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Die Weltbeschauer

Charon: Erlaubst du, daß ich hier Platz nehme? Ah –! (Er trocknet sich den Schweiß.) So. Danke. Es ist geraume Zeit vergangen, lieber Hermes, seit wir beide hier oben saßen, im kühlen Höhenwinde, mit den Händen die Wolken berührend und die Welt beschauten, du drüben auf dem rechten, ich hier auf dem linken Gipfel des Parnaß. Wie?

Hermes: Es wird zweitausend Jahre her sein, denk ich. Wenn es Lukian damals nicht so nett beschrieben hätte – es war ein gutes Feuilleton! – ich dächte kaum mehr daran. Man verändert sich.

Charon: Ob sie uns wohl von unten sehen, dich, Hermes, der du das Kinn auf den Knien hast, die Arme herumgeschlungen, und mich, der ich die dürren Beine baumeln lasse über den Rand, fröstelnd im dünnen Peplon …? Wie Punkte müssen wir ihnen erscheinen, wenn ihr Auge überhaupt zu unseren wolkendurchstoßenden Zinnen reicht. Sieh –! Unten flimmert das blaue Ionische Meer, im Glast zittern die gelben Felsen, die efeugeschmückten Tempel – Helios steht uns zu Häupten!

Hermes (gähnend): Wo warst du die ganze Zeit?

Charon: Ich habe dich sehr vermißt – obwohl mir hier oben fast schwindelig wird – unser Gespräch war mehr als anregend. Ich erinnere mich noch deutlich, wie du mir Krösus zeigtest, und den Kyros, und wie wir feststellten, daß die Menschen Wachs in den Ohren haben müssen, wie Odysseus bei den Sirenen, denn sie wollen die Wahrheit nicht hören und der Selbsterkenntnis mit Gewalt ausweichen.

Hermes: Du hast jetzt viel zu tun?

Charon: Du fragst? Kennst du meinen Dienst nicht? Meine Barke, mit der ich über den dunkelwogigen Kocytus zu fahren pflegte, reichte nicht mehr aus. Ich mußte mir in den letzten Jahren Plätten bauen lassen, eine Flotille von Plätten, und eine Kompanie von Fergen aufnehmen, denn ich allein war nicht mehr imstande – ach, erspar mir das! – in Schwärmen kamen sie, und standen in Scharen dichtgedrängt. Man wird freilich im täglichen Dienst etwas abgestumpft, und doch konnte ich mich – ich müßte ein Diamantherz haben – eines Schauers nicht erwehren, so oft wir nun die Abertausende von schattengewordenen Jünglingen hinüber führten, und noch ganze Menschenhaufen zurückweisen mußten, weil sie unbestattet waren und den vorgeschriebenen Obolus nicht hatten. Zahllos waren sie wie die wirbelnden Blätter im herbstlichen Wald. –

Hermes: Du bist heute sentimental.

Charon: Du nicht? Du meinst, Listiger, ich sei alt geworden und beschrankt. Ach, Hermes, ja ich bin ein alter Mann und habe viele Staubgeborene sterben sehen. Und so oft ich – leider so selten! – aus Plutos fahlem Reiche, aus meinem schwarzen Loch da unten heraufsteige und das bunte Licht sehe, die golden wogenden Kornfelder mit dem roten Mohn, die silberklaren, kristallen schäumenden Bäche, die luftblauen Fernen der Gebirge, die grünen Tristen, darauf Pan sich tummelt mit blumenumkränztem Haupt – du kannst mir's glauben: schön, schön ist die meerumspülte Scheibe der Erde, schön sind die marmorgebauten, blühenden Städte und niemand sinkt gern zu mir hinab ins lichtlose Reich der Asphodeloswiesen – warum drängen sie sich jetzt in Rudeln und Schwärmen, mit lechzender Zunge, gebrochenen Gliedern wie müdgehetztes Wild –? Fliehen sie die Erde, diese schöne, schöne Erde?

Hermes: Gefühlsmensch!

Charon: Wie? Ich habe dich nicht recht verstanden. Ich weiß nur, daß Achilles mit aufgehobenen Händen flehte, als Odysseus ihn im Tartarus besuchte – ich war selbst dabei – ihn auf die Erde mitzunehmen, – nur einmal noch – um eines Tagelöhners Tagelöhner dort zu werden, oben im Licht. Du schweigst? (Er schüttelt den Kopf. Nach einer Pause:) Doch reden wir nicht vom Tartarus. Ach, der Höhenwind streichelt mir die Glatze. Und es ist mir, als ob mein Auge, des Hellen ungewohnt, sich in die Weite dehne, über Nähen und Fernen, über das fischwimmelnde Meer und über der Jahrhunderte Jahrhunderte, über alte und neue Geschicke … Sag mir, Hermes, bitte, schiebe doch die Wolke weg, – so! – wer ist der dort? Ich sehe einen kleinen Mann im grauen Gewand mit verschränkten Armen am Strande eines Eilands stehen und in das Meer hinausstarren?

Hermes: Dies ist der Mann, der gewohnt war, täglich 30 000 Menschen auszugeben. Einer deiner eifrigsten Lieferanten. Er heißt Napoleon. Hat leider nicht gut abgeschnitten. Du siehst jetzt, wie er sich krümmt auf seinem Bett und dem englischen Arzt, der mit scheinheiliger Miene naht, die Medizinflasche an den Kopf wirft. Siehst du, der Arme: er stirbt an Magenkrebs.

Charon: Ein kleines Geschwür zernagt aller Cäsaren Herrlichkeit? Schade. – Was wimmert da herauf –?

Hermes: Es ist das Witwenweinen. Von Zeit zu Zeit umtönt dies Weinen, von Äolus getragen, millionenfach verstärkt, die ganze Erde. Man muß sich daran gewöhnen.

Charon: Hm. Es ist unangenehm zu hören. Aber sage mir, wer ist dort der Mann, der einsam im verdunkelten Zimmer sitzt, eine schwarze Binde um die Augen?

Hermes: Dieses war der mächtigste Mann der Welt. Noch ist es nicht drei Jahre her. Er war ein britischer Satrap und was er befahl, das tat sein König. Er glaubte seinem Vaterland, das eine Insel ist, zu dienen, indem er Könige verblendete, daß sie Kriege anzettelten. Vielen fiel die Krone vom Haupt, ihr Wappen barst, und sie sind flüchtig geworden wie Bettler. Er aber verträgt das Licht nicht mehr. Siehe, nur eine alte Magd ist um ihn, die ihm den Teller hält, woraus er seine Suppe nimmt. Kein Sonnenstrahl wird ihn mehr treffen, bis er stirbt. Was gäbe er – alle Kronen der Erde! – wenn er einmal noch das Licht schauen könnte. Er lebt in Plutos Reich auf Erden – – Sein Name ist Grey.

Charon: Bedauernswerter! Ich werde ihn mir merken. – Wer aber ist der dort, der auf einem goldenen Gebirge sitzt? Und dies Gebirge ist wohl höher als die hundertstöckigen Turmhäuser ringsherum, die die Wolken berühren? Und er hat grüngoldne Augen wie eine furchtbare Fliege, und dennoch knien alle vor ihm und halten betend die Hand empor wie die Inder zum heiligen Tiger, die Ägypter zum Stier Apis?

Hermes: Sieh nochmals hin! Er hat sein Gebirg verlassen und besteigt ein Schiff. Und dies Schiff eilt durch das Weltmeer, siehst du? Und jetzt, gib acht – aus ultima Thule sendet Poseidon einen weißen Berg, der Schnäbel hat wie Messer, und schneidet den Bauch des Schiffes auf und der Mann mit den goldnen Augen sinkt hinab zum Meeresgrund – siehst du – und dicke Fische kommen, stoßen mit der Schnauze an den Leichnam und gierige Haie schießen herbei – das ist sein Ende. Sein Name war Vanderbilt und die dampfgetriebene Triereme, die Titanic hieß, führte die hängenden Gärten der Semiramis an Bord …

Charon: Das ist ein kümmerliches Ende. Aber sie knien dort, wie ich sehe, noch immer vor dem Goldgebirg, darauf er saß, obgleich es leer ist – –

Hermes: Das ist so Sitte.

Charon: Und wer sind diese Leute, die da in der Hitze unten laufen und schreien – auch Kinder sind darunter – die mit den roten Fäusten drohen – die ganze Straße, die zum Markt führt, ist schon voll damit – aber jetzt kommen andre, andre, die blitzende Rohre in Händen halten – sieh: Feuer fährt aus den Rohren wie Pfeile aus den Bogen. Sie müssen jene andern mit Feuerstoff beworfen und getroffen haben, denn diese sinken hin – wer sind sie, was war das?

Hermes: Ach, es war Gesindel; das allerlei begehrend, von Aufwieglern geführt, die Ordnung der Patrizier störte, tobte, schrie und Weizenbrote für seinen Wanst verlangte. Sie wollten goldene Denare – –

Charon: Nun, hätte, nicht einer mit dem Fingernagel von jenes Vanderbilt Goldgebirge etwas abkratzen und ihnen geben können? Oder etwas Weizen aus den weiten Feldern der Demeter, die ich ringsum in der Sonne sehe?

Hermes: Das ist bei uns nicht Sitte. Es war niemals Sitte: dein Freund Lukian war's, der in den saturninischen Briefen die Reichen für eine Woche arm und die Armen für eine Woche reich machen wollte, doch nur zum Spaß – –

Charon: Ich sehe, die Menschen sterben heut nicht glücklicher als zu des Krösus und des Kyros Zeiten. Dieses Geschlechts Tragikomödie währt ewig … Doch sag, wie heißt die Stadt am winterlichen Fluß? Schnee fällt und der Sturm pfeift. Und ich sehe jetzt einen Wagen, darauf ein Sarg liegt. Er bewegt sich zum Stadttor hinaus. Ich sehe vorne nur den Kutscher, der halb berauscht scheint. Niemand aber geht hinter dem Sarg, niemand. Halt – doch ein Wesen: ein Hund, der den Kopf hängen läßt. Das muß ein großer Verbrecher sein, der nur von seinem Hund begleitet wird und einsam verscharrt werden soll, außerhalb der Stadt auf dem Anger …

Hermes: Dieses war ein Mann, der kein Verbrecher ist. Er ist jung gestorben und wen die Götter lieben, sagt man, den lassen sie jung sterben (aber es ist nur eine Redensart). Manche sagen, er sei ein Sohn Apolls gewesen und die Grazien hätten um seine Wiege getanzt. Wohin er ging, da lächelte die Welt. Die Blumen auf den Wiesen nickten ihm zu, und die Tiere des Waldes blieben stehen und horchten, und die Menschen, die ihn hörten, wußten nicht, ob sie schluchzen sollten oder jauchzen, denn aus seiner zaubergoldnen Flöte drangen Töne, die das Herz mit Jubel, die Augen mit Tränen füllten. Auch ich spielte einmal die Leier und schenkte sie. Apollon; aber ich glaube, aus dieses Mannes Lyra klang die ewige Musik der Sphären. Als er tot war, bauten sie ihm Bildsäulen und versahen sie mit Inschriften und versetzten ihn unter die Halbgötter. Sein Name war Mozart.

Charon: Mozart, Mozart … Du bist ja ordentlich warm geworden, Hermes, so sah ich dich nie? – Mozart … ich glaube von diesem Namen hörte auch ich, damals, als ein Jüngling kam, und das Schattenreich sich erhellte, und Kerberus verstummte – ach, warum durfte ihn nur sein Hund begleiten?

Hermes: Dankbarkeit ist eine Eigenschaft der Hunde, nicht der Menschen.

Charon: Du machst mich nachdenklich, Hermes, und traurig. Dunkel werfen die Götter den Menschen, die Lose. Den einen erheben sie aus dem Staub zu den ragenden Höhen der Himmel; den andern stoßen sie tiefer hinab – doch, Hermes, sag, was sind das für feine dunkle Linien, in denen Äolus zu summen scheint? Ich sehe sie über die ganze Erde gespannt.

Hermes: In ihnen lauft mein Wort von Afrika nach Asien, nach Europa und in Erdteile, die du nicht kennst. Ich habe sie gespannt. Der Blitz des Zeus gehorcht mir und trägt das Wort. Ein Mensch am Rand der Erde kann hören, was der Antipode zu ihm spricht.

Charon: Du bist ein großer Zauberer, Hermes, meiner Treu. Der Menschen sterbliche Geschlechter sind wie die Götter, deren Wort den Raum durchdringt? Und sie verstehen einander?

Hermes: Das weiß ich nicht.

Charon: Was soll nun dies Wort wieder, Dunkler? Sie müssen glücklich sein, da der Römer nun die Stimme des Hellenen, der Gallier die des Markomannen und Teutonen hört?

Hermes: Das weiß ich nicht.

Charon: Du sprichst in Rätseln. Und in Lügen wie Freund Lukian, der die Mondbewohner gesehen haben wollte! Doch sag mir, Hermes, sag, ich sehe unten Myriaden von Kriegern, solche, die übers blauwogige Meer fahren, Luftkrieger, die wie Falken den Äther durchschwirren, Peltasten, die über Schneegebirge und schauerliche Klüfte klettern, und andre wieder, die unter der Erde weiterkriechen, halb schon in Plutos Reich, und dort Hopliten mit feuerwerfenden Ballisten und Katapulten – fast glaubte ich, ein Märchen unsres Freundes Lukian zu sehen, der von den Heeren der Pferdeameisen erzählt, von den Arokadarken, die mit Malvengist bestrichene Rettiche schleuderten, daß die Verwundeten am Gestank starben, von Wolkenkentauren, von Hundegesichtmännern, von Feuerschleudern mit undurchdringlichen Lupinen-Helmen, einer sechzig Millionen starken Infanterie, die General Nachtvogel befehligte, als Endymion den Krieg mit den Sonnenmenschen führte? Was wollen diese? Wer treibt sie in den Krieg, da sie eben noch alle an den Pflügen standen, und doch niemand zu sehen ist, der ihnen befiehlt?

Hermes: Es ist jemand da. Du siehst es nur nicht. Es sind die dort – du mußt aufstehen – nun, siehst du, dort weit hinten, die dort tafeln an goldnen Tischen, die an den Thermen liegen und beraten!

Charon: Ja, es ist weit hinter den Schlachtreihen. Und sie sehen aus wie Könige und Satrapen und Gesandte. Doch, als wir das letztemal beisammen waren, sah ich, daß die Feldherrn und Satrapen – wars nicht so? – selbst als Völkerhirten standen mitten im Vordergewühl in staubiger Rüstung. Nun sage mir, Hermes, warum ist es, daß diese die Stämme und Völkerscharen, die eben noch an den Pflügen standen und einander den Lorbeer des Wettlaufs reichten, wie ich sah, nun gegeneinander führen, eines Stückes Landes wegen, da sie doch wissen, daß sie alle über kurz und lang zu Schatten werden und des Landes nicht mehr bedürfen, nicht seiner Haine und Bergwerke, nicht seiner Tempel und Märkte und Bäder.

Hermes (lächelt): Du widersprichst dir, Freund der schönen Erde. Aber nun muß ich dich etwas fragen, Charon. Ich war unten in ihren Städten, so oft die Feldherrn einzogen, und hörte die siegreichen Botschaften, mit denen die Herolde vorausliefen. Und sie kündeten stets, daß ihr Heer keinen seiner Krieger verloren, oder doch nur ganz wenige, wie auch im Sommer bisweilen ohne Anlaß einzelne Blätter von den Bäumen stieben. Da nun keines dieser vielen Heere einen Krieger verloren haben will und aller Feldherrn Boten stets so verkündeten, so müßten ihre Heere an Zahl noch ebensoviel betragen wie zu Anfang. Dies interessiert mich rein statistisch. Was sagst nun du dazu –?

Charon: Ach, Hermes! Sie haben alle gleich viel blühende Jünglinge zum Hades gesandt, und so viel ich sehe, grade die schönstgewachsenen, die tapfersten und kühnsten. Grünbewipfelte Tannen. Ich habe alle Tage Hekatomben, wie ich dir schon sagte, weiterzubefördern, und frage nicht, aus welchem Land sie stammen: es ist ein Schattenzug, der von den Säulen des Herkules reicht in das ferne Laub der Kanopen, der Hundesternanbeter, und all der Fabelvölker, von denen Herodot und, ihn verspottend, Lukian erzählt, und manchmal ist ihr Klagegeschrei so laut, daß ich mir gern die Ohren mit Wachs verklebte, und ich bin Mancherlei gewöhnt. Aber sage nun du mir: – ließe es sich nicht so machen, daß die wenigen, die hinten an den goldnen Tischen sitzen, und in den Thermen liegen, die Fürsten und Satrapen in schimmernder Rüstung vor die Schlachtreihen treten und da sie, wie du sagst, die Feindseligkeiten befahlen, sie auch untereinander durch ihre größere Kraft, Geschicklichkeit und Klugheit alleine austrügen? Es würden dann bloß wenige zu Schatten werden, vielleicht bloß einige oder niemand – und ich hätte einen weniger schweren Dienst.

Hermes: Das ist bei uns nicht Sitte.

Charon: Wie doch?

Hermes: Die Völker kämpfen um unsichtbare Dinge. Und die unsichtbaren Dinge sind es, die ihnen befehlen. Allen, den Satrapen wie den Kriegern. Es ist so wie wenn die Moira den Sturm erregt, er beugt die Eichen und die Gräser. Ein Abbild dieser Dinge kannst du sehen, wenn du nun – scharf, recht scharf! – durch den goldnen Abenddunst hindurchblickst. Du siehst dort eine Jungfrau schweben über den Wolken, sie trägt die rote phrygische Mütze auf dem Haupt – und ihr gegenüber auf der andern Seite siehst du eine Jungfrau wie Athene mit Helm und Panzer und Speer? Und glaube mir, sie sind, wie unser Plato sagt, nur Abbilder, nicht die Dinge selbst; ich aber weiß, sie sind wie Kronos, der seine Kinder frißt …

Charon: Und welche von den beiden wird siegen?

Hermes: Die stärkere!

Charon: Ist das auch die bessere?

Hermes: Wer kann es sagen? Hat nicht das starke, finstere Sparta das fröhliche Athen besiegt nach siebenundzwanzig Jahren? Aber obwohl die Ellbäume niedergehauen, das Land verwüstet, die lange Mauer geschleift wurde – – blieb Athen nicht doch Athen, und frohlockt nicht weiter attischer Geist, lebt nicht der Zeus des Phidias und verlor die Siegerin Sparta, wie Xenophon erzählt, nicht alle ihre Männer? Wer kann es sagen, wer da siegt. Ich weiß nur, wenn eine persönliche Bemerkung erlaubt ist, daß ich mich sehr wohl dabei befinde.

Charon: Ich finde diesen Ausspruch ruchlos im Munde eines Gottes, zumal in deinem. Denn gerade du, listigster der Götter, der du der Menschen Willen am goldnen Himmelsseil der Worte führen kannst, du könntest diese feindlichen Haufen, ins Vordergewühl springend, voneinander trennen – – da fällt mir auf: wo hast du deinen Stab? Den goldnen, schlangenumwundenen Stab? Wenn ich recht berichtet bin, so schlugst du mit dem Stab einst auf zwei Schlangen, die einander in Wut anzischten, und sie vergaßen ihre Wut und wickelten sich vereint in sanften Linien um den Stab bis an die Spitze, die Häupter in ewiger Eintracht verbunden? Wohlan! Warum nimmst du jetzt nicht deinen Stab? Berührst nicht die Völker? Damals warst du ein Knabe freilich! Und heute! Du lächelst! Wie listig ist deine Miene! Vergebens wendest du dich ab es wird dir nicht gelingen, mich zu täuschen! Hermes, oder Mercurius, Vielgestalter, du Gott der Diebe. Und auch des Handels und des Krieges Gott –! Du selbst bist irgendwie an diesem Streit beteiligt – gestehe!

Hermes: Ach, Unsinn!

Charon: Selbst hast du, Arger, die Völker in dieser wütenden Greuel Wirrnis verstrickt, ihr Auge geblendet, während du lächelst; Brüder gen Brüder hast du getrieben und Freunde gegen Freunde, daß sie erkennen nicht mehr die Mienen lebender Menschen, daß sie vergessen fortan der Künste anmutige Werke, nur noch bedacht, zu töten mit kunstvollem Werkzeug, und rotten einander aus in Jagdlust wie reißende Tiere!

Hermes: Meine Zeit ist kostbar. Ich bin leider nicht in der Lage, Deklamationen anzuhören, die –

(Der Gott entschwingt sich auf den Flügelfüßen
und schwebt wie ein Adler über den streitenden
Völkern.)

Die Stimme des Hermes: Augenblicklich hinab und versäum' nicht mit Schwatzen den Nachtdienst!

(Charon klettert hinab.)


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