Paula Dehmel
Singinens Geschichten
Paula Dehmel

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Vom Gutseinwollen

In der Religionsstunde sind wir jetzt fertig mit den zehn Geboten, und Vater hat mir alles schön erklärt. Zuletzt sagte er: Sei du nur immer recht gut und hilfbereit zu den Menschen, darüber freut sich der liebe Gott; und alles andre, was in seinen Geboten steht, kommt dann ganz von selbst.

Und nun habe ich mir vorgenommen, recht gut zu sein, und wollte gleich damit anfangen. Ich muß es aber noch nicht recht verstehen, denn es ging meistens verkehrt.

Zuerst wollte ich dem alten Steffens helfen; dem wird es nämlich schon recht schwer, die große Wasserkarre durch den Garten zu schieben. Er lachte mich aber aus und sagte: Geh lieber Murmeln spielen; Wasser karren ist keine Arbeit für so'n kleines Fräulein.

Da ging ich zu Line und fragte die, ob ich ihr helfen könne. Die war aber brummig, ich weiß nicht warum, und sagte: Geh lieber und räume deine Puppensachen auf; da oben liegt alles wie Kraut und Rüben.

Ich wollte aber doch so furchtbar gern gut sein und ging auf die Landstraße; vielleicht käme dort einer vorbei, dem ich helfen könnte. Ich setzte mich unter einen Baum und wartete. Ein paar Wagen mit Heu fuhren vorbei und einer mit Milchfässern, da konnte ich doch nicht helfen. Dann kam lange garnichts, und ich döste vor mich hin und mußte oft gähnen, denn es war heiß und langweilig.

Da sah ich einen kleinen Käfer auf dem Rücken liegen; der strampelte sehr und konnte nicht hochkommen. Ich drehte ihn vorsichtig um und freute mich, wie flink er davon kroch. Nun war ich schon ein bißchen gut gewesen, aber ich wollte doch gern viel mehr gut sein.

Endlich kam eine alte Frau mit einem großen Henkelkorb; dadrin waren viele Pakete, und ein Brot trug sie auch noch. Ich ging gleich zu ihr hin und sagte: Soll ich dir nicht das Brot oder den Korb tragen, alte Frau? du hast es gewiß schwer.

Aber nein, wie furchtbar laut fing die Frau da zu schimpfen an: Wer ist hier deine Alte, du rotznasiges Ding! Was hast du hier auf der Chaussee rumzulungern und die Leute zu überfallen! Dann ging sie weiter und schimpfte immer noch vor sich hin.

Ich war furchtbar erschrocken und weinte und lief nach Hause.

Ich habe aber Vater nichts erzählt, ich habe mich so sehr geschämt. Was wird blos der liebe Gott von mir denken, daß ich das Gutsein so falsch angefangen habe!

Ich ging still nach oben und räumte meine Puppensachen auf. Als alles hübsch ordentlich war, kam Line und machte die Betten. Siehst du, das ist nett von dir, daß du so schön Ordnung machst, sagte sie; und sie sah garnicht mehr brummig aus.


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