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Einmal muß doch Frühling werden …

Selig der Mann, der überwunden hat. Nun sie hinter mir liegt, die schreckliche, die kohlenlose Zeit und Phöbus wieder warm vom Himmel lacht, läßt sich darüber sprechen. Die Dinge müssen immer erst Erinnerung werden, damit sie schön seien, und ich bedaure nur, daß sie nicht gleich als Erinnerung auf die Welt kommen. Kurz, eines Tages standen meine Öfen kalt und mürrisch wie Geheimräte, die man zu früh in Pension gesteckt hat, wie Generale, die noch in voller Kraft wären, wenn man sie nicht abbestellt hätte, und es blieb nichts übrig, als ins Badezimmer zu flüchten, wo sich ein kleiner Gasofen befand.

Dieser Gasofen ist ein schmächtiger Jüngling. Selbst bei der größten Anstrengung vermag er nicht mehr als die Badekammer zu wärmen, die Begabungen sind ganz verschieden stark, und eine sanfte lyrische Natur wird einen kleinen Kreis von Genießern entzücken, aber kaum den Erdkreis überstrahlen wie Homer und Shakespeare. Trotzdem hockten wir vier um diesen allzu feinsinnigen Lyriker herum, dessen kleiner Rachen kupferig glühte, als sei es Daniels glühende Esse. Es war die Flucht- und Feuerstelle. Man siedelte sich an, aß hier, trank, nächtigte soweit es ging – und bemühte sich, in dieser gemäßigten Zone durchzuhalten.

So weit hatte ich's gebracht. Wer im Frieden zur Sommerszeit in München war und sein Ungemach an der Hand der Überfüllung gemessen sehen wollte, erzählte, um Eindruck zu machen: »Denken Sie, ich mußte im Badezimmer übernachten …!« Nun war ich selbst eine Art Trockenwohner geworden. Und wenn ich mein Unglück schildern, mein Nachtlager in der weißen Wanne anschaulich machen wollte, sahen mich meine Bekannten der Reihe nach mit erstauntem, kühlem Mitleid an: »Ja, haben Sie sich denn nicht im Juli um Briketts umgesehen …?« Ich hatte mich im Juli nun nicht danach umgesehen – allein, ich beschloß von nun an, die neue Sommer-, und Winterzeit einzuführen und Manilahüte im Dezember und Schlittschuhe im Mai zu kaufen.

So kam der Gasofen zu Ehren. Er ist, Sie können mir glauben, nur ein Ersatz. Er vermag es nicht mit einem krachenden, spuckenden Kachelbruder aufzunehmen. Ein Kachelofen ist die echte wahre Liebe, sie erhält sich kraft der trägen Treue, auch wenn die Kohlen der Jugend längst erloschen sind. Sie ist rührend in ihrer Dauer, und in ihr schwingt etwas vom deutschen Idealismus. Eine Gaswärme ist dünn und hält nicht vor. Ichsüchtig wärmt sie nur den Ofen selbst, verflüchtigt sich und ist eine untreue Wärme, aufrichtig nur in ihrer Untreue: Kaum hast du einmal den Hahn abgedreht, so zieht es schon fröstelnd durch die Poren in dein Mark, und du merkst die Kälte und Einsamkeit einer Welt, vor der dich die deutsche Hausfrauentreue stets bewahrte. Der Gasofen ist eine Kokotte vom Boulevard, verlangt viel und bietet enttäuschend wenig …

Als ich so vor dem Ofen hockte, hatte meine Familie Blicke für mich, die ich bis ins Innerste stechen fühlte. »So weit hat uns dein Leichtsinn gebracht …« Ich sah schmerzlich, daß die Wotan- und Fricka-Szenen nicht bloß Bühne seien, nicht angenehm auf die Oper beschränkt blieben, und wies an der Hand unserer Zeitung darauf hin, daß auch die Leute in Paris frören. »Eine fanatisierte Menge von 5000 Menschen«, las ich vor, »stürmte die Kohlenläden und raubte die Säcke …« Mich befriedigte das ungemein. Zwar war es mir nicht leicht möglich, zu einer fanatisierten Menge anzuschwellen und für die Meinigen auf Raub auszugehen, wir sind viel gesitteter und besser, aber es erhebt uns doch, wenn man Mitfrierer kennt. Das menschliche Herz fühlt sich immer geweitet, wenn es den andern auch schlecht geht, ja, ich verstand die tröstende Schadenfreude, die Jupiter empfand, die ausgleichende, als er von seinem Zeitgenossen Wotan hörte, daß auch er verheiratet sei.

Unsere Lage im Wigwam gestaltete sich jedoch bedrängter, als eines Tages die Hausmeisterin mit einer Hiobspost erschien: das Wasserleitungsrohr ist gebrochen, die Treppe überschwemmt … Sie ließ diese Nachricht durch eine geschickt angebrachte dramatische Pause auf mich wirken und deutete halb anklagend, halb mitleidig auf Flecken, die sich oben an der weißen Zimmerdecke wie auf einer bisher blanken, nun aber getrübten Ehre zeigten … Da ich an der Transportkrise schuld war, nach den Blicken meiner Familie zu schließen, so war ich auch an der ausgebrochenen Wasserfülle schuld. Es liegt dies im Wesen des Familienvaters, daß er die Unfälle zu verantworten hat, ich wußte dies gleich, der sommersprossige, lateinschwache Sohn kommt auf seine geistige Rechnung, die hübsche, hochkünstlerische Tochter auf die Habenseite der Mama. Der Papa ist der älteste, und da er langer klug ist als alle andern, so hat er sein bißchen Verstand eben schon vergessen, während die jüngere Gattin davon noch ansehnlichere Vorräte besitzt. Ich sah also die Zeigefinger der Erynien auf mich gerichtet, fühlte mich in die Rolle Friedrichs des Großen gedrängt, der vor der Schlacht, nachlässig genug, horazische Oden las, ohne aber wie er durch die gewonnene Schlacht irgendwie entschuldigt zu sein. Gegen die Meinen habe ich noch jeden Krieg verloren. Ich sah rasch in der Zeitung nach, ob vielleicht auch die Pariser durch Wassereinbrüche überschwemmte Treppen und Rohrsprünge in ihrer Lage beeinträchtigt worden seien – aber diesmal zeigte sich ausnahmsweise, daß sie davon verschont blieben, und es gelang mir nicht, die tränenumflorten Augen der Meinen durch Hinweise zu trocknen. Das Kriegsglück war gegen mich. Wir hatten kein Wasser, wir konnten nicht an ein Frühstück, geschweige denn daran denken, unsre edlen Antlitze in der Wassermuschel zu spiegeln, kurz, wir versanken sogleich in die Barbarei der geschwärzten Hälse und sahen, wie nahe der Mensch dem Urzustand lebt: ein gesprungenes Rohr, und die Kultur ist entzwei.

Kein Feuer, kein Wasser. In dieser Not versuchte ich Klavier zu spielen, um durch die Macht des Gesanges … allein – lassen Sie mich diesen Augenblick nicht ausführlicher schildern. Die Finger froren mir an den Tasten an, der Hauch der Melodie erstarrte in der Luft zu Eiswolken, und es bedurfte der widerwilligen Anstrengungen der Meinen, mich aus dem Klavierzimmer loszueisen, aus der ultima Thule meiner Wohnung zu befreien und mich an der Feuerstelle wieder auftauen zu lassen. Dies geschah nicht ohne Betrachtungen über meinen Musikantenleichtsinn, der die Familie schon an den Rand des Abgrunds gebracht, diesmal ihres Ernährers beinahe beraubt hätte, was die Umstehenden nicht gerade meinetwegen betrübte: ich war ja mehr als entbehrlich. Ich war geradezu die Hemmung eines behaglichen Lebens, aber ich mußte dennoch erhalten bleiben wie ein Pufferstaat oder eine Senkgrube.

Ich suchte den Meinen zu beweisen, daß Kohlenverbrauch höchst unökonomisch ist. Ich bitte, in der Kohle liegt eine Arbeit von Jahrmillionen aufgestapelt, und die verschwendet ihr? Mit jedem Kohlenbrocken verfeuert ihr Zeiträume von Jahrtausenden, die alle durch die Kamine in die Welt fliegen und nutzlos der Erde Luftmantel erwärmen. Kohle ist geradezu unpatriotisch, und die nichtliefernden Kohlenhändler sind Patrioten, weil sie die nötigen Wärmemengen potentiell – ich bitte: potentiell – für alle nach uns aufsparen. Komme mir noch einer, die Kohlenhändler seien nicht Erzpatrioten! Nicht geradezu die Sparkassen des Vaterlandes! Nach dieser Rede, die mich einigermaßen in Hitze brachte (ein nicht zu unterschätzender Vorteil), schien ich mehr Geltung im Schoß der Familie erworben zu haben. Temperament macht immer Eindruck. Mehr noch hatte der Ausdruck »potentiell« gewirkt. Ich habe immer gesagt, man solle gegen die Fremdworte keinen Vernichtungskrieg führen. Ein Fremdwort ist wie eine Zauberflöte, mit der du die dich rings umzüngelnden Schlangen der Feindschaft, des Neides, des Hasses beruhigen kannst. Der Mensch oder die Schlange – es ist einerlei – glaubt immer daran am stärksten, was nicht zu verstehen ist.

So hatte ich mich denn einigermaßen wieder »rehabilitiert« (mit Absicht angewendet: rehabilitiert, prächtig!) – als ich plötzlich durch meine Zeitung aus den Wolkenhöhen olympischer Würde wieder zur Erde geschleudert wurde, wo alle Familienväter entgötterten Titanen gleich sich zu dieser Zeit befinden. Ich hatte eben nach einer neuen Pariser Schreckensnachricht gesucht und gefunden, daß ihnen dort die Makkaroni ausgegangen seien – geschieht ihnen schon recht! –, als ich mit bleichem Erbeben eine Kundmachung las: daß niemand mehr seinen Gasofen heizen dürfe. Niemand … Diese wenigen Zeilen löschten die letzte Flamme der Hoffnung in meinem Herzen und in meinem Badezimmer aus … Ich versteckte die Zeitung vor den Meinen, denn sicher häufte dieser neue Zwischenfall die Schuld, die ich schon auf meinem Haupt gesammelt hatte. Ich gab mich vertrauensvollen Gedanken hin. Die Behörde, die mit liebenswürdigen Mienen wie ein Mendelssohnsches Lied ohne Worte bei mir erschienen war, um sich nach meinen Fleischverhältnissen zu erkundigen, die ihre Blicke über die leere Kochtopfarmada auf dem Herd und die Teller auf dem Tisch gleiten ließ – diese Behörde, sagte ich mir, kommt sicher mit dem gleichen Mendelssohnschen Lächeln zu dir und erkundigt sich nach deinem Kälteüberfluß, deinem Kohlenmangel. Gewiß. Sie gleicht aus: Wenn sie unbefugte Bratenesser an den Pranger stellt, so hebt sie die befugten Frierer aus der Menge heraus, veröffentlicht ihre Namen in der Zeitung oder auf einer Tafel im Rathaus und gibt sie der allgemeinen Bewunderung preis. Ein Frierer ist an sich patriotisch (wie der Kohlenhändler), denn er vermehrt durch sein Verhalten die Wärmeschätze des Landes, die Kohlenvorräte der Nation und damit auch die allgemeinen Gemütskräfte. Außerdem fühlt er sich sittlich, glücklich und gestärkt durch eine Autarkie, die es allen anderen erleichtert. Allein, ich muß gestehen – diese Belohnungskommission kam nicht. Ich wartete einen Tag beim Guckloch der Eingangstür, freute mich im voraus über die lobenden Mienen, die sie machen würden, falls sie die vaterländische Kälte beim Eintritt bemerkten – jedoch nichts dergleichen geschah, und ich habe nur den juristischen, den ideellen Anspruch auf öffentliches Genanntwerden, auf den Kohlenorden, habe ein gutes Gewissen und eine freie, freudige Seele.

Die Meinen, die mich wartend stehen sahen, hatten freilich nur das bekannte geringschätzige Lächeln für mich, das Familienväter gewohnt sind, ohne mich jedoch in meiner Idealitätstreue im geringsten irremachen zu können. Schließlich wurde ich durch eine Explosion in Paris getröstet und erhoben, denn wenn ich mir vorstellte, daß mein Gasofen explodiert und ich samt der kümmerlichen Feuerstelle, samt meinen Treuegefühlen in die Luft geflogen wäre, so kam ich mir geradezu geborgen im Schoß eines Landes vor, das dafür sorgt, daß die Gasöfen der Bürger selbst in den schwersten Zeiten nicht zersprangen; ja, ich begriff plötzlich intuitiv (ich bitte: intuitiv), wie vorsorgend die Verfügung war, die uns nahelegte, den Gasofen nicht mehr anzuzünden. Gewiß. Man konnte nicht wissen. Auch der liebevollste Staat kann nicht ahnen, wie es im Herzen eines Gasofens aussieht, und darum ist es besser, von vornherein die Hähne abzudrehen.

Und zuletzt kam denn auch richtig der Sonne hervor. Sie war von den Zeitungen vorhergesagt worden und traf wie alle Prophezeiungen pünktlich ein. Die Meinen hatten zwar nach einigen Erfahrungen der letzten Zeit daran gezweifelt; allein ein Entrüstungsblick von mir schüchterte die Kleinmütigen ein, ich verwies auf Uhland (»Und dräut der Winter noch so sehr« …) und sie verstummten endgültig, als sie sahen, daß es wirklich Ende Februar wurde, daß es in dieser Welt noch Monate gab, die ein Ende fanden, woraus sie schlossen, daß es auch solche Jahre und längere Zeiträume geben müsse. Noch regierte nicht die Unendlichkeit. Und so versöhnten sie sich wieder mit mir, Phöbus war da und küßte uns alle, er strahlte, es taute, die Öfen verloren ihren Sinn, zu Quinquagesima zersprungene Rohre wurden geflickt wie unsere Ideale, und meine Tochter äußerte anerkennend zu meinem Sohn: »Der Vater ist doch nicht so dumm, er hat es ja immer gesagt …!«


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