Paula Dehmel
Singinens Geschichten
Paula Dehmel

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Vom Mondmädchen

Endlich habe ich das Mondmädchen gesehen. Ich lag schon im Bett, als der Vollmond kam. Ich zog mich aber schnell wieder an und ging nach dem großen Stein. Es war hell draußen und sehr still, und die Wege waren weiß wie von Milch. Auf dem Stein saß etwas ganz Zartes und Leuchtendes; das war gewiß das Mondmädchen.

Sie blies aber nicht die Flöte, wie der alte Steffens mir erzählt hat, sondern sie spann. Ich sah, wie ihr Spinnrad sich drehte, und wie sie die weißen Fäden zog; ihr Kleid war wie lauter Schleier und wehte leise um sie her.

Immer mehr Fäden kamen aus ihren weißen Händen, immer mehr; alle Büsche und Bäume waren schon voll. Auf der Wiese lagen viele, und viele hingen in der Luft; ja, auch an meinen Kleidern saßen sie fest und flimmerten. Und das Mondmädchen sah so weiß aus, so schrecklich weiß . . . Mir wurde plötzlich ganz kalt und schaurig, und ich drehte mich um und lief und lief . . .

Als ich zu Hause war, machte ich die Gardinen dicht zu. Ich wollte den Mond nicht sehen, und das weiße, stille, weiße Mädchen . . .


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