Hans Dominik
Das stählerne Geheimnis
Hans Dominik

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Mit gemischten Gefühlen sah Vicomte Oburu der Ankunft Kyushus entgegen, den man von Tokio aus kürzlich der Botschaft in Washington als Handelsattaché zugeteilt hatte. Es gab einen Major Kyushu im japanischen Generalstab, und wenn der etwa dieselbe Person wie der neue »Handelsattaché« war, dann konnte das für Oburu bedeuten, daß man mit seinen Berichten in Tokio nicht zufrieden war und es vorzog, noch einen andern, vielleicht geschickteren Fachmann auf den Posten in Washington zu schicken.

Schneller, als er es gedacht, verging die Zeit. Der Tag kam, an dem Kyushu in der amerikanischen Bundeshauptstadt eintraf, und schon am nächsten Tag wurde Oburu von ihm zu einer Unterredung unter vier Augen gebeten. Nach wenigen Worten wußte er, daß er einen Generalstabsoffizier vor sich hatte. Etwas gelindert wurde diese unangenehme Erkenntnis durch die Anerkennung, die Kyushu seinen bisherigen Berichten zuteil werden ließ.

Abschriften dieser Berichte hatte der Major zu der Unterredung mitgebracht und dazu noch andere Geheimberichte, von denen Oburu bisher nichts wußte.

»Es wurde Ihnen bereits mitgeteilt«, sagte Kyushu im Laufe der Unterhaltung, »daß der Plan von Manila, den Sie von einem gewissen Collins erwarben, eine Fälschung ist.«

»Ich bekam diese Benachrichtigung in der Tat. Ich entsandte daraufhin zwei meiner Agenten nach Manila. Ihre Berichte stehen noch aus«, erwiderte Oburu. Nur eine zuckende Bewegung seiner Backenmuskeln verriet seine innere Erregung.

»Sie hätten sich die Mühe sparen können«, fuhr Major Kyushu fort, »wir haben durch unsere in Manila ansässigen Agenten schon vorher festgestellt, daß es weder Öltanks in den Bergen noch Forts in der Nebenbucht gibt. Sie sind getäuscht worden.«

»Aber dieser Collins, von einem meiner besten Agenten empfohlen, machte keinen schlechten Eindruck«, versuchte sich Oburu zu rechtfertigen.

»Über Collins sind wir uns noch nicht klar«, fuhr Kyushu fort. Die Möglichkeit bleibt offen, daß er selbst von einer dritten Stelle getäuscht wurde, die wir . . .«, ein leichtes Lächeln glitt bei diesen Worten über die Züge Kyushus, ». . . vielleicht im Marineamt der Union zu suchen haben. Vorläufig spricht für ihn der Umstand, daß er zusammen mit Ihrem Agenten Itomo in Manila gefangengenommen wurde . . .«

»Meine Leute sind gefangen?« unterbrach Oburu den Major.

»Sie waren gefangen. Es gelang ihnen zu entfliehen und nach den Palauinseln zu entkommen. Zufällig hatten sie unterwegs Gelegenheit, einen Vorgang zu beobachten, über den dieser Bericht hier vorliegt. Wollen Sie ihn bitte lesen, bevor wir weitersprechen.«

Oburu las den Bericht und gab ihn Kyushu zurück. »Unbegreiflich, Herr Major . . .«

»Bitte nur: Herr Kyushu«, unterbrach ihn der andere, »ich bin offiziell als Handelsattaché hier. Man braucht in der Union nicht zu wissen, daß ich Offizier bin.«

»Unbegreiflich, Herr Kyushu«, begann Oburu von neuem, »ich verstehe nicht, was Mr. Roddington damit bezweckt hat.«

»Einer unserer Agenten hat das Rohr später in Davao gesehen«, fuhr Kyushu fort. »Es ist ihm auch gelungen, Stücke von dem alten Holz beiseitezubringen, als es mit einem neuen Mantel versehen wurde. Es ist außer Zweifel, daß das Rohr in eine sehr große Tiefe versenkt und einem ungeheuren Wasserdruck ausgesetzt wurde. Anders läßt sich der Zustand der Holzproben nicht erklären. Das ursprünglich leichte und weiche Holz ist hart wie Stein und schwerer als Wasser geworden.«

»Das Ganze bleibt mir unbegreiflich«, sagte Oburu.

»Fassen wir zusammen, was wir sicher wissen«, erwiderte Kyushu, »Roddington hat einhundertundfünfzig dieser Stahlrohre mit einer Gesamtlänge von fünfzehn Kilometer nach Davao kommen und dort mit Holzmänteln versehen lassen. Das ist das einzige Positive, was wir wissen. Alles andere ist Vermutung, vielleicht sogar absichtliche Täuschung.«

Oburu stützte den Kopf in die Hand.

»Dann war es auch überflüssig, daß wir durch Itomo zehn von diesen Riesenrohren kaufen ließen. Ich bedaure es außerordentlich, wenn mein Bericht von Manila die Veranlassung dazu war.«

Kyushu schüttelte den Kopf.

»Sie brauchen sich keine Vorwürfe zu machen. Wir sind sehr zufrieden, daß wir diese Rohre bekamen. Man ist in Nagasaki bereits dabei, nach dem Vorbild von Trenton ein Werk zu errichten, in dem wir nötigenfalls selbst derartige Rohre herstellen können.«

»Wozu das, Herr Kyushu?«

»Weil wir glauben, daß Washington keine weiteren Rohrlieferungen von Trenton an uns zulassen wird.«

Oburu ließ die Hände auf den Tisch sinken.

»Würden Sie die Güte haben, sich deutlicher zu erklären?«

Der Major schüttelte den Kopf.

»Ich möchte es vermeiden, Vicomte Oburu, Sie auf eine Spur zu setzen, die sich möglicherweise doch zuletzt als falsch erweisen könnte. Nur das darf ich Ihnen sagen, daß sich die Geologen an unserer Universität in Tokio ganz bestimmte Gedanken über die Absichten Roddingtons und seine bisherigen Arbeiten machen. Der Plan, den er vielleicht verfolgen könnte, scheint freilich zunächst so phantastisch und so wenig aussichtsvoll, daß wir abwarten müssen, was er weiter unternimmt.«

»Sie sprechen immer noch in Rätseln«, unterbrach ihn Oburu.

»Warten Sie ab, mein lieber Vicomte, bis die Rätsel sich Ihnen von selber lösen. Nur das möchte ich Ihnen sagen. Wir haben bei unseren Inseln die gleichen geologischen Verhältnisse wie die Amerikaner bei den Philippinen. Dort ist es der Philippinengraben, bei uns der Japangraben, beides Gebiete größter und verhältnismäßig nahe am Land gelegener Meerestiefen. Zehn Kilometer hat man an der ›Emdentiefe‹ im Philippinengraben gemessen, achteinhalb Kilometer im Japangraben. Wenn es uns nützlich erscheint, könnten wir eines Tages den Versuch Roddingtons bei uns wiederholen.«

»Und jetzt, Kyushu, was sollen wir jetzt tun?«

»Beobachten, Oburu. Zerbrechen Sie sich vorläufig noch nicht den Kopf über das, was man in Trenton und Davao und vielleicht auch in Washington vorhaben könnte, sondern versuchen Sie mit allen Mitteln Informationen über die weiteren Schritte Roddingtons zu bekommen. Setzen Sie alle Ihre Agenten für diesen Zweck ein. Für die kommenden Monate muß das Ihre wichtigste Aufgabe sein.«

»Und Sie, Kyushu?«

»Ich werde das gleiche tun, und von Zeit zu Zeit werden wir unsere Erfahrungen austauschen.« –

Erheblich erleichtert kehrte Oburu nach dieser Unterredung in sein Arbeitszimmer zurück. Er nahm die Überzeugung mit, daß seine bisherigen Arbeiten doch nicht vergeblich waren und in Tokio gewürdigt wurden. Daneben aber auch das Bewußtsein, daß man ihn vor eine neue Aufgabe stellte, welche die höchste Anspannung all seiner Kräfte verlangte.

*


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