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VIII. Tarascon! Tarascon!

Mittag. Der »Zuave« steht unter Dampf, es geht bald los. Oben auf dem Balkon des Cafés Valentin stellen die Herren Offiziere das Fernrohr ein und treten dann, der Herr Oberst zuerst und dann die anderen nach ihrem militärischen Rang an das Fernrohr heran, um das glückliche kleine Schiff abfahren zu sehen. Das ist der große Moment, das ist die schönste Freude für die Herren vom Generalstab. Weiter unten leuchtet die Reede. Die Verschlußstücke der alten Türkengeschütze, die den Kai entlang eingegraben sind, funkeln herrlich in der Sonne. Die Passagiers drängen sich. Biskris und Mahonesen laden das Handgepäck in kleine Boote.

Tartarin aus Tarascon hat kein Handgepäck, er nicht. Eben kommt er, begleitet von seinem Freunde Barbassou, die rue de Marine herab und überquert den »Kleinen Markt«, der voll ist von Bananen und Pistazien. Der unglückselige Tarasconese hat im Lande der Mauren seine Waffenkiste und seine Illusionen gelassen, und jetzt ist er dabei, nach Tarascon zu segeln, die Hände in den leeren Taschen. Aber kaum ist er in die Barke des Kapitäns gesprungen, als ein großes Tier ganz außer Atem daherkeucht, von dem hochgelegenen Platze stürzt es herab und stracks kommt es in schnellem Galopp auf ihn zu. Das Kamel ist es, das getreue Vieh, das seit vierundzwanzig Stunden seinen Herrn und Meister in Algier sucht.

Als Tartarin es erblickt, wechselt er die Farbe, er tut, als hätte er es nie gesehen, aber das Vieh weiß, was es will. Es zappelt den ganzen Kai entlang. Es ruft seinen Freund, es sieht ihn voll Zärtlichkeit an: »Nimm mich doch mit,« scheint sein trister Blick zu sagen, »nimm mich doch in die Barke, ich möchte weit weg von diesem Arabien aus bemaltem Pappendeckel, dieser scheußlichen Kulisse, weg aus diesem lächerlichen Orient, voll von Lokomotiven und Postkutschen, wo ich – ein Dromedar zweiter Güte – nicht weiß, was aus mir werden soll. Du bist der letzte Törk, ich das letzte Kamel. Wir wollen uns nie mehr verlassen, mein lieber Tartarin, du!«

»Das Kamel gehört wohl Ihnen?« fragte der Kapitän.

»Ganz im Gegenteil«, antwortete Tartarin, der schon bei dem Gedanken, mit einem solchen Vieh Einzug in Tarascon zu halten, zitterte.

Er verleugnet, ohne sich zu schämen, den Genossen seiner Schmach, er stößt mit dem Fuße ab von der Scholle Algiers und gibt der abfahrenden Barke noch einen Stoß. Das Kamel schnuppert nach der Wasserfläche, es reckt seinen Hals, läßt seine Gelenke knacken und stürzt sich Hals über Kopf hinter der Barke ins Wasser und schwimmt vorsichtig neben der Barke nach dem »Zuaven« zu, sein höckeriger Rücken ragt wie eine leere Kürbisflasche über das Wasser, und sein langer Hals erhebt sich kühn wie der Schnabel einer Trireme über die Flut.

Barke und Kamel legen gleichzeitig an dem »Zuaven« an.

»Schließlich, ich muß sagen, mir tut dieses Kamel leid,« sagte der Kapitän sehr gerührt, »fast hätte ich Lust, das Biest an Bord zu nehmen. Wenn wir nach Marseille kommen, kann ich es dem zoologischen Garten zum Geschenk machen.«

Man brachte nun das Tier unter großem Aufwand von Winden und Flaschenzügen an Bord. Es war durch das Meerwasser noch schwerer geworden. So – und nun konnte der »Zuave« in See stechen.

Die zwei Tage Überfahrt verbrachte Tartarin mutterseelenallein in seiner Kabine, nicht, weil das Meer stürmisch gewesen wäre und die Chechia zuviel hätte auszustehen gehabt, aber da war dieser Satan von Kamel, der schmeichelte in geradezu lächerlicher Weise um seinen Herrn und Meister herum, sobald dieser nur seine Nasenspitze außerhalb der Kabine zeigte. Man hat ein so zudringliches Kamel nie gesehen wie dieses, das seinen Herrn zum Gespött machte. Manchmal guckte Tartarin aus dem Kabinenfenster heraus, da sah er, wie allgemach das Blau des algerischen Himmels blaß und blässer wurde. Endlich schwebte eines Morgens ein Silbernebel über dem Wasser, und er hörte mit einem unbeschreiblichen Glücksgefühl alle Glocken von Marseille läuten. Man war angelangt; der »Zuave« ging vor Anker.

Ohne einer Menschenseele ein Wort zu sagen, verkrümelte sich unser Held von Bord. Gepäck hatte er nicht. Er strich in aller Eile durch die Straßen von Marseille, in Angst, das Kamel könnte ihm nachgekommen sein. Er atmete erst auf, als er sich in einem Abteil dritter Klasse häuslich eingerichtet hatte und flott gen Tarascon rollte. Aber nichts war trügerischer als dieses Gefühl der Sicherheit. Kaum ist der Zug zwei Meilen von Marseille, da sind die Fenster der Häuser gestopft voll von Menschen. Man schreit, man ist außer sich. Tartarin guckt nun auch auf, und was sieht er? Himmel und Hölle, das Kamel. Du lieber Gott, das unverwüstliche Vieh, das auf dem Bahndamm da mitten in der südfranzösischen Ebene hinter dem Zuge einhersetzt und ihm ganz gut nachkommt! Tartarin war wie vom Donner erschlagen. Er drückte sich in eine Ecke und schloß die Augen.

Nach dieser jammervollen Expedition hatte er wenigstens auf eine, wenn auch sang- und klanglose, so doch unbeobachtete Heimkehr gerechnet. Aber die Anwesenheit dieses sperrigen Vierfüßlers machte dies zu einem Ding der Unmöglichkeit. Wie heimkommen?! O du meine Güte! Nicht ein Pfennig, keinen einzigen Löwen, nichts ... nur ein Kamel! »Tarascon! Tarascon!«

Alles aussteigen!

Aber welche Fügung des Schicksals! Kaum hatte sich die Chechia des Heros in der Tür des Abteils gezeigt, da donnerte ein gewaltiger Ruf los:

»Hoch Tartarin! Er lebe hoch, hoch, hoch!« Die Scheiben der Bahnhofshalle zitterten und klirrten. »Hoch der Löwentöter!« Trompeten schmetterten los, Gesangvereine sangen Tusch ... Tartarin war einer Ohnmacht nahe. Er glaubte an einen schlechten Witz. Aber nein! Ganz Tarascon war auf den Beinen, alles schmiß die Kappen in die Luft, alles jubelte ihm zu. Hier war der brave Kommandant Bravida, der Büchsenmacher Costecalde, der Präsident und das ganze edle Korps der Mützenjäger, alles schart sich um ihren Chef und trägt ihn im Triumph die lange Bahnhofstreppe herab.

Das ist doch eine wunderbare Spiegelung?!

Die Ursache des ganzen Aufsehens war das Fell des blinden Löwen, das Tartarin an Bravida gesandt hatte.

Aber dieses weiter nicht aufregende Stück Fell, das man erst im Klub ausgestellt hatte, war den Tarasconesen zu Kopf gestiegen. Den Tarasconesen zuerst und dann dem ganzen Süden. Der »Semaphore« hatte seine Stimme erhoben. Man hatte ein ganzes Drama erdichtet. Es war nun nicht mehr ein Löwe, den Tartarin gefällt, es waren so ein Stücker zehn, zwanzig Löwen, es war ein ganzes Rudel Löwen. Daher war Tartarin, ohne es zu wissen, schon ein berühmter Mann, als er in Marseille das Schiff verließ, und eine enthusiastische Depesche hatte seine Ankunft zwei Stunden vorher in seiner Heimatstadt angekündigt.

Aber ein besonderer Umstand brachte die Freude des Volkes auf den Siedepunkt: man sah hinter dem Heros ein phantastisches Tier, staubbedeckt und schweißtriefend erscheinen, das wackelnd wie der Klöppel einer Glocke die Bahnhofstreppe herabkam. Tarascon glaubte einen Augenblick lang, sein mythologisches Ungeheuer, die Tarasque, sei wiedergekommen.

Tartarin beruhigte seine Landsleute.

»Nur mein Kamel«, sagte er.

Und schon begann die Sonne von Tarascon zu wirken, diese schöne Sonne, die Mutter von so viel naiven Lügen, und er sagte, während er den Buckel des Dromedars streichelte: »Das ist ein erstklassiges Tier... Es war immer dabei, wenn ich meine Löwen tötete.«

Daraufhin nahm er leutselig den Arm des Kommandanten, der in seiner Herzensfreude errötete, und dann begab er sich, gefolgt von seinem Kamel, umschwärmt von den Mützenjägern, unter den Jubelrufen des ganzen Volkes in aller Seelenruhe in das Haus mit dem Baobab – und schon auf dem Wege dahin begann er das Epos seiner großen Jagd: »Stellen Sie sich mal vor, wie ich da eines Abends mitten in der wüsten Sahara ...«


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