Hans Dominik
Das stählerne Geheimnis
Hans Dominik

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Einigermaßen ausgeschlafen kam Roger Blake in sein Büro in der Franklin Street. Seiner Gewohnheit gemäß griff er zunächst nach den Morgenzeitungen, um die wichtigsten Nachrichten zu durchfliegen. Eine Schlagzeile in der »Morning Post« ließ ihn stutzen.

»Gasausbruch in der Tiefsee vernichtet zwanzig Menschenleben«, sprang es ihm mit fetten Lettern in die Augen. Interessiert las er einen neuen Artikel des erfindungsreichen Percy Drake, den das Blatt unter dieser sensationellen Überschrift brachte, und fragte sich, während er ihn las, ob er wache oder träume.

Mit vielen Einzelheiten, wie sie nur ein Augenzeuge geben konnte, war dort ein riesenhafter Ausbruch von Erdgas auf dem Schachtgrund geschildert. Weiter wurde beschrieben, wie Roddington und Dr. Wegener mit achtzehn Leuten der Belegschaft den mit elementarer Gewalt auspuffenden Gasen zum Opfer fielen, wie die Leiber der Getöteten mit unwiderstehlicher Kraft emporgerissen und wie in einem Vulkanausbruch aus dem Schachtmund in die Luft gewirbelt wurden.

Roger Blake las es und faßte sich an den Kopf. Stunden hindurch hatte er in der verflossenen Nacht mit Roddington Funksprüche gewechselt, und hier wurde dessen Tod mit einer Anschaulichkeit und Überzeugungskraft gemeldet, daß ein Zweifel an der Nachricht für einen normalen Zeitungsleser fast ausgeschlossen war. Und merkwürdigerweise war es wieder allein von allen New-Yorker Zeitungen die »Morning Post«, die diese aufsehenerregende Meldung brachte.

Kopfschüttelnd legte Blake das Blatt beiseite. Er konnte ja die Entstehungsgeschichte dieses Artikels nicht ahnen. Den ersten Anstoß dazu gab jene Falschmeldung, die MacLane an Stelle von Merrywater den Japanern funkte. Sobald Kyushu auf der »Hitsa Maru« in Sicherheit war, gab er die Nachricht auf Langwelle verschlüsselt weiter. Prompt hatte Percy Drake sie aufgefangen und unter reichlichster Zugabe von Phantasie und Erfindung einen Artikel geschmiedet, den die Redaktion für würdig erachtete, auf der ersten Seite der »Morning Post« zu prangen.

Roger Blake war noch mit der Lektüre der anderen Zeitungen beschäftigt, als ihm George Palmer gemeldet wurde. Er begrüßte den Abgesandten der Corporation mit kräftigem Händedruck und nahm mit unbewegter Miene dessen Beileidserklärungen zum Tode Roddingtons entgegen.

»Ja, Mr. Blake«, schloß Palmer seine Rede, »das tragische Ende Ihres Vollmachtgebers bringt wohl auch für Sie eine große Veränderung mit sich?«

»Im Augenblick noch nicht, Mr. Palmer«, erwiderte Blake kühl, »meine Vollmacht bleibt in Kraft. Ich werde die Unternehmungen Roddingtons als Treuhänder weiterführen und, soweit es mir erforderlich scheint, liquidieren.«

Palmer konnte nicht an sich halten.

»Ihre Vollmacht geht über den Tod Roddingtons hinaus?« entfuhr es ihm.

Blake nickte. »So ist es, Mr. Palmer. Mein Freund Roddington hat an alle Möglichkeiten gedacht und sie juristisch festgelegt.«

Palmer entschloß sich, der Stier bei den Hörnern zu packen. »Wären Sie noch ermächtigt, das Trenton-Werk verkaufen?« fragte er unvermittelt.

Das könnte Herrn Price so passen! dachte Blake bei sich, während er antwortete.

»Ich könnte es, aber ich möchte es nicht tun. Es könnte später Weiterungen mit den Erbberechtigten geben. Vielleicht Anfechtungsklagen wegen eines zu niedrigen Verkaufspreises. Sie wissen, die Wege unserer Justiz sind oft krumm und wunderlich. Solchen Sachen möchte ich mich nicht aussetzen.«

Während Blake sprach, arbeitete Palmers Hirn fieberhaft. Blakes Vollmacht lief weiter, Blake war berechtigt, zu verkaufen. Wenn es ihm, Palmer, gelang, den Verkauf zu tätigen, würde er bei der Corporation einen schweren Stein im Brett haben. So entschloß er sich, die Katze aus dem Sack zu lassen.

»Ich glaube, Mr. Blake«, eröffnete er die Verhandlung, »daß niemand in den Staaten Ihnen ein günstigeres Angebot für das Trenton-Werk machen kann als die Corporation.«

Blake schüttelte den Kopf und schwieg.

»Verstehen Sie mich recht«, fuhr Palmer fort, »ich meine ein anständiges von Sachverständigen begutachtetes Angebot, das dem vollen Wert des Werkes entspricht, so daß Sie vor allen Regreßansprüchen sicher sind. Welchen Preis würden Sie selber für angemessen halten?«

Blake bewegte die Hand, als ob er etwas von dem Tisch schieben wollte.

»Geben Sie sich keine Mühe, mein lieber Palmer, ich beabsichtige nicht, zu verkaufen. Die Gründe dafür habe ich Ihnen schon auseinandergesetzt.«

»Schade drum!« platzte Palmer heraus. Er hätte die beiden Worte am liebsten gleich wieder verschluckt, denn er fühlte, daß er sich damit eine Blöße gegeben hatte. Blake sah ihn an und lachte.

»Daß Mr. Price Sie hierher geschickt hat, werden Sie mir nicht abstreiten wollen. Lassen Sie es!« schnitt er eine Entgegnung Palmers ab. »Es hat wirklich keinen Zweck. Wir wollen mit offenen Karten spielen. Ich befinde mich augenblicklich in einer etwas prekären Lage, mein lieber Palmer. Ich möchte Mr. Price nach Möglichkeit gefällig sein, um so mehr, als ich die Corporation für die einzige wirklich in Betracht kommende Käuferin des Trenton-Werkes halte. Aber ich darf andererseits nichts tun, aus dem mir die Erben Roddingtons etwa später irgendwie einen Strick drehen könnten. Sie kennen die Absichten von Mr. Price sicherlich besser als ich. Vielleicht können Sie mir einen Rat geben?«

Palmer druckste eine Weile, bevor er mit seinem Vorschlag herausrückte.

»Vielleicht könnte das Trenton-Werk im Augenblick Geld gebrauchen . . .«

»Geld kann man immer gebrauchen, mein lieber Palmer«, lachte Blake gutmütig. »Sie meinen wohl, das Werk könnte in irgendeiner Form eine Anleihe aufnehmen und sich dabei der Hilfe der Corporation bedienen. Ich glaube, das würde ich vor den Erben verantworten können, wenn –. Die Bedingungen dafür müßten allerdings wesentlich günstiger als die zur Zeit am offenen Geldmarkt üblichen sein. Sprechen Sie doch darüber mit Mr. Price. Ich könnte die Aufnahme einer solchen Anleihe mit der Notwendigkeit motivieren, das Betriebskapital zu vergrößern. Die Corporation würde sich dadurch eine Art von Erstkaufrecht auf das Werk sichern. Vergessen Sie bitte auch nicht, bei dieser Gelegenheit Mr. Price meine besten Empfehlungen auszurichten.«

Eigentlich hätte Palmer jetzt gehen müssen, um der Anregung Blakes entsprechend Instruktionen von Price zu holen. Daß er es nicht tat, war wieder ein Fehler. Nicht ohne Grund schloß Blake daraus, daß er diese Instruktionen bereits hatte und darauf brannte, die Verhandlungen sofort weiterzuführen.

Hoffentlich kommt man in Washington nicht auf die törichte Idee, die Todesnachricht zu dementieren, bevor wir abgeschlossen haben! ging es ihm durch den Kopf, während er äußerlich vollkommen ruhig abwartete, was Mr. Palmer weiter vorbringen würde. Er brauchte nicht lange zu warten.

»Wie hoch denken Sie sich die Anleihe etwa?« fragte der Agent.

»Im Interesse der Corporation würde es liegen, sie so hoch wie möglich zu nehmen, mein lieber Palmer. Das Trenton-Werk steht mit zwanzig Millionen zu Buch. Eine Anleihe bis zu fünfzig Prozent des Buchwertes würde ich meinen Vollmachtgebern gegenüber vertreten können.«

»Das wären zehn Millionen.«

»Richtig gerechnet, Sir! Sagen wir also, die Corporation verschafft dem Trenton-Werk durch ihre Bankverbindungen eine Anleihe von zehn Millionen Dollar. Ob sie die Obligationen nachher unter das Publikum bringt oder in ihren Tresor legt, braucht mich nicht zu kümmern.«

Palmer griff nach seinem Notizbuch und schrieb sich Zahlen auf.

»Zehn Millionen, Mr. Blake, zu – sagen wir zu vier Prozent . . .?«

Blake schüttelte den Kopf. »Nein, mein Lieber! Sagen wir zu dreieinhalb Prozent, sonst kann ich das Geschäft nicht auf meine Kappe nehmen.«

Vergeblich bemühte sich Palmer, um den Prozentsatz zu handeln.

»Zu vier Prozent würde man mir das Geld in Wallstreet nachwerfen«, schnitt Blake seine Einwände kurzerhand ab, »wenn ich mich dort um eine Anleihe bemühen wollte. Vergessen Sie nicht, Palmer, daß ich es überhaupt nur tue, um Mr. Price und der Corporation gefällig zu sein. Entweder zu dreieinhalb Prozent oder gar nicht.«

Palmer rutschte unschlüssig auf seinem Stuhl hin und her.

»Ich kann es nicht selbst entscheiden, Mr. Blake. Würden Sie mir Ihr Telephon gestatten, ich möchte Price anrufen.«

»Gern, mein lieber Palmer, aber vorher möchte ich Ihnen noch etwas zeigen. Das können Sie dann Price auch gleich mitteilen.«

Roger Blake ging zu seinem Tresor und holte ein Dokument hervor, das mehrfach gestempelt war. Er schlug es auf und zeigte Palmer einige Paragraphen darin. Der las sie und wunderte sich über ihren Inhalt. Wie schrankenlos mußte Roddington diesem Blake vertraut haben, daß er ihm eine derartig weitgehende Verfügungsgewalt über sein Vermögen gab, eine Vollmacht, die – hier stand es klar und deutlich – auch noch über den Tod des Machtgebers hinauslief.

»Haben Sie sich überzeugt, daß ich befugt bin, das Geschäft sofort Zug um Zug abzuschließen?« fragte Blake, während er die Vollmacht wieder in den Tresor schloß.

Palmer nickte schweigend.

»Dann nehmen Sie bitte das Telephon und sprechen Sie mit Price. Ich bewillige Ihrer Finanzgruppe einen Emissionsgewinn von drei Prozent. Meine übrigen Bedingungen kennen Sie.« –

Präsident Price saß zusammen mit Curtis in seinem Büro und blickte von Zeit zu Zeit auf die Uhr.

»Eine gute Stunde dürfte unser Mann jetzt bereits bei Blake sein«, sagte Curtis.

»Wenn ihn Blake hinausgeworfen hätte, würde er schon telephoniert haben«, brummte Price. »So hatten wir's verabredet. Im anderen Falle sollte er hierher kommen.«

In seine letzten Worte schrillte der Apparat auf seinem Tisch.

»Aha! Sollte die Sache mit Blake Essig sein?« Price griff zum Hörer.

»Hallo, hier Price. Sie sind's, Palmer? Wo sind Sie? Was? Immer noch bei Blake? . . . Sie sprechen von seinem Apparat? – Unter den Bedingungen ist er bereit?«

Hin und her flogen Rede und Gegenrede durch den Draht, immer heftiger bearbeitete Price dabei seinen Schnurrbart, während sein Gesicht sich rötete.

»Sind Sie sicher, daß er Vollmacht hat?« schrie er in das Mikrophon.

»Ich habe sie mit meinen Augen gesehen, Mr. Price. Absolute unbeschränkte Vollmacht«, kam es vom andern Ende der Leitung zurück. »Soll ich die Bedingungen in Ihrem Namen annehmen?«

Price ließ seinen Schnurrbart fahren und deckte das Mikrophon mit der rechten Hand zu.

»Palmer ist ein Esel«, knurrte er ingrimmig zu Curtis hinüber, »in Gegenwart des Kontrahenten mit uns zu telephonieren. Verdammt ungeschickt von ihm . . .«

»Hallo, Mr. Price, sind Sie noch da?« klang's aus der Hörmuschel.

»Ich bin noch da, Palmer. Bitten Sie Mr. Blake selber an den Apparat.«

Äußerlich ruhig, innerlich aufs höchste gespannt, war Blake dem Gespräch Palmers gefolgt. Mit gut gespielter Gleichgültigkeit nahm er den Hörer.

»Halloh, hier Blake! Tag, Mr. Präsident! Freue mich immer wieder, wenn ich Ihre Stimme höre. Palmer hat Sie bereits über die Bedingungen unterrichtet, unter denen ich Ihnen gefällig sein kann.«

»Maßlose Frechheit«, zischte Price auf der andern Seite über das abgedeckte Mikrophon. »Er nimmt zehn Millionen von uns und spricht dabei von Gefälligkeit! . . . Gefälligkeit seinerseits, Curtis, damit Sie mich recht verstehen.«

Das Gespräch zwischen Blake und Price ging weiter. Ebenso vergeblich wie Palmer vorher, versuchte es der Präsident der Corporation, einen höheren Zinssatz aus Roddingtons Bevollmächtigtem herauszuschlagen. Der spielte zuletzt seinen stärksten Trumpf aus.

»Vergessen Sie nicht, mein lieber Präsident, daß der Haupterbe Roddingtons wahrscheinlich sein Vetter Henry Garfield sein dürfte . . . der von den Bedlam Steelworks . . . Sie verstehen mich . . .« Price machte ein Gesicht, als ob er etwas sehr Saures verschluckt hätte, während Roger Blake vergnügt vor sich hinlächelte. Und doch hatten die beiden Männer trotz so verschiedener Mienen im selben Augenblick den gleichen Gedanken. Garfield würde natürlich mit allen Mitteln bestrebt sein, das Trenton-Werk seinem eigenen Konzern anzugliedern.

»Hat sich Garfield schon gemeldet?« fragte Price.

»Bei mir noch nicht«, kam die Antwort von Blake. »Ich nehme an, daß er im stillen die Gerichte bearbeitet, um möglichst schnell die Einsetzung eines Kuratoriums zu erreichen. Natürlich wird er alle Hebel in Bewegung setzen, um selber Vorsitzender . . .«

»Hören Sie Blake«, fuhr Price dazwischen, »wir wollen das Geschäft abschließen, ohne Mr. Garfield zu bemühen. Würden Sie die Güte haben, zu mir zu kommen! Unser Syndikus ist zur Hand. Wir könnten gleich alles perfekt machen.«

»Gut, Mr. Price. Mein Wagen steht vor der Tür. In zehn Minuten kann ich bei Ihnen sein.«

Blake legte den Hörer auf und machte sich zur Ausfahrt fertig.

»Brenzliche Geschichte!« sagte Präsident Price zu Direktor Curtis. »Wenn uns Garfield dazwischen kommt, können wir dem Trenton-Werk nachsehen. Wir müssen versuchen, heute noch alles festzumachen.«

Price griff wieder zum Telephon und ließ sich mit dem Syndikus der Corporation verbinden.

»Hallo, Mr. Miller, suchen Sie die Verträge über die Anleihe heraus, die wir vor sechs Monaten dem Stahlwerk in Syracuse gegeben haben. Kommen Sie damit möglichst schnell zu mir, wir wollen dem Trenton-Werk unter denselben Bedingungen . . .«, er verbesserte sich, »unter ähnlichen Bedingungen eine Anleihe geben.«

*


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