchung vorgelegt werden sollte. Da kam dem Kapitän der Bericht MacLanes gerade wie das fehlende Glied einer Kette zupasse. Jetzt wußte er, woher dies Gestein stammte und daß es in San Franzisko ausgeladen worden war, und in San Franzisko begann unmittelbar danach der Geheimdienst zu arbeiten.

Der arbeitete unauffällig, gut und schnell. Ein etwas schmieriger Heizer, der in Marney's Saloon ein paar Kollegen eben eine Lage spendierte, schrak zusammen, als sich eine Hand auf seine Schulter legte und die vier Worte »You are the man« an sein Ohr drangen, jene stereotypen Worte, mit denen in den Vereinigten Staaten Verhaftungen angekündigt werden. Wohl oder übel mußte er den Beamten des Geheimdienstes folgen, und nun wurde es wirklich Wahrheit, was Kapitän Bancroft vor kurzem Percy Drake nur vorspiegelte. Mr. Henry Collins saß hinter Schloß und Riegel.

Mit gemischten Gefühlen empfing der Kapitän die Nachricht von der Verhaftung. Er schätzte Henry Collins als einen gewiegten Agenten, dessen Dienste er öfter als einmal mit gutem Erfolge gebraucht hatte. Aber daß er auf beiden Achseln trug und heute ebenso bereit war, für irgendeine fremde Macht zu arbeiten, wie gestern für Washington, tat seinem Wert doch bedeutenden Abbruch.

Lange Zeit schwankte Kapitän Bancroft, was er tun solle. Überließ er den Sünder einfach der ordentlichen Justiz, so konnte es ihm übel ergehen. Die Beraubung eines öffentlichen Transportes würden die Richter aus dem Tatbestand herauslesen und Mr. Collins für die nächsten fünf Jahre hinter schwedische Gardinen setzen. Solange mochte Bancroft ihn nicht entbehren, aber einen gehörigen Denkzettel mußte der unzuverlässige Agent endlich mal bekommen.

So verlief das weitere wie in einer gut vorbereiteten Komödie. Wegen »Unordentlichen Benehmens«, das heißt, aus der amerikanischen Gerichtssprache ins Gemeinverständliche übersetzt: »Wegen Trunkenheit«, wurde der Heizer Collins dem Richter vorgeführt und erhielt drei Monate Gefängnis, die er sofort ohne Widerspruch annahm. Dem Werke Roddingtons konnte er auf diese Weise nicht mehr gefährlich werden, während einer späteren ersprießlichen Arbeit für Kapitän Bancroft durch den kleinen Schönheitsfehler in seinen Personalakten kein Abbruch zu geschehen brauchte.

Die Kiste kam freilich durch die Verurteilung von Collins nicht wieder zutage, und Dr. Wegener war auch nicht mehr in der Lage, seinem Freund Waterford eine zweite Probe des merkwürdigen Gesteins zu senden, denn der Stollen in der Tiefenschicht, in dem es vorkam, war nicht mehr zugänglich. Schritt für Schritt hatte man in dem gleichen Maße, in dem die Rohrleitung von unten nach oben hin fertig wurde, alles übrige aus dem Schacht wieder ausgebaut. Verschwunden waren die sechs Förderanlagen und lagen wohlverpackt in einem Frachtschiff. Herausgenommen hatte man auch die Tore der beiden Schleusen, durch welche der ganze Schacht bisher in drei Abschnitte unterteilt war. Zusammenhängend stand eine Luftsäule von fünfzehn Kilometer Länge in dem Schacht, und das hatte zur Folge, daß auf seinem Grunde ein Luftdruck von annähernd fünf Atmosphären herrschte.

Als ein glattes endloses Riesenrohr von zwei Meilen Länge stellte Roddingtons Schacht sich jetzt dar, in dem ein zweites dünneres Rohr nach unten lief, das mit vielen Abzweigungen in den Stollen der Tiefenschicht endete. In der Nacht wurde, wie Roddington es zu MacLane sagte, die Montage dieser zweiten Leitung fertig. Als die Sonne des neuen Tages heraufkam, schwebte jenes Gußstück, über dessen Bestimmung sich Price und Curtis bei ihrem Besuch in Trenton vergeblich den Kopf zerbrochen hatten, an den Haken vier starker Kräne über dem Schachtmund. Langsam senkte es sich darauf nieder, bis Flansch auf Flansch lag, und das Finale in dieser Symphonie der Arbeit begann. Auf Loren fuhren die Werkleute die mächtigen Bolzen und Schraubenmuttern heran, um das kuppelförmige Gußstück mit dem Schachtmund zu verbinden. Bolzen um Bolzen senkte sich in die Flanschenlöcher, mit Maschinengewalt wurden die Schrauben angezogen. Als die Sirenen der Werkflotte die Mittagsstunde kündeten, saß die letzte Schraube. Unverrückbar fest und gasdicht war das Verschlußstück mit dem Schacht verbunden, bereit, den mächtigen Druck aufzunehmen, der sich nach den Plänen Roddingtons und den Berechnungen Dr. Wegeners nun bald in ihm entwickeln sollte.

Vollendet war das Riesenwerk, an dem so viele hundert Hände ein volles Jahr hindurch geschafft hatten. Nur wenige Stunden noch nahmen die Aufräumungsarbeiten in Anspruch. Die letzten Kräne und Maschinen wurden auf die Werkflotte verfrachtet; die große Plattform, welche die Mutterschiffe verband, wurde abgebaut. Noch stand die Sonne über dem Westhorizont, als die Schachtkuppel einsam und verlassen aus der See ragte.

Reges Leben herrschte dagegen auf den Schiffen in den Quartieren der Werkleute und Ingenieure. Ausnahmslos waren sie dabei, das Arbeitsgewand des Alltages mit einer festlichen Kleidung zu vertauschen und sich für die Feier bereitzumachen, zu der Roddington alle auf die »Blue Star« geladen hatte. Ein fröhliches Bankett sollte dort den Abschluß des glücklich vollendeten Werkes bilden. An festlicher Tafel und bei vollem Becher wollte James Roddington seine Helfer nach so langen sauren Arbeitswochen um sich versammeln. –

Wie ein roter Feuerball sank die Sonne an der Westkimme in die See, als die ersten Barkassen bei der »Blue Star« anlegten. Schnell folgten ihnen andere, und über das Fallreep empor strömte die Schar der geladenen Gäste und ergoß sich über das von Scheinwerfern hell erleuchtete Deck der Jacht. Lange hufeisenförmige Tafeln waren hier vorbereitet. In hundert Reflexen glänzten Gläser und Teller auf dem weißen Tischzeug, und bald hatte jeder seinen Platz gefunden.

Es kann nicht ganz ruhig zugehen, wo zweihundert Menschen beim Mahle zusammensitzen, aber merkwürdig still war es hier. Nur gedämpft klang die Unterhaltung auf, denn allzu viele wehmütige Gedanken mischten sich in die Freude dieses Festes. Zu Ende war für sie alle die Arbeit hier, die ihnen so lange nicht nur Brot, sondern einen reichen Lohn gegeben hatte. Wenige Tage nur noch, und sie würden sich wieder in alle Winde zerstreuen, würden sich irgendwo anders in den Staaten ihr Brot suchen müssen. Ein härteres, schwereres Brot jedenfalls, wenn sie überhaupt das Glück hatten, es zu finden. Der Gedanke an die Zukunft goß ihnen allen Wermut in den Wein, der rot oder goldig in ihren Gläsern schimmerte.

Am Kopfende der mittleren Tafel saß Roddington, Dr. Wegener hatte den Platz an seiner Linken, Frank Dickinson den zur Rechten.

»Höre, James, die Leute machen alle Gesichter, als ob sie von einem Begräbnis kämen«, sagte Dickinson, »warte mit deiner Mitteilung nicht bis zum Nachtisch. Sage ihnen gleich jetzt, was du zu sagen hast. Der Braten wird ihnen danach besser schmecken.«

Roddington warf einen Blick über die langen Tafeln.

»Du kannst recht haben, Frank«, erwiderte er, erhob sich und schlug an sein Glas.

»Pst! Ruhe! Stille! Der Boß will reden«, raunte es durch die Reihen, und alle Gesichter wandten sich ihm erwartungsvoll zu, als er zu sprechen begann.

Mit einem Dank für geleistete Arbeit und bewährte Treue hub seine Rede an. Die Größe der technischen Leistung, die unübertroffen, ja unerhört dastehe, malte er weiter aus, und Stolz begann sich in den Herzen der Zuhörer darüber zu regen, daß sie bei solchem Werk mittun durften.

Aber größer und immer größer wurden die Augen, als Roddington auf den letzten Zweck des Unternehmens einging und seinen Zuhörern Dinge offenbarte, von denen sie bisher nichts gewußt, die sie kaum dunkel geahnt hatten. In höchster Spannung lauschten sie seinen Worten, begierig darauf, was jeder nächste Satz bringen könne. Und dann kam der Schluß, der allen die größte Überraschung brachte.

»Das Werk ist noch nicht beendet. Die Werkflotte wird vorläufig nach Davao gehen. Sie alle bleiben dort zu den bisherigen Bedingungen in Ihren Stellungen, bis ich neue Anordnungen gebe . . .«

Er konnte seine Rede nicht zu Ende bringen, brausende Hochrufe aus zweihundert Kehlen übertönten die letzten Worte. Im Augenblick war die volle Festesfreude da, kräftiger wurde dem Wein zugesprochen, lauter klang an allen Tafeln das Gespräch auf. Nur bisweilen wurde es unterbrochen, wenn irgendwo in den langen Reihen ein Ingenieur oder Werkmann sich mühsam Ruhe verschaffte, um seinerseits eine Rede zu halten und ein Hoch auf den Boß, auf James Roddington, auszubringen. – – –

Die Stunden verstrichen darüber. In der allgemeinen Fröhlichkeit fiel es kaum auf, daß Roddington und Dr. Wegener sich von der Tafel entfernten. In der Barkasse der »Blue Star« fuhren sie zu dem Schacht. Sie waren allein in dem Boot, das von Dr. Wegener gesteuert wurde. Von fern her drang der Lärm ihrer Gäste über die stille See, als die Barkasse den Schacht erreichte.

Leise plätscherten die Wellen gegen den mächtigen Holzzylinder, der das stählerne Schachtrohr umschloß. Sie machten die Barkasse fest und mußten an einer steilen eisernen Stiege zwanzig Meter in die Höhe steigen, bevor sie die kleine Plattform erreichten, die der Zylinder oben bildete. Der Zugang war jetzt nicht mehr so mühelos wie vor einigen Stunden, als hier noch die Werkflotte lag. Von einem Frachtschiff her schlug es die zehnte Abendstunde, als sie neben die Stahlkuppel traten, die jetzt den Schacht abschloß. Eine Anzahl von Manometern war an ihr montiert, auf Null standen die Zeiger der Druckmesser, noch herrschte in dem abgeschlossenen Schacht hier oben der gleiche Druck wie draußen. Ein großes Handrad befand sich an einer Seite der Stahlkuppel; durch ein Gestänge, das dreißig Meter in die Tiefe führte war es mit einem Ventil verbunden.

Als der zehnte Schlag der fernen Uhr verklang, griff Dr. Wegener mit einem fragenden Blick auf Roddington in die Speichen des Rades. In dem vollen Licht des Mondes sah er ein Lächeln auf Roddingtons Zügen.

»Ich habe es Ihnen versprochen, Doktor Wegener«, sagte der, »Sie sollen der See den Weg in die Tiefe öffnen, der Augenblick ist gekommen.«

Unter den Händen des Doktors begann sich das Rad zu drehen, weiter und immer weiter, bis das Ventil zehn Meter unter dem Meeresspiegel voll offen stand.

»Der Weg ist frei«, sagte der Doktor und trat von dem Rade zurück. Eine Weile lauschten sie beide und lauschten vergebens. Nichts Besonderes war zu vernehmen, nur das leise Atmen des Weltmeeres und der ferne Festtrubel von der »Blue Star« drangen in ihr Ohr, kein Rauschen, kein Brausen verriet, daß der Ozean wie ein Sturzbach in den Schacht stürzte, daß Tausende von Litern in jeder Sekunde durch das Stahlrohr in die Tiefe strömten.

Roddington hatte die Uhr gezogen und verfolgte den Gang des Minutenzeigers.

»Jetzt könnte das Wasser den Schachtgrund erreicht haben, Doktor Wegener.« Während seine Worte durch die stille Nacht klangen, zog auch Dr. Wegener seine Uhr. Eine lange Pause des Schweigens danach, dann wieder die Stimme Roddingtons.

»Jetzt strömt es wohl aus der Leitung in den Stollen . . . jetzt fließt es auf das Karbid . . . jetzt beginnt zwei Meilen unter uns die chemische Umsetzung.« Während der Worte steckte er seine Uhr wieder ein und trat zu den Manometern heran.

»Zu früh, Roddington, noch zu früh, Sie können noch nichts sehen«, murmelte Dr. Wegener vor sich hin, während er ihm folgte. Im Mondlicht waren die Skalenscheiben der Druckmesser deutlich zu erkennen. Unverrückt standen die Zeiger der Meßinstrumente noch auf der Null. Unruhig sah Roddington den Doktor an. Fast bestürzt kam die Frage von seinen Lippen.

»Was bedeutet das, Doktor Wegener, die Instrumente rühren sich nicht?«

»Es muß so sein, Roddington. Es können Stunden vergehen, bevor der Druck einsetzt. Wir müssen Geduld haben.«

»Geduld . . . Geduld . . .« Roddington preßte die Worte zwischen den Zähnen hervor und starrte wie hypnotisiert auf die Skalenscheiben. Eine Viertelstunde verging und eine halbe. Unverändert standen die Zeiger auf Null.

»Was ist das, Doktor Wegener?« Während er die Frage stellte, wandte er dem Doktor den Kopf zu, so daß das Mondlicht voll auf sein Antlitz fiel. Tief gefurcht waren seine Züge in diesem Augenblick, gealtert und verfallen erschien das Gesicht.

»Haben wir einen Fehler gemacht, Doktor Wegener? Mehrere tausend Kubikmeter Wasser müssen jetzt im Stollen stehen, aber die Instrumente zeigen nichts an.«

»Es wäre schlimm, wenn sie jetzt schon etwas anzeigten.« Wie die verkörperte Ruhe stand der Doktor vor Roddington, als er die Antwort gab, und wie ein Dozent auf dem Katheder fuhr er fort.

»Erst nach Stunden können wir ein merkliches Steigen der Zeiger erwarten. Es sind gut zwanzigtausend Kubikmeter, die gefüllt werden müssen . . .«

»Aber die chemische Umsetzung, Doktor Wegener! Müßte sie an den Instrumenten nicht schon zu erkennen sein?«

»Es wäre schlimm, wenn es so wäre, Roddington. Es wäre ein Zeichen, daß sich dort unten nicht reines Benzin, sondern Gas bildet. Es wäre ein böses Zeichen dafür, daß unsere Rechnung nicht stimmt, daß unser Plan mißlungen ist.«

Roddington hielt es nicht mehr auf der Stelle aus. Nervös begann er auf der Plattform hin und her zu gehen. Eine Weile ließ der Doktor ihn gewähren, dann schloß er sich ihm an und sprach während des Gehens auf ihn ein.

»Geduld, Roddington. Verlieren Sie die Nerven nicht in den letzten Stunden. Es verläuft alles so, wie es verlaufen muß. Wenn die Zeiger sich überhaupt erst einmal bewegen, werden sie bald schnell und immer schneller steigen.«

Der Doktor sprach weiter und entwickelte allerlei Zukunftspläne, um Roddington über diese letzten Stunden unruhiger Erwartung hinwegzuhelfen. Langsam schlich darüber die Zeit weiter, wieder drangen aus der Ferne her die Schläge einer Schiffsuhr zu den beiden einsamen Männern. Zwölf Schläge zählte der Doktor. Während er Roddington zu den Manometern führte, sagte er:

»Seit zwei Stunden strömt das Meer in den Schacht ein. Jetzt könnte man vielleicht schon ein Steigen des Druckes bemerken. – Ah! Sehen Sie!« er brachte sein Gesicht dicht an eine der Skalen heran. »Schon zehn Atmosphären. Es verläuft alles, wie wir erwarteten.« – –

Der Verlauf während der nächsten Viertelstunde gab ihm recht. Immer schneller kletterten die Zeiger über die Skalen. Hundert Atmosphären . . . zweihundert . . . fünfhundert . . . bei siebenhundert Atmosphären stellten sie ihre Bewegung ein.

»Hurra! Gelungen!« schrie Dr. Wegener. »Genau so, wie wir's berechneten! Siebenhundert Atmosphären. Der Überdruck, der notwendig ist, um die Treibstoffsäule im Schacht und die Wassersäule im Zuleitungsrohr gegeneinander im Gleichgewicht zu halten. Gelungen, Roddington! Unser großes Werk ist gelungen!«

Die Bewegung übermannte ihn, er zog Roddington an sich und schloß ihn in freudiger Erregung in seine Arme. –

Noch lag tiefe Dunkelheit über dem Ozean, als die Barkasse sie zur »Blue Star« zurücktrug. Beiden war es unmöglich, in dieser Nacht noch Schlaf zu finden, denn zu stark bewegte die Freude über das glückliche Gelingen des großen Werkes ihre Herzen.

Verlassen lag das Deck der Jacht da, nur die abgedeckten Tafeln zeugten hier noch von dem festlichen Schmaus der Werkleute. An den Tischreihen vorbei gingen sie zum Heck der »Blue Star« und ließen sich dort nieder. Rede und Gegenrede flog zwischen ihnen hin und her; noch einmal erlebten sie in der Erinnerung das Jahr voller Arbeit und Aufregungen, das nun glücklich hinter ihnen lag, und entwarfen Pläne für die kommende Zeit.

Denn Roddington hatte ja recht, als er seinen Leuten sagte, daß das große Werk noch gar nicht völlig vollendet sei. In seinem starken, gegen jeden Angriff gesicherten Rohrstrang mußte der Treibstoff von dem Schacht noch bis zur Küste hin geleitet werden, wenn das Ganze sich wirklich so zum Nutzen der amerikanischen Wehrmacht auswirken sollte, wie Roddington und Dr. Wegener es von Anfang an erhofft und geplant hatten. Die Stunden verstrichen darüber, licht wurde es im Osten. Ein neuer Tag brach an und brachte neue Arbeit und neue Sorgen für die beiden.

*


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