Hans Dominik
Das stählerne Geheimnis
Hans Dominik

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Langsam, sehr langsam, mit kaum fünf Seemeilen in der Stunde, schob die »Hitsa Maru« ihren Rumpf durch die Fluten des Pazifik; ihre alte, schwindsüchtige Maschine gab nicht mehr her. Verrottet und verkommen sah das ganze Schiff vom Bug bis zum Achtersteven aus. Seit undenklichen Zeiten mochte keine frische Farbe mehr auf seine rostigen Wände gekommen sein.

Ein altes, zu dreiviertel ausgedientes Trampschiff war die »Hitsa Maru«, sicherlich von ihren Reedern dreimal abgeschrieben, aber immer noch gut genug, irgendwo bei den Südseeinseln Kopra zu laden und nach den australischen Häfen zu bringen.

Die Besatzung war des Schiffes würdig. Was sich da auf dem Deck herumräkelte, wies so ziemlich alle Mischfarben vom Gelb der Ostasiaten über das Braun der Malaien bis zum Schwarz afrikanischer Neger auf. Der Teufel mochte wissen, in welchen Hafenspelunken der Kapitän der »Hitsa Maru« seine Mannschaft aufgegabelt hatte. Es war eine bunt zusammengewürfelte Gesellschaft, und schließlich durfte das nicht wundernehmen, denn ein ehrlicher Seemann mit ordentlichen Papieren hätte auf einem Schiff von der Art der »Hitsa Maru« kaum Heuer genommen.

Es mochte um die zehnte Vormittagsstunde sein, als Steuerbord voraus Schiffe am Horizont sichtbar wurden. Der Trampdampfer änderte seinen Kurs ein wenig und steuerte darauf zu, obwohl der Weg nach Australien in einer andern Richtung lag. –

Größer und deutlicher sichtbar wurden jetzt die fremden Schiffe. Eine Gruppe ließ sich erkennen, die sternförmig zusammengezogen stillag und deren Decks eine gemeinsame Plattform verband. Roddingtons Flotte war es, in deren Nähe die »Hitsa Maru« sich befand.

Der Kapitän des Trampdampfers stand neben seinem Ersten Steuermann auf der Brücke und verfolgte durch sein vorzügliches Glas die Vorgänge auf der Werkflotte. In ihrer Kleidung waren beide ebenso abgerissen und verwahrlost wie die Besatzung. Nur ihre Gesichter zeigten einen andern Typ; reines altes Samuraiblut schien in ihren Adern zu fließen.

Noch schaute der Kapitän durch sein Glas, als ein dritter Mann auf der Brücke erschien. Nach kurzem Gruß sagte er:

»Hören Sie, Kapitän Hatama, der amerikanische Zerstörer A 17 funkt, wir sollen nach Süden wegdampfen. Unsere Anwesenheit ist hier unerwünscht.«

Der Kapitän zuckte mit den Achseln.

»Die ›Hitsa Maru‹ hat keine Funkanlage an Bord, Kyushu. Bereiten Sie für alle Fälle das Manöver vor.«

Unverändert verfolgte das Kopraschiff seinen Weg auf die Werkflotte zu und kam ihr dabei immer näher. Schon konnte der Kapitän die einzelnen Gestalten auf der Plattform deutlich erkennen.

Inzwischen schien man auch an Bord von A 17 zu der Erkenntnis gekommen zu sein, daß man an Bord eines so alten Kastens, wie die »Hitsa Maru« es war, keine Funkanlage voraussetzen durfte. Ein Schuß blitzte am Bug des Zerstörers auf, während gleichzeitig ein Flaggensignal hochging, das den Trampdampfer aufforderte, nach Süden hin zu verschwinden.

Noch hatte sich der Rauch des Schusses nicht verzogen, als auf dem Deck der »Hitsa Maru« dicke Dampfwolken aufstiegen. Gleichzeitig zeigte sie ein Flaggensignal, das man auf amerikanischer Seite erst nach geraumer Zeit entziffern konnte; weil die einzelnen Flaggen, die es bildete, fast bis zur Unkenntlichkeit ausgeblichen und verschmutzt waren.

»Japanisches Kopraschiff ›Hitsa Maru‹ meldet Kesseldefekt. Ist vorläufig manövrierunfähig«, sagte MacLane zu Kapitän Ferguson, als er den Sinn des Flaggenspruches glücklich herausbekommen hatte.

Anstatt sich um sein havariertes Schiff zu kümmern, beobachtete dessen Kapitän inzwischen eifrig durch sein scharfes Glas die Vorgänge auf der Plattform. Auch sein Steuermann hatte plötzlich ein Glas und schien die Menschen und Maschinen auf Roddingtons Werkflotte mit den Augen verschlingen zu wollen. Währenddes schaukelte die »Hitsa Maru« – vielleicht machte ihre Schraube noch ein paar Umdrehungen – immer näher an die amerikanische Gruppe heran.

Kyushu war nur einen kurzen Augenblick im Maschinenraum gewesen, um das von dem Kapitän gewünschte »Manöver« zu befehlen. Die Dampfwolke, die sich gleich danach auf Deck zeigte, war die Folge dieses Auftrages. Nun saß er schon wieder in seiner Kabine, die Hörer eines Empfängers an den Ohren, und schrieb mit, was er hörte.

Es war ein eigentümliches Ding um die Funkerei an Bord der »Hitsa Maru«. Nach dem offiziellen Schiffsregister besaß der alte Seelenverkäufer keine Empfangs- oder gar Sendegeräte, und nirgends war eine Antenne zu sehen. Aber es ist ja bekannt, daß jedes gewöhnliche Hanftau zur Antenne wird, wenn man einen Kupferdraht darin einspinnt, und mehr als eine Leine des Kopraschiffes barg eine Kupferseele. –

Auch Mr. Jonas Merrywater, der seit zwei Wochen zu der Belegschaft auf Roddingtons Werkflotte gehörte, schien um solche Möglichkeit zu wissen. Er hatte jetzt Freiwache und saß in seiner Kabine an Bord des dritten Mutterschiffes. Der Riegel der Kabinentür war von innen vorgeschoben. Auf dem Tisch vor ihm stand eine winzige Morsetaste, kaum größer als eine Walnuß. Eine unauffällige Schnur, irgendein Stück gewöhnlichen Bindfadens schien es zu sein, ging von der Taste zu seiner Seekiste, eine andere Schnur lief von der Kiste nach Außenbord hin. Eifrig arbeiteten seine Finger auf der Taste und morsten, was Major Kyushu vier Kilometer entfernt an Bord der »Hitsa Maru« mitschrieb.

Mr. Merrywater war eine neue Akquisition des japanischen Nachrichtendienstes, der sich diese Sache viel Geld kosten ließ. Vermittels seiner geschickt getarnten Funkeinrichtung vermochte er die wertvollsten Informationen zu senden, nur hatte das Verfahren leider eine schwache Seite. Um nicht sofort entdeckt zu werden mußte Jonas Merrywater mit Mikrokurzwellen arbeiten, die für alle Empfangsgeräte von Roddingtons Flotte unhörbar waren. Aber die Eigenart dieser Wellen bedingte es, daß derjenige, der sie aufnehmen wollte, ziemlich dicht an den Sender herankommen mußte. Deshalb trieb sich die »Hitsa Maru« hier herum, täuschte Kesselschaden und Manövrierunfähigkeit vor, während die Funksendung Merrywaters zu ihr herüberflog.

Nun kam das Schlußzeichen. Kyushu schob mehrere eng beschriebene Blätter in seine Brusttasche, schaltete den Apparat ab und stellte ihn in eine Wandnische. Ein paar Handgriffe des Majors – und ein Schrank, gefüllt mit Wäschestücken und allerlei anderen Dingen, schob sich vor die Nische. Auch ein geschickter Kriminalist hätte in der Kabine keine Funkanlage mehr finden können.

Er eilte in den Maschinenraum, und seine bloße Gegenwart dort schien den Kesselschaden zu beheben. Die Dampfwolke auf Deck verschwand, die Maschine ging wieder an, langsam kam die »Hitsa Maru« auf Fahrt, setzte Südkurs und schlich gemächlich davon.

Es war auch hohe Zeit dafür, denn A 17 war inzwischen dicht herangekommen. Durch Flaggensignal fragte Kommandant Ferguson, ob er Mannschaften für die Kesselreparatur an Bord der »Hitsa Maru« schicken solle.

»Danke, nicht mehr nötig. Hoffen mit eigener Kraft den nächsten Hafen von Mindanao zu erreichen«, ließ Kapitän Hatama zurück signalisieren und gab Befehl in den Maschinenraum, die Fahrt zu verstärken.

Der amerikanische Zerstörer drehte ab und kehrte in den Kreis der andern Wachschiffe zurück. –

»Haben Sie sich den Steuermann auf der Brücke des Japaners genauer angesehen?« fragte MacLane den Kommandanten.

»Nur oberflächlich, Mr. MacLane, der Kerl sah ebenso abgerissen aus wie der ganze Trampkahn.«

»Merkwürdig, merkwürdig«, murmelte MacLane vor sich hin. »Wenn ich nicht wüßte, daß der Vicomte Oburu in der japanischen Botschaft in Washington steckt . . . ich würde wetten, daß ich ihn vorhin auf der Brücke der ›Hitsa Maru‹ gesehen habe.«

Kapitän Ferguson lachte. »Eine Täuschung von Ihnen, MacLane. Die Gelben sehen für ein Europäerauge einer wie der andere aus. Ich kenne den Marineattaché auch. Der Herr Vicomte würde sich schön dafür bedanken, auf so einem schmierigen Seelenverkäufer anzumustern.«

»Mag sein, Ferguson, daß ich mich geirrt habe«, sagte MacLane, immer noch kopfschüttelnd. »Trotzdem . . . eine auffällige Ähnlichkeit war vorhanden. Ich werde mich doch mal per Funkspruch in Washington erkundigen, ob Herr Oburu etwa zur Zeit beurlaubt ist.«

»Sie sehen ja am hellichten Tage Gespenster, MacLane«, suchte ihn Ferguson von seinem Verdacht abzulenken.

»Gespenster, die vielleicht da sind«, erwiderte MacLane und stieg die Treppe zur Funkstation empor. –

Der Steuermann der »Hitsa Maru« saß mit Kyushu in dessen Kabine.

»Was haben Sie von der Brücke aus durch Ihr Glas feststellen können, Oburu?« fragte der Major.

»Nicht allzuviel, Kyushu. Auf der Plattform lagen Teile von Förderanlagen. Ein Satz schien noch vollständig zu sein, von einem andern fehlten Stücke . . .«

Kyushu nickte. »Das würde sich mit dem, was unser Mann funkte, decken. Haben Sie sonst noch etwas Besonderes bemerkt?«

»Ich sah etwas, Kyushu, aber ich bin nicht sicher, ob meine Vermutung richtig ist. An einer Stelle, leider durch Kabelrollen zum Teil verdeckt, lagen auf der Plattform Maschinenteile, die mir zu Gesteinsbohrmaschinen zu gehören schienen. Man könnte daraus schließen, daß Roddington vom unteren Ende seines Schachtes weiter in den Seeboden vordringen will. Doch ich kann mich auch geirrt haben. Es war nur sehr wenig von den bewußten Teilen zu sehen.«

»Ich glaube, Sie haben sich nicht geirrt«, sagte Kyushu, »hören Sie, was Merrywater gefunkt hat.«

Er griff in die Brusttasche, holte seine Aufzeichnungen hervor und begann zu lesen.

»Die fünfte Förderanlage wird eingehängt. Morgen abend hofft Roddington auch mit der Montage der sechsten fertig zu werden und den Seegrund zu erreichen. Übermorgen soll der bergmännische Vortrieb beginnen. Ich gehöre zu einer Schicht der dazu bestimmten Leute. Erwartet Freitag zehn Uhr Ortszeit neuen Funkspruch.«

Kyushu faltete das Papier zusammen und steckte es wieder fort.

»Das bestätigt unsere bisherigen Annahmen«, sagte Oburu. »Roddington senkt einen sechs Kilometer tiefen Schacht bis zum Seegrund ab. Er hängt in ihn sechs Förderanlagen ein, von denen jede tausend Meter bewältigt, und er wird nun versuchen, in das Gestein vorzudringen, soweit Bergdruck und Wärme es ihm erlauben.

Wenn wir wollten, könnten wir das im japanischen Tiefgraben östlich von unserer Insel auch tun. Die Frage steht nur noch offen: Was bezweckt Roddington mit diesem ganzen Unternehmen? Ich halte es für vollkommen ausgeschlossen, daß ein Geschäftsmann wie Roddington sein ganzes Vermögen nur für irgendeine wissenschaftliche Idee aufs Spiel setzt. Er hofft sicher, in der unbekannten Tiefe Schätze zu entdecken, die ihm die verausgabten Millionen vielfach ersetzen werden. Wenigstens ist das meine Meinung, Kyushu.«

Der Major hatte ihm nachdenklich zugehört.

»Nach meiner Kenntnis der Yankees können Sie recht haben, Oburu«, erwiderte er, »doch das ist eine zweite Frage; eine andere und vorläufig wichtigere ist noch zu beantworten. Warum hat Roddington mehr als hundertfünfzig Rohre gießen lassen, und wo sind sie geblieben? Für den Schacht kann er nur sechzig verbraucht haben. Unsere Agenten aus Davao melden, daß dort nur noch zwei Rohre vorhanden sind. Wo sind die übrigen geblieben? Was hat er damit noch vor? Unsere Aufgabe ist erst gelöst, wenn wir das wissen.«

Oburu krauste die Stirn, er schien einem Gedanken nachzuhängen. Nach einer Pause sagte er:

»Man müßte sich bei Merrywater erkundigen. Es sollte ihm doch möglich sein, gesprächsweise und unauffällig etwas Näheres darüber zu erfahren. Ich finde, Kyushu, seine Berichte sind allzu knapp und kurz. Für das Geld, das er uns kostet, müßte er mehr liefern.«

Kyushu nickte. »Ich will beim nächsten Mal versuchen, mehr von ihm zu erfahren. Übrigens müssen wir unsere Vorbereitungen für den nächsten Freitag rechtzeitig treffen. Mit der ›Hitsa Maru‹ dürfen wir uns hier nicht wieder sehen lassen. Ich glaube, die Amerikaner hatten heute schon irgendwelchen Verdacht auf uns.«

»Bis Freitag sind es nur drei Tage, Kyushu. Sie werden sich beeilen müssen, wenn Sie bis zu dieser Zeit ein anderes Fahrzeug haben wollen.«

»Sie haben recht, Oburu. Ich werde gleich einen Funkspruch aufgeben«, beendigte Kyushu die Unterhaltung.

Der Major brauchte zu diesem Zweck nicht, wie kurze Zeit zuvor MacLane, zu einer Funkstation emporzusteigen. Es genügte, daß er die Matratze seiner Koje beiseitezog. Ein gutes Langwellen-Funkgerät kam darunter zum Vorschein, und wenige Minuten später hatte er Verbindung mit der Station von Babeldaob. –

In ungeduldiger Erwartung sahen auf der »Hitsa Maru« Kyushu und Oburu die nächsten Stunden und Tage verstreichen. Nicht minder erwartungsvoll waren Roddington und seine Leute auf der Werkflotte. Immer näher rückte ja auch für sie der Zeitpunkt heran, an dem es sich zeigen mußte, ob der erste Teil des kühnen Wertes geglückt war. Unruhig harrte in Washington auch der Staatssekretär des Marineamtes der kommenden Dinge. Es bedrückte ihn, daß Roddington seiner Aufforderung, nach Washington zu kommen, nicht gefolgt war, sondern sich auf Funksprüche beschränkte. Obwohl die Berichte von der Werkflotte bisher nicht ungünstig lauteten, wurde Mr. Harding doch die Sorge nicht los, daß noch irgendwelche unbekannten Gefahren dem Unternehmen Roddingtons drohen könnten.

*

»Bis Station V alles klar. Roddington.«

Wieder und immer wieder überlas Staatssekretär Harding den Funkspruch. Was lag nicht alles in den wenigen Worten!

»Bis Station V alles klar.« Das bedeutete, daß fünf Förderanlagen liefen und daß die Luftschleusen bei Station II und IV arbeiteten. Es bedeutete, daß die Bewetterungsanlagen in Betrieb waren, die den unteren durch die Luftschleusen von der Außenwelt getrennten Teilen des Schachtes frische Luft zuführten. Es bedeutete schließlich, daß Roddington und seine Leute jetzt in der ungeheuren, noch niemals zuvor von Menschen erreichten Tiefe von 12 500 Meter am Werk waren, um noch die letzte Förderanlage einzuhängen und mit ihr bis zu dem so heiß erstrebten Ziele, dem Seeboden, vorzudringen.

Harding ließ das inhaltsschwere Blatt sinken und stützte den Kopf in die Rechte. Über Länder und Meere flogen die Gedanken des Staatssekretärs zu Roddington und seinen Getreuen. Würden sie auch noch die letzte Strecke bewältigen? Würden sie die dunklen Gewalten der Tiefe überwinden? . . . Im Geiste sah Harding das Stahlrohr zitternd im Abgrund des Weltmeeres stehen, glaubte seine Wände unter dem ungeheuren Wasserdruck ächzen und knistern zu hören, erblickte Männer mit eisernem Herzen, die tiefer und immer tiefer in den Schacht vordrangen, der Gefahr und des lauernden Todes nicht achteten. –

Eine lange Reise war es von der Station Null am Schachtmund über der See bis zur Station V. Die Durchschleusung bei Station II und IV nahm jedesmal geraume Zeit in Anspruch, denn allzuschnell durfte man die Einfahrenden dem Druckunterschied nicht aussetzen. Erst anderthalb Stunden, nachdem Roddington und Dr. Wegener vom Licht des sonnigen Tropentages Abschied genommen hatten, erreichten sie die Station V. In der oberen Hälfte der mächtigen Stahlkugel, in der die Station sich befand, traten sie aus der Förderschale.

Man war weitergekommen in den wenigen Tagen, seitdem die beiden die erste Förderfahrt bis zur Station I unternahmen. Elektrisches Licht erhellte den Raum, in dem sie jetzt standen. Zischend entwich aus einem Rohr an der Wand die Frischluft, die von den Ventilatoren über Tag ununterbrochen in den Schacht hereingeworfen wurde. In rastloser Arbeit hatten ausgesuchte Leute das alles in einer unwahrscheinlich kurzen Zeit geschafft. Auf die Stunde genau waren bisher die Fristen innegehalten worden, die Roddington in sein Arbeitsprogramm eingesetzt hatte. –

Über eine eiserne Leiter stieg er, von Dr. Wegener gefolgt, in den unteren Teil der Kugel. Auch hier elektrisches Licht und kühle Frischluft. Auch hier bereits eine Telephonanlage, die sicheren Verkehr mit allen anderen Stationen ermöglichte.

Larking war hier mit vier Leuten am Werk. Seit vier Stunden arbeiteten die fünf Männer nach einem Reglement, das, von Dr. Wegener ausgearbeitet, jeden Griff und jeden Handschlag vorsah.

»Tag, Mr. Larking, elf Uhr dreißig jetzt«, begrüßte der Doktor den Bergingenieur.

»All right, Sir. Elf Uhr dreißig.«

Dr. Wegener hatte ein Blatt in der Hand, auf dem neben anderem Text rote Zahlen standen. Er fuhr mit dem Finger darüber hin.

»Elf Uhr dreißig soll Fördermaschine VI betriebsbereit sein, Mr. Larking.«

Der Bergingenieur machte eine unmutige Bewegung.

»Die Maschine ist bereit, Doktor, der Schacht ist nicht klar.«

Roddington fühlte seinen Herzschlag stocken. Der Schacht nicht klar? Nichts anderes konnte es bedeuten, als daß die Gewalten der Tiefe Sieger über sein Werk waren, daß das mächtige Rohr dem vereinten Druck von Fels und Wasser gewichen war . . . Er lehnte sich an die stählerne Wandung, preßte die heiße Stirn gegen das Metall und empfand wohltuend die eisige Kälte, die davon ausging. Wie im Traum hörte er die Frage, die Dr. Wegener an Larking richtete.

»Wie tief sind Sie mit der Schale hinuntergekommen?«

Wie eine Ewigkeit erschien ihm die Sekunde, bis Larking antwortete.

»Tausend Meter, Mr. Wegener. Da ließ der Seilzug nach, die Schale klemmte, saß fest im Schacht.«

Tausend Meter . . . blitzartig erfaßte Roddington die Zahl. Fieberhaft arbeitete sein Gehirn. Tausend Meter . . . noch fünfhundert Meter tief in das Gestein hinein war der Schacht befahrbar . . . bis dahin vordringen . . . dort mit dem Sauerstoffbrenner ein Loch in die Rohrwand schneiden . . . von dieser Stelle aus einen Stollen in das Gestein treiben . . . weiter, immer weiter nach unten, bis er das fand, was in der Tiefe sein mußte . . . um derentwillen er diese ganze Riesenarbeit unternommen hatte . . .

Eine neue Frage des Doktors drang an sein Ohr.

»Ist das Unterseil über die ganze Schachtlänge klar, Mr. Larking?«

»Yes, Sir.«

Zwei kurze Worte nur, aber einen Alpdruck nahmen sie Roddington von der Brust. Das Unterseil lief ungehemmt bis zum Schachtgrund . . . also war das Rohr nicht völlig zusammengedrückt . . . Seine Schwäche fiel von ihm ab. Mit einem Schritt stand er neben Dr. Wegener und Larking. Prüfend gingen seine Blicke durch den Raum, kurz und abgehackt kamen die Worte von seinen Lippen.

»Wo ist die Sonde?«

Larking hatte ein unbehagliches Gefühl. Nach dem Programm Roddingtons sollte die Sonde stets in der jeweils erreichten untersten Station sein. Einen kurzen Augenblick zögerte der Ingenieur, bevor er antwortete.

»Die Sonde liegt bei der Schleuse auf Station IV.«

Er erwartete einen Vorwurf Roddingtons, aber der war schon am Telephon und gab Befehl, die Sonde sofort nach Station V zu bringen, und auch Dr. Wegener, sonst leicht mit einem Tadel bei der Hand, rügte das Versäumnis nicht. –

Schweigend standen Roddington und Dr. Wegener sich gegenüber, ihre Blicke trafen sich, kreuzten sich, ohne daß ein Wort von ihren Lippen fiel. Auch ohne Worte verstanden sie sich. Die gleiche Frage bewegte sie: »Wer von uns wird den Schacht befahren?«

Erst nach minutenlangem Schweigen fielen die ersten Worte. Dr. Wegener sprach sie.

»Sie dürfen es nicht tun, Roddington. Es ist meine Sache.«

»Meine, Doktor Wegener.«

»Lassen Sie es mich tun, Roddington. Sie sind Ihrem Werk verpflichtet. Wer sollte es zu Ende führen . . .?«

»Sie, Doktor Wegener!«

»Nein, Roddington. Sie haben es geplant, und . . . nur Sie können es zu Ende bringen.«

Ein Geräusch übertönte Roddingtons Antwort. Aus dem oberen Teil der Kugel brachten zwei Leute über die steile Stiege eine eigenartige Konstruktion herab. Das war die Sonde, eine Erfindung Dr. Wegeners, entworfen und gebaut für den möglichen Fall, daß ein Befahren des Schachtes mit der Förderschale nicht möglich wäre. Ein schmaler Zylinder aus elastisch federndem Stahlfachwerk, eben groß genug, um einem Menschen Platz zu bieten.

»Hängen Sie die Förderschale aus und die Sonde ein, Mr. Larking«, befahl Dr. Wegener. »Einer kann nur fahren, lassen Sie mir den Vortritt«, wandte er sich wieder an Roddington. »Ich glaube, ich habe es um Sie und Ihr Werk verdient.« –

Larking und seine Leute hantierten mit Flaschenzügen und Schraubenschlüsseln. Dröhnend erfüllte der Lärm ihrer Arbeiten den engen Stationsraum. Roddington blickte zur Seite, beugte sich nieder und suchte zwischen allerlei Bauteilen, die in einem Winkel lagen. Zwei stählerne Bolzen hielt er in der Rechten, als er sich wieder erhob. Der Lärm wurde schwächer und verklang.

»Die Sonde ist eingehängt, Doktor Wegener«, meldete Larking.

»Lassen Sie mich, Roddington?« Fast flehend stieß der Doktor die Worte hervor.

»Gleiche Chance für uns beide, Doktor Wegener!« Roddington hielt ihm die Rechte hin. »Ziehen Sie! Wer das längere Stück behält, wird fahren!«

Zaudernd, prüfend sah Dr. Wegener auf Roddingtons Hand. Ein Blick auf dessen Gesicht überzeugte ihn, daß alles weitere Reden überflüssig sei. Mit jähem Entschluß griff er zu. Roddington öffnete die Rechte, der längere Bolzen lag in seiner Hand.

»Schicksalsfügung, Doktor Wegener. Ich mache die Fahrt. Sie steuern hier die Fördermaschine. Sie wissen, um was es geht, mein Leben liegt in Ihrer Hand. Durch den Fernsprecher bleiben wir in Verbindung. Lassen Sie den Hebel der Maschine keinen Augenblick aus der Hand, achten Sie auf jedes Wort von mir, steuern Sie auf den ersten Ruf um . . . für einen zweiten könnte es vielleicht zu spät sein.« –

Eng von dem federnden Fachwerk der Sonde umschlossen, sank Roddingtons Körper in die Tiefe. Nur noch einen Augenblick warf die elektrische Lampe in seiner Hand einen Schein nach oben. An der Fördermaschine stand Dr. Wegener, die Hand am Hebel, das Mikrophon vor dem Mund, die Hörer an den Ohren, den Blick auf den Tiefenzeiger gerichtet.

Langsam wanderte der Zeiger über die Skala. Sechshundert Meter . . . achthundert Meter . . . neunhundert Meter . . .

»Freie Fahrt bis jetzt. Das Rohr unversehrt«, klang es aus dem Telephon.

»Tausend Meter jetzt, Roddington«, rief Dr. Wegener in das Mikrophon und stellte den Hebel der Maschine um. In verlangsamter Fahrt, nur noch mit halber Geschwindigkeit, lief das Seil ab.

Tausend Meter tiefer betrachtete Roddington durch das Fachwerk der Sonde die Rohrwände und begriff, warum die Förderschale nicht weiter gekommen war. Ungeheuerliche Kräfte mußten hier auf das Rohr gewirkt haben.

Wie gekräuselt sah der Stahl aus. Wie man wohl einen Kleiderstoff fältelt, hatten die während des zweiten Seebebens von allen Seiten mit elementarer Wucht andrängenden Gesteinsmassen die schwere Rohrwand in sich zusammengeschoben. Aber – Roddington empfand es als einen Glücksfall – die kreisrunde Form war dabei bewahrt geblieben.

»Alles in Ordnung, Roddington?«

Verhaltene Unruhe klang aus der Stimme des Doktors.

»Alles in Ordnung, Doktor Wegener. Noch freier Raum neben der Sonde. Welche Tiefe?«

»Eintausendachthundert Meter, Roddington.«

Tiefer und immer tiefer sank die Schale.

»Zweitausend Meter jetzt!« kam Dr. Wegeners Stimme von oben.

»Fahrt verringern, Doktor, das Rohr wird enger!«

Der Schalthebel in der Hand des Doktors bewegte sich. Langsamer wurde der Lauf des Seiles.

»Zweitausendeinhundert Meter jetzt, Roddington . . . zweitausendzweihundert Meter . . .«

»Fahrt verringern, Doktor!«

Feine Schweißperlen standen auf Dr. Wegeners Stirn, während er das Kommando ausführte. Nur noch Zentimeter um Zentimeter schlich das Seil über die Scheibe.

»Vorsichtig, Roddington«, schrie Dr. Wegener in das Mikrophon. »Soll ich stoppen?«

Wie in einer Vision sah der Doktor in diesen gefährlichen Sekunden die Sonde mit ihrer lebendigen Fracht durch das von ungeheurem Druck zusammengeschnürte Rohr kriechen. Glaubte jeden Augenblick das Scharren und Schleifen ihres Federwerkes an den Schachtwänden zu vernehmen. Furcht überkam ihn, daß Roddington ein Opfer seiner Kühnheit werden könnte, erdrückt und erschlagen von den übermächtigen Gewalten der Tiefe. Seine Hand zuckte. Er wollte die Maschine umsteuern, die Sonde wieder nach oben holen, als Worte aus dem Telephon drangen.

»Die Einschnürung ist passiert, Doktor Wegener. Das Rohr wird wieder weiter.«

Dr. Wegener warf einen Blick auf den Tiefenzeiger, rief zurück.

»Zweitausenddreihundert Meter jetzt, Roddington!«

»Schnellere Fahrt, Doktor!« klang's aus dem Telephon zurück.

Das Seil beschleunigte seinen Lauf.

»Zweitausendvierhundert Meter, Roddington. Alles klar bei Ihnen?«

»Alles klar hier. Rohr hat normale Weite.«

»Zweitausendfünfhundert Meter jetzt!«

Während Dr. Wegener es sagte, glitt der Steuerhebel aus seiner Hand. Automatisch setzte die Fördermaschine sich still. Die Sonde hatte Station VI auf dem Schachtgrund erreicht.

Mit schnellem Griff öffnete Roddington die federnde Wand der Sonde. Auf massives Metall trat sein Fuß, als er sie verließ. Er stand auf dem schweren Stahlpfropf, mit dem man das untere Ende des ersten Rohres verschlossen hatte, bevor man mit der Absenkung des Schachtes begann. Glänzend und glatt war hier die innere Wand, so wie man sie in der großen Halle in Trenton gegossen hatte. Nichts verriet den gewaltigen Druck, der von außen her darauf lasten mochte.

»Alles in Ordnung, Roddington?«

Erregt, unruhevoll kamen die Worte aus dem Telephon.

»Alles in Ordnung, Doktor Wegener. Ich lege das Telephon jetzt ab und erwarte Sie hier. Versuchen Sie, möglichst viel von der Werkzeuggarnitur A I mitzubringen. In dreißig Sekunden können Sie die Sonde hochgehen lassen. Glück auf, Doktor Wegener!«

Vergeblich rief und schrie der Doktor in sein Mikrophon. Von Roddington kam keine Antwort mehr. Er hatte das mit der Sonde fest verbundene Telephon inzwischen abgelegt und wartete darauf, daß Dr. Wegener seine Anordnungen ausführte. –

»Es heißt Gott versuchen, Herr«, sagte Larking, als Dr. Wegener seinen Leib in den engen Raum der Sonde zwängte.

»Denken Sie, was Sie wollen, Mr. Larking. Aber führen Sie auf das Wort genau aus, was ich Ihnen sagte. Alles Gerät vom Satz A I an das Oberseil. Alles mit Draht fest verknoten. An keiner Stelle darf es mehr als vierzig Zentimeter spreizen.«

Die Sonde tauchte in den Schachtmund ein. Am Seile über ihr arbeiteten Larking und seine Leute mit Flaschenzügen und Zangen. Eine Viertelstunde verging darüber.

»Sind Sie fertig, Larking?«

Wie aus einem Schallrohr tönte die Stimme Dr. Wegeners aus dem Schachtmund.

»Alles in Ordnung, Doktor!«

»Gut, Mr. Larking. Halten Sie sich genau an den Plan für die Seilfahrt. Von tausend bis zweitausendfünfhundert Meter halbe Fahrt. Los in Gottes Namen!« –

Endlos erschien Roddington die Zeit, die verfloß, seitdem er die Sonde verlassen hatte. Seitdem er hier einsam in einem stählernen Kerker stand, durch Meilen von Licht und Sonne getrennt, in einer Tiefe, die vor ihm noch niemand erreichte . . . die bis zu dieser Stunde für unerreichbar galt. –

Langsam wie die Zeit kroch auch das Seil vorwärts. Deutlich konnte er die einzelnen Drähte erkennen, aus denen es geflochten war, und immer traumhafter wurde sein Sinnen.

Wünsche, Hoffnungen, Pläne verwob er in Gedanken in das stählerne Gespinst, das vor seinen Augen vorüberzog.

Schneller wurde jetzt die Fahrt der Trosse. Zu wirbelnden Reflexen verschwammen die einzelnen Drähte im Licht seiner elektrischen Lampe. Ein Geräusch riß ihn aus seiner Versunkenheit. Die Sonde kam herunter und hielt vor ihm. Dr. Wegener sprang heraus.

»Glück auf, Roddington!«

Roddington fühlte den Druck von der Hand des anderen und war wieder ganz bei sich.

»Glück auf, Doktor Wegener! Haben Sie das Werkzeug mitgebracht?«

»Alles da, Mr. Roddington!«

Der Doktor sprach in das Telephon, die Fördermaschine lief wieder an. Das Seil über der Sonde senkte sich herab, mit Werkzeugen und Geräten verschiedenster Art war es bepackt. Mit einer Zange durchschnitt der Doktor die haltenden Drähte. Roddington sprang hinzu, um die schweren Gasflaschen abzunehmen, die Larking an die Trosse gebunden hatte. Schraubenschlüssel und andere Werkzeuge fielen polternd auf den Stahlboden.

»Sie haben gleich alles mitgebracht, Doktor Wegener?« fragte er etwas verwundert. »Was hat es für einen Zweck, wenn der Fels nicht steht?«

Mit einer kurzen Kopfbewegung schleuderte der Doktor das Haar aus der Stirn. »Er muß stehen, Roddington . . . und er wird stehen. Sehen Sie die Wand hier, glatt und spiegelblank. Kein Riß, keine Falte«, er hatte einen schweren Schlüssel gegriffen und begann eine Schraube aus der Rohrwand herauszudrehen, sprach dabei weiter. »Da oben, dreihundert Meter höher, Roddington, da möchte ich's bei Gott nicht probieren. Da könnte uns der Fels vielleicht wie zäher Brei in den Schacht eindringen. Hier sind wir unterhalb der Druckzone. Hier kann man's wagen.«

In Davao hatte Dr. Wegener in die Wand dieses untersten Rohres ein armstarkes Loch bohren und es durch einen Schraubenbolzen wieder verschließen lassen. Den drehte er jetzt mit dem Schlüssel heraus. Zoll um Zoll trat der starke Bolzen aus der Wand hervor. Noch ein paar Umdrehungen, und klirrend stürzte das schwere Stück zu Boden. An einer Stelle war die stählerne Wand, welche die beiden Menschen bisher von den Gewalten der Tiefe trennte, geöffnet. Die nächsten Minuten, vielleicht Sekunden, mußten die Entscheidung bringen.

War der Druck auch hier noch so mächtig, daß das Urgestein unter seiner Gewalt plastisch wurde, daß es durch die Bohrung in den Schacht eindrang? . . . Oder stand der Fels, wie Dr. Wegener es hoffte?

Der hatte inzwischen eine Stahlstange gegriffen, fuhr damit in die Bohrung, bis er auf den Fels draußen traf; zog die Stange zurück, prüfte, maß und sondierte immer wieder von neuem.

Schweigend verfolgte Roddington seine Bewegungen. Wie an einem Magneten hingen seine Blicke an der Stelle des Stabes, die der Doktor mit dem Daumen markierte. Bei jeder neuen Sondierung fürchtete er den Finger vorrücken, das Stabende kürzer werden zu sehen, und dann hätte er alle weiteren Pläne, alle Zukunftshoffnungen begraben können.

Schwer und dickflüssig vertropften die Minuten; unverrückt blieb der Finger des Doktors an der gleichen Stelle des Stabes.

Wie Jubelschrei drang es aus seiner Kehle:

»Der Fels steht, Roddington, wir können es wagen!«

Hundertfach gebrochen und zurückgeworfen rollten die Worte durch das lange Rohr. Ein dumpfes Echo von ihnen drang zweitausendfünfhundert Meter empor, wo Larking immer noch wartend neben der Fördermaschine stand. Der fürchtete ein Unglück, eine Katastrophe, schrie in das Mikrophon, lauschte vergeblich auf Antwort. Die beiden in der gefährlichen Tiefe hörten ihn nicht. Sie waren schon bei der Arbeit, die ihren Plan ein Stück weiter fördern sollte. –

Brausend beleckten die blauen Stichflammen der Schneidebrenner, die sie in ihren Händen hielten, die Rohrwand. In kleinen Bächen rieselte der schmelzende Stahl unter den Flammen fort, in tausendfachem Funkenspiel sprühte er zu Zunder verbrannt davon. Mit Gewalt waren sie dabei, die Wand des stählernen Käfigs zu zerbrechen, den sicheren Schutz, den sie erst selbst geschaffen, zu zerstören, um den Kampf mit der Tiefe im Urgestein weiter zu führen.

*

Am Freitagmorgen trieb eine malaiische Prau, eins jener primitiven Boote, deren sich die Eingeborenen für den Verkehr zwischen den Inseln des Pazifik zu bedienen pflegen, auf Nordostkurs über die See. Der schwache Wind vermochte ihr Segel kaum halb zu füllen, und nur langsam kam sie vorwärts. Als von Backbord Roddingtons Werkflotte sichtbar wurde, schlief die Brise ganz ein, regungslos blieb die Prau auf der Stelle liegen.

Der braunhäutige Malaie an ihrem Heck ließ das Steuer fahren und schob sich eine neue Portion Betel zwischen die Zähne. Der europäische Zeitbegriff schien für ihn nicht zu existieren. Irgendwann einmal, vielleicht in Stunden, vielleicht in Tagen würde wohl wieder Wind aufkommen, und dann konnte die Fahrt ja weitergehen. Der Gedanke, zu den Rudern zu greifen, kam weder ihm noch den paar andern Leuten im Boot. Auch die beiden Passagiere des Fahrzeuges hatten offenbar keine besondere Eile.

Die saßen in der engen dunstigen Kajüte. Der eine von ihnen, Major Kyushu, hatte die Kopfhörer eines Empfangsgerätes übergestülpt. Der andere, Vicomte Oburu, schrieb eilig mit, was der Major halblaut diktierte. Der Funkspruch kam von der Werkflotte herüber aus der Kabine von Jonas Merrywater und lautete:

»Verzögerung im Arbeitsprogramm. Große Aufregung hier. Man spricht davon, daß ein Unglück geschehen ist. Es heißt, daß der Schacht zwischen den Stationen V und VI zu Bruch gegangen ist. Roddington und Doktor Wegener sollen auf Station VI eingeschlossen sein. Man fürchtet, daß sie verloren sind. Frank Dickinson macht eine Expedition zu ihrer Rettung bereit. Achtung, Achtung! Ich schalte auf Empfang um.«

Die Morsetaste in Kyushus Hand begann zu klappern. Ein ganzes Bündel von Fragen hatte er sich in den verflossenen drei Tagen für Mr. Merrywater zurechtgelegt und wünschte sie jetzt beantwortet zu haben.

Die erste und wichtigste davon: Wo sind die vielen Rohre geblieben, die Roddington nach Davao bringen ließ? Mr. Merrywater vermochte keine Auskunft darüber zu geben. Nur das wußte er mit Bestimmtheit, daß alle Rohre, die in den Frachtschiffen zur Werkflotte kamen, beim Schachtbau Verwendung gefunden hatten. Stirnrunzelnd diktierte Kyushu diese Antwort, kopfschüttelnd schrieb Oburu sie nieder.

Sechs Kilometer konnte Roddingtons Schacht nur tief sein. Davon waren die beiden japanischen Offiziere ebenso überzeugt wie von der Zuverlässigkeit der offiziellen Seekarten, die diese Tiefe für die Stelle angaben, an welcher der Schacht stand. Wo waren die übrigen Rohre mit einer Gesamtlänge von neun Kilometer geblieben? Mehr denn je quälte sie die Frage. Schließlich konnte eine Stahlmenge von hundertachtzigtausend Tonnen doch nicht einfach verschwinden, sich irgendwie verflüchtigen und in ein Nichts auflösen. Wie war es möglich, daß keiner der vielen Agenten, die der japanische Nachrichtendienst auf Roddingtons Spuren gesetzt hatte, etwas über den Verbleib dieser gewaltigen Stahlmassen in Erfahrung zu bringen vermochte? Kyushu und Oburu hatten das niederdrückende Gefühl, daß sie hier mit ihrer Kunst am Ende waren. Eine neue Meldung kam aus dem Sender Merrywaters:

»Die Expedition fährt eben bei Station Null ein. Besteht aus Frank Dickinson, Griffith und Cranford. Soll in anderthalb Stunden Station V erreichen. Ingenieur Larking gibt ungünstige Nachrichten von Station V. Förderschale von Station VI ist leer heraufgekommen. Seit anderthalb Stunden keine Lebenszeichen von Roddington und Doktor Wegener. Achtung, Achtung! Nächster Funkspruch in zwei Stunden.«

Kyushu stellte seinen Empfänger ab und zog die Telephone verdrießlich von den Ohren, sagte dabei zu Oburu:

»Schade, daß unser Mann gerade jetzt aufhört. Es muß ihm irgend etwas dazwischengekommen sein. Warten wir ab, was er in zwei Stunden zu melden hat.« –

In der Tat war Mr. Jonas Merrywater etwas dazwischengekommen. Aber nicht etwa irgendwelche von Roddingtons Leuten, die ihn, wie Kyushu vermutete, bei seiner geheimen Funkerei gestört hatten, sondern einfach nur das Gongsignal, das die gesamte Besatzung vom Mutterschiff III zum Mittagessen rief. Davon konnte Major Kyushu freilich nichts hören, da Merrywaters Sendegerät nur Morsezeichen zu geben vermochte. Mr. Jonas Merrywater aber hatte den vertrauten Klang sogleich vernommen und in seiner Weise darauf reagiert. Die ganze Funkerei war ihm nicht so wichtig wie das Dinner. Mochten die Gelben erst einmal warten, bis er damit fertig war. –

Falsches und Wahres durcheinander gemischt enthielten die Funksprüche, die Kyushu soeben aufgenommen hatte. In Wirklichkeit spielten sich die Dinge folgendermaßen ab.

Gleich nach seiner Ankunft auf Station VI telephonierte Dr. Wegener an Larking:

»Schachtgrund erreicht. Alles in guter Ordnung. Geben Sie die Nachricht an Mr. Dickinson weiter!«

Larking tat, wie ihm geheißen, und brauchte etwa zehn Minuten, bis er Dickinson erreichte. Inzwischen gingen Roddington und Dr. Wegner auf Station VI ans Werk und begannen, die Rohrwand mit den Schweißbrennern zu bearbeiten. Die Verbindung mit Station V hörte dabei notwendigerweise auf, da das Telephon sich in der Sonde befand. Frank Dickinson erhielt durch Larking die Meldung Dr. Wegeners und eilte sofort zur Funkstation, um sie nach Washington an Harding weiterzugeben. Er blieb in der Station, um die Antwort des Staatssekretärs gleich an Ort und Stelle in Empfang nehmen zu können.

Auf Station V wurde Ingenieur Larking inzwischen stark von seinen Aufgaben in Anspruch genommen. Ebenso wie die höher liegenden Schachtteile sollte ja auch die letzte Strecke mit elektrischen Leitungen und einem Bewetterungsrohr für die Zuführung von Frischluft nach Station VI ausgerüstet werden. Unaufhörlich brachten die Förderanlagen die Teile dafür hinab, und er war mit seinen Leuten voll beschäftigt, sie in Empfang zu nehmen und in dem beengten Raum für den Einbau vorzubereiten.

So geschah es, daß er sich länger als eine Stunde nicht um die Station VI kümmerte. Erst als die Anfuhr von Bauteilen von oben her für eine kurze Weile aussetzte, griff er wieder zum Telephon, um die Verbindung mit Roddington oder Dr. Wegener aufzunehmen. Es war vergeblich, so sehr er sich auch die nächste halbe Stunde bemühte.

Den schwachen Telephonanruf mochten sie dort unten vielleicht bei ihren Arbeiten überhören. So griff er zum Schalthebel der Fördermaschine, ließ die Sonde auf Station VI ein wenig in die Höhe fahren und dann wieder so weit nach unten gehen, daß sie kräftig auf den Boden aufsetzte. Das hätten die beiden nach seiner Überzeugung sicher hören und sich daraufhin irgendwie melden müssen, aber nach wie vor blieb das Telephon stumm. Immer stärker wurde seine Befürchtung, daß auf Station VI etwas nicht in Ordnung sei, und so suchte er schließlich durch den Fernsprecher Frank Dickinson zu erreichen. Es dauerte geraume Zeit, bis er ihn bekam. Ein kurzes telephonisches Gespräch gab es dann zwischen Larking und Dickinson, und schnell war dessen Entschluß gefaßt, selbst nach Station VI vorzudringen und wenn nötig Hilfe zu bringen. –

In diesem Punkt stimmte die Nachricht, die Jonas Merrywater an Kyushu gefunkt hatte. Auch das traf zu, daß Griffith und Cranford gleich nach Dickinson in den Schacht einfuhren, um sich an der Rettungsaktion zu beteiligen. Unbegründet war dagegen die Nachricht vom Zusammenbruch des Schachtes. Hier hatte Mr. Merrywater ein Gerücht weitergegeben, ohne sich vorher über den wirklichen Tatbestand zu vergewissern. –

Auf Station V stieg Dickinson in die Sonde. Werkzeug brauchte er nicht mit nach unten zu nehmen. Nur eine Gasmaske, eine kleine Sauerstoffflasche und eine elektrische Lampe hatte er bei sich. So ausgerüstet, trat er die Fahrt über die letzte Strecke nach Station VI an.

Eine knappe halbe Stunde nahm sie in Anspruch, doch wie eine Ewigkeit kamen ihm diese dreißig Minuten vor. Hin und her flogen seine Gedanken zwischen dem, was seine Augen in nächster Nähe erblickten, und dem, was ihn am Ende der Fahrt in der Tiefe erwarten mochte. Langsamer wurde jetzt die Fahrt der Sonde, immer enger der Schacht. Mit sorgenvollem Blick betrachtete er die von dem riesigen Außendruck zusammengeschobene Stahlwand und begann als Ingenieur zu überlegen, wie man hier die notwendigen Leitungen einbauen und doch noch genügend Platz für den Durchgang der Sonde behalten könne. Frischluft und elektrischer Strom mußten unbedingt bis zum Schachtgrund geführt werden, wenn Leben und Arbeit dort unten in der fürchterlichen Tiefe möglich sein sollten.

Frischluft vor allen Dingen. Er verwünschte den Übereifer Roddingtons, der dort sofort mit irgendwelchen Arbeiten begonnen haben mochte, ohne den Einbau der Bewetterungsleitung abzuwarten. Während die Sonde langsam durch den Schacht kroch, eilten seine Gedanken ihr voraus. Im Geiste sah er seinen Freund und den deutschen Doktor dort unten mit dem Erstickungstode kämpfen, war über die Langsamkeit der Fahrt verzweifelt und atmete erst wieder leichter, als die Einschnürung passiert war und die Sonde schneller nach unten glitt.

Bisher hatte er die Gasmaske noch nicht benutzt. Die Luft im Schacht war wohl etwas drückend, aber gut atembar. Jetzt dicht vor dem Ziel spürte er den eigenartigen Geruch von verbranntem und zerschmolzenem Metall. Mit einer schnellen Bewegung zog er die Maske vor das Gesicht und drehte die Sauerstoffleitung auf.

Die Sonde hielt. Er trat aus ihr heraus und sah in Wirklichkeit, was er vorher in Gedanken erschaut hatte. Regungslos lagen zwei Gestalten auf dem Stahlboden, Roddington und Dr. Wegener. Stand er vor Ohnmächtigen oder vor Toten?

Die Schweißbrenner waren ihren Händen entglitten. Sie brannten nicht mehr, aber an der Wand zeigte eine Stelle die Spuren ihrer Arbeit. Über die Fläche eines Quadratmeters etwa war dort der Stahl weggebrannt und weggeschmolzen. Das Urgestein der Tiefe lag hier offen.

Ein leises Zischen drang von den am Boden liegenden Brennern her an Dickinsons Ohr und erfüllte sein Herz mit eisigem Schreck. Strömte hier Knallgas aus den erloschenen Brennern? . . . Vielleicht seit Stunden schon? Das geringste Fünkchen konnte dann eine verheerende Explosion auslösen, die ihn und die Leiber der beiden anderen im Bruchteil einer Sekunde zerschmettern, zerreißen, in formlose Masse verwandeln mußte.

Mit einem Sprung war er bei den beiden großen Gasflaschen, griff nach den Ventilen und fühlte, wie die ungeheure Spannung seiner Nerven von ihm wich. Das Ventil der Wasserstoffflasche war geschlossen, das der Sauerstoffflasche geöffnet, nur reiner Sauerstoff entströmte den Brennern. Im letzten Augenblick noch, bevor ihm die Sinne schwanden, mußte einer der beiden Verunglückten die Kraft und Geistesgegenwart besessen haben, den gefährlichen Wasserstoff abzudrehen.

Dickinson riß die Maske vom Gesicht. Erst jetzt kam ihm die drückende Hitze, die hier auf dem Schachtgrund herrschte, zum Bewußtsein. Der Schweiß brach ihm aus allen Poren. Mit Gewalt bezwang er die Schwäche, die ihn überkommen wollte. Neben Roddingtons Körper warf er sich nieder, griff nach dessen Hand und suchte den Puls zu fühlen.

Es dauerte geraume Zeit, bis er ihn fand. Nur noch schwach und unregelmäßig schlug das Herz Roddingtons, und nicht viel anders stand es um Dr. Wegener. Während Dickinson neben ihm kniete, dessen Handgelenk zwischen den Fingern, und noch überlegte, was zunächst geschehen sollte, spürte er, wie ihn selbst ein eigenartiges Schwindelgefühl überkam. Mit Anstrengung raffte er sich auf, stand wieder auf seinen Füßen und fühlte, wie die Benommenheit von ihm wich. Begriff auch, was hier geschehen war.

Roddington und Dr. Wegener hatten die Stahlwand dicht über dem Schachtboden angeschweißt. Dort mußte sich Kohlensäure, die ja schwerer als Luft ist, in genügender Menge angesammelt haben, um die beiden zu betäuben. Nur dem Umstand, daß aus der Gasflasche fortwährend frischer Sauerstoff in diese vergiftete Atmosphäre strömte, war es wohl zu verdanken, daß sie überhaupt noch lebten.

Dickinson griff den Körper Roddingtons, schleppte ihn in die Sonde und sagte durch das Telephon in fliegenden Worten Bescheid nach Station V. Die Fördermaschine fuhr an. Die Sonde mit dem bewußtlosen Roddington schwebte in dem engen Rohr in die Höhe und verschwand im Dunkel. Dickinson blieb mit Dr. Wegener allein auf dem Schachtgrund. Wenigstens fünfzig Minuten würde es dauern, bis die Sonde zurück sein konnte, um auch den andern Verunglückten nach oben zu bringen. In den ewigen Schlaf konnte die Ohnmacht des Doktors übergehen, wenn ihm nicht früher Hilfe gebracht wurde.

Dickinson versuchte ihn aufzurichten, um seinen Kopf aus dem Bereich der gefährlichen Kohlensäure zu bringen, doch kraftlos sank der ohnmächtige Körper immer wieder in sich zusammen. Es glückte Dickinson erst, als er ihn gegen die Schachtwand stellte und die beiden großen Gasflaschen so vor ihn hinschob, daß er nicht mehr umfallen konnte. Die schweren Stahlflaschen hielten den Körper, doch kraftlos hing der Kopf des Doktors wie der eines Toten nach vorn herüber.

Es mußte sofort etwas geschehen, um sein Blut von der lähmenden Kohlensäure zu befreien. Dickinson griff nach seiner Maske, zog den Sauerstoffschlauch ab und schob ihn dem Doktor zwischen die Zähne. Gleichzeitig suchte er ihn zu verstärkter Atembewegung zu zwingen, soweit das an dem zwischen Schachtwand und den schweren Stahlflaschen festgehaltenen Körper des Bewußtlosen möglich war.

Lange Zeit mühte er sich vergeblich. Dann schien's ihm, als ob eine leichte Röte in die wachsbleichen Züge Dr. Wegeners zurückkehrte. Er griff nach dessen Handgelenk, der Puls ging kräftiger und regelmäßiger als vorher. Wohl war der Doktor immer noch bewußtlos, aber trotz seiner Betäubung begann er jetzt doch instinktiv kräftiger aus dem Schlauch zu atmen. Der reine Sauerstoff, den er dabei mit jedem Atemzug einsog, jagte die Kohlensäure aus seinem Blut. Ein Zucken des Halses jetzt, ein Heben des Kopfes, ein Blinzeln der Lider, sein Bewußtsein kehrte zurück. Er blickte Dickinson an, verständnislos zuerst noch und verwirrt, wie jemand, der aus einem schweren Traum erwacht.

Seine Lippen bewegten sich, versuchten Worte zu formen.

»Dickinson . . . Sie hier? Was ist? Wo ist Roddington?«

Dickinson deutete mit der Hand nach oben.

»Auf dem Wege nach Station V, Doktor Wegener. Wie fühlen Sie sich jetzt? Nehmen Sie kräftig Sauerstoff!« Er schob ihm den Schlauch wieder zwischen die Lippen. »Die Luft ist hier nicht viel wert. Um ein Haar hätten Sie alle beide daran glauben müssen. Ein barbarischer Leichtsinn von Ihnen, ohne Bewetterungsrohr mit den Arbeiten anzufangen.«

Bei dem Wort »Arbeiten« kam Dr. Wegener die Erinnerung an die letzten Minuten vor dem Unfall zurück. Er blickte nach der Schweißstelle in der Schachtwand, versuchte mit der Hand darauf zu deuten. Der Arm sank zurück, noch war er zu schwach, ihn zu heben. Aber sein Geist arbeitete, und die Zunge gehorchte seinem Willen.

»Haben Sie es gesehen, Dickinson?« brach es von seinen Lippen. »Der Fels steht! Wir können mit dem Vortrieb eines Stollens in das Gestein beginnen.«

»In drei Tagen vielleicht, wenn wir Frischluft und elektrischen Strom hier unten haben. Frischluft vor allen Dingen. Sprechen Sie jetzt nicht mehr. Schonen Sie sich, Doktor, atmen Sie Sauerstoff.«

Mit leichter Gewalt schob er ihm den Gasschlauch zum drittenmal zwischen die Lippen. –

Zur gleichen Zeit mühten sich auf Station V Cranford und Griffith in ähnlicher Weise um Roddington. Seine Ohnmacht war schwerer als die des Doktors, aber sie konnten hier unter besseren Verhältnissen arbeiten als Dickinson zweitausendfünfhundert Meter tiefer. Bequem ausgestreckt lag Roddingtons Körper auf dem stählernen Boden der Station. Mit künstlicher Atmung und reichlicher Sauerstoffgabe versuchten sie ihn ins Leben zurückzurufen. Schwer lastete dabei die Sorge um Dr. Wegener und Dickinson auf ihnen. Wie sehr mußte die Atmosphäre auf dem Schachtgrund vergiftet sein, wenn sie solche todesähnliche Ohnmacht hervorrief. Würden die beiden dort unten durchhalten, bis die Sonde wiederkam, um sie heraufzuholen? Wie eine Erlösung empfanden sie die Worte Larkings, der, das Telephon am Ohr, eben die Fördermaschine stillsetzte.

»Gute Nachricht von Station VI. Dickinson wohlauf. Doktor Wegener noch schwach, aber wieder bei Bewußtsein.«

Wenn es Dickinson mit dem Doktor geschafft hatte, mußte es ihnen hier auch mit Roddington gelingen. Mit verdoppeltem Eifer setzten sie ihre Anstrengungen fort und erreichten es schließlich, daß auch Roddington aus der Ohnmacht erwachte und die Augen aufschlug.

Sein erster Blick fiel auf Dr. Wegener, den Larking eben aus der Sonde herausholte. Etwas blaß und noch ein wenig schwankend stand der Doktor vor ihm.

»Der Fels steht, Roddington! Wir können weiterarbeiten«, waren die ersten Worte, die er hervorbrachte. Dann überkam ihn die Schwäche von neuem. Er mußte sich auf die Fördermaschine stützen. Larking sah es und griff in einen Winkel. Wie vordem Dickinson den Gasschlauch, schob er ihm den Hals einer Whiskyflasche zwischen die Zähne und zog sie erst zurück, nachdem der Patient einen gehörigen Schluck genommen hatte.

»So, Doktor«, meinte er dabei lachend, »das wird bis Station IV reichen. Jetzt rauf mit Ihnen an Licht und Sonne! He, Jonny, Henry, helft dem Doktor über die Stiege nach oben.« Zwei seiner Leute sprangen hinzu. Halb geschoben, halb gezogen, wurde Dr. Wegener von ihnen über die steile eiserne Treppe in die obere Hälfte der Kugel geschafft.

Vergeblich protestierte er hier gegen weitere Hilfe.

»Sie sind noch zu schwach, Mister Doktor, um allein zu fahren. Mr. Larking hat mir aufgetragen, Sie bis zur Station Null zu bringen«, erklärte Jonny Smith und stieg zusammen mit ihm in die Förderschale.

Auf Station IV ging's durch die Luftschleuse, und ohne Widerspruch ließ sich Dr. Wegener noch einmal eine Portion Whisky in den Hals gießen. Sie gab ihm genügend Kraft, um auch den Rest der Fahrt durchzuhalten. Erst als er auf Station Null aus der Förderschale auf die Plattform trat, als Seeluft und Sonnenlicht ihn wieder umfingen, befiel ihn die Schwäche noch einmal. Mehr getragen als geführt, gelangte er in seine Kabine auf der »Blue Star« und ließ sich mit einem Seufzer der Erleichterung auf sein Lager sinken.

Nicht viel anders ging es Roddington, der eine halbe Stunde später auf Station Null die Förderschale verließ. Erst ein langer tiefer Schlaf auf der »Blue Star« verwischte die letzten Spuren des gefährlichen Abenteuers in der Tiefe und gab den beiden die volle Kraft wieder. –

Viele Augen hatten es gesehen, wie Dr. Wegener und Roddington in ein Boot getragen und zur »Blue Star« gebracht wurden, und sofort begannen Gerüchte unter der Belegschaft der Werftflotte umzulaufen. Von einer Erkrankung Roddingtons und des Doktors sprach man auf der Plattform. Von einer schweren Erkrankung munkelte man auf dem Deck des dritten Flugzeugmutterschiffes, und als das Gerücht die Messe erreichte, in der sich Mr. Merrywater nach getätigter Mahlzeit dem Genuß seiner Pfeife hingab, waren aus den Kranken schon Tote geworden. Jonas Merrywater hörte sich in Gemütsruhe mit an, was an den verschiedenen Tischen alles kolportiert wurde, und erinnerte sich dann seiner Pflichten. Nach einem Blick auf die Uhr verließ er den Meßraum und ging in seine Kabine. –

Die Prau schaukelte immer noch in der Nähe der Werkflotte. Nur um wenige hundert Meter war sie während der letzten zwei Stunden vorwärtsgekommen. Zur verabredeten Zeit schaltete Kyushu hier seinen Empfänger ein und schob sich die Hörer über die Ohren. Er brauchte nicht lange zu warten. Fast auf die Minute genau begann Merrywater zu funken. Der Major diktierte, und Oburu schrieb die Meldung mit.

»Schweres Unglück. Roddington und Doktor Wegener ums Leben gekommen. Ihre Leichen wurden eben auf die ›Blue Star‹ gebracht. Es heißt, daß im untersten Schachtteil eine schwere Explosion stattgefunden hat. Die Stimmung der Belegschaft grenzt an Meuterei. Die Mannschaften weigern sich, in den Todesschacht einzufahren. Man spricht davon, daß die Arbeiten abgebrochen und der Schacht aufgegeben wird. Frank Dickinson hat einen Nervenzusammenbruch erlitten. Die amerikanischen Zerstörer sollen Befehl erhalten haben, nach Frisco zurückzukehren . . .«

Während Kyushu sprach und Oburu schrieb, wechselten sie bedeutsame Blicke. Traf das zu, was Merrywater ihnen als sichere Tatsache funkte, so durfte die Affäre Roddington als erledigt betrachtet werden. Roddington, der Urheber dieses gigantischen Planes, und Dr. Wegener, sein bester Helfer, getötet . . . Frank Dickinson, der dritte Mann des Unternehmens, mit seinen Nerven niedergebrochen . . . ungezählte Millionen buchstäblich ins Wasser geworfen . . . für ein Unternehmen, dessen Undurchführbarkeit jetzt offen zutage lag . . . gleich stark waren Kyushu und Oburu davon überzeugt, daß niemand in den Vereinigten Staaten bereit sein würde, das Werk des toten Roddington fortzusetzen . . . noch weitere Millionen für eine verlorene Sache zu opfern. Es drängte den Major, die wichtige Nachricht schnell weiterzugeben, aber die Prau verfügte über keine dafür geeignete Sendeanlage.

Nur noch ein kurzes Hin und Her von Funksprüchen gab es zwischen Kyushu und Jonas Merrywater, wobei der letztere nochmals alle Einzelheiten bestätigte. Dann brach der Major die Verbindung ab, und nun zeigte es sich, daß die Prau doch nicht ein ganz gewöhnliches Eingeborenenboot war.

Das Segel, bei der Flaute vollkommen nutzlos, wurde niedergeholt. Eigenhändig räumten Major Kyushu und Vicomte Oburu in der Bootsmitte einen Haufen von allerlei Gerümpel beiseite, und ein starker Motor wurde sichtbar. Ein paar Kurbeldrehungen – und er sprang an.

Mit einer Geschwindigkeit, die wohl niemand dem alten Boot zugetraut hätte, eilte es unter dem Druck seiner Schraube nach Nordwesten davon, wo die »Hitsa Maru« außer Sichtweite der Werkflotte vor Anker lag.

Nur eine knappe Stunde noch – und aus der Antenne der »Hitsa Maru« spritzten die erstaunlichen Neuigkeiten Mr. Merrywaters in den Äther. Sie waren nur für Tokio bestimmt, und Major Kyushu hatte seinen Funkspruch sorgfältig verschlüsselt. Doch es fällt oft schwer, einen Telegrammschlüssel auf die Dauer geheimzuhalten. Auch von andern Stellen wurde das Radiogramm empfangen und entziffert.

*

Daß man sich auf japanischer Seite der Dienste Mr. Merrywaters versicherte, um die Vorgänge auf Roddingtons Flotte zu verfolgen, hatte bestimmte Gründe. Zunächst glaubte nämlich Mr. Collins nach seinen den Herren Itomo und Koami geleisteten Diensten, einen Anspruch auf diesen Posten zu haben, und setzte nach der gelungenen Flucht in Babeldaob alles daran um ihn zu erhalten. Aber er unterschätzte dabei die japanische Gerissenheit.

So naturgetreu auch die Verhaftung in den Bergen bei Manila und später die Flucht aus dem Gefängnis inszeniert worden waren, Major Kyushu ließ sich dadurch nicht täuschen. Als sich jener Befestigungsplan, den Collins dem Vicomte Oburu in die Hände gespielt hatte, als falsch erwies, erwachte Kyushus Mißtrauen, und trotz aller Bemühungen vermochte Mr. Collins es nicht wieder einzuschläfern.

Zwar gelang es ihm in Babeldaob, durch die Vermittlung Koamis, in Verbindung mit Kyushu zu kommen, doch seine Wünsche vermochte er bei dem nicht durchzusetzen. Major Kyushu empfing ihn, hörte ihn mit gleichmäßiger Miene an und hielt ihn mit nichtssagenden Versprechungen hin, während er auf der andern Seite bereits mit Jonas Merrywater verhandelte.

Fast eine Woche verstrich darüber. Im Hafen von Babeldaob wurde während dieser Zeit die »Hitsa Maru« mit geheimen Funkeinrichtungen versehen und fahrtbereit gemacht. Henry Collins versuchte es, sich das Schiff einmal genauer anzusehen, und die schroffe Art, in der die japanischen Wachen ihn dabei von Bord wiesen, ließ ihn blitzartig seine gefährliche Lage erkennen.

Auf Gnade und Ungnade war er auf den Palauinseln den Japanern ausgeliefert. Wenn dieser schweigsame, ewig lächelnde Major etwa doch irgendeinen Verdacht gefaßt hatte, dann bedurfte es hier auf japanischem Gebiet nur eines Winkes, um ihn für immer von der Bildfläche verschwinden zu lassen. Davor konnte ihn weder seine Eigenschaft als Bürger der Union noch sonst irgend etwas schützen.

So schnell Henry Collins die Gefahr erkannte, so schnell handelte er auch. Als Major Kyushu am nächsten Tage nach ihm schicken ließ, war er nirgends aufzufinden. Um diese Zeit durchpflügte der holländische Dampfer »Gelderland«, der am vorhergehenden Abend Babeldaob verlassen hatte, die Wasser des Pazifik schon viele Meilen westlich von den Palauinseln. In seinem Kesselraum stand Mr. Collins und schaufelte kräftig Kohlen in die Feuerung. Major Kyushu hatte seinen Entschluß, den zweideutigen Agenten verhaften zu lassen, zwölf Stunden zu spät gefaßt.

Die »Gelderland« lief Manila an, und zum Ärger des Ersten Maschinisten verschwand der neue Heizer dort spurlos von Bord. Vergeblich ließ der Holländer die Hafenkneipen nach ihm absuchen. Um diese Zeit war aus dem schmierigen Heizer schon wieder ein gutgekleideter Gentleman geworden, der in einem amerikanischen Flugzeug mit zweihundertfünfzig Stundenkilometer auf Ostkurs nach Frisco eilte. –

Kapitän Bancroft saß in seinem Büro im Marineamt, als ihm eine Besuchskarte hereingebracht wurde. Mit einiger Überraschung las er den Namen »Henry Collins« darauf. Um die Flucht aus Manila wußte der Kapitän, doch das lag schon um Wochen zurück. Seitdem hatte der Agent kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben, und halb und halb hielt ihn Bancroft für verloren, irgendwie von den Japanern beseitigt.

»Unkraut vergeht nicht«, murmelte Kapitän Bancroft vor sich hin und gab Auftrag, den unerwarteten Besuch in sein Büro zu führen.

»Hallo, Mr. Collins! Glücklich wieder in den Staaten? Was machen Ihre gelben Freunde?« empfing er ihn.

Collins machte ein Gesicht, als ob er ein Glas Bitterwasser geschluckt hätte.

»Ich fürchte, Herr Kapitän, die Freundschaft hat ein Loch bekommen. Ich hielt es für zweckmäßig, die japanische Gastfreundschaft in Babeldaob nicht länger in Anspruch zu nehmen, und bin bei Nacht und Nebel losgefahren, ohne Herrn Major Kyushu erst um Urlaub zu bitten.«

»Major Kyushu? . . .« Kapitän Bancroft dachte einen Augenblick nach. »Die japanische Botschaft hatte hier vor einiger Zeit einen Handelsattaché namens Kyushu . . . ist es etwa der?«

Collins zuckte die Achseln.

»Das kann ich Ihnen nicht sagen, aber jedenfalls ist dieser Major Kyushu ein verdammt schlauer Hund. Ich vermute, daß er den Schwindel in Manila durchschaut hat, und zog es vor, die Geschäftsverbindung mit ihm abzubrechen.«

»Schade, Mr. Collins. Wirklich recht schade. Gerade Ihre japanischen Beziehungen waren wertvoll für uns. Jetzt sehe ich keine rechte Möglichkeit, wie wir weiter zusammen arbeiten können.«

Henry Collins lehnte sich bequem in seinen Stuhl zurück und wartete, ob der Kapitän noch etwas sagen wolle. Als der schwieg, begann er:

»Im Augenblick möchte ich Ihnen meinerseits ein Geschäft vorschlagen, Herr Kapitän. Ich habe aus Babeldaob etwas mitgebracht, was Sie sicherlich interessieren dürfte.«

Mit einer abweisenden Handbewegung sagte Bancroft:

»So klug wie Ihr Freund Kyushu sind wir auch, mein lieber Collins. Auf falsche Papiere oder Pläne fallen wir nicht 'rein . . . wenn Sie etwa die Absicht haben sollten, uns damit zu beglücken.«

»Davon ist keine Rede, Herr Kapitän . . . aber . . . wie hoch würden Sie den Geheimcode A des japanischen Generalstabes bewerten, . . . wenn er hier vor Ihnen auf dem Tisch läge?«

Einen Augenblick sah Bancroft sein Gegenüber starr an. Langsam und bedächtig kam danach die Antwort von seinen Lippen.

»Nicht sehr hoch, Mr. Collins. Die Japaner werden ihren Code ändern, sowie sie das Fehlen eines Exemplares bemerken. Nach längstens vierundzwanzig Stunden dürfte der Diebstahl entdeckt werden. Es wäre nur eine sehr kurze Freude für uns.«

Collins machte eine spöttische Verbeugung vor dem Kapitän.

»Halten Sie mich wirklich für so dumm, Kapitän Bancroft, daß ich das nicht selber wüßte? Selbstverständlich habe ich keinen Augenblick daran gedacht, ein Exemplar im Original mitzunehmen. Wozu gibt es denn jetzt die hübschen kleinen photographischen Apparate, mit denen man in wenigen Minuten ein ganzes Buch kopieren kann? So habe ich das gemacht, Herr Kapitän.«

Während Collins es sagte, zog er einen kleinen Band aus der Tasche und ließ dessen Blätter durch die Finger gleiten. Von seinem Platz aus konnte Bancroft sehen, daß das Buch weiße Lettern auf dunklem Grunde enthielt, das typische Aussehen solcher im Negativ genommenen Kopien. Er beugte sich vor und wollte danach greifen.

Collins zog es zurück. »Erst Ihren Preis, Herr Kapitän. Den Preis für eine vollständige Kopie des Code A . . . die genommen wurde, ohne bei den Gelben die Spur eines Verdachtes zu erregen.«

»Hm! . . . Sagen wir zehntausend Dollar, Mr. Collins.« Wieder streckte der Kapitän die Hand nach dem Codebuch aus. Collins zog es noch dichter an sich heran.

»Unmöglich! Kapitän Bancroft! Zwanzigtausend Dollar ist das Stück für mich wert und auch für Sie, Kapitän Bancroft. Bedenken Sie, die wichtigsten Funksprüche des japanischen Generalstabes werden nach diesem Code verschlüsselt.« –

Ein langes Hin und Her gab es danach zwischen Collins und Bancroft. Der Kapitän war ein zäher Unterhändler, aber auch Collins hielt mit Hartnäckigkeit an seinem Preise fest. Nur langsam kamen sie sich in Angebot und Forderung entgegen, bis der dunkle Handel endlich zum Satz von fünfzehntausend Dollar abgeschlossen wurde.

»Uff!« stöhnte der Kapitän und wischte sich die Stirn. »Sie sind der größte Gauner in den Staaten, Collins.«

»Herr Kapitän, Sie würden für den amerikanischen Pferdehandel eine unschätzbare Kraft bedeuten«, gab Collins das Kompliment zurück.

Bancroft schrieb einen Scheck über fünfzehntausend Dollar aus und schob ihn Collins hin.

»Da! Nehmen Sie das Sündengeld. Ihretwegen bekomme ich vorzeitig graue Haare.«

»Brown und Bradley machen jetzt viel Reklame für ein neues Haarfärbemittel«, sagte Collins, während er den so sauer erkämpften Scheck in seine Brieftasche steckte. »Darf ich mir wieder die Ehre geben, wenn ich etwas . . .«

»Der Teufel holt Sie, Collins, wenn Sie zu einer andern Stelle damit gehen. Sie wissen, wo mein Büro ist.« –

Der Agent hatte den Raum verlassen, und Kapitän Bancroft vertiefte sich interessiert in das Studium des Codebuches. Seine Miene verriet, wie sehr er im Grunde seines Herzens mit dem eben abgeschlossenen Handel zufrieden war. Ein Exemplar des japanischen Geheimcode! Er wußte vielleicht noch besser als Collins, was der Besitz für die Nachrichtenabteilung seines Amtes zu bedeuten hatte . . . das Doppelte des gezahlten Preises hätte der von ihm herausholen können, wenn er sich gehörig dahintergesetzt hätte.

Weniger zufrieden als Kapitän Bancroft war Henry Collins mit dem Handel. Gewiß, fünfzehntausend Dollar waren eine ganz nette Summe, aber für die nächste Zeit hatte er kaum ein anderes lukratives Geschäft in Aussicht, und dabei wurde er das unangenehme Gefühl nicht los, er hätte für den Code mehr aus dem Kapitän herausschlagen können.

Die fünftausend Dollar, die er dem nachgelassen hatte, wurmten ihn schwer, und je länger er daran dachte, um so mehr reifte ein anderer Plan in ihm.

Kapitän Bancroft hatte so ziemlich das Richtige getroffen, als er den Agenten einen Gauner von Format nannte. Sein Urteil wäre vielleicht noch schärfer ausgefallen, wenn er geahnt hätte, daß Mr. Collins noch eine Kopie von der eben von ihm erworbenen Kopie des Codebuches besaß. Die hatte sich Collins als vorsichtiger Mann in Washington noch für alle Fälle angefertigt, bevor er mit dem ersten Exemplar in das Marineamt ging, und mit der gedachte er jetzt noch einmal fünftausend Dollar zu verdienen. Auch den geeigneten Mann für dies zweite Geschäft hatte er sich bereits ausgesucht. –

Mit dem Mittagsflugzeug verließ Collins Washington. Zwei Stunden später ließ er sich in New York im Wannamakers-Building mit dem Lift zum zwanzigsten Stock emporfahren und betrat die Räume der »Morning Post«. In der Redaktion dieses Blattes saß ein alter Bekannter von ihm, Mr. Percy Drake, zu dessen Ressort die amerikanische Politik im Pazifik und im Fernen Westen gehörte.

»Lange nichts von Ihnen gehört, Collins. Wo haben Sie sich die ganze Zeit 'rumgetrieben?« begrüßte der Redakteur den Eintretenden.

»Komme direkt aus Tokio. Hatte da zwei Monate geschäftlich zu tun . . .« – bei dem Wort »geschäftlich« kniff Collins das linke Auge zusammen – »ich kann Ihnen sagen, Drake, es tut sich da drüben allerlei. Der Krieg steht vielleicht dichter vor der Tür, als unsere Leute es wahr haben wollen.«

»Nehmen Sie Platz, mein lieber Collins, und bedienen Sie sich!« sagte Drake, während er auf einen Sessel deutete und seinem Besuch Zigarren hinschob. »Bringen Sie wirklich neue und zuverlässige Informationen, dann raus damit! Sie wissen, wir bezahlen anständig.«

Während der nächsten Viertelstunde sprach Collins allein, während Drake den Bleistift über das Papier rasen ließ, um jedes Wort mitzustenographieren.

»So, Mr. Drake, das wären die letzten Neuigkeiten aus dem Fernen Westen«, schloß Collins seinen Bericht. »Sie sehen, das Pulverfaß kann jeden Augenblick explodieren.«

Drake überflog sein Stenogramm noch einmal und konnte ein leichtes Kopfschütteln nicht unterdrücken.

»Sagen Sie mal, Collins, ist das wirklich authentisch? Wir dürfen die öffentliche Meinung nicht grundlos alarmieren. Unsere Beziehungen zu Japan sind seit langem so gespannt, daß ein Zeitungsartikel den berühmten Funken für das Pulverfaß abgeben könnte.«

»Mein lieber Mr. Drake, für das, was ich eben gesagt habe, lege ich meine Hand ins Feuer.«

»Ein anderer Beweis wäre mir lieber«, erwiderte Drake trocken.

Collins beugte sich näher zu dem Redakteur heran.

»Ich könnte Ihren Wunsch erfüllen, Drake. Ich könnte Ihnen das Mittel an die Hand geben, die letzten geheimsten Absichten der gelben Großmacht direkt zu erfahren . . . Wenn Ihnen der Preis nicht zu teuer ist.«

Der Mann von der »Morning Post« lehnte sich zurück und sah Collins eine Weile starr an, fragte dann:

»Wie soll ich Ihre Worte verstehen?«

»So, wie sie gesagt waren, Mr. Drake. Sie können von mir den Code für die Funksprüche des japanischen Generalstabes bekommen, der Sie instand setzt, die geheimen Staatstelegramme der Gelben zu entschlüsseln, und diese Depeschen werden Sie ja wohl für authentisch halten.« –

Während der nächsten Minuten bewegte sich die Unterredung zwischen Collins und Drake in ähnlichen Bahnen wie drei Stunden früher die mit Kapitän Bancroft in Washington. Den Endpunkt bildete auch hier ein Scheck, diesmal über fünftausend Dollar, der in der Brieftasche von Collins verschwand.

Dann aber hielt es Collins für angebracht, dem Redakteur noch besondere Verhaltungsmaßregeln zu geben, die bei Kapitän Bancroft nicht nötig waren.

»Benutzen Sie die Nachrichten, die Sie durch den Code bekommen, mit großer Vorsicht, mein lieber Drake«, sagte er beim Abschied, »sonst könnten Sie sich diese Quelle leicht selber verschütten. Unter keinen Umständen dürfen die Gelben durch Ihre Veröffentlichungen Verdacht schöpfen, daß ein Exemplar des Geheimcode sich in dritter Hand befindet, sie würden ihn dann sofort ändern. Denken Sie bei jeder Zeile daran, die Sie in Zukunft schreiben.«

»Ich werde daran denken«, sagte Drake, während er den Agenten zur Tür begleitete. Er brannte vor Ungeduld, möglichst schnell eine Probe auf das Exempel zu machen und mit den guten Empfangsanlagen der »Morning Post« einen Fischzug im Äther zu unternehmen. –

»Schachtgrund von Roddington und Dr. Wegener erreicht, alles in guter Ordnung. Dickinson.«

Zum dritten und vierten Male überlas Staatssekretär Harding den kurzen Funkspruch und fühlte, wie der seelische Druck, unter dem er seit Wochen stand, von ihm wich.

»Schachtgrund erreicht, alles in Ordnung.«

Wie unendlich viel steckte in den wenigen Worten. Ein technisches Unterfangen von phantastischen Ausmaßen war damit zu einem glücklichen Ende gebracht. Selbst wenn alles andere, was Roddington weiter plante, nicht gelang, wenn er im Urgestein des Seebodens das nicht fand, um derentwillen er das riesenhafte Unternehmen gewagt hatte, so würde sein Name in der Geschichte der Technik doch durch die Jahrhunderte weiterleben . . .

Aber auch das weitere würde dem Kühnen glücken. Fester denn je war Harding jetzt davon überzeugt, und er begriff, warum Roddington sich ihm in den letzten entscheidenden Tagen versagt hatte und bei seinem Werk geblieben war. In dieser Sekunde vermochte er dessen Handlungsweise vollkommen nachzufühlen. Er begriff es, daß Roddington erst etwas von sich hören lassen wollte, wenn er einen Erfolg mitteilen konnte. –

Der Staatssekretär wurde in seinen Gedanken durch die Meldung unterbrochen, daß Admiral Jefferson ihn sprechen möchte.

Hoffentlich kommt er mir nicht jetzt gerade mit neuen Plänen für die Tankanlagen auf Manila, dachte Harding, während er den Admiral zu sich bitten ließ.

»Gute Nachrichten von Roddington«, empfing er den Eintretenden und schob ihm den Funkspruch Dickinsons hin. Der las ihn und sagte:

»Eben wegen Roddington komme ich zu Ihnen, Mr. Harding. Ich fürchte, Ihre Nachricht ist durch eine spätere, schlimmere überholt, wir fingen einen verschlüsselten Funkspruch der japanischen Marine auf, der leider ganz anders lautet. Hier ist er.«

Harding las das Telegramm.

»Die Leichen von Roddington und Dr. Wegener werden eben auf die ›Blue Star‹ gebracht. Es hat eine Explosion stattgefunden. Der untere Teil des Schachtes ist zerstört.«

Die Buchstaben verschwammen vor seinen Augen, eine Welt fühlte er um sich zusammenbrechen, alle seine Hoffnungen in Trümmer sinken.

*


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