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Die Sittenpredigt

Leopold Kraftenegger, der Kompagnie-Feldwebel, pflegte alle Nachmittag eine Ansprache an die Leute zu halten, die zum Ausgang gerüstet, in zwei Reihen standen und in seiner Art von gelähmter Bewunderung zu ihm aufblickten. Sein brauner Andreas Hofer-Bart wippte leidenschaftlich, seine Rechte holte etwas aus der Luft und warf es hin, dem Zyklopen gleich, der den absegelnden Griechen Felstrümmer ins Meer nachwarf, daß es hochaufschäumte … und bei besondern Kraftstellen schlug er mit der Linken an den Säbel, was ungefähr so wirkte wie der Beckenschlag im Orchester. Wer eben vor sich hindämmerte, fuhr auf.

Ich beneidete Leopold. Mir ist es nicht gegeben, so frank und frei zum Volk zu sprechen. Mich lähmen die Zuhörer, stört der Gedanke, was wohl der Angeredete, stumm vor sich hinbrütend, im Busen wälzen mag, man kann ja nicht hineinsehen. Leopold aber war von seines Wortes Wucht durchdrungen, er zweifelte nicht an seiner Macht, und darum besaß er sie.

Er stand auf der Türschwelle und donnerte den Abendsegen hinaus, bevor er die Leute entließ. Am Schluß der Ansprachen aber schwoll seine Stimme an, da pflegte er sich gegen das Lotterleben in der Stadt zu wenden. Wie Amos, der Prophet stand Leopold und eiferte mit beiden Armen gegen diesen Lasterpfuhl. Er sprach von Hexen mit schwarzummalten Teufelsaugen, mit Zigaretten und kurzen Kitteln, und warnte vor diesen Brennesseln auf der Wiese des Soldatenlebens, deren Stich man lang und schmerzlich fühle. Den letzten Block aber schleuderte er gegen Soldaten, die sich etwa einfallen lassen sollten, nach den Brennesseln zu greifen und nicht Charakterstärke genug besaßen, um rein wie Parsifal in die Kaserne heimzukehren.

»Daß mir keiner von euch alstern, wenn er jetzt in die Stadt geht, den Donschánn spielt, ihr Hallodri! Das nennt man den Weinberg des Herrn, und da habt ihr nichts zu suchen, verstanden? Dem Soldaten seine Geliebte ist die Fahne und die Pfeife. Aber ein Weibsbild, das ist wie ein Honig in einem Löwenmaul! Und dann sind auf einmal Kinder da, man weiß gar nicht wie, und dann kommen diese Weibsbilder damit in die Kaserne! Das ist die Schlangenbrut, die euch auffressen wie die Ratten bis auf die Haut, samt Putz und Stingel. Das nennt man – Amentierung, verstanden? Und überhaupt, das ist verboten!«

Mit der »Amentierung« pflegte Leopold zu schließen, es war der letzte Block. Immer deutlicher erinnerte er mich an Abraham a Santa Clara, denn wie jener Wortgewaltige war auch Leopold um Kraft und Bildlichkeit des Ausdrucks nie verlegen. Eigentlich aber, mußte ich mir sagen, verschwendete er seine Gaben, schleuderte er umsonst die schweren Blöcke, denn unsre braven Hopliten standen fast sämtlich im kanonischen Alter. Sie waren über das »Hallodritum« hinaus, Silber schmückte manchen Scheitel, und sie glichen längst erloschenen Vulkanen. Keine Lava rauchte mehr. Die meisten waren Bauern aus dem Slowenischen, hatten kleine Äcker und viele Kinder zu Haus, die Frau war krank, der Vater Auszügler – dahin schweiften ihre Gedanken zurück, zur Kuh, von der sie lebten, zur Wiese und zur Weinrebe. Sie dienten dem Vaterlande, da Dienen in ihrem Blut lag, und liebten vom Vaterland am innigsten den kleinen Fleck, den es ihnen eingeräumt hatte, mit dem Boden verwachsen, selbst ein Stück von diesem Boden. Warum also der heilige Zorn? Niemand griff nach Brennesseln! Ich glaube, es ging Kraftenegger wie den meisten Sittenpredigern, daß sie die treffen, die ein paar Zoll zu klein sind, und nicht die, die längst über die Mauer in den verbotenen Obstgarten stiegen. Hatte Kraftenegger in seinem Leben den Berg Semmering geschaut, den amorösen Berg, aus dessen Innern während des Kriegs eine Schampagnerquelle aufsprang – ein Naturwunder – wo feine Sportkostüme um die ewig singenden Geigen tanzten und eine Nacht am Freudenquell ein Vermögen kostete, ein großes oder kleines? Nein, er war ein Don Quixote. Ich ließ ihn seinen Palawer halten: nützte es nichts, so schadete es auch nichts. Vielleicht hatte er ihn selbst nötig?

Leopold war Junggeselle, keineswegs über die unangefochtenen Jahre hinaus, und ging, soweit ich es verfolgen konnte, sicher auf dem Seil des sittlichen Lebenswandels, den er predigte. Wenn er durchs Dorf wandelte, übte Leopold Kraftenegger eine magnetische Fernwirkung aus. Die lieben Weiblein schienen ihn schon vorher zu spüren, denn wo er nahte, schaute bei Tür und Fenster ein Mädchenkopf hervor, es lächelte Rosen heraus, es wisperte hinter ihm her; es gab auch unverhoffte Begegnungen, leise Anprälle mit erschrecktem Aufschrei, es gab Schuhbänder, die plötzlich aufgingen, wenn Leopold nahte, und am Zaun gebunden werden mußten, es gab abends Vorhänge, die man zuzuziehen vergessen hatte, kurz im Dorf arbeitete ein Entstaubungsapparat der Liebe, der den schönen Feldwebel an sich zu saugen suchte. Doch einschichtig zog er seines Wegs, wie ein richtiger Seiltänzer, sah immer gerade aufs Ziel, und keine Circe brachte ihn zu Sturz.

Nur einmal glaubte ich bemerkt zu haben, daß Leben und Lehre bei ihm auseinanderklafften. »Kraftenegger«, sagte ich, »Kraftenegger …!«, und drohte verständnisvoll mit dem Zeigefinger.

Ich war am Abend vorher am Ufer des Flusses spazieren gegangen. Dort läuft unweit der Kaserne ein hübscher Weg. Das rasche Wasser küßt die Spitzen der Baumäste, die sich zu ihm hinabneigen. Der alte Buhle Mond stand rein am Himmel. Es war ein verliebter Juliabend. Im Vorüberstreifen gewahrte ich in einer Wölbung der Zweige zwei Schatten sitzen, die sich von der Silberhelle des Wasserspiegels deutlich abhoben, und diese Schatten waren wie in so vielen Julinächten verschiedenen Geschlechts. Da blieb ich stehen – – denn, als sich der eine Kopf zum andern wandte, sah ich einen dunkeln Mönchsbart dran. Er schien mir so bekannt … Sollte der keusche Kraftenegger – –?

Aber er wies lächelnd den Verdacht zurück. »Ho nein – gar keine Spur nicht! Das war nicht meine Braut! Das ist die Braut von einen ganz andern Feldwebel, der was jetzt abkommandiert ist. Und er hat sie mir zum Aufheben gegeben. Ich muß sie ihm bewachen –!«

Dagegen ließ sich nichts sagen. Kraftenegger hatte Vertrauen in Unteroffizierskreisen erworben, man kannte seine asketische Natur und hatte ihm das Prachtstück fremder Liebe anvertraut, damit in Abwesenheit des Besitzers nichts daran gebrochen werde, kein Zierrat und kein Schnörkel, und kein kecker Jüngling über Stand und Rang hinüber danach greife.

Ach so –!

*

Der Sommer verklang wie eine warme Melodie, die leise zwischen den Fingern einer Frau erstirbt, der Herbst mit seinen harten Stürmen kam, das Ufer des Flusses verödete, denn Kälte, Sturm und Regen sind die Feinde des Eros. Vielleicht war es dieses, daß auch die Nachmittagspredigten Krafteneggers an Wucht und Dauer abnahmen, daß er immer weniger Blöcke schleuderte. Was hatte er? Gabs im Winter keine Brennesseln?

Als ich eines Tags wiesenwärts nach Haus ging, schloß er sich mir an. Es schien ihn etwas zu bedrücken. Wortkarg ging er neben mir, versuchte dies und das und machte den Eindruck eines Mannes, der eine Brücke sucht. Warum begleitete er mich wohl? Plötzlich ballte er die Faust. Erbittert schwang er die Worte heraus: »Ein Höllbrocken sind sie, eine Schlangenbrut, ein Misthammel, ein teuflischer, die Weiber –!«

»Ja, was ist denn –?«

Er schien die Brücke gefunden zu haben.

»Ja, stellen Sie sich vor, ich bitt', ich hab sie kaum ang'schaut, nicht einmal ang'schaut, ja, und sie sagt: ich bin der Vater!« Er warf die Fäuste. Er wehrte sich gegen ein unsichtbares Netz von List und Trug wie Mars, als er bei Venus gefangen wurde. Er schilderte das Aussehen der Sommerbraut, die damals einem schlanken Minarett glich, und nun, und nun – »ach Gott, wie ist das möglich? Man kann doch nicht der Vater sein für einen fremden Feldwebel?« Immer wieder kam er auf die Braut zurück, die er treulich bewacht, der er kameradschaftlich zur Seite gestanden habe, damit das Minarett sich nur nicht langweile, »und nun sagt der Höllbrocken – ich!« Kurz, sein Lebensfaden war von Lachesis verwickelt worden, die Erynien folterten sein Gewissen, das ihm so blank entgegenstrahlte, wenn er hineinsah, und ich fand, es war ein feiner, lächelnder Zug, daß die Alten die schicksalbestimmenden Parzen weiblich und nicht männlich dachten.

Kraftenegger war sichtlich gebrochen. Seine Ansprachen entbehrten jetzunder der Flugkraft, wie sie aus der freien Gewalt der Überzeugung kommt, er stieß ein paar Sätze hervor, aber es waren nur mattgeworfene Steine. Und nach einiger Zeit gab er das Schleudern auf und stellte die Predigten ganz ein.

»Feldwebel«, sagte ich zu ihm, »das geht so nicht weiter. Sie dürfen nicht gleich die Waffen strecken! Erstens denken Sie einmal nach! In einer Sommernacht geschieht so mancherlei, und unser Gedächtnis ist eine Schublade, in der man öfter nachsehen muß. Wir sind jetzt unter uns – schauen Sie einmal gründlich nach!«

Kraftenegger sträubte sich zwar und schwor, aber nach einigen Tagen schien er doch nachgesehen und in der Lade allerlei verkramte Sachen gefunden zu haben.

»Also!« fuhr ich fort, »ist das ein Mißgeschick? Auch der Festeste fällt, heißt es im Parsifal, heiraten müssen Sie ja die fremde Braut nicht, wie ich höre, und ein Kind ist doch nicht so schrecklich –«

»Aber ein Fresser ist es … bitte … jetzt, in diesen Zeiten …« Der Gedanke der »Amentierung« schien sich seiner bemächtigen.

»Kraftenegger, Sie sehen die Sache einseitig an. Auf der einen Seite ist ein Kind wirklich ein Mund mehr, ein Fresser, wie Sie sagen; aber von der andern Seite gesehen, ist es nicht auch patriotisch? Nachwuchs, Nachwuchs! Muß ich Ihnen das erklären? Junge Bäume müssen angesetzt werden, wenn der Wald gefällt ist. Das leuchtet Ihnen doch ein? Das will der Staat, das begünstigt er, gewiß, und der Gott, der die Raben ernährt, wird auch den Buben des Feldwebels nicht hungern lassen. Fürchten Sie nichts! Denn Furcht, mein Lieber, ist nur Selbstsucht: als könnte Ihnen der kleine Mund von Ihrem großen Kuchen etwas wegbeißen. Erheben Sie sich darüber, fassen Sie Mut zu Neuschöpfungen und lassen Sie sich von dem Gedanken beseligen, daß des Daseinskreis in jedem neuen Wesen fortgesetzt wird und daß das Leben triumphiert, über Tod und Grab! Und vergessen Sie das eine nie: im Grunde ist es patriotisch – wer weiß! – Sie kriegen dafür noch einmal einen Orden!«

Dies war die erste Ansprache, die ich hielt. Ich weiß nicht, hatte Leopold sie ganz verstanden, aber gewirkt hatte sie; und darauf kommts bei einer guten Predigt an, seit der Karpfenpredigt des heiligen Antonius …

Kraftenegger nahm seine unterbrochenen Palawer wieder auf, und schon am nächsten Tag hörte ich sein Donnerwort in alter Kraft über die Köpfe schallen.

Aber der Text lautete verschieden. »Die Weibsbilder sind höllische Honigbrocken; aber das mit den Kindern ist auf Befehl des Herrn Oberleutnant von heute an anders. Daß Ihr es wißt: Ein Kind ist auf der einen Seite ein Fresser, aber auf der andern ist es padriotisch

Nun also. Wacker, wacker, dachte ich. Und als ich über die Wiese ging, klang es mir noch ermunternd nach: »padriotisch – padriotisch –!«


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