Paula Dehmel
Singinens Geschichten
Paula Dehmel

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Vom Kriege

Und nun ist Krieg, großer Krieg. Unser Deutschland hat so furchtbar viel Feinde, die müssen wir nun alle totschießen; und Vater und Onkel Joachim wollen auch mithelfen. Eigentlich sollte man das doch nicht tun. Eigentlich lernt man doch immer: liebet eure Feinde! Aber ich habe das gewiß wieder nicht richtig verstanden; manchmal wird man sie wohl nicht lieben dürfen.

Ich will mir aber Mühe geben, keinem Menschen mehr böse zu sein. Ich habe Onkel Joachim auch abgebeten, daß ich neulich Schlimmes von ihm gedacht habe. Da hat er gelacht, und dann sagte er: Noch lange nicht das Schlimmste, mein Kind. Das verstehe ich nun wieder noch nicht.

Line heult jetzt schon den ganzen Tag, weil ihr Franz mitmuß; sie sagt, er ist in Straßburg ganz dicht bei den Franzosen, und wird gewiß gleich zuerst totgeschossen, sagt sie. Der alte Steffens läuft seit ein paar Tagen immer mit dem eisernen Kreuz rum; das hat er 1870 bei Gravelotte gekriegt und ist schrecklich stolz darauf. Sein Jüngster, der Johannes, hat gestern von ihm Abschied genommen; er steht bei den Husaren in Potsdam und muß morgen schon fort.

Fürs Vaterland muß jeder gern bluten, sagt der alte Steffens; ich habe aber doch Angst um Vater und Onkel Joachim. Mutter ist immer so still jetzt; sie singt und spielt garnicht mehr abends zur Gitarre, sondern räumt und packt und strickt wollne Strümpfe und Leibwärmer. Ich habe auch einen Pulswärmer angefangen, aber es geht sehr langsam damit.

Wenn Vater ins Feld muß, will Mutter auch nicht mit mir allein zu Hause bleiben; sie will Krankenschwester lernen, und ich soll zu Großmutter und Tante Kätchen nach Berlin und in eine richtige Schule kommen. Geschichten werde ich mir da wohl nicht mehr ausdenken. Wenn ich keinen Wald mehr habe und keinen See und keinen Dorkas, wird mir wohl nichts einfallen; und dann muß ich ja gewiß auch viele Briefe schreiben, und viele, viele Schulaufgaben machen, da ist dann alles ganz anders als hier.

Ein bißchen freue ich mich aber doch auf Berlin; ich war schon einmal da zu Weihnachten. Auf dem großen Potsdamer Platz fahren viele Autos und elektrische Bahnen, und abends leuchten ganz oben an den Häusern und Dächern blaue und rote und grüne Lichter; die leuchten und gehn wieder aus, und leuchten wieder auf und so immer fort. Wenn man genau hinsieht, sieht man Worte, lauter Namen von Sachen, die man kaufen soll; es ist lustig, das anzukucken.

Und viele feine Häuser gibt es in Berlin, und Plätze mit schönen Blumen, und große Schaufenster mit Spielzeug und Büchern und Kleidern; tausend Sachen sind drin, die kann man alle kaufen. Aber wer weiß, ob sie nicht zu teuer werden, wenn der Krieg lange dauert, sagt Mutti.

Und Tante Kätchen hat mir versprochen, ich komme auch mal in ein richtiges großes Theater, wo große Leute auf der Bühne Stücke aufführen; das muß herrlich sein. Und zu Weihnachten will sie mit mir in den Zirkus gehn, da gibt es kluge Pferde und Hunde und noch andre Tiere, die können allerlei Kunststücke; das wird mir Spaß machen, sagt Tante Kätchen.

Aber das Schönste wird doch sein, wenn die großen Ferien kommen; da fahren wir nämlich alle nach Hause zum alten Steffens und zu Line und Dorkas. Ob dann der böse Krieg schon aufgehört hat?

Abends bete ich jetzt immer: Lieber Gott, ich bitte dich sehr, laß den Krieg bald wieder aufhören, und mache, daß alle andern Völker uns wieder lieb haben! und wir sie auch! Amen.


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