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Der Familienausflug

An schönen Hinterlands-Sonntagen findet das Friedensfest statt, worauf ich mich schon die ganze Woche freue. Wie sehr – ist daraus zu ersehen, daß dieses Friedensfest der Familienausflug ist … Für halb zehn ist Konzentration aller Liebe und Freundschaft auf dem Geidorfplatz angesagt, aber wir treffen gewöhnlich später zusammen, weil so viele Damen mit von der Partie sind. Dieser Familienausflug verdankt sein Entstehen dem temperamentlosen Hugo, meinem Schwager, der ihn erfunden hat. Und mein Schwager verdankt sein Dasein, seine Stellung in der Welt und in der Familie wieder dem Umstand, daß er immer gefolgt hat. Er ist schütterblond und hat schon im Gymnasium gefolgt, als man ihm die Liquidastämme beibrachte, ohne die der Mensch nicht weiterkommt und den schönen lebensvollen Satz: »Weihgeschenke geziemen den Göttern, den Seelen aber Besonnenheit.« Nach diesem hellenischen Grundsatz verfuhr der temperamentlose Hugo: er hat seiner guten Mama immer gefolgt, er hat seiner guten Frau immer gehorcht. Und vor allem der Schwiegermutter … Seine Seele war voll Besonnenheit, weshalb er es auch zum Staatsbeamten brachte. Er ist »Rat« und kommt immer um zwei nach Hause. Er wirkt auf die Familie wie Baldriantropfen, wie Veronal. Hugo ist es, dem der Familienausflug seine Existenz und Blüte verdankt. O, ich freue mich schon die ganze Woche.

Der temperamentlose Hugo ist der einzige, der um halb zehn da ist: in seinem schönen schwarzen Kaiserrock. Mit einer korrektheitstarrenden schwarzen Krawatte. So gegen zehn kommt jedesmal die Tante Henriette hinter dem Onkel Alois, mit dem sie streitet, so weit sie ihm nachkommt. Der Onkel wurde vergeblich auf den Alois getauft … und trägt eine Kapaunenfeder am Zylinder. Seit einiger Zeit erzählt er nämlich, daß Kapaunenfedern ein schöner Schmuck seien. Aber es geht die Sage, daß die Feder ihm zum erstenmal heimlich von seinem Sohn Heinrich auf den Zylinder gesteckt wurde, als Alois einer neuen Witwe des Hofmachens wegen auflauerte. Als die Witwe die Kapaunenfeder sah, bekam sie ein heftiges Gesichtszucken und mußte prusten. Und Onkel Alois kam an diesem Tage nicht zum Erobern. Der Sohn Heinrich aber stellte sich in eine Ecke und griff öfter nach seinem Knie, als ob er sich massieren wollte. Vom Rücken aus gesehen, machte es den Eindruck, als ob er lache. Also die Tante Henriette erscheint hinter dem Onkel und sagt: »Sixt, i hab's glei g'sagt!« In dem Augenblicke, wo sie auf dem Platze angekommen, ist nämlich die Trambahn abgefahren, und die Tante, die die Trambahn mit dem Schirm vergeblich zurückwinkt, zankt den Onkel aus, »weil seine Brodlerei an allem schuld ist.« Er ist aber gar nicht schuld, denn Trambahnen fahren immer davon. Trambahnen sind tückische Wesen, die nur darauf lauern, davonzufahren und von der Plattform zurückzulachen. Haben Sie schon eine Trambahn erwischt? Ich nicht. Der Onkel Alois auch nicht. Überdies leidet der Onkel ganz unschuldig, denn die Tant' ist wie gewöhnlich mit dem Anziehen nicht fertig geworden. Haben Sie schon erlebt, daß eine Dame mit dem Anziehen fertig wurde? Ich nicht. Der Onkel Alois auch nicht. Aber die Tante ist im Recht, sie betrachtet ihn als ein destruktives Element, er ist an allem schuld. »Six, i hab's glei g'sagt …«

Gegen elf waren wir alle beisammen, bis halb elf waren alle Damen der Familie angezogen, die Wohnungsschlüssel versteckt, den Dienstmädeln noch einmal das Nötige auf die Seele gebunden worden. Alle waren da, auch Hugos Frau mit dem kleinen Peperl und mit der Fritzl, die auf Operette studiert. Nur Josef Maria, der Familienlump, fehlte. Josef Maria wird nämlich von allen Cousinen der Familie ängstlich ferngehalten, namentlich von Fritzl. Er ist der Skandal der Familie, aber ein Zeugnis für ihren Schwung und ihr Temperament. Eine Familie, die keinen Lumpen hat, hat kein Temperament, und so lagert heute Hugos Geist über dem Fest: er ist wie ein modernes Feuerzeug, das niemals brennen will …

Endlich sitzen wir. Die Schwiegermuter suchte zu schwindeln, indem sie für Ida ein Tramwayalter konstruierte und dem Kondukteur beweisen wollte, daß sie erst neun Jahre alt sei. Aber der Kondukteur … nein, bevor noch der Sohn Heinrich dem Kondukteur zuflüsterte: »sie ist schon sechzehn«, hat sich Hugo ins Mittel gelegt, denn seine k. k. Rechtlichkeit war stärker, als seine Folgsamkeit; er zahlt, und mogelt dem Kondukteur vor, daß die Schwiegermutter nicht mogeln wollte …

In der Trambahn mußten wir alle schweigen, denn Pepi war hier in den Vordergrund gerückt. Er ist das Wunderkind der Familie, und sein Vater Hugo versicherte jedesmal: »Mein Pepi, sag ich euch …!« Diesmal erzählt er ein neues Wunder von Pepi. Dem lieben Kleinen war nämlich zum Geburtstag eine Knödelsuppe versprochen worden. Als aber die gute Mutter die Suppe auftrug, sagte Pepi: Ich bitt dich, das sind ja gar keine Knödeln. Das sind ja Nockerln …! »Denk' dir nur die Gescheitheit! Kennt das Kind Knödel und Nockerl auseinander! Ein Genie! Nein, sag ich dir …« Ich war starr. Ich fühlte mich ordentlich klein werden vor dem genialen Pepi, der eine braune Lederquatschbirne in der Hand hielt und damit immer nach meinen weißen Hosen zielte. Beim Mittagessen – ich greife hier vor – warf mir Pepi erst das Rastel in die Suppe, dann das Salzfaß und zuletzt die ungelösten Reste der Quatchbirne, woran er gesogen hatte. Und Hugo wurde ersichtlich bös, als ich die Suppe stehen ließ. Die Schwiegermutter aber himmelte, während sie gereizt die Daumen umeinanderschwang …

Doch ich will nicht vorgreifen. Wir landeten bei einem der zahlreichen Sonntagswirte, die unter dem Namen Schuster- oder Schneiderwirt am Waldrand und Bachesrand die Arme öffnen. Wir füllten einen ganzen Tisch aus, er war besetzt wie ein amerikanisches Freudenrad. Die Tante Henriette wollte aber nicht auf einem Rohrsessel sitzen, denn sie ist eine Zuglufttante. Sie fürchtet nur den Tod und den Zug und – also jetzt wird man glauben, es kommt ein Roman – sie mag nicht auf Rohrsesseln sitzen, weil es da hineinzieht … Es ist aber wahr, kein Roman. Endlich hatte sie ihr undurchlässiges Stockerl bekommen und zankte mit dem Onkel Alois, weil er in der Früh zu spät gekommen sei, denn wenn er zurecht gekommen wäre, hätten wir jetzt einen viel schöneren Platz, sagte sie. Dann war auch ihre Schwester da, die schmutzige Alexandra. Das ist die Verwandte, die sich kostenlos ernährt. Sie kommt immer »auf einen Löffel Suppen«, bleibt aber gern bis zum nächsten Frühstück da, und am Sonntag muß sie mitgenommen werden. Alexandra ist bei Geschäftsleuten sehr beliebt, denn sie veranstaltet alle Augenblick eine Wohltätigkeit. Sie begibt sich dann in die Geschäftslokale und setzt den Überfallenen einen zuckersüßen Revolver an die Brust, und die Leute können nichts tun, als unter sauerm Lächeln zusehen, wie Alexandra sie für ihren Basar ausplündert.

Nun wollte Hugo einen Kalbsbraten bestellen, aber seine Frau ließ es nicht zu. Mir ging es ähnlich: ich kann mir bestellen, was ich will, es ist immer falsch und es schmeckt nicht. Ich hatte heute einen guten Geschmack auf saure Nierndeln auf der Zunge. Als die Tante Henriete von sauren Nierndeln hört, sagt sie: Wie kann man denn Nierndeln essen, der Mann hat einen Gesch mack …! und sah alle der Reihe nach an. Die Schwiegermutter fiel auch ein: Ich misch' mich grundsätzlich nicht ein, aber das muß ich dir schon sagen, – saure Nierndeln … meine Tochter verträgt diese ottinären Sachen nicht! Ich bestand aber darauf. Sie erklärte jedoch, daß diese Speise niemals frisch ist, weil diese Speise immer drei Tage alt ist, und es erhob sich eine Wechselrede über das Alter von sauren Nierndeln. Der Kellner wurde vom Zuhören neurasthenisch. Aber er lächelte sich in Trinkgelderhoffnungen hinein. »Kanz frisch,« versicherte er strahlend, »kanz frisch, von heut in der Früh!«

Nach einer Weile aber kam der Kellner zurück und strich die Nierndeln aus der Speisekarte. »Kann leider nicht mehr dienen …« Und die Tant' Henriett' jubelte aus: »Six, i hab's glei' g'sagt …«

Der Tag war warm, die Schwiegermutter schwieg, denn sie trank, auch die wohltätige Alexandra schwieg, denn sie hatte ebenfalls Arbeitszeit, und das saure Nierndelgespräch verebbte wie ein Adagio im Pianissimo. Es war nach Hugos Gefühl eine rechte Tarockierstimmung in der Natur, die Zeit nach dem Essen, mit der kein Mensch etwas anfangen könne, wie er versicherte: eine rechte Hemdsärmel- und Gähnezeit, und die Sonne liebte um diese Stunde die Erde und die Familie mit all ihrer Glut. Die Damen sprachen vom Dienstmädchen, und es schien, als ob alle das gleiche Dienstmädchen hätten, denn sie sagten alle dasselbe, und es hörte sich an wie das Geklapper leerer Mühlen … Wir hatten gegessen, sahen in den philisterblauen Himmel, und nur der Onkel Alois fehlte. Der Onkel Alois, der Sohn des erotischen Großonkels und Vater des Familienlumpen Josef Maria, hatte sich unter einem glaubwürdigen Vorwand entfernt und drückte unterdessen eine Kellnerin in die Ecke unterhalb der Terrasse, wo wir saßen. Ich habe früher gesagt, der Onkel sei vergeblich auf den Namen Alois getauft worden; jetzt wird man es verstehen. Denn der Onkel ist nicht wie sein Patron; im Gegenteil, er ist unkeusch, er liebt. Das muß im Blut dieses Zweiges der Familie liegen, wie es ja bei regierenden Häusern öfter vorkommt, daß ein Ast ganz in Liebe fällt. Das Liebesleben des Onkels Alois breitete sich durch den Raum, durch die Zeit aus, er benützte am liebsten die freie Natur, er verschwand hinter Büschen, Bergrücken, in Wäldern, unter Terrassen – wie es kam. Er fand auch immer etwas. Im großen Nachschlagebuch der Frauenschönheit sah er immer eine leere Seite und auf diese setzte er seine Handschrift. Eben war er wieder damit beschäftigt, eine neue Seite auszufüllen, als die Tant' argwöhnisch wurde. Sie schnupperte erst in der Luft herum, als ob es schlecht röche, dann stand sie auf, betrachtete die sonnige Landschaft, lehnte sich auf die Brüstung und plötzlich hörte man einen Schrei, Die Tant' hatte den Onkel Alois gerade erwischt, wie er im Begriffe war, sich der Kellnerin gegenüber unterhalb der Terrasse als reicher Junggeselle auszugeben. Und als Automobilbesitzer. Onkel Alois weiß nämlich, daß die Schillersche Verführerkunst mit Handschuh und Löwenzwinger längst verkracht ist. Er weiß, daß auf Damen von heute ein kleiner Fauchmotor viel anreizender wirkt, und seine Verführungstechnik ist auf dem Grundsatz aufgebaut: verführe durch ein Automobil, was um so richtiger ist, als ja das Auto der Nervendamen wegen erfunden wurde. In dem Augenblicke nun, wo die knochige Hand der Tant' Henriette über die Brüstung hinunterlangte und dem Onkel den Zylinder über die Augen drückte, hätte er von Gustav Maran dargestellt werden müssen, nicht von mir, denn jede Darstellungskunst versagt hier. Man muß es gesehen haben, wie dann die Tant' schnaubend hinabstieg und sich der Kellnerin gegenüber als alleinige Inhaberin der männlichen Zauber ihres Alois aufspielte, wie er dann, einem erschöpften Fragezeichen gleichend, weggeschleppt wurde und seinen heimlichen Knuff erhielt, während er verstohlene Abschiedsblicke über die Schulter zurückzwinkerte.

Unterdessen war die auf Operette studierende Klavier- und Gesangstochter Fritzi auf ein Landklavier gestoßen und begann diesen alten Asthmatiker zu würgen. Dieses steinunglückliche Klavier hatte den ganzen Winter von hellen Wiesen und wolkigen Berggipfeln geträumt, worauf im Frühjahr alle die herumklettern, die im Winter auf den Tasten turnen. Das Landklavier hatte vielleicht einmal von Godowsky geträumt, aber Godowsky war so wenig zu ihm gekommen, wie der Fürst, auf den Fritzi lauerte. … Solche Klaviere haben es überhaupt nicht gut: im Winter stets kalter Tabakrauch vom andern Tag und im Sommer wird Bier hineingeschüttet oder es spielen Jungfrauen darauf … Fritzl sang: »O du wunderschöne Frühlingszeit  …« Das Klavier machte einen hörbaren Raspler und knickte ein. Nur Hugo war befriedigt. Sein Aktengesicht glänzte. Hugo hatte nie geglaubt, daß man Spatzen am besten fängt, wenn man ihnen Salz auf die Schwänze streut. Hat es nie geglaubt, was Felix erzählte, daß man marinierte Heringe in einem Teiche ansetzen muß, um eine Heringszucht zu erhalten. Aber daß Fritzl Stimme habe, das glaubt er. Auch daß sie Klavierspielen kann, glaubt er. Dafür gibt er sogar Geld aus. Fritzl spielte jetzt die Bacarole aus Hoffmanns Erzählungen und wiegt den holden Kopf und hat den Mund offen wie ein Kofferfisch und aus ihrer Bacarole steigt es auf wie verdächtige Blasen aus einem Teich, wie Edelgase … aber Hugo glaubt es: er kneift die Augen zusammen und hört prüfend zu. »Genial! genial!« Er macht ein Gesicht wie Beethoven, bevor er die Neunte zu komponieren begann. Auch seine Frau Sofie wiegt sich im Takt der Bacarole. Von ihr hat Fritzi die große Schönheit. Ach, wenn Sie Sofie früher gekannt hätten! Sie war einst ein schöner Lackstiefel und ist leider ganz aus der Form gegangen, wie alle Lackstiefel. …

Der geniale Pepi hatte sich längere Zeit mit einer sauern Milch beschäftigt. Der Genuß daran wurde nur dadurch unterbrochen, daß ihm der temperamentlose Hugo mit der Gabel ein Brateneck in den Mund schob oder die Schwiegermutter einen Löffel Gurkensalat, die Tant' Henriette eine süße Zwetschke, der Onkel Alois aber eine heimlichrote Zuckerstange. Der kleine Pepi hielt das Glas mit beiden Händen an den Mund, tat hie und da einen frischen Zug und ließ dabei die Augen von einem zum andern wandern … Das Glas hatte bald eine Farbe, daß man nicht mehr ausnahm, was drinnen war; und der kleine Pepi auch … In einem unbewachten Augenblick wurde der junge Mann, dessen Genie durch reiche Spenden belohnt worden war, plötzlich kreidig und griff nach abgelegenen Teilen seiner Persönlichkeit.

Er hatte auf einmal honigglänzende Finger. Plötzlich schreit Sofie, seine gute Mama, auf: »Um Gotteswillen …!« Es scheint kein Honig zu sein. Die Aufmerksamkeit gleitet von Fritzl ab und geht auf Pepi über. Die Fritzl ist künstlerisch verletzt und erklärt, nicht weiterzuspielen, die Bacarole hat ausgewiegt, und Pepi wird ins Freie gebracht, links von der Mama, rechts von der Schwiegermutter. Der Kellner kommt … aber Hugo, dem nun die Zornader auf der Stirn schwillt, versichert amtlich: »Es ist Honig, verstehen Sie, nur Honig! Ein so gescheites Kind wird doch nicht … es ist Honig!« Aber ich glaube, es ist doch kein Honig … amtlichen Schlachtberichten kann man nie blindlings glauben.

So edel vergeht die Zeit. Wie es zum Zahlen kommt, erklärt die Schwiegermutter, ich solle für alle zahlen, »wir werden es später verrechnen …« Das kenne ich. Auch die wohltätige Alexandra schließt sich der Aufforderung und Erklärung an und will auch später verrechnen …

Beim Einsteigen in die Trambahn entstehen Schwierigkeiten. Denn Trambahnen sind tückische Wesen, und wenn sie beim Hinfahren immer davonfahren, so steht beim Zurückfahren immer ein Mann auf der Plattform, der schon früher oben stand und der meine Familie nicht hinaufläßt. Der Mann hat auch eine Familie, auch einen genialen Pepi bei sich, und der temperamentlose Hugo schießt giftige Blicke nach dem feindlichen Sproß, den er für nicht so wichtig erachtet wie den eigenen. Es entstehen Verwicklungen, die das Friedensfest bedrohen, die Luft hängt schwer von Ehrenbeleidigungen, Spannungen wie vor Kriegsausbruch … und die Fritzl fühlt sich durch plebejischen Virginierrauch beleidigt. Sie wird mit den anderen Damen im Innern verstaut, wo eine gesunde Alpenluft wogt. Draußen aber entwickelt sich eine Ehrenbeleidigung nach der andern, und der Onkel Alois, der sich eben an eine Witwe auf der Plattform sachte angedrängelt hatte, von einer Zukunftsliebe träumte und ganz ahnungslos war, erhält plötzlich einen unterirdischen Stoß, der ihn ins Innere schleudert, an die Seite der geliebten Tant' Henriette. Sein Traum ist beschädigt, der Kapaunenzylinder von roher Faust eingedrückt, und er weiß gar nicht, wie er dazu kommt: der Unschuldige ist es, der immer leiden muß … er weiß nicht … aber die Tant' Henriette weiß es: »I hab's ja glei g'sagt,« erklärt sie, »weil du immer zu spät kommst, weil du immer wo anders bist, du, du, du …« und sie sucht nach einem charaktervernichtenden Ausdruck. Was in dem Wörtchen »du« nicht alles enthalten sein kann …! So kehren alle vom Friedensfest heim, gestärkt und gereinigt durch die gesunde Landluft.

*

Ich aber und die Schwiegermutter sind zu Fuß nach Hause gegangen. Die Schwiegermutter geht nämlich im Herbst immer zu Fuß herein. Sie fährt nie. Aus geheimnisvollen Gründen. Und jedesmal muß ein anderer sie begleiten. Diesmal war ich an der Reihe. Es dämmerte schon, als wir die Linie passierten. Mit scheuem Ausdruck sah die unsterbliche Frau vor sich hin. Als sie aber den Finanzer dort stehen sah, lächelte die Unschuldssüße und huschte wie auf Filzsohlen vorüber. Der Finanzer sah ihr längere Zeit nach, dann rief er: »Sie, Sie, hören's? Ja, Sie! Sie mein' ich! Das nächstemal, wenn's wieder einen Hasen schwärzen, dann nehmen's entweder einen längeren Kittel oder einen kürzeren Hasen!« Und mit geübter Hand zog der Mann aus einem näher nicht zu beschreibenden Versteck … an den Ohren einen Hasen hervor.

Das war eines von den Häslein, die die Schwiegermutter alle Sonntag zu schwärzen pflegte. Diesmal hatte sie Pech gehabt und zog ohne Braten ab … Es gab keinen billigen Hasenrücken in dieser Woche, und Tante Henriette, die von dieser Verhinderung erfuhr, sagte: »Six, ich hab's ja glei g'sagt …!«


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