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Der Operettentext

Wieder einmal saß Josef Maria, der Familienlump, an meinem Schreibtisch und quälte mich um einen Operettentext.

»Etwas für die Zeit, weißt du, die Leute wollen lachen, sie wollen aus diesem Leben bei der Hintertür hinaus –!«

Er zog seine feudalen Manschetten vor und rieb sich die Hände.

»Also los, mein Lieber. Das ist doch nicht schwer! Vierzehn Tage Arbeit und dann –« – er schnalzte mit den Fingern und schilderte den goldenen Strom, der aus der ganzen Welt, von Sonnenaufgang – bis Sonnenuntergang strömen werde. Es gab nicht Töpfe genug, ihn aufzufangen, er kaufte einen Kraftwagen, wir stiegen ein, er baute eine Wiener Villa, möblierte sie, stellte mich ans Klavier, sich daneben, lud einen Photographen ein: die beiden Meister an der Arbeit …!

»Das macht Eindruck auf die Familie! Und alles in vierzehn Tagen, auf Papier um zwanzig Heller!«

»Josef Maria«, sagte ich, und kratzte mich mit dem Mittelfinger auf dem Scheitel, »wie stellst du dir das vor? Du lebst in Wien, ich hier – war je eine Ehe fruchtbar, bei der die Gatten 250 Kilometer auseinanderlebten? Operette! Jedes Wort will da aus der Gemeinsamkeit geboren sein. Operette ist geradezu das Schwerste! Viertausend Augen einen Abend unterhalten! Ohne Ausrede auf Tiefsinn! Operette! Da ist alles verquer! Man muß beim Finale anfangen, jeden Akt von hinten dichten; aber sie müssen doch von vorne einen Sinn geben –«

»Sinn? Ich höre immer: Sinn? Nur keine Schwierigkeiten, bitte! Keine Schwierigkeiten! Was sagst du zu einer historischen Operette? Geschichte kennen sie doch nicht. Es sitzen ja nicht lauter Privatdozenten drinnen – und – sag einmal – ich hatte eine glänzende Idee! Fidelio, zweiter Teil! Was sagst du? Spanien ist neutral. Spanien hat Kostüme, es kommt kein Schuß vor – das mochten sie schon im Frieden nicht – und alles geht wie von selbst. Was sagst du? Du bist gegen Fortsetzungen? Lieber Freund, gerade das ist beliebt. Alle Romane erscheinen jetzt in Fortsetzungen, und die Leute haben die Fortsetzung lieber als den Anfang – man könnte sich den Anfang überhaupt sparen – warum nicht auch bei Operetten. Mein Gott, wie viel Operetten sind nicht geschrieben worden, die nichts als Fortsetzungen waren! Rossini pflegte bei neuen Opern immer den Hut in der Hand zu halten, um alle Bekannte gleich zu grüßen. Aber, Spaß beiseite, ich bitte –: Florestan tritt auf, hohläugig, abgemagerter als je. Arie: O, hätt' ich dich nie gesehen! Dann Leonore, Typ der fetten Familienhenne, wütend, drei zeternde Rangen. Er läßt den Kopf sinken: »Warum hat sie mich befreit …! Warum mich nicht im Staatsgefängnis sitzen lassen – Wie? Nicht lustig? Ach, du hast keinen Humor!«

»Ich glaube, unser Strafgesetz hat eine Lücke. Es verbietet die Majestäten auf der Bühne, hat aber Beethoven und die andern Könige vergessen …«

»Mit dir ist nicht vernünftig zu reden …«

»Nimm doch einen deutschen Stoff! Unsre komische Oper jagt seit zwanzig Jahren dem Humor nach und kann ihn nicht fassen. Stell' das Volk hin, das gute, treue, fröhliche Volk, wie es in den alten Bettleropern stand, laß die Eichen rauschen, die Linden duften! Aus dem Volk – ins Volk!«

»Ach, Eichen, Linden, das mögen sie nicht. Was hältst du zum Beispiel von einem bulgarischen Stoff? Gehn wir nach Bulgarien! Bulgarien war noch nicht da, Bulgarien ist tapfer, aktuell; Bulgarien hat Kostüme, der Export entwickelt sich, kurz, ein sympathisches Land. Und das Land muß den Leuten sympathisch sein, sonst ist alles für die Katz –!«

»Lieber Josef Maria, Bulgarien? Ich würde mich nicht so auf Geographie festlegen. Geographie ist wie Wasser, fließt heute hierhin, morgen dorthin, je nach der Neigung, die einen Völker rutschen aus der Sympathie heraus, die andern hinein, sie merken es gar nicht und sind schon unsympathisch. Schau dieses Buch … Schulgeographie für östereichische Mittelschulen … Lies nur, was hier – hier siehst du, Seite 27 – über die Türken steht: faul, unfähig, vorkommen, raubsüchtig und alle möglichen andern Tugenden. Das war der Türke von 1913, aus welchem Jahre die Schulgeographie meines Sohnes stammt. Ich will darüber einmal ein Aufsätzchen schreiben. Und heute ist der Türke gar nicht wiederzuerkennen! Also mit der Landkarte, mein Lieber, ist nichts zu machen. Lassen wir Bulgarien!«

»Ach, wie du willst! Nur keine Schwierigkeiten! Ich brauche einen Stoff, farbenkräftig, kostümiert, das Bilderbuch, als Hintergrund, auf dem die gut verwickelte Anekdote steht.«

Ich beugte mich plötzlich vor. »Was würdest du also zu einem italienischen Buch sagen? Bulgarien kenne ich nicht. Aber nehmen wir die silbergrauen Oliven, die Erlenbäche, die Römerbrücke, den gelben Strand, die Badehütten am blauen Meer von Rimini, den Titanenberg von San Marino als Hintergrund – das alles steht schon fertig in mir – eine Prachtdekoration – ich brauche sie nur herauszustellen. Und die Handlung? Kommt auch ganz von selbst. Meine alte Badefrau von Rimini. Ihr Großvater war Radetzky-Feldwebel, die Familie spaltet sich, die eine Linie optiert für Italien, die andre geht nach Wien zurück – das ist die Vorgeschichte und nun –: welche Szene, wenn die alte Nina unter ihren Wiener Badegästen plötzlich ihren Enkel entdeckt, den österreichischen, und nun die eine Linie, die ganze andre zu lieben beginnt! Welche Verwicklung! Eros unter den Völkern! Und das soll den Leuten nicht sympathisch sein? Wie? Haben nicht Zehntausende Italien ihre Wahlheimat, ihr Bildungsvaterland, ihren Lebenstraum und ich weiß nicht wie genannt? Dahin – dahin –!

»Ja,« rief ich, von meiner Idee hingerissen, »es wäre mehr als ein Buch, es wäre vielleicht eine Tat! Ad atti egregi è sprone amor, chi den l'estima, e d'alto affeto mæstra la beltá – schreibt Leopardi an seine Schwester zur Hochzeit, und ich sage dir – –«

Er stand auf und ging durchs Zimmer. Mit kühler Stimme dämpfte er meine Glut. »Unsere Familie hat recht: Du bist nicht ernst zu nehmen. Aus dir wird im Leben kein Librettist. Italien! Höchstens als Räuber- und Gipsfigurengegend denkbar. Leopardi! Barbiere mit der Carbonari-Seele. Ich bitte dich! Man würde uns – nee – Italien, aus–ge–schlossen! Die reinste geographische Unmöglichkeit. Man würde uns auspfeifen, wenn wir dahin –«

»Lieber Josef Maria, das glaube ich nicht einmal. Ich könnte dir von Landsleuten erzählen, denen Italien das sympathischeste aller Länder ist, gerade jetzt. Es kommt nur darauf an. Siehst du, da ist mein Fall. Ich bin, du weißt ja, ein alter Wiener, nicht wahr? Und lebe in der Fremde. Ovid am Pontus, wobei du auf den Ovid kein zu großes Gewicht zu legen brauchst. Mir geht es ja vortrefflich am Pontus, und es sind herzlich gute Leute, die mich umwohnen, meine Ponter. Aber, wie das schon ist, wer hätte nicht gern heimgefunden in die Stadt seines Herzens, wen überkommt nicht hie und da die Lust, durchs goldne Abendrot nach Haus zu fliegen? Es gibt Ritter, die froh sind, wenn der Kreuzzug so lang wie möglich dauert, und andre, die sein Ende nicht erwarten können, um heimzureiten, zur blonden, herzlieben Frau, hinzuknien wie ein Minnesänger, das Haupt zu beugen und die Stirn dem Kuß zu bieten – – nun, ich wollte der heimtrabende, der ans Herz gedrückte Ritter aus der Fremde sein, ja ich ließ mich's ein ganzes Buch kosten, worin ich zwitscherte und trillerte – aber umsonst. Sie hörte nicht, ich trillerte vergebens. Ich möchte sagen, der kalte kosmische Raum zwischen den Sternen ist von unendlich vielen heißen Sehnsuchtsbahnen durchkreuzt, Kometen der Sehnsucht, die ins Ewige hinauslaufen und ihre Wärme nutzlos, zu einem verschleierten Zweck zerplatzen lassen. Auch meine ist darunter. Gut. Da besuchte mich eines Tages ein Schriftgelehrter, Wiener, gleich mir, alter Schulfreund, und dem vertraute ich mich – o Torheit! – an. Man kann mit seinem Herzen alles machen, nur öffnen darf man es nicht: unsre Gefühle liegen plötzlich da wie Ausschußware. Also, mein Schriftgelehrter – er fuhr sich in die Haare, rechts und links, starrte mich an und beschwor mich geradezu, nachdem er seine Fassung wiedererlangt: Was mir denn eingefallen sei. … Er war entsetzt, sah ich mich ins Unglück rennen, und pries sich glücklich, im letzten Augenblick gekommen zu sein, um mich am Zipfel noch zurückzureißen, meiner Seele Heil zu retten. »Wien!« Er bevölkerte die Wiener Zeitungsstuben mit ganzen Büscheln von Musikschreibern, traubenweis klebten sie darin, er setzte ihre Gehälter auf Hungerlöhne herab, ließ mich den Zug dieser hohläugigen, ausgemergelten Florestangestalten, die um Arbeit bettelten, erblicken, er schilderte die großen Raubtiere, die sich Chefs nennen, er errichtete Zäune um meinen Bahnhof, verhinderte mich an der Abfahrt, stand jenseits und hob beschwörend die Hände, ja es schien, der Wiener hatte geradezu Furcht vor meinem Einmarsch in die Stadt. Und er verwies mich, der ich schon in den blauen Donauwellen plätscherte, hinweg, in die Weite der Welt, Wien sei meines Talents gar nicht würdig, er behauptete, ich gehöre nach – nach – der Name fiel ihm nicht ein, es gab gar keine Stadt, die bedeutend genug war – »du mußt nach – – –« Nach Rom, sagte ich, nicht wahr?, nach Rom und Paris! Das schien ihn sichtlich zu erleichtern. Ja! Rom … Paris …! – Nun siehe, lieber Josef Maria, das war ein Wiener, und ein echter. Wie selig wäre er gewesen, mich bei der Stampa, beim Corriere, mich hinter einem Drahtverhau im italienischsten Italien zu wissen …! Daher – man kann nicht wissen – ich meine – es kommt nur auf den Standpunkt an –«

Josef Maria legte seine Zigarette weg und nahm energisch seinen Hut. Er blies ihn ab. »Mit dir ist nichts zu machen. Ich suche eine Operette und höre Privatgeschichten von der großen Sehnsucht. Auf Wiedersehen! Du bist selbst eine Operettenfigur!«

Danach ging er. Und nahm alles mit sich, Hoffnung und Traum. Der Goldregen hörte auf. Es wurde ganz trocken. Ich stieg aus dem Kraftwagen und ging zu Fuß. Die Villa stürzte ein. Kein Photograph, kein Meisterbild, kein Familien-Ansehen! Und der alter Stefansturm, den ich heimlich umarmt hatte, dreht sich um und trat wieder in den Nebel der Ferne. So viel Menschen gab es in Wien, es war kein Platz mehr. So blieb mir nur der Trost der Durchgefallenen: die Stadt war meines Geistes nicht würdig. Nein, nicht würdig. Ich verachtete die Stadt. Und das war das Ende meiner Operette.


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