Hans Dominik
Das stählerne Geheimnis
Hans Dominik

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Um die elfte Vormittagsstunde kam die neue Ausgabe der New-Yorker »Morning Post« heraus. In Rudeln stürmten die Zeitungsboys mit den frischen Exemplaren durch die Geschäftsstraßen der Hudson-Metropole und riefen die Schlagzeilen aus.

»Tragisches Ende eines Multimillionärs« . . . »Explosion in der Tiefsee« . . . »Riesenschacht zerstört« . . . »Mehr als hundert Tote« . . .

Im Handumdrehen setzten die Verkäufer ihre Ware ab. In einer Stunde war das Doppelte der normalen Auflage vergriffen, zehnfach machte sich an diesem Vormittag das japanische Codebuch für die »Morning Post« bezahlt. Denn nur durch diesen Code war die Redaktion des Blattes in den Besitz der außergewöhnlichen Nachricht gelangt, von der keine der übrigen New-Yorker Zeitungen etwas wußte oder brachte. –

Fast ein Jahr war seit jenem Februartage vergangen, an dem die Presse der Empire City das Publikum durch die Mitteilung vom Verkauf des Roddington-Konzerns an die Grand Corporation in Aufregung versetzte. Eine Zeitspanne, lang genug, um den Namen Roddingtons in der schnellebigen Riesenstadt wieder in Vergessenheit geraten zu lassen. Was kümmerte das Volk, das hier tagaus, tagein seiner Arbeit nachging, ein reicher Nichtstuer, der irgendwo in fernen Meeren auf einer Luxusjacht spazierenfuhr!

Durch gelegentliche Zeitungsnotizen hatte Roger Blake die Öffentlichkeit in dieser Meinung über seinen Vollmachtgeber geflissentlich bestärkt. »James Roddington mit der ›Blue Star‹ in Manila angekommen; nimmt am Tennisturnier teil« oder »Die ›Blue Star‹ im Hafen von Singapore; James Roddington beim englischen Gouverneur auf einer Garden Party« lauteten diese Mitteilungen etwa, die bewußt darauf angelegt waren, den Erben des Roddington Konzerns als sorglosen Müßiggänger erscheinen zu lassen, und sie erfüllten ihren Zweck vorzüglich.

Die Öffentlichkeit ahnte nichts von der wirklichen Tätigkeit des Millionärs. Kein Wort über die Unternehmungen in Trenton und Davao drang in das Publikum. Was beim Beginn der Arbeiten über neue Riesengeschütze vermutet und gemunkelt wurde, lag in den Geheimakten der verschiedenen Admiralstäbe begraben, und was in den Werken von Davao geschafft wurde und was weiter in der Tiefsee bei Mindanao geschah, blieb das Geheimnis der wenigen daran Beteiligten. –

Und nun wie ein Blitz aus heiterem Himmel diese überraschende Meldung der »Morning Post«! Percy Drake hatte seiner Phantasie bei der Abfassung des Artikels keine Zügel angelegt, sondern zu dem, was er mit Hilfe des Codebuches aus dem Äther fing, noch reichlich zuerfunden. Dinge, für deren Vorhandensein er nicht den geringsten Anhalt hatte, die aber immerhin möglich waren und in der von ihm gewählten Darstellung sogar recht wahrscheinlich klangen. Als ein hochherziger Patriot wurde Roddington auf der ersten Seite der »Morning Post« gemalt, der sein ganzes Vermögen und schließlich auch sein Leben dem Wohl des Vaterlandes geopfert habe. In der Absicht, seinen Artikel recht inhaltsreich und zugkräftig zu gestalten, schob ihm der erfindungsreiche Percy Drake eine Idee unter, die ihm beim Schreiben zufällig einfiel. Er hätte sie wahrscheinlich nicht zu Papier gebracht, hätte er die mannigfachen Aufregungen und Schwierigkeiten voraussehen können, die er sich damit selber bereitete.

Der tote Roddington hatte einen aus mächtigen Stahlrohren bestehenden Schacht in der See bei Mindanao bis zu einer Tiefe von sechs Kilometer abgesenkt. Das war ja sicher, denn Drake hatte es in dem japanischen Geheimspruch aufgefangen. Aber was hatte das Ganze für einen Zweck? Darüber stand nichts in der verschlüsselten Depesche, und einen Zweck mußte es doch haben. Drake war felsenfest davon überzeugt, daß ein Mann wie Roddington nicht sinn- und zwecklos handele; nach dem Beispiel von Sherlock Holmes begann er zu kombinieren und zu konstruieren.

Zusammen mit Roddington war dem japanischen Funkspruch zufolge ein deutscher Gelehrter, ein Dr. Wegener, ums Leben gekommen. Eine dunkle Erinnerung ging Drake durch den Kopf, als ob dieser Doktor früher einmal ein wissenschaftliches Buch über die Mineralogie der Tiefschichten des Erdballes geschrieben hätte. Er suchte in der Redaktionsbibliothek danach und hatte Glück. Das Buch war in einer englischen Ausgabe vorhanden. Unmöglich, das dickleibige Werk jetzt etwa noch zu studieren, wo sein Artikel in einer Stunde zur Setzerei mußte. Er konnte es eben nur flüchtig durchblättern, stieß dabei auf ein interessantes Kapitel über Petroleumvorkommen in der Tiefschicht und hatte danach die Idee, die seinem Aufsatz die ganze Richtung geben sollte . . . Daß der Name Wegener in Deutschland häufiger vorkommt, war ihm unbekannt, daß das Buch von einem ganz andern Dr. Wegener stammte, übersah er in der Hitze des Gefechts.

Glücklich, einen plausiblen Zweck für das gigantische Unternehmen Roddingtons gefunden zu haben, diktierte er den Aufsatz und berauschte sich während des Diktierens an seinen eigenen Worten. In brennenden Farben schilderte er, wie James Roddington nur das eine Ziel verfolgt habe, bei den Philippinen Öl zu erbohren, um dadurch die Machtstellung der amerikanischen Union im westlichen Pazifik unangreifbar zu machen. Wie es ihm gelungen sei, das von allen Ingenieuren der Welt bisher für unmöglich Gehaltene möglich zu machen und bis zu der ungeheuerlichen Tiefe von sechs Kilometer vorzustoßen. Wie der Erfolg kam und der stählerne Schacht wirklich in eine ölführende Schicht eindrang. Zur dramatischen Höhe entwickelte sich dann die Darstellungskunst von Mr. Drake, als er seinen Lesern weiter schilderte, wie die beiden Pioniere des großen Werkes, James Roddington und der deutsche Gelehrte, triumphierend auf dem öldurchtränkten Schachtboden standen, wie sie in ihrer Siegerfreude der gefährlichen Gase nicht achteten, die sich über dem Erdöl bildeten . . . wie ein zufälliger Funke ihnen den Tod und ihrem Werk die Vernichtung brachte.

So augenfällig und lebendig beschrieb Percy Drake alle diese Vorgänge, als ob er selber dabeigewesen wäre. Nur ein sehr kritisch veranlagter Leser hätte sich vielleicht darüber wundern können, wie man die Leichen der beiden Verunglückten zutage schaffte, nachdem der Schacht durch die Explosion zusammengebrochen war. Aber das Publikum der »Morning Post« neigte im allgemeinen nicht zur Kritik, und so wurde der Aufsatz ihres phantasiereichen Redakteurs journalistisch und geschäftlich ein beispielloser Erfolg, der die Herausgeber der andern New-Yorker Zeitungen vor Neid erblassen ließ.

In den nächsten Stunden nach seinem Erscheinen waren die Plätze der Luftlinie Frisco-Manila ausverkauft. Nicht nur in New York, sondern auch in allen andern amerikanischen Großstädten machte sich ein Heer von Reportern auf die weite Reise, um die Dinge bei Mindanao an Ort und Stelle zu untersuchen. Was der lebende Roddington glücklich vermieden hatte, das brach jetzt über den Totgesagten mit voller Wucht herein. Eine Meute von Spürhunden hetzte die amerikanische Presse auf seine Fährte. –

»Diesmal bist du noch mit einem blauen Auge davongekommen, mein lieber James«, sagte MacLane im Salon der »Blue Star« zu Roddington, »aber laß dir's für die Zukunft eine Lehre sein, alter Junge! Du bist die treibende Kraft des Ganzen, du darfst dich nicht derartig exponieren.«

»Ist nicht meine Meinung, Freddy«, erwiderte Roddington mit energischem Kopfschütteln. »Der Führer gehört an die Front.«

». . . und setzt sich da unnötigen Gefahren aus, und dann erwischt's ihn, und dann ist niemand mehr da, der sein Werk weiterführen könnte. Falsches Heldentum, mein lieber James! Bei einigem Überlegen mußt du's selber zugeben. Ich bitte Sie«, fuhr er zu Dr. Wegener gewandt fort, »machen Sie Ihren Einfluß auf Freund Roddington auch in diesem Sinne geltend. Ich glaube, er gibt etwas auf Ihren Rat.«

»Leider viel zu wenig!« knurrte der Doktor verdrießlich. »Ich habe bei Gott genug geredet und gebeten, ich wollte allein fahren. Es war alles vergeblich, und ich fürchte, es wird auch weiter vergeblich sein.«

MacLane wollte etwas erwidern, als ein Matrose mit einer Meldung in den Salon kam.

»Flaggensignal von A 17. Ein Funkspruch aus Washington ist für Herrn Kapitänleutnant MacLane aufgenommen worden.«

»Lassen Sie zurücksignalisieren, daß ich gleich komme«, sagte MacLane und erhob sich.

»Der leidige Dienst! Auf Wiedersehen, James. Du wirst mir den Gefallen tun und meine Worte beherzigen und Sie bitte ebenfalls, Herr Doktor Wegener.« –

Die Motorbarkasse brachte MacLane zu dem Zerstörer A 17 zurück. Auf dem Tisch in seiner Kabine fand er den Funkspruch. Es war kein Klartext, Zahlengruppen bedeckten das Blatt. Mit einem Blick erkannte MacLane, daß die Depesche nach dem Code der amerikanischen Marine verschlüsselt war.

In einer Ecke hing ein Spiegel, scheinbar fest und unverrückbar mit den eisernen Kabinenwänden verbunden. In einem ganz bestimmten Rhythmus drückte MacLane auf den Rahmen, da wurde der Spiegel beweglich und ließ sich um ein Scharnier zur Seite drehen. Einen vielfach gezackten Schlüssel führte er in eine kaum sichtbare Öffnung, eine kleine Tresortür sprang auf, hinter ihr lag ein Buch, der Geheimcode der amerikanischen Marine.

Der Kapitänleutnant nahm es mit zum Tisch und machte sich daran, den Funkspruch zu dechiffrieren. Zahlengruppen verwandelten sich bei seiner Arbeit in Worte, und je weiter er kam, desto verwunderter blickte er auf das Geschriebene. Wer in Dreiteufelsnamen hatte dem Marineamt in Washington einen solchen Bären aufgebunden, daß Kapitän Bancroft ihm etwas Derartiges funken konnte?

. . . Roddington und Dr. Wegener tot?! . . . Vor fünf Minuten hatten sie im besten Wohlsein mit ihm zusammengesessen . . . der untere Teil des Schachtes demoliert?! . . . Eben erst hatte ihm Roddington erzählt, daß man vom Schachtgrund aus mit dem Vortrieb eines Stollens in das Urgestein begonnen habe . . . das ganze Unternehmen aufgegeben?! . . . Wer um des Himmels willen konnte denn ein Interesse haben, solche Tatarennachrichten in die Welt zu setzen? . . . Aha! Da schien eine Lösung des Rätsels zu kommen. Aus einem japanischen Geheimspruch, den man in Washington entschlüsselt hatte, stammte die Mitteilung . . .

MacLane wurde ernst, während er den letzten Teil der Depesche entzifferte. Japaner . . . auch hier wieder japanische Agenten, die das Werk Roddingtons belauerten und darüber durch Funkspruch an ihre Auftraggeber berichteten . . . auf der Werkflotte selbst unter den Leuten Roddingtons mußten sich Spione befinden, anders war diese Nachricht nicht zu erklären.

Roddington mußte gewarnt werden. Mit allen Mitteln mußte man versuchen, den dunklen Elementen auf die Spur zu kommen und sie unschädlich zu machen, das stand für MacLane fest. Doch zuerst galt es, Bancroft und seine Leute von ihrer Sorge zu befreien, in die diese Nachricht sie zweifellos versetzt hatte.

Er entwarf eine Antwort an Kapitän Bancroft und chiffrierte sie mit Hilfe des Code. Sorgsam schloß er das wertvolle Buch danach wieder in den Tresor, und der Spiegel rückte an seine alte Stelle, unbeweglich für jeden, der das Geheimnis des Federwerkes in seinem Rahmen nicht kannte. Ein Streichholz in MacLanes Hand leuchtete auf und entzündete eine Kerze. Bis auf den letzten Rest verbrannte er in ihrer Flamme alles beschriebene Papier zu weißer Asche. Nur seine chiffrierte Antwort an Bancroft blieb übrig. Mit der ging er zur Funkstation A 17 und ließ sie absenden. –

Danach brachte ihn die Barkasse zum zweitenmal zur »Blue Star« hinüber. Immer ernster wurden auch die Mienen Roddingtons und Dr. Wegeners, als er ihnen berichtete, was er soeben erfahren hatte. Wieder japanische Agenten unter der Belegschaft? Roddington preßte die Lippen zusammen, der Doktor fuhr sich nervös durch seinen Haarschopf. War denn alle Mühe und Sorgfalt vergeblich, mit der sie die einzelnen Leute ausgesucht und auf Herz und Nieren geprüft hatten?

»Ich sehe keinen Weg, Fred, wie man den Schuldigen herausfinden sollte«, sagte Roddington gedrückt, »mit dem gleichen Recht oder Unrecht könnte ich jeden einzelnen von meinen zweihundert Leuten auf der Werkflotte verdächtigen.«

»Laß uns einen Augenblick überlegen, mein lieber James«, unterbrach ihn MacLane. »Der japanische Funkspruch wurde vor sechsunddreißig Stunden aufgegeben. In den vorangegangenen Wochen, während ihr den Schacht absenktet, ist nichts Verdächtiges bemerkt worden. Das erlaubt die Vermutung, daß der Schuldige erst in letzter Zeit auf die Werkflotte gekommen ist. Wenn ihr etwa erst kürzlich neue Leute angeworben habt, so müßte sich euer Verdacht in erster Linie gegen . . .«

»Die Bergleute, Roddington!« fuhr Dr. Wegener dazwischen. »Sie haben vollkommen recht, Mr. MacLane. Vor zehn Tagen brachte uns ein Schiff aus Manila sechs Mann für die weiteren Abteufungsarbeiten hierher. Ihre Ausweise waren gut . . . aber trotzdem . . . sie sind werkfremd, kommen nicht aus Trenton wie alle andern Leute. Die müssen wir zuerst vornehmen.« Er griff nach einer Liste und überflog eine Reihe von Namen. »Brown, MacAndrew und Merrywater haben jetzt Schicht, stecken im Schacht. Die andern drei sind in ihrem Logis auf Mutterschiff 2. Ich möchte gleich rüberfahren und die Kabinen der drei Abwesenden untersuchen.«

MacLane schüttelte den Kopf.

»Tun Sie das nicht, Herr Doktor. Sie sind zu bekannt unter den Leuten. Ihr Erscheinen auf dem Mutterschiff könnte die Schuldigen vorzeitig warnen. Überlassen Sie die Sache lieber mir.«

»Mister MacLane hat recht, Doktor Wegener«, entschied Roddington den Fall, »als Offizier der amerikanischen Marine kann er unauffällig an Bord von Mutterschiff III gehen und im Einverständnis mit dem Kommandanten die Kabinen der Betreffenden durchsuchen, ohne Verdacht zu erregen. Notier dir die Namen, Fred! Brown, Mac Andrew und Merrywater. Die drei kommen erst in drei Stunden von der Arbeit zurück.«

»Genug Zeit, James, um hinter ihre Schliche zu kommen. Der Sicherheit halber werde ich mir auch gleich noch die drei andern aufschreiben. Wie waren die Namen, Herr Doktor?«

Dr. Wegener nannte sie ihm, fuhr dann fort: »Auf das Funkgerät kommt es an, Mr. MacLane! Ich habe mir die Angelegenheit überlegt. Der Betreffende muß einen Ultrakurzwellenapparat in seiner Kabine haben, mit dem er funken kann, ohne daß unsere Stationen etwas davon merken.«

»Seien Sie ohne Sorge, Doktor, ich werde den Geheimsender finden . . . und wenn er als Stiefelknecht maskiert wäre«, fügte er lachend hinzu. »In kurzer Zeit werden Sie von mir hören.« –

»Ich glaube, er ist der rechte Mann für die Sache«, sagte Dr. Wegener nachdenklich, als MacLane den Salon der »Blue Star« verlassen hatte.

»Er ist es, Doktor«, pflichtete Roddington ihm bei, »denken Sie nur daran, wie er die gelben Nester in Manila und Davao ausgenommen hat, ohne daß die Gegner ahnten, woher der Schlag kam. Er wird auch diesmal mit ihnen fertig werden.«

*

Für das große Publikum war der Artikel der »Morning Post« eine Sensation, die schon nach vierundzwanzig Stunden von irgendeiner andern abgelöst wurde. Für das amerikanische Marineamt und für die japanische Botschaft in Washington bedeutete er dagegen wesentlich mehr. An diesen beiden Stellen setzte er Kräfte in Bewegung, deren Wirken sein Verfasser bald merken sollte. –

Percy Drake hatte nicht die Absicht, auf seinen Lorbeeren auszuruhen. Eifriger denn je ging er nach dem Erscheinen jener ersten Veröffentlichung im Äther fischen, und das Glück war ihm günstig.

Er konnte auf der ihm vom ersten Mal her bekannten Wellenlänge einen langen Funkspruch aufnehmen und machte sich sofort daran, ihn mit dem von Henry Collins erworbenen Codebuch zu entschlüsseln.

»Dringende Informationen für Nr. 29«, begann der Text. Drake konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken, während er die Worte niederschrieb. Zweifellos hatte er eine Information für einen japanischen Geheimagenten erwischt. Bei richtiger Aufmachung konnte das sicher wieder eine Pfundsache für sein Blatt werden. Alle Warnungen, die ihm Collins noch beim Abschied gab, waren in diesem Augenblick vergessen. Er schrieb weiter und stutzte beim Schreiben.

»Die New-Yorker ›Morning Post‹ brachte vor sechs Stunden folgende Nachricht«, hieß es in dem Funkspruch weiter, und dann folgte über viele Zeilen fast wörtlich sein eigener Artikel. Mechanisch entzifferte er weiter in der Hoffnung, daß die Depesche schließlich noch etwas anderes enthalten müßte, und das kam denn auch am Ende.

»Vermutlich Geheimagent der ›Morning Post‹ auf der Werkflotte. Nehmen Sie wieder Verbindung mit M. auf. Versuchen Sie Namen des M.-P. Agenten zu erfahren. Stellen Sie fest, in welcher Tiefe Roddington im Seegrunde Petroleum gefunden hat. Sehr wichtig für uns, ob das Unternehmen nach seinem Tode aufgegeben wird. Erwarten Ihren Bericht zur üblichen Zeit.«

Fast zur gleichen Mimte, zu der Percy Drake in New Port den japanischen Geheimspruch entzifferte, beschäftigte man sich noch an zwei andern Stellen mit ihm. In Washington hatte ihn Kapitän Bancroft vor sich liegen und überlas kopfschüttelnd die letzten Zeilen. Ein Agent der »Morning Post« auf der Werkflotte? . . . Er hielt es bei der Sorgfalt, mit der Roddington seine Leute auswählte, für ausgeschlossen. Unter welcher Maske oder Tätigkeit hätte sich ein Zeitungsmensch in diese ausgewählte Schar von Ingenieuren und Spezialisten einschleichen sollen?

Woher bekam aber die »Morning Post« als einzige von allen amerikanischen Zeitungen die Nachricht, wenn sie keinen Agenten auf der Werkflotte hatte? Bisher lag auch gar keine offizielle Mitteilung über den Unfall vor. Weder Frank Dickinson noch sonst einer der nach Roddingtons Tod zur Leitung des Unternehmens Berufenen hatte etwas darüber gemeldet. Nur durch den japanischen Geheimspruch hatte Kapitän Bancroft selber davon erfahren, und deswegen hatte er vor einer halben Stunde an Kapitänleutnant MacLane funken lassen, am endlich etwas Authentisches zu hören.

Wie kam also bei dieser Sachlage die »Morning Post« zu ihren Informationen? Ein unbestimmter Verdacht zuckte plötzlich durch Bancrofts Hirn. Vergeblich versuchte er ihn zu verwerfen, immer wieder drängte er sich ihm auf. Kapitän Bancroft faßte den Entschluß, sich den Verfasser des Artikels einmal näher anzusehen und ihm gründlich auf den Zahn zu fühlen. An gesetzlichen Handhaben dazu fehlte es ihm nicht, seitdem das Marineamt das Unternehmen Roddingtons als eine Angelegenheit der amerikanischen Flotte behandelte.

In die Überlegungen Bancrofts platzte die Rückantwort von MacLane herein, die der Angelegenheit wieder ein ganz anderes Aussehen gab.

»Ein geringfügiger Betriebsunfall, die Folgen längst überwunden. Roddington und Dr. Wegener bei bestem Wohlsein. Keine Spur von einer Explosion oder gar Zerstörung des Schachtes. Die Abteufungsarbeiten im Gestein des Seebodens in rüstigem Fortgang. Der japanische Funkspruch von vorn bis hinten blanker Schwindel . . .«

Bancroft legte die Depesche in eine rote Eilmappe und schickte sie zu Admiral Jefferson. Während er auf dessen telephonischen Anruf wartete, ging ihm die Sache unaufhörlich durch den Kopf. Eine eklatante Falschmeldung war die japanische Geheimdepesche. Inhaltlich stimmte der Aufsatz in der »Morning Post« zu einem wesentlichen Teil mit ihr überein. Immer sicherer wurde es ihm, daß die Japaner und Mr. Drake irgendwie aus der gleichen Quelle geschöpft haben mußten, und er war entschlossen, der Angelegenheit auf den Grund zu gehen. So zog sich in Washington ein Wetter zusammen, das für Percy Drake recht unangenehm werden konnte. –

Die dritte Stelle, die gleichzeitig mit Drake und Bancroft an der Arbeit war, den Geheimspruch »Dringende Information für Nr. 29« zu entziffern, war Nr. 29 des japanischen Geheimdienstes selber, nämlich Herr Major Kyushu. Er hatte ihn in seiner Kabine auf der »Hitsa Maru« vor sich und diktierte den Klartext seinem Gefährten Oburu.

»Was halten Sie davon?« fragte er nach beendetem Diktat.

»Unser Mann muß den Agenten der ›Morning Post‹ auf der Werkflotte ausfindig machen«, sagte Oburu. »Er muß sich ihm gegenüber auch als Zeitungsreporter ausgeben. Zusammen werden die beiden leichter alles in Erfahrung bringen, was unsere Herren zu wissen wünschen.«

»Es wäre in der Tat gut«, stimmte Kyushu ihm bei, »der Mensch ist tüchtig, er hat seinem Blatt viel mehr gemeldet als unser Mann an uns. Erst auf dem Umweg über New York müssen wir erfahren, daß Roddington auf Petroleum gestoßen ist und eine Explosion von Benzingasen den Schacht zerstört hat Ich fürchte, Oburu, daß unser letzter Bericht nicht sehr befriedigt hat.«

Oburu zuckte die Achseln.

»Das Glück eines Geheimagenten ist noch veränderlicher als das des Soldaten, Major Kyushu. Gehen wir hin und suchen wir einen besseren Bericht zu machen, um unsere Auftraggeber zufriedenzustellen.«

Mit einem leichten Seufzer stand Kyushu auf. Die drei Worte »gehen wir hin« bedeuteten ja, aus den primitiven Räumlichkeiten der »Hitsa Maru« in die noch primitiveren der Prau überzusiedeln und sich vielleicht tagelang in der nicht ganz ungefährlichen Nähe der Werkflotte umherzutreiben, bis es glücken würde, die Funkverbindung mit Jonas Merrywater aufzunehmen. –

Während MacLane sich von der »Blue Star« nach dem Mutterschiff III übersetzen ließ und während Major Kyushu sich in Begleitung des Vicomte Oburu an Bord der Prau begab, befand sich Jonas Merrywater 15 342 Meter unter dem Spiegel des Pazifik. Das Licht elektrischer Lampen beleuchtete die Felswände eines Stollens, der reichlich mannshoch und ebenso breit wie hoch in starker Neigung in die Tiefe ging. An der Stirnwand des Stollens, dort, wo er endete – vor Ort, wie die Bergleute sagen –, stand Mr. Merrywater und überwachte das ratternde Spiel von vier Gesteinsbohrmaschinen.

In sinnverwirrendem Spiel schmetterte Preßluft die schweren Stahlmeißel der Maschinen gegen das feste Urgestein und holte sie wieder zurück. Tief und immer tiefer wurden dabei die Bohrlöcher, die sie in den Fels fraßen. Hin und wieder mußte Merrywater zu der einen oder anderen Maschine hinspringen und ein Kurbelrad drehen, um den arbeitenden Meißel dadurch tiefer in das Gestein einzusenken. Doch diese Tätigkeit ließ ihm genügend Zeit, seinen Gedanken nachzuhängen, die nicht eben heiter waren.

Mr. Merrywater war in ernstlicher Sorge um die fetten Bezüge, die ihm bisher aus dem japanischen Geheimfonds zuflossen. Zum hundertsten Male verwünschte er jene Falschmeldung, die er letzthin an Major Kyushu gab. Mit wie wenig Mühe hätte er den wahren Tatbestand erkunden können. Aus reiner Bequemlichkeit, um nicht zu sagen Faulheit, war er damals in der Messe von Mutterschiff III bei Kaffee und Zigarre sitzengeblieben und hatte nachher einfach die Gerüchte gefunkt, die dort von Mund zu Mund liefen.

Er sah keine Möglichkeit, wie er seinen Fehler wieder gutmachen oder zum mindesten vor seinen Auftraggebern verwischen könnte. Am liebsten hätte er sich nachträglich selber für seine Lässigkeit geohrfeigt . . .

Das Dröhnen der Bohrer wurde schwächer und zwang Merrywater, sich um die Maschinen zu kümmern. Er stellte die Bohrmeißel nach, bis die Felswand wieder unter den Schlägen erzitterte, dann sinnierte er weiter. Geschehen mußte etwas, um die verfahrene Geschichte wieder einzurenken, darüber war er sich klar. Gleich nach Beendigung seiner Schicht wollte er versuchen, zu der verabredeten Stunde die Funkverbindung mit Kyushu aufzunehmen. Hoffentlich würde die Prau noch so in der Nähe sein, daß er den Major mit seinem Kurzwellensender erreichen konnte. Schwer fiel es ihm jetzt auf die Seele, daß er seine Auftraggeber mehrere Tage ohne Nachrichten gelassen hatte. –

Die Bohrer hatten ihr Werk vollendet. Jonas Merrywater stellte den Strom ab und kurbelte die langen Stahlmeißel aus den Bohrlöchern zurück. Ein Ruf dann stollenaufwärts – und seine beiden Schichtkollegen Brown und MacAndrew eilten herbei, um ihm behilflich zu sein. Bohrmaschinen, Kraft- und Lichtkabel wurden hundert Meter zurückgezogen. Zu dritt füllten sie die Bohrlöcher mit einer Masse, die wie harmloses Glaserkitt aussah und doch ein Sprengstoff war, zwanzigmal gewaltiger als Ekrasit oder Roburit.

In sicherer Entfernung drückte Jonas Merrywater auf einen Knopf. Zündstrom ließ die Sprengladung in den Bohrlöchern detonieren, in feurigem Ausbruch zerbarst die Frontwand. Grollender Donner tobte durch den langen Stollen.

Als es wieder still geworden, riefen sie durch das Telephon weitere Hilfsmannschaften herbei. Gleise wurden vorgesteckt, prasselnd stürzten die gesprengten Trümmer in Transportwagen, ein Haspelseil zog die Wagen im Stollen aufwärts, der Stelle zu, wo er Verbindung mit dem stählernen Tiefschacht hatte. Dort war ein größerer, fast saalartiger Raum in das Urgestein gesprengt. Dröhnend und rasselnd arbeiteten hier Steinbrecher, die aller vor Ort gesprengte Fels erst passieren mußte, bevor er die lange Reise nach oben antreten durfte. Denn da war ja der bedenkliche Punkt der ganzen Anlage, jene Einschnürung des stählernen Schachtrohres zwischen Station V und VI. Nur mit der Sonde konnte man diese Stelle passieren. So klein mußte das Gestein vor der Förderfahrt erst gebrochen werden, daß es in die Sonde hineinging. Auch alle Maschinen, die hier unten arbeiteten, die Bohrmaschinen, die Steinbrecher und andere mehr, hatte man in ihren Einzelteilen so bemessen müssen, daß sie durch diesen Engpaß des stählernen Schachtes hindurchgingen.

Vor Ort waren die Bohrmaschinen indes schon wieder ratternd und dröhnend in Tätigkeit. Von neuem fraßen sich ihre Meißel in den Fels ein, während Jonas Merrywater in Gedanken an einem Funkspruch feilte, durch den er bei Major Kyushu wieder gut Wetter für sich machen wollte. Als nach langen Stunden endlich das Signal für den Schichtwechsel erklang, war er mit einem raffinierten Lügengespinst fertig, an dessen Wirkung auf die Japaner er nicht zweifelte. Befriedigt zwängte er seinen Körper in die Sonde und trat die Fahrt nach oben an. Von Station zu Station, von Schleuse zu Schleuse setzte er die lange Reise fort, doch je höher er stieg, desto mehr sank seine Zuversicht auf den Erfolg seines Planes. Als er auf Station Null der Förderschale entstieg und wieder in Licht und Sonne stand, sah er den kommenden Stunden mit Unbehagen entgegen. Fast sicher erschien es ihm jetzt, daß dieser ewig schweigsame japanische Major seine Lügen und Ausflüchte schon nach den ersten Worten durchschauen würde. Verzweifelt überlegte er andere Möglichkeiten, während er über die große Plattform ging, um zum Mutterschiff III zu gelangen.

So sehr beschäftigten ihn seine Gedanken, daß er es gar nicht bemerkte, wie ein Offizier der amerikanischen Marine, den er bisher auf dem Mutterschiff noch nie gesehen hatte, an seine Seite trat. Er fuhr erst auf, als der ihn anredete:

»Mr. Merrywater, wenn ich recht bin?«

»Merrywater ist mein Name, Sir.«

»Ich bin Kapitänleutnant MacLane. Bitte, Mr. Merrywater.« MacLane öffnete die Tür zu einer Kabine. Zögernd blieb Merrywater stehen.

»Ich weiß nicht . . . was wollen Sie von mir? . . .«

»Das werden Sie sofort erfahren«, sagte MacLane, während er ihn vor sich her in die Kabine schob und die Tür hinter sich verriegelte.

»Nehmen Sie Platz.« Er drückte den Zögernden auf einen Stuhl nieder und setzte sich ihm gegenüber. Unsicher blickte Jonas Merrywater abwechselnd auf die verriegelte Tür und den Offizier, der die Unterhaltung mit der Bemerkung eröffnete:

»Sie sind Kurzwellenamateur? Ein sehr interessanter Sport, nur bisweilen etwas gefährlich . . .«

Entgeistert starrte Merrywater ihn an. Er versuchte etwas zu sagen, aber die Kehle war ihm wie zugeschnürt.

»Ihr Fall dürfte mit zehn bis fünfzehn Jahren Sing-Sing zu bewerten sein«, fuhr MacLane fort. Er hielt inne, weil er sah, daß Merrywater einer Ohnmacht nahe war, und nötigte ihn, ein paar Schluck Wasser zu trinken, bevor er weiterfragte.

»Wann ist Ihr nächster Depeschenwechsel mit den Herren Kyushu und Oburu fällig?«

Der Schlag war zu stark. Totenblässe bedeckte die Züge des Agenten. Seiner Glieder nicht mehr mächtig, sank er in sich zusammen. Geraume Zeit mußte MacLane warten, bis er sich wieder etwas erholte, zu stammeln, unzusammenhängende sinnlose Worte herauszustottern begann. Eine Weile ließ MacLane ihn gewähren, dann schnitt er ihm mit einer energischen Handbewegung die Rede ab.

»Wir wissen alles. Jeder Versuch zu leugnen, verschlimmert Ihre Sache. Nur durch rückhaltlose Offenheit können Sie sie verbessern . . . vielleicht sogar unter Umständen – wenn Sie alle meine Fragen befriedigend beantworten – straffrei ausgehen, Mr. Jonas Merrywater.«

Eine leise Hoffnung glomm in dem Agenten auf. Die schreckhafte Blässe wich etwas von seinen Zügen.

»Fragen Sie! Was wollen Sie erfahren, ich will Ihnen alles sagen, was ich weiß.« Überstürzt kamen die Worte von seinen Lippen.

»Es wird das Beste sein, was Sie tun können, Mr. Merrywater. Aber versuchen Sie nicht, mich zu täuschen. Eine einzige falsche Auskunft und das Zuchthaus ist Ihnen sicher.«

MacLane griff nach Schreibblock und Bleistift und begann ein langes Verhör mit dem entlarvten Agenten. Viele Fragen mußte der beantworten, bis der Kapitänleutnant schließlich den Block beiseitelegte.

»So, Mr. Merrywater. Das wäre alles.«

»Und ich, Sir? Bin ich frei? Kann ich nach den Staaten zurückkehren?«

»Sie bleiben vorläufig in der Kabine hier in Haft . . . bis sich Ihre Angaben als richtig erwiesen haben. Ist das der Fall, dann dürfen Sie mit dem nächsten Frachtschiff nach Frisco gehen.«

MacLane verließ die Kabine. Der Agent hörte, wie er sie verschloß. Hörte den schweren Schritt einer Wache, die draußen Aufstellung nahm. Hörte noch den Befehl des Offiziers: »Bei einem Fluchtversuch des Gefangenen von der Waffe Gebrauch zu machen!« –

In den Nachmittagsstunden war die Luft bei völliger Windstille etwas diesig und die Fernsicht erschwert. Deshalb hatte Kyushu das Segel der Prau einziehen lassen. Mit gedrosseltem Motor pirschte das Boot sich vorsichtig an die Werkflotte heran. An der Funkanlage in dem Kajütraum saß Kyushu, die Hörer an den Ohren. Abwechselnd gab er das verabredete Rufzeichen, schaltete danach wieder auf Empfang und lauschte. Da, jetzt ein Klingen in den Telephonen! Morsezeichen, die mit Merrywater für den Anfang jeder Depesche verabredete Zeichenfolge.

»Unser Mann meldet sich«, rief er Oburu zu. »Schreiben Sie! Funkspruch von Merrywater. Aufgenommen 3 Uhr 10 Ortszeit.«

Der Bleistift in Oburus Hand eilte über das Papier.

»Die Leichen Roddingtons und Wegeners mit dem Frachter ›City of Frisco‹ nach den Staaten unterwegs. Zwölf Leute der Werkmannschaft bei der Explosion verletzt, liegen im Lazarett auf Mutterschiff I. Die Hälfte davon so schwer verletzt, daß die Ärzte ihr Aufkommen bezweifeln. Der unterste Schachtabschnitt ungangbar. Immer noch Beratungen der Ingenieure, was weiter geschehen soll. Achtung, Achtung! Ich schalte auf Empfang.«

Kyushu drehte den Schalter seiner Anlage auf Senden, und die Morsetaste in seiner Hand begann zu klappern.

»Habe Ihre Nachricht verstanden. Unter Ihrer Belegschaft befindet sich ein Agent der New-Yorker ›Morning Post‹. Versuchen Sie vorsichtig, die Verbindung mit ihm aufzunehmen . . .«

»Ei du Donnerwetter!« entfuhr es MacLane unwillkürlich, der in Merrywaters Kabine auf Mutterschiff II am Empfänger saß und jetzt ebenso eifrig mitschrieb wie eben noch vier Kilometer ab Vicomte Oburu.

»Am besten geben Sie sich ihm gegenüber auch als Zeitungsmann aus«, morste Kyushu weiter. »Versuchen Sie gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit ihm herauszufinden: Wie tief ist der Schacht Roddingtons? Wo sind die etwa neunzig nicht beim Schachtbau benutzten Rohre von Davao aus hingebracht worden? Von welcher Beschaffenheit ist das Petroleumvorkommen auf dem Schachtgrund? Wiederholen Sie meine Fragen! Achtung, Achtung! Ich schalte um.«

MacLane morste die Fragen zurück und funkte danach weiter: »Im Schachtgrund kein Petroleumvorkommen. Nur Ausbruch von Erdgas unter riesenhaftem Druck. Schachttiefe sechstausend Meter. Über den Verbleib von neunzig Rohren hier nichts bekannt. Werde mit allen Mitteln versuchen, ›Morning-Post‹-Korrespondent ausfindig zu machen . . .«

»Bei Gott, das will ich«, knurrte er dabei ingrimmig vor sich hin. »Wenn ich den Kerl erwische, lasse ich ihn dreimal kielholen.«

»Achtung, Achtung! Ich schalte auf Empfang!« funkte er weiter.

»Seien Sie bei der Anknüpfung der Verbindung mit M. P.-Mann äußerst vorsichtig«, kam die Antwort von Kyushu. »Er darf unter keinen Umständen ahnen, wer Sie wirklich sind . . .«

»Der Schweinehund soll schon zu spüren kriegen, wer ich bin, wenn ich ihn erst habe«, brummte MacLane, während er weitere Anordnungen Kyushus aufnahm.

»Versuchen Sie schnellstens zu erfahren, was die Ingenieurkonferenz beschließen wird. Wir müssen wissen, ob das Unternehmen aufgegeben wird oder nicht. Im letzteren Falle . . .« Kyushu wollte noch etwas funken, besann sich aber anders und unterließ es. »Erwarte morgen um die gleiche Zeit Ihren Anruf. Schluß für heute«, beendete er seine Depesche.

Nachdenklich blieb der Major vor dem Sendegerät sitzen, tiefe Falten furchten seine Stirn.

»Sie wollten noch etwas anderes funken? Was war es?« fragte Oburu. Er mußte seine Frage wiederholen, bevor Kyushu sich zu einer Antwort entschloß.

»Roddington ist tot, das ist wohl außer Zweifel. Aber ich kann es nicht glauben, daß die Amerikaner sein Unternehmen aufgeben. Es ist zu wichtig für sie. Seit Jahren lassen sie auf den Philippinen Erdöl suchen, bisher vergeblich. Die erfolglosen Bohrungen von Tate und Caine haben ungezählte Millionen verschlungen. Jetzt ist Roddington dicht ans Ziel gekommen. Von Erdgas berichtet unser Mann, von Erdöl der M. P.-Mann . . .

Es ist zu wichtig für sie, Oburu! Es würde ihre Schlagkraft hier verhundertfachen, wenn sie Roddingtons Plan zu einem guten Ende führen . . . Aber das darf nicht sein! Wenn sie es nicht freiwillig aufgeben, müssen wir sie dazu zwingen . . . ehe es zu spät ist, Oburu.«

»Unser Mann funkte, Kyushu, daß die Ingenieure auf der Werkflotte noch beraten.«

»Die Ingenieure werden nicht zu entscheiden haben, Oburu, sondern die Staatsmänner in Washington.« Kyushu erhob sich und trat aus der engen dunstigen Kajüte ins Freie, Oburu folgte ihm.

Der Major deutete auf die Werkflotte am Horizont.

»Wenn sie es aufgeben wollten, würde es hier anders aussehen, Oburu. Sie haben noch alle ihre Schiffe hier. Alle Zerstörer . . .«

Kyushu sprach nicht weiter. Mit einem Sprung war er am Motor, gab Vollgas und ergriff dann selber das Steuer der Prau. Mit großer Geschwindigkeit schoß das leichte Boot über den glatten Wasserspiegel dahin.

Im Augenblick begriff Oburu den Grund für das Manöver seines Gefährten. Zwei Zerstörer hatten die Reihe der amerikanischen Kriegsschiffe verlassen und steuerten mit Volldampf auf die Prau zu. Nach menschlichem Ermessen mußten sie das schwache Boot bald erreichen, und dann war das Schicksal der beiden japanischen Offiziere wohl besiegelt. Innerhalb der amerikanischen Hoheitsgrenze von amerikanischen Kriegsschiffen aufgebracht . . . der Spionage nicht nur verdächtig, sondern bald auch überführt . . . das Ende ließ sich leicht absehen. –

Ein Befehl Kyushus rief Oburu und die drei Malaien, welche die Besatzung der Prau bildeten zu sich an das Heck des Bootes. Dicht und immer dichter mußten die vier zu ihm an das Steuer heranrücken, bis die veränderte Belastung sich auswirkte. Hoch tauchte das Vorderteil des leichten hölzernen Rumpfes aus dem Wasser heraus, aus dem Boot wurde ein Gleitboot, das, von dem starken Motor getrieben, mit hundert Stundenkilometer über das Wasser raste. Auf Südostkurs schoß es davon. In wenigen Minuten mußte es sich bei diesem Tempo außerhalb der amerikanischen Hoheitsgrenze befinden. –

Immer größer wurde die Entfernung zwischen der fliehenden Prau und den verfolgenden Zerstörern. Nur als ein schwacher Punkt noch war sie für die Verfolger sichtbar, als es an Bord von A 17 aufblitzte. Die erste Granate kam angeheult und schlug ein paar hundert Meter zu kurz ins Wasser. Ein leichter Druck von Kyushus Hand auf das Steuer. In leichtem Winkel bog die Prau von ihrem alten Kurs ab und raste mit unverringerter Geschwindigkeit weiter.

Noch gaben die Artilleristen der verfolgenden Schiffe das Spiel nicht verloren. Immer wieder krachten die schweren Geschütze, wirbelten Granaten den Wasserspiegel auf. Aber das Ziel war bereits unsichtbar geworden. Nur noch ein Zufallstreffer hätte jetzt Kyushu und seinen Gefährten zur Strecke bringen können. Schon lag die amerikanische Hoheitsgrenze hinter ihnen. Kaum wäre hier auf dem freien Meer ihre Verhaftung völkerrechtlich zu vertreten gewesen, aber Major Kyushu kannte seine Gegner und wußte, was er von ihnen zu erwarten hätte. Unbeweglich saß er am Steuer, die Zähne zusammengebissen, den Blick geradeaus in die Ferne gerichtet.

»Noch vierzig Minuten, Oburu. Dann geht die Sonne unter«, es waren die ersten Worte, die er seit dem Beginn der Flucht sprach. –

»Sie sind uns entwischt«, sagte auf der Brücke von A 17 MacLane zu Kapitän Ferguson.

Der Kapitän nickte.

»Teufelskerle sind's doch, MacLane. Ich bewundere ihre Kühnheit und Todesverachtung. Fast möchte ich mich darüber freuen, daß keine von unsern Granaten sie getroffen hat.«

»Wagemutig und tollkühn, das will ich zugeben. Aber auch verdammt gefährlich, Herr Kapitän. In dem Spiel, das sie mit uns treiben, dürfen wir keine Schonung kennen. Wenn sie uns wieder vor die Rohre kommen, muß es Treffer geben.«

*


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