Paula Dehmel
Singinens Geschichten
Paula Dehmel

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Von der katholischen Kapelle

Gestern bin ich allein in der katholischen Kapelle gewesen. Die Tür war blos angelehnt, da bin ich durchgeschlüpft. Es war so still drin, daß ich mich selber atmen hörte. Die Sonne schien fein durch die bunten Bildscheiben; es roch nach Staub und verwelkten Blumen, aber es war doch schön so allein.

Die Mutter Gottes hing da gemalt mit ihrem Jesuskind. Und ein rotes Lämpchen stand davor, und viele Leuchter mit weißen Kerzen; die brannten aber nicht.

Ich setzte mich auf die Stufen vor dem Altar und wartete. Ich war ein bißchen ängstlich und sah mich furchtsam um; ich dachte, der katholische liebe Gott wäre vielleicht böse auf mich, weil ich evangelisch bin, und würde mich hier wegjagen. Eine ganze Weile saß ich so und wartete; aber es passierte nichts.

Es war so still, daß ich die Fliegen summen hörte. Als ich mal nach oben guckte, sah ich an der Decke eine Schwalbe fliegen. Ich dachte: das ist gewiß eine heilige Schwalbe, daß der liebe Gott ihr erlaubt, hier herumzufliegen – und ich wurde auf einmal ganz froh und fühlte mich nicht mehr allein. Da kam die Schwalbe zu mir heruntergeflogen, aber nun war es keine Schwalbe mehr, sondern das Jesuskind in einem blauen ausgeschnittenen Kleidchen. Es sah mich freundlich an: Willst du mit spielen? Ich komme eben vom Himmel; guck, ich hab Sterne mitgebracht. Und es zog eine Handvoll Glitzersterne aus der Tasche. Wie ich aber hinfassen wollte, flogen die Sterne weg, durch die ganze Kirche, hoch, immer höher, und ich konnte sie nicht mehr langen.

Bist du immer noch ein Kind? fragte ich; du warst doch ein großer Mann und bist schon so lange tot?

Der Knabe lächelte und sagte: Für Kinder bin ich ein Kind, für die Großen bin ich der Meister, und für Gott bin ich Gott.

Während er das sagte, kamen alle Sterne wieder zu ihm hingeflogen, und er fing sie auf und steckte sie in die Tasche.

Du bist sehr klug und sehr gut, sagte ich; aber wollen wir nicht mit den Sternen spielen? Der Jesusknabe aber hob die Hand hoch, da war ein blaues Licht um uns her, und eine Orgel tönte leise – und dann lauter – und dann wieder leise und wieder laut, so auf und ab, auf und ab – herrlich war es.

Und alle weißen Lichter fingen von selber an zu brennen, und das Bild der Jungfrau Maria leuchtete wie lebendig.

Als das schöne Lied ausgespielt hatte, faltete ich die Hände und sagte: Amen. Da küßte mich der Jesusknabe auf die Stirn; das fühlte sich süß an, und ich machte die Augen zu. Als ich sie aber aufmachte, war er wieder eine Schwalbe geworden, und ich sah noch grade, wie sie durch eine Mauerspalte in den blauen Himmel hineinflog.

Ich ging langsam nach Hause; mir war so froh. Am liebsten hätte ich den Bäumen unterwegs erzählt, wie schön fromm es in der Kirche war; und es ist doch eine katholische gewesen.


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