Hans Dominik
Das stählerne Geheimnis
Hans Dominik

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Der Marineattaché Vicomte Oburu saß in der japanischen Botschaft zu Washington an seinem Schreibtisch. Hier, wo ihn niemand sehen und beobachten konnte, war die glatte, ewig lächelnde Maske des Ostasiaten von seinem Gesicht gefallen. Verdrossen und sorgenvoll starrte er auf den leeren Aktenbogen, der vor ihm auf dem Tisch lag, griff hin und wieder zum Federhalter und ließ ihn jedesmal wieder sinken, ohne etwas zu schreiben. Der Mißmut des Attachés hatte seine Gründe, denn allzusehr widersprachen sich die Mitteilungen seiner Agenten, die er in einem neuen Bericht für Tokio zusammenfassen wollte.

Da war zunächst eine Unterredung, die General Grove vom amerikanischen Kriegsamt und Kapitän Bancroft vom Marineamt vor einiger Zeit in einem Restaurant führten und die ein zuverlässiger Gewährsmann Oburus mitstenographiert hatte. Der Attaché griff nach der Mitteilung und las sie noch einmal Wort für Wort durch. Unzweideutig ging daraus hervor, daß weder der General noch der Kapitän etwas von neuen amerikanischen Riesengeschützen wußten . . . wenn nicht etwa . . . der Attaché wollte den Gedanken so schnell, wie er ihm kam, als unmöglich verwerfen und vermochte doch nicht davon loszukommen . . . wenn nicht diese ganze Unterredung von den beiden Offizieren am Ende nur zu dem Zwecke geführt wurde, um einen Spion, um dessen Nähe sie wußten, auf eine falsche Fährte zu bringen. Besonders Bancroft war ein geschickter Gegenspieler, dessen Wirken der Attaché öfter als einmal zu spüren bekommen hatte. Dem war es sicherlich eher zuzutrauen, daß er ein solches Täuschungsmanöver unternahm, als daß er über so geheime Dinge, wie es diese Riesengeschütze doch waren, harmlos in einem öffentlichen Lokal plauderte. Aber . . . der Attaché war in seiner Lektüre zu der Stelle gekommen, wo Bancroft auch von seinem, Oburus, Bericht nach Tokio sprach . . . würde der Kapitän das getan haben, wenn er wußte, daß jemand von der Gegenseite das Gespräch belauschte?

Sogar dafür ließ sich ein Grund finden. Die Erwähnung dieses Berichtes konnte raffinierte Absicht sein, um die Unterredung besonders echt erscheinen zu lassen. Der Japaner vermochte zu keiner Klarheit zu kommen. Alles war möglich und alles doch so wenig wahrscheinlich. Mit einem leichten Seufzer ließ er das Blatt sinken und griff nach dem nächsten Bericht, der ihm von einem andern Agenten aus der Kanalzone zugegangen war.

»Die ›Vermont‹ bei der ›City of Frisco‹. Ein Kommando des Kreuzers an Bord des Frachtdampfers. Die Durchmusterung der Mannschaft und die Verhaftung der beiden Heizer . . .« eine Falte bildete sich auf der Stirn des Attachés. Diese beiden Heizer gehörten zu seinen besten Agenten . . . »Die ›Vermont‹ bis zum andern Ende des Kanals unmittelbar im Fahrwasser der ›City of Frisco‹.« Ein zwingender Beweis schien es dem Attaché zu sein, daß das amerikanische Marineamt an der Fracht der »City of Frisco« das größte Interesse nahm, daß es sich also doch wohl um neue geheime Rüstungsprojekte drehte, bei denen es sich nach all dem, was Oburu bereits über die in Trenton gegossenen Rohre in Erfahrung gebracht hatte, um irgendwelche phantastischen Riesengeschütze handeln mußte.

Das war der zweite Bericht, doch die Zweifel und Sorgen Oburus waren damit noch nicht zu Ende. Seine Hand griff nach einem dritten Schriftstück, das erst vor wenigen Stunden in seinen Besitz gekommen war. Ein Kurierflugzeug hatte es von Formosa nach Washington gebracht. Geschrieben hatte es ein Agent in Davao. Oburu durchblätterte es und las:

»Das neue Industriewerk von James William Roddington an der Bucht von Davao bedeckt ein Areal von einer englischen Quadratmeile. Über die hier beabsichtigte Fabrikation wurde folgendes ermittelt: Eine der großen Hallen dicht am Strand enthält Metallbearbeitungsmaschinen verschiedener Art. Die größte der Maschinen ist eine Drehbank, auf der Stücke mit Durchmessern bis zu drei Meter und bis zu einer Länge von hundert Meter bearbeitet werden können. Zur Zeit werden die Maschinen noch nicht benutzt . . .«

Oburu griff nach seinem Taschentuch und wischte sich die Stirn. Er hegte keinen Zweifel mehr, daß die geheimnisvollen Geschütze auf dieser Riesendrehbank weiterbearbeitet werden sollten. Etwas weniger klar schien ihm der nächste Passus, in dem über große transportable Schweißanlagen berichtet wurde, die auch in der genannten Halle standen. Mit einem Kopfschütteln schlug er die Seite um, und sein Kopfschütteln wurde stärker, während er weiterlas. Von fünf weiteren Hallen war die Rede, in denen Holzbearbeitungsmaschinen von bisher noch nicht gesehenen Abmessungen aufgestellt wurden. Maschinen, die offensichtlich dazu bestimmt waren, das Holz zu verarbeiten, das bereits in Riesenmengen auf dem Gelände des neuen Werkes lagerte. Es stammte aus dem Waldgebiet in der Nähe der Bucht, das Roddington vor kurzem erworben hatte. Ausnahmslos handelte es sich dabei um das Holz des Balsa- oder Floßbaumes, das in gleicher Weise durch außergewöhnliche Festigkeit und Leichtigkeit ausgezeichnet ist. In den nächsten Absätzen sprach der Bericht die Ansicht aus, daß Roddington wohl im Begriff stehe, unter Benutzung dieser wertvollen Holzart eine neue große Industrie aufzuziehen. Das Papier zitterte in der Hand Oburus, als er es umwandte. Er vermochte seiner inneren Erregung über alle diese rätselhaften Vorkommnisse und Dinge kaum noch Herr zu bleiben, während er die letzte Seite des Berichtes las. Sie betraf den Inhalt von drei weiteren Hallen, die für eine große Gummifabrik bestimmt waren. Knet- und Mischmaschinen in der ersten Halle, um den Rohkautschuk zu reinigen und mit den für die spätere Vulkanisierung notwendigen Zusätzen zu vermengen. Die eigentlichen Vulkanisierungsanlagen dann in der zweiten Halle, ein Lager von vielen Tausenden von Zentnern der für die Fabrikation notwendigen Stoffe schließlich in der dritten.

Der Attaché warf den Bericht auf den Tisch und sprang auf. Jetzt, nachdem er alle diese Schriftstücke noch einmal gelesen hatte, war er noch weniger als zuvor imstande, sich ein bestimmtes Bild von dem zu machen, was Roddington in seinem neuen Werk bezweckte. Nur das eine schien ihm sicher, daß die Riesengeschütze, wenn sie hier wirklich fertiggemacht werden sollten, nur einen Teil dieses ganzen großen Betriebes in Anspruch nehmen konnten.

Ein leichtes Klopfen an der Tür ließ ihn aus seinem Grübeln auffahren. Ein Diener der Botschaft kam herein und brachte die neuesten Ausgaben einiger Washingtoner Zeitungen. Oburu, dessen Gedanken noch bei den eben gelesenen Berichten seiner Agenten waren, wollte sie beiseiteschieben, als sein Blick an fetten Schlagzeilen haften blieb.

»Ernster Zwischenfall im Pazifik. Amerikanischer Handelsdampfer widerrechtlich von japanischen Kriegsschiffen angehalten. Kreuzer ›Vermont‹ kam dazwischen. Intervention unserer Botschaft in Tokio.«

Der Attaché zog die Zeitung näher. Während er den verbindenden Text zwischen den Schlagzeilen las, krampften sich seine Finger um das Papier. Die »City of Frisco« mit den rätselhaften Rohren an Bord war also auch an diesem neuen Zwischenfall beteiligt. Seit Jahren war das Verhältnis zwischen der amerikanischen Union und dem Inselreich an der andern Seite des Pazifik wenig freundlich, während der letzten Monate hatte es sich noch weiter verschlechtert. Ein geringfügiger Anlaß konnte den Zündstoff, der sich zwischen den beiden rivalisierenden Mächten angehäuft hatte, zur Explosion bringen.

Wie konnten die japanischen Schiffe bei dieser Lage der Dinge derartig verfahren? Vicomte Oburu sah schwere diplomatische Verwicklungen voraus und suchte vergeblich nach einer Erklärung für das Vorgehen der japanischen Kommandanten. Hatten sie eigenmächtig unter Überschreitung ihrer Befugnisse das internationale Seerecht verletzt? Es schien ihm kaum denkbar. Oder handelten sie auf höheren Befehl aus Tokio? Auch das war wenig glaublich. Ein neues Rätsel geisterte um die »City of Frisco«, und durch die Zwischenkunft der »Vermont« wurde die Lösung nicht leichter. Nur das eine stand für den Attaché jetzt fest: Die »City of Frisco« führte ihre Reise von Panama nach Davao im Schutz eines amerikanischen Schlachtkreuzers aus, und darin glaubte er den zwingenden Beweis dafür zu erblicken, daß seine erste Vermutung doch richtig war. Nur um neue Riesengeschütze, deren Existenz geheimgehalten werden sollte, konnte es sich bei der Fracht der »City of Frisco« handeln.

Vicomte Oburu wußte jetzt, wie er seinen Bericht abzufassen hätte, und schnell glitt seine Feder über das Papier. –

Noch an einer andern Stelle hatten die Arbeiten Roddingtons ein schweres Rätselraten zur Folge. Den Anlaß dazu gaben neue Berichte Palmers an den Präsidenten der Grand Corporation. Fieberhaft wurde in Trenton in der neuen Halle mit Tag- und Nachtschichten gearbeitet. Eine zweite Gießgrube entstand, in ihrer Einrichtung und ihren Abmessungen der ersten gleich. Mit dieser vergrößerten Anlage, die schon in den nächsten Tagen in Betrieb kommen sollte, würde das Werk dann in der Lage sein, alle vierundzwanzig Stunden eins jener Riesenrohre zu gießen, über deren Zweck sich Price mit seinen Leuten immer noch vergeblich den Kopf zerbrach. –

Oberst Barton war einer Einladung von General Grove gefolgt und hatte eine zweite lange Unterredung mit ihm gehabt. Offen legte er dabei die Berichte, welche sich die Corporation bisher aus Trenton verschafft hatte, auf den Tisch, und ebenso offen versicherte ihm General Grove mit Wort und Handschlag, daß weder das Kriegsamt noch das Marineamt mit diesen Dingen etwas zu tun hätten.

Präsident Price griff sich an den Kopf, als Oberst Barton zu ihm kam und ihm Bericht über diese Unterredung gab.

»Betrachten wir die Dinge als nüchterne Kaufleute, Oberst«, rief er, als Barton geendet hatte; »man richtet ein neues Werk vernünftigerweise nur ein, wenn man es wenigstens für die nächsten zwei Jahre voll beschäftigen kann. Schneller lassen sich derartige Anlagen nicht abschreiben.«

Barton wollte etwas erwidern, doch Price fuhr ihm dazwischen. »Eine einfache Rechnung, Barton! Zwei Jahre bedeuten für ein Stahlwerk, das keine Sonntage kennt, siebenhundertdreißig Arbeitstage. Das heißt für das Trenton-Werk den Guß von siebenhundertdreißig dieser verdammten Rohre im Gesamtgewicht von anderthalb Millionen Tonnen Stahl . . .« Price preßte die Hand gegen die Stirn. »Ich werde noch verrückt, Oberst, wenn wir nicht bald dahinterkommen, was Roddington eigentlich vorhat.«

Barton zuckte die Achseln. »Wie Sie das herausbekommen, Mr. Price, ist Ihre Sache. Ich konnte Ihnen nur die sichere Information geben, daß Washington nichts damit zu tun hat.«

»Wenn es ein anderer Staat wäre . . .« Price brach jäh ab, als erschrecke er vor seinem eigenen Gedanken. Oberst Barton griff den Satz auf.

»Eine Lieferung der Trenton-Werke für einen fremden Staat meinen Sie? Ich kann es mir nicht denken, Mr. Price. Ich glaube kaum, daß er dann die Werkstätten für die Weiterbearbeitung der Rohre auf amerikanischem Boden in Davao angelegt hätte.«

»Es ist zum Tollwerden!« stöhnte Price. Er erhob sich, holte von einem Regal einen Globus und stellte ihn vor sich auf den Tisch.

»Da liegt Davao«, sagte er und setzte den Zeigefinger auf einen Punkt der Erdkugel. »Ein Katzensprung ist es von dort bis zu dem britischen Teil von Borneo. Roddington könnte am Ende einen Rüstungsauftrag für die Festung Singapore haben.«

Oberst Barton schüttelte den Kopf. »Das halte ich für ausgeschlossen, Mr. Price. Es würde der englischen Tradition schroff widersprechen, Waffen anderswo als in England zu bestellen.«

Price starrte immer noch auf den Globus.

»Die niederländischen Besitzungen liegen auch nicht weit von Davao ab. Sie sind durch den japanischen Expansionsdrang ebenso gefährdet wie die englischen. Wäre es möglich, daß Roddington für Holland arbeitet?«

»Möglich wäre es schließlich«, sagte Oberst Barton gedehnt, »doch für sehr wahrscheinlich halte ich es nicht. Die Niederländer dort unten verlassen sich in der Hauptsache auf England und behalten ihr gutes Geld im Beutel, anstatt es für die Verteidigung ihrer Kolonien auszugeben.«

»Ja, dann, Oberst«, Price tupfte sich die Stirn mit seinem Taschentuch, »dann bin ich mit meiner Weisheit zu Ende. Sonst liegt nur noch japanisches Gebiet in der Nähe. Die Insel Formosa . . .«

Barton machte eine abwehrende Bewegung.

»Ausgeschlossen, Mr. Price! James William Roddington ist ein ebenso guter Bürger der Vereinigten Staaten wie Sie und ich. Er würde seine Werke eher in die Luft sprengen, als Waffen an Japan liefern. Es hilft nichts, wir müssen die Entwicklung der Dinge eben abwarten«, schloß der Oberst, während er sich verabschiedete.

Die Laune, in der er den Präsidenten zurückließ, war alles andere als gut, und die Direktoren der Corporation bekamen in den nächsten Stunden einige Proben davon zu kosten.

*

Ein Kesseldefekt zwang die »Vermont«, Manila anzulaufen. Die Beseitigung des Schadens hätte sich in einer Woche erledigen lassen können. Ein Funkspruch aus Washington befahl jedoch, mit dem Schiff in das Trockendock des neuen Kriegshafens zu gehen und bei dieser Gelegenheit gleich eine gründliche Bodenreinigung vornehmen zu lassen.

»Unser Marineamt scheint die Anlagen in Manila auf ihre Brauchbarkeit prüfen zu wollen, und wir müssen ihm dabei als Versuchskaninchen dienen«, sagte Kapitän O'Brien, der Kommandant des Kreuzers, zu Kapitänleutnant MacLane, als er die Depesche empfing. »Meiner Meinung nach hätte die ›Vermont‹ eine derartige Überholung noch nicht nötig.«

»Für einen einfachen Seeoffizier ist es schwer zu erkennen, aus welchen Gründen die Götter und Halbgötter in Washington ihre Befehle erlassen«, erwiderte MacLane ausweichend, »vielleicht möchten die Herrschaften unsern Kreuzer für einige Wochen unauffällig bei den Philippinen behalten und verordnen ihm deshalb aus heiterm Himmel eine Bodenreinigung.«

»Die ganz bestimmt überflüssig ist«, fiel ihm O'Brien ins Wort.

MacLane lachte. »Vielleicht . . . vielleicht auch nicht, Kapitän O'Brien. Jedenfalls haben wir auf diese Weise vier angenehme Wochen an Land vor uns. Manila ist eine schöne Stadt, in der es sich gut leben läßt.«

»Sie haben mal wieder recht, MacLane«, sagte der Kapitän, während er das Radiogramm in die Tasche steckte. »Der Wille der Herren in Washington geschehe! Amen. Sela.« –

Der Kreuzer wurde in das neue Dock verholt, und während viele Hände seinen Rumpf mit Stahlbürsten verschiedenster Form und Größe bearbeiteten, kamen für die Besatzung angenehme Wochen, in denen sie sich allen Freuden hingeben konnten, die den Seemann an Land erwarten.

Wie im Fluge verstrich die Zeit, und allzu schnell kam der Tag, an dem die Schleusen des Docks geöffnet wurden und die »Vermont«, in allen Teilen blitzend und funkelnd wie ein Schmuckkasten, wieder im Hafenbecken schwamm.

Durch Funkspruch meldete Kapitän O'Brien die beendigte Überholung der »Vermont« an das Marineamt nach Washington. Schneller als er erwartete erhielt er eine Antwort von dort. Ein langes Radiogramm mit einer Menge von Aufträgen und Vollmachten, das ihm befahl, umgehend nach Davao zu fahren und sich dort bestimmte Informationen zu verschaffen.

Wenige Stunden später dampfte der Kreuzer aus dem Hafen hinaus auf das offene Meer. Durch die Mindoro-Straße und die Sulu-See ging die Fahrt. Am Morgen des dritten Tages erreichte die »Vermont« die Südspitze von Mindanao und steuerte die Bucht von Davao an.

MacLane lehnte an der Reling auf dem Achterdeck, als O'Brien zu ihm trat.

»Sehr erbaut bin ich nicht von dem Auftrag, den Washington uns gegeben hat. Die Herren im Marineamt wünschen gewisse Aufklärungen, die uns Roddington ohne weiteres verweigern kann. Er ist niemand Rechenschaft schuldig und kann in seinen Werken tun und lassen, was ihm gefällt, solange er nicht gegen die Gesetze verstößt. Vermutlich wird er uns glatt ablaufen lassen.«

»Ich meine, Kapitän O'Brien«, erwiderte MacLane, »die ›Vermont‹ müßte bei James Roddington einige Steine im Brett haben. Wir haben ihn in Colon von ein paar Zeitgenossen befreit, die bestimmt nichts Gutes gegen ihn im Schilde führten, und wir haben ihm bei Jap die Japaner vom Halse geschafft. Das sind doch recht wertvolle Dienste, auf die hin wir wohl einen freundlichen Empfang von seiner Seite erwarten dürfen, ganz abgesehen davon, daß James William Roddington an sich ein grundanständiger Kerl ist.«

»Sie sprechen ja, als ob Sie ihn persönlich kennen, Mac-Lane?«

Ein verschmitztes Lächeln lag auf den Zügen von Mac-Lane, während er antwortete. »Was man so persönlich kennen nennt, Kapitän. Unsere Bekanntschaft ist ein halbes Menschenalter her, aber ich denke, Roddington wird sich meiner noch erinnern.« –

Enger schoben sich jetzt die Ufer der Bucht von beiden Seiten zusammen. Backbord voraus ragte das mächtige Bergmassiv des Apo gegen den Himmel. Fast bis zum Gipfel hin bedeckte dichter tiefgrüner Laubwald seine Hänge. Gerade voraus kamen in weiter Entfernung die Hafenanlagen von Davao in Sicht.

Backbord querab erhoben sich die Baulichkeiten des neuen hier von Roddington errichteten Werkes. Leicht und gefällig wie ein Schwan wiegte sich der leuchtend weiße Rumpf der »Blue Star« an seiner Ankerkette auf der blauen Flut. Schwarz und massig stachen dagegen drei mächtige Frachtdampfer ab, die am Kai des Werkes vertäut waren; Schiffe offenbar, die frische Ladung aus Trenton hierhergebracht hatten.

In der Nähe der »Blue Star« ließ die »Vermont« den Anker fallen, eine Motorbarkasse wurde zu Wasser gelassen und brachte O'Brien und MacLane an Land. Sie hatten den Kai erst wenige Schritte hinter sich, als ihnen ein Herr in weißem Tropenanzug entgegenkam und sie nach ihren Wünschen fragte. Zum Schutze gegen die brennende Sonne trug er einen mächtigen Sombrero auf dem Kopf, unter dem volles braunes Haar in ungebändigter Fülle hervordrängte.

»Guten Tag, Herr Doktor Wegener! Erfreut, Sie kennenzulernen«, sagte MacLane, »ich möchte meinen alten Freund, Mister Roddington, aufsuchen.«

Dr. Wegener stutzte und suchte Zeit zu gewinnen. Er führte die beiden Marineoffiziere zum Verwaltungsgebäude des Werkes und bat sie, dort Platz zu nehmen und sich kurze Zeit zu gedulden. Dann verschwand er, die Besuchskarte MacLanes in der Hand. Eine Minute später trat er in das Zimmer Roddingtons.

»Wir haben Besuch, Mr. Roddington. Den Kapitän und einen Offizier von der ›Vermont‹, die draußen neben der ›Blue Star‹ ankert. Der eine von ihnen . . .«, er gab Roddington die Karte, ». . . behauptet, ein alter Freund von Ihnen zu sein.«

Roddington las den Namen. »MacLane? Hm . . . sollte es der sein? Dann kenne ich ihn allerdings. Wo sind die Herren, Doktor Wegener?«

»Im Kasino, nebenan. Ich fürchte, Mister Roddington, die Herren werden sehr neugierig sein. Wie gedenken Sie sich zu verhalten, wenn sie allerlei zu sehen und zu hören wünschen?«

Roddington überlegte eine Weile, bevor er antwortete. Zögernd kamen die Worte aus seinem Munde, als ob er jedes einzelne sorgfältig abwägen müsse.

»Über unsere eigentlichen Pläne soll nichts bekanntwerden, bevor wir mit den Arbeiten an Ort und Stelle selbst beginnen. Das wollen wir erst einmal als obersten Grundsatz festhalten, Doktor Wegener. Was hier im Werk geschieht, mögen die Herren sich meinetwegen ansehen, klug können sie ja doch nicht daraus werden.«

»Mir wäre es lieber«, warf der Doktor ein, »wenn überhaupt niemand etwas sähe oder hörte, bevor alles zu Ende ist.«

Roddington hatte die Türklinke bereits in der Hand. Er wandte sich noch einmal um.

»Über diese Frage habe ich in den letzten Tagen viel nachgedacht, Herr Doktor. Eine absolute Geheimhaltung ist unmöglich. Sie wissen auch, was für ein Sagenkranz schon jetzt, wo wir erst beim Anfang sind, um unser Unternehmen geflochten wird. Ich habe mich deshalb entschlossen, die höchsten Stellen unserer Landesverteidigung zur gegebenen Zeit in meine Absicht einzuweihen und für die Arbeiten an Ort und Stelle den Schutz unserer Marine zu erbitten.«

»Das wollten Sie tun, Mister Roddington?«

»Jawohl! Nach reiflichem Überlegen bin ich zu dem Entschluß gekommen. Lassen Sie uns jetzt zu unsern Gästen gehen.« –

Im Kasino erhob sich MacLane beim Eintreten Roddingtons. Einige Sekunden standen sie sich gegenüber und schauten sich in die Augen. Dann schlug Roddington MacLane auf die Schulter.

»Bist du's wirklich, alter Junge? Wie kommst du hierher, Freddy?«

»Ich bin's, James. In Lebensgröße, wie du siehst.« Er griff Roddingtons Hand und schüttelte sie kräftig, Roddington sprach weiter.

»Ist lange her, daß wir uns nicht mehr gesehen haben. Vor zwölf . . . nein, vor dreizehn Jahren sagtest du unserm alten Harvey College in Massachusetts good-bye, um zur Marine zu gehen. Ich mußte noch ein Jahr länger auf der Schulbank schwitzen . . .«

Die beiden alten Schulfreunde vergaßen für Minuten die Gegenwart von O'Brien und Dr. Wegener, während Rede und Gegenrede zwischen ihnen hin und her flogen. Belustigt hörte der Kapitän der Unterhaltung zu. So ein Gauner, dachte er bei sich, kennt den Roddington wie seine Westentasche und sagt mir vorher kein Wort davon!

Dr. Wegener ließ sie eine Weile gewähren, dann mischte er sich ein und machte den Vorschlag, das Gespräch bei einem gemeinsamen Lunch weiterzuführen. Zu viert saßen sie bald darauf um einen Frühstückstisch. Der Doktor bemühte sich, den Kapitän O'Brien zu unterhalten, denn während der nächsten Viertelstunde waren Roddington und MacLane immer noch mit dem Auskramen alter Erinnerungen an die gemeinsame Schulzeit beschäftigt. Erst beim Kaffee gab Roddington dem Gespräch eine andere Wendung.

»Ja, da seid ihr nun hier, Freddy, und wollt euch natürlich brennend gern meine Werke besehen. Mach mir nichts vor, alter Junge«, fuhr er auf einen Einwand MacLanes fort. »Ihr seid genau so neugierig wie alle andern . . . die Herren von der Marine« – er sagte es mit einem Blick auf O'Brien – »sogar noch ein bißchen mehr als die andern.«

Der Kapitän bekam einen roten Kopf. Roddington bemerkte es wohl und wandte sich direkt an ihn.

»Ich bitte Sie, Herr Kapitän, das Marineamt in Washington gelegentlich wissen zu lassen, daß ich mich zur gegebenen Zeit . . . wenn die vorbereitenden Arbeiten hier beendet sind . . . selbst an die Herren wenden werde. Ich rechne bei dem, was ich vorhabe, stark auf die Unterstützung der Marine.«

Dr. Wegener rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Er fürchtete, daß Roddington, von seinen eigenen Worten fortgerissen, mehr sagen könnte, als im Augenblick rätlich war. Kapitän O'Brien wollte sich für das Vertrauen, das Roddington ihm mit dieser Eröffnung schenkte, bedanken, doch der wehrte lachend ab.

»Später, Herr Kapitän, später . . . alles zu seiner Zeit. Wenn es Ihnen recht ist, machen wir jetzt einen Gang durch das Werk.« –

Beim Verlassen des Verwaltungsgebäudes wies Roddington auf die Kaianlage. Die drei Frachtdampfer, die noch vor einer Stunde dort lagen, waren verschwunden. Südwärts weit draußen in der Bucht waren ihre Rauchfahnen eben noch am Horizont zu sehen, aber ein viertes Schiff war in der Einfahrt begriffen. Während sie noch dastanden und auf das Meer hinausschauten, kam es heran, machte mit dem Bug am Kai fest, und nun wiederholte sich hier in umgekehrter Reihenfolge das Schauspiel, das unbefugte Augen schon vor Wochen in Trenton beobachtet hatten. Torartige Ladeluken im Schiffsbug wurden geöffnet. Eine Lokomotive fuhr in das Schiff hinein, kam nach kurzer Zeit wieder zum Vorschein und schleppte hinter sich einen hundert Meter langen Lorenzug. Eines jener riesenhaften Stahlrohre, über die sich die Rüstungssachverständigen verschiedener Staaten vergeblich die Köpfe zerbrachen, lag auf den Loren. Langsam kroch der Zug mit seiner schweren Last über ein Gleis dahin und verschwand in einer Werkhalle.

»Nettes Röhrchen, was, Freddy?« fragte Roddington MacLane mit harmloser Miene. »Zweitausend Tonnen Stahl in einem Stück zu vergießen . . . das soll uns erst mal ein anderes Werk nachmachen!«

Während sie weitergingen, kam die Lokomotive schon wieder aus der Halle zurück, und bald kroch ein zweiter Zug an ihnen vorüber, ebenso beladen wie der erste.

Kapitän O'Brien war verstummt. Schweigend betrachtete er den gigantischen Stahlzylinder, überwältigt von den mächtigen Ausmaßen des Gußstückes. MacLane schien weniger beeindruckt zu sein. Er hatte ja schon früher die ersten vier Rohre im Bauch der »City of Frisco« gesehen, wo sie in dem Laderaum vielleicht noch imposanter wirkten als hier im Freien.

»Das wären denn also die künftigen Riesengeschütze, James«, meinte er, »die Freund Price schlaflose Nächte bereiten.«

Roddington schüttelte den Kopf.

»Price hat eine etwas zu üppige Phantasie . . . Immerhin«, fuhr er nach einer kurzen Pause fort, »wenn ihr mal so etwas braucht, halte ich mich dafür empfohlen. Meine Stahlwerke in Trenton würden euch besser bedienen als die Corporation.«

MacLane sah ihn fragend an.

»Meinst du das im Ernst, James?«

»Warum nicht, Freddy? Das innere Langrohr ist da, ihr seht es ja hier. Die Bank, auf der man es bearbeiten müßte, steht in der Halle dort drüben. Noch einen Mantel aufgeschrumpft, und ein Kanönchen wäre fertig, mit dem ihr von Honolulu bis nach Manila schießen könnt.«

MacLane wurde unsicher. »Wenn man dich jetzt so sprechen hört, könnte man fast glauben, daß doch etwas an den bewußten Gerüchten ist.«

»Bitte, mein lieber Freddy, ich habe nichts gesagt«, erwiderte Roddington vieldeutig.

Sie waren inzwischen zu der Halle gekommen und traten ein. Nur eine einzige Werkzeugmaschine war hier vorhanden, aber sie war in ihren Ausmaßen so imposant, daß O'Brien und MacLane in neues Staunen gerieten. Jene Drehbank war das, von der ihnen Roddington eben gesprochen hatte. Eins der mächtigen Rohre war eingespannt, wie man bei einer Drehbank gewöhnlichen Kalibers etwa eine Eisenbahnachse oder irgendeine Kolbenstange für die Bearbeitung einspannt. Langsam drehte das mehr als hundert Meter lange Stück sich um seine Achse. An seinen beiden Enden gruben sich Drehstühle und Fräser in das Metall ein und hoben Span um Span ab. MacLane wollte stehenbleiben und sich den Arbeitsvorgang näher betrachten. Roddington zog ihn am Ärmel mit sich fort.

»Komm weiter, Freddy! Daß hier noch keine Geschütze fertiggemacht werden, hast du wohl gesehen. Das andere braucht dich jetzt noch nicht zu interessieren.«

Weiter führte sie Roddington zu einem ein paar hundert Meter entfernten Hallenbau. Zu beiden Seiten des Weges, den sie gingen, war Holz in schier unübersehbarer Menge aufgestapelt. Mächtige Stämme jenes Floßbaumes, der einen Teil der Wälder von Mindanao bildet und ein ungemein festes und dabei doch überraschend leichtes Holz liefert.

»Alle Wetter, James, deine Holzhauer in den Wäldern haben ordentlich geschuftet«, stieß MacLane bewundernd hervor.

Roddington schüttelte den Kopf. »Ein kapitaler Irrtum von dir, Freddy. Mit den eingeborenen Holzhauern wäre ich nicht weit gekommen. Meine Ingenieure, ausgerüstet mit den modernsten Baumfällmaschinen, Motorsägen und anderen Hilfsmitteln, haben das geleistet. Trotzdem war es noch eine Riesenarbeit.«

Als Roddington die Tür der Halle öffnete, scholl ihnen ohrenbetäubender Lärm entgegen. Mehr als hundert Holzbearbeitungsmaschinen der verschiedensten Art waren in voller Tätigkeit, die mächtigen Stämme der Länge nach zu zerschneiden und ihnen durch Hobeln und Fräsen ganz bestimmte Formen zu geben. Was das Ganze zu bedeuten hatte, wurde den beiden Marineoffizieren klar, als sie an einer Längsseite der Halle mehrere der großen aus Trenton hierhertransportierten Gußstücke erblickten. Die Stahlzylinder waren fast über die ganze Länge mit einer ebenfalls zylindrischen massiven Hülle aus Balsaholz umkleidet.

Die Holzmäntel waren aus den Stücken zusammengesetzt, deren Herstellung sie eben an der anderen Seite der Halle sahen, und hatten eine äußere Dicke von sechs Meter. Noch rätselhafter und mächtiger als vorher wirkten die damit umkleideten Rohre.

»Verstehen Sie, MacLane, was das zu bedeuten hat?« fragte O'Brien. MacLane stand eine Weile nachdenkend vor den grotesken Gebilden. Seine Lippen murmelten Zahlen, als ob er im stillen etwas berechnete.

»Man könnte fast auf die Idee kommen«, sagte er endlich, »daß die Dinger da irgendwie schwimmen sollen. Irgendeinen andern vernünftigen Zweck kann ich für die Holzummantelung nicht sehen.«

Während er es sagte, hatte er sein Notizbuch herausgezogen und begann noch einmal zu rechnen.

»Aber es langt zum Schwimmen noch nicht«, wandte er sich danach an Roddington. »Dazu müßten die Holzmäntel noch dicker sein. So, wie sie jetzt sind, würden die Rohre im Wasser einfach wegsacken. Also . . .«

»Also«, beendigte Roddington den Satz MacLanes, »hast du dich geirrt, Freddy, und die Rohre sollen gar nicht schwimmen.«

Kopfschüttelnd folgten O'Brien und MacLane seiner Aufforderung, mit ihm in die Gummifabrik zu gehen. Das erste, was sie beim Betreten der nächsten Halle erblickten, waren wieder einige der holzummantelten Rohre, in besonderen Vorrichtungen waren sie drehbar gelagert, und Dutzende von Arbeitern waren dabei, den Holzmänteln mittels Druckluftzerstäuber einen starken Kautschuküberzug zu geben.

Vor einem der Rohre blieben sie stehen. Der Überzug war hier eben vollendet, und schon eilten andere Werkleute hinzu. Breite Bandagen, die aus einem starken Teppichstoff zu bestehen schienen, legten sie fest um das Rohr. Ein Kabel, das von der Bandage ausging, wurde an eine Schalttafel angeschlossen. MacLane sah, wie ein Strommesser auf der Tafel plötzlich tausend Ampere anzeigte.

»Bei Gott, James«, rief er in plötzlichem Verstehen aus, »das ist Rekord, du hast hier die größten Heizkissen der Welt.«

Roddington lachte. »Du hast nicht so ganz unrecht, Freddy. Im Prinzip kommt's wirklich auf ein Heizkissen heraus. Aber wir nennen die Dinger hier Vulkanisatoren. Es ist eine Erfindung von Doktor Wegener. Ein einfaches und probates Mittel. Man legt die Asbestbandagen stramm um den Mantel, schaltet die in ihnen befindlichen Heizspulen ein. Es gibt eine Temperatur von hundertzwanzig Grad, und in einer halben Stunde ist der ganze Kautschukbelag vulkanisiert.«

»Geniale Idee«, murmelte MacLane vor sich hin, »wenn ich nur den Zweck des ganzen Unternehmens begreifen könnte! Das bißchen Gummi macht die Rohre auch noch nicht schwimmfähig.«

»Aber es verhindert, daß das Holz naß wird, wenn . . .« Roddington schwieg, als ob er schon zuviel gesagt hätte.

Also ins Wasser will James doch mit den Rohren, dachte MacLane, aber er sprach den Gedanken nicht aus. –

Der Rundgang durch das Werk war beendet. O'Brien wollte am Kai wieder in die Barkasse der »Vermont« steigen, als Roddington ihn noch einmal zurückhielt. Ernster als bisher waren seine Miene und Stimme, als er zu ihm sprach.

»Kapitän O'Brien, was in meinen Werken hier und in Trenton geschieht, soll nach seiner Vollendung der Wehrkraft der amerikanischen Union dienen. Als einem Offizier unserer Kriegsmarine habe ich Ihnen rückhaltlos alles gezeigt. Ich bitte Sie, ebenso rückhaltlos denjenigen Stellen in Washington, von denen Sie hierher geschickt sind, alles zu berichten, was Sie gesehen haben. Für die übrige Welt muß es vorläufig noch unbedingtes Geheimnis bleiben.«

O'Brien ergriff Roddingtons Hand.

»Mein Wort als Offizier darauf, Mr. Roddington. Ich werde nach Ihren Wünschen handeln.«

Auch MacLane verabschiedete sich mit einem Händedruck.

»Schade, alter Junge«, meinte er dabei lächelnd, »ich hätte dir so gern ein paar Dutzend Reporter auf den Hals geschickt. Doch nun sehe ich wohl ein, daß es nicht sein darf.«

»Aber zum Supper könntest du heute abend kommen, Freddy, wenn du dienstfrei bist.«

MacLane schüttelte den Kopf. »Unmöglich, James! Ich vermute, daß wir jetzt gleich nach Manila zurückgehen. Ein Flugzeug, das O'Brien und mich nach Washington bringen soll, steht dort bereit.«

Roddington sah ihn verwundert an. »Weswegen das, Freddy?«

»Deinetwegen, wenn du's wissen willst. Ich glaube zu ahnen, James, was du vorhast. Soweit es an mir liegt, soll alles geschehen, um dir die Unterstützung unserer Flotte zu verschaffen.«

Noch ein letzter Händedruck zwischen den beiden Jugendfreunden, dann stieß die Barkasse von der Kaimauer ab.

*

Oburu warf einen ungeduldigen Blick auf die Uhr.

»Wenn Ihr Mann pünktlich wäre, müßte er schon hier sein, Koami.«

»Ich kenne Collins seit längerer Zeit als pünktlich und zuverlässig, Herr Vicomte. Er wird sicher kommen. Es müssen heute zwingende Gründe für seine Verspätung vorliegen.«

Die Unterhaltung zwischen den beiden Japanern fand in der Wohnung Koamis in der Emerson Street in Washington statt. Vicomte Oburu hatte hier zum erstenmal eine persönliche Zusammenkunft mit Henry Collins verabredet, nachdem er früher bereits mehrfach durch die Vermittlung Koamis wertvolle Informationen von ihm erhalten hatte. Oburu setzte sich so in einen Sessel, daß er die Uhr im Auge behalten konnte, und sprach weiter.

»Die letzte Nachricht, die Sie von dem Mann bekamen, bezog sich auf sechs schwere Küstenbatterien, die das Marineamt bei der Corporation bestellte?«

Koami nickte. »So war es, Herr Vicomte.«

»Die Information war wertvoll für uns, Koami, und traf in allen Einzelheiten zu. Wir haben sie aber auch teuer bezahlt. Wenn ich mich recht erinnere, haben Sie dem Mann dafür fünfhundert Dollar gegeben.«

Koami griff nach einem Notizbuch, dessen Seiten mit japanischen Schriftzeichen bedeckt waren, und blätterte darin.

»Fünfhundert Dollar ausgezahlt an Henry Collins am sechzehnten März. Sie haben ein gutes Gedächtnis, Herr Vicomte.«

»Haben Sie eine Schätzung darüber gemacht, was dieser Mr. Collins für die Information verlangen wird, die er uns jetzt in Aussicht stellt?«

Koami überlegte eine Weile, bevor er antwortete.

»Wir werden ihm gleich zu Beginn der Verhandlungen einen festen Preis bieten müssen, denn sonst . . .«

Oburu schüttelte den Kopf. »Einen festen Preis bieten, bevor wir den Wert der Information kennen . . . das heißt die Katze im Sack kaufen.«

»Der Mann wird sich nicht die Möglichkeit verscherzen wollen, auch noch in Zukunft Geschäfte mit uns zu machen, Herr Vicomte. Er verspricht uns detaillierte Mitteilungen über die Pläne Roddingtons. Ich möchte vorschlagen, daß wir ihm zehntausend Dollar bieten.«

»Zehntausend Dollar, Koami? Mein Fonds für diese Zwecke ist nicht unerschöpflich . . .«

Oburu wollte noch weiter sprechen, als die Klingel ertönte.

»Das wird Collins sein, Herr Vicomte«, sagte Koami und ging, um zu öffnen. Er kehrte in der Begleitung eines Menschen zurück, dessen Äußeres nicht unbedingt vertrauenerweckend war. Der Mann mochte etwa die Mitte der Vierzig überschritten haben. Auf seinem von hundert Falten und Fältchen zerknitterten Gesicht lag ein Zug von Durchtriebenheit. Den Blick hielt er gesenkt, als ob es ihm schwer würde, einem anderen in die Augen zu sehen.

Der richtige Typ des Agenten, der auf beiden Achseln trägt . . ., dachte Oburu bei sich, während Koami ihn mit Collins bekannt machte.

»Mr. Collins bringt uns die bewußten Informationen«, eröffnete Koami das Gespräch. »Er erwartet von Ihnen ein Angebot, Herr Vicomte.«

Koami und Oburu tauschten einen schnellen Blick.

»Fünftausend Dollar«, sagte Oburu.

Das Gesicht von Collins verzog sich und wurde dabei noch ein ganz Teil faltiger.

»Sagen wir zehntausend Dollar, Sir, und ich lege Ihnen die Pläne des Marineamtes auf den Tisch.«

Oburu stutzte.

»Die Pläne des Marineamtes? Von den Plänen Roddingtons war die Rede, Mr. Collins.«

»Es bleibt sich gleich, Sir, Roddington und das Marineamt arbeiten zusammen.«

Oburu hatte Mühe, die gleichmütige Miene zu bewahren. Schon die wenigen Worte, die Collins ihm hier gesprächsweise hinwarf, bedeuteten für ihn eine Nachricht von größter Wichtigkeit.

»Also zehntausend Dollar, Mr. Collins, wenn Sie die Pläne bringen«, sagte er nach kurzem Überlegen.

»Gemacht, Sir! Wo ist das Geld?« kam die Antwort kurz und knapp von Collins' Lippen.

»Ich werde Ihnen einen Scheck geben, Mr. Collins.«

»Nicht zu machen, Sir! Bei Geschäften wie dem hier gibt's nur Barzahlung.«

»Ich habe das Geld hier, Herr Vicomte«, mischte sich Koami ein. Er ging zu einem Schrank und kam mit einem Bündel von Hundertdollarnoten zurück. Collins warf einen scharfen Blick darauf und erhob sich.

»Sie gestatten, Gentlemen! Eine kleine Toilettenangelegenheit. Die Pläne werden gleich zur Stelle sein.«

Er drehte sich zur Wand um und begann an seiner Kleidung zu knöpfen, am Rock, an der Weste und schließlich am Hemd, und brachte eine Art von Brustbeutel aus einem feinen Gummistoff an das Licht. Ein Rauschen und Knistern. Vielfach gefaltetes Pauspapier kam aus dem Brustbeutel zum Vorschein.

Collins breitete es auf dem Tisch auseinander. Auf den ersten Blick erkannte Oburu, daß er einen Plan des Hafens von Manila vor sich hatte, für den allein er mit Vergnügen ein paar tausend Dollar gegeben hätte. Der Attaché bildete sich ein, nicht schlecht über die Verteidigungsanlagen dieses großen amerikanischen Kriegshafens orientiert zu sein. Er hatte sich diese Wissenschaft während der letzten Jahre manchen Dollar kosten lassen. Auf dem Plan aber, den er jetzt vor sich sah, waren Dinge eingezeichnet, von deren Existenz er bisher noch keine Ahnung hatte. Panzerforts und versenkbare Küstenbatterien, deren zweckmäßige Anlage ihm sofort einleuchtete. Punktierte Linien gaben den Verlauf der unterirdischen Kraftleitungen zu den neuen Werken an. Im Moment schoß es dem Attaché durch den Kopf, wie wertvoll die Kenntnis dieser Dinge im Ernstfall einmal für die japanischen Fliegergeschwader werden könnte. Ein paar tüchtige Bomben auf diese Leitungsstränge, und die Verteidigungswerke, von ihrer Kraftquelle abgeschnitten, würden wehrlos sein. Schon jetzt bereute er die zehntausend Dollar nicht mehr.

Eine Weile ließ ihn Collins den Plan in Ruhe betrachten. Dann deutete er auf eine etwas landeinwärts in den Berghängen gelegene Stelle, an der mehrere Kreise eingezeichnet waren.

»Sehen Sie das, Sir?« fragte er. »Das sind die neuen bombensicher in den Felsen eingebauten Treibstofftanks.«

Oburu wußte, daß die Öltanks, von denen die Aktionsfähigkeit der amerikanischen Pazifikflotte in hohem Maße abhängig war, bisher ziemlich dicht am Hafen lagen und bei einem unvorhergesehenen Überfall feindlicher Schiffe nicht allzuschwer in Brand geschossen werden konnten.

»Sehen Sie hier, Sir«, fuhr Collins in seinen Erläuterungen fort, indem er mit dem Finger einer stark ausgezogenen Linie folgte. »Hier geht von den neuen Tanks – sie fassen zusammen anderthalb Millionen Kubikmeter – eine ebenfalls bombensichere Rohrleitung ab.«

Oburus Blick folgte dem Finger von Collins. Die Leitung ging von den Bergen her auf kürzestem Wege zur Küste und lief dann an dieser entlang bis zu einer zehn Kilometer südlich von Manila gelegenen Bucht. Dort trat sie in die See hinaus und endete in einer Wassertiefe von zwanzig Meter.

Collins hob den Kopf. Einen Moment trafen sich seine Blicke mit denen Oburus. Schnell blickte er wieder zur Seite.

»Jetzt wissen Sie, Sir, wozu Mister Roddington die großen Rohre in Trenton gießt. Wie gefällt Ihnen die Zapfstelle hier in der Seitenbucht?«

Nachdenklich schaute der Attaché auf den Plan. Erst nach längerem Überlegen antwortete er.

»Ich begreife nicht ganz, was das amerikanische Marineamt mit dieser Anlage bezweckt.«

Collins deutete auf ein paar am Rande der Bucht eingezeichnete Vierecke, während er weiter erklärte: »Hier kommen die neuen Forts hin, Sir. Dadurch wird die Bucht unangreifbar. Die Ölschiffe, die den Treibstoff von Frisco nach den Philippinen bringen, drücken ihn hier durch das Rohr in die Tanks. Selbst wenn ein Ölschiff von feindlicher Seite dabei in Brand geschossen würde, kann nicht viel passieren . . . während bei dem jetzigen Verfahren im Hafen von Manila . . . Sie wissen . . .«

Oburu nickte. Er wußte. Immer mehr begann ihm die Zweckmäßigkeit der neuen Anlagen einzuleuchten. Der flüssige Treibstoff, in gleichem Maße unentbehrlich für die Motoren der Flugzeuggeschwader und die Kesselfeuerungen der Kriegsschiffe, bildete infolge seiner leichten Brennbarkeit eine stete Gefahrenquelle. Eine einzige Granate konnte eine Feuersbrunst von ungeheuerlichen Ausmaßen hervorrufen. Durch die Anlage, deren Plan er hier vor sich hatte, war die Gefahr auf ein Minimum reduziert.

Auch das Rätsel von Trenton fand hier eine zwanglose Erklärung. Irgendeine gewöhnliche Rohrleitung hätte durch einen glücklichen Treffer der Angreifer leicht zerstört werden können. Den Riesenrohren Roddingtons vermochten auch die stärksten Fliegerbomben nichts anzuhaben. Der Plan war gut, das stand für Oburu jetzt außer jedem Zweifel. Befriedigt faltete er ihn zusammen; nicht weniger befriedigt ließ Collins das Paket Dollarnoten in seiner Brusttasche verschwinden. Für beide Parteien hatte sich das Geschäft gelohnt.

*


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