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III. Ein Löwenkloster

In Millianah stieg Herr Tartarin aus und ließ die Postkutsche ihren Weg nach dem Süden fortsetzen. Zwei Tage hatte er sich hin und her schütteln lassen, zwei Nächte hatte er mit offenen Augen verbracht, hatte die Augen nicht von den Fenstern gelassen in der Erwartung, es könnte sich doch noch in den Feldern an der Straße der riesenhafte Schatten eines Löwen zeigen. So viel Stunden Schlaflosigkeit verdienten doch wohl eine Belohnung in Gestalt einer kleinen Ruhepause. Und dann, wenn ich schon ganz aufrichtig sein soll, seit dem Mißgeschick mit Bombonnel fühlte sich der ehrliche Tarasconese nicht so recht in seelischem Gleichgewicht gegenüber dem Photographen aus Orléansville und den zwei Mäuschen von den Dreierhusaren, und da halfen ihm auch seine Waffen nichts, ebensowenig seine rote Mütze und die ernstesten Falten in seinem Gesicht.

Er schlenderte also kreuz und quer durch die breiten Straßen von Milianah mit ihren schönen Alleen und Springbrunnen und suchte ein Hotel, wie es ihm paßte, aber dabei mußte der arme Mann immer wieder an die Worte von Bombonnel denken. Wenn doch ein wahres Wort daran sein sollte? Keine Löwen mehr in Algier? Wozu dann soviel Laufereien, soviel Mühe und Plage?

Plötzlich fand sich unser Held bei der Biegung einer Straße gegenüber ... Ja, wem gegenüber? Raten Sie mal! Einem Prachtexemplar von Löwen, das vor dem Eingang eines Cafés wartete, königlich auf seinem Hinterteil tronend; die fahle Mähne leuchtete in der Sonne.

»Und da haben sie mir gesagt, es gäbe keine mehr!« schrie der Tarasconese und tat einen Sprung nach rückwärts. Als der Löwe diesen Ausruf hörte, senkte er sein Haupt, nahm in sein Maul ein Holztellerchen, das vor ihm auf dem Pflaster stand, und streckte es bettelnd Tartarin entgegen, der vor Verblüffung erstarrt war. Ein vorbeigehender Araber warf eine Münze in das Tellerchen. Der Löwe schlug mit dem Schwanz. Nun verstand Tartarin alles. Er sah jetzt, was er vorhin in seiner Aufregung übersehen hatte, daß eine ganze Menschenmenge rings um den armen geblendeten und dressierten Löwen und die zwei riesigen knüttelbewehrten Neger umherstand, die ihn kreuz und quer durch die Stadt führten, wie Savoyardenknaben ihr Murmeltier.

Das Blut des Tarasconesen wallte stürmisch auf: »O ihr Elenden,« schrie er mit Donnerstimme, »habt ihr denn keine Spur Respekt vor solch einem edlen Tier?« Und er stürzte sich auf den Löwen und riß das schnöde Holztellerchen aus seinem königlichen Rachen. Die beiden Neger glaubten, er wäre ein Dieb, und sie gingen mit geschwungenem Knüppel auf unseren Tartarin los. Das gab einen furchtbaren Klamauk. Die Neger prügelten darauflos, die Weiber kreischten, die Kinder amüsierten sich wie Zaunkönige. Ein alter jüdischer Schuster rief aus dem Hintergrunde seines Ladens: »Vors Gericht, vors Gericht mit jenem!« Auch der Löwe, geschlagen mit ewiger Blindheit, versuchte es mit einem Brüllen, und bald wälzte sich der unselige Tartarin nach einem verzweifelten Kampfe auf dem Boden inmitten der Silberlinge und des Kehrichts.

In diesem Augenblick durchbrach ein Mann die Menge, schaffte die Neger durch ein Wort, die Frauen und Kinder durch eine Handbewegung fort, hob Tartarin auf, bürstete ihn ab, schüttelte ihn zurecht und setzte ihn, der ganz erschöpft war, auf einen Eckstein.

»Oh, Sie sind es, Först?« sagte der gute Tartarin und rieb sich seinen Rücken. »Gewiß bin ich es, mein tapferer Freund! Kaum hatte ich Ihren Brief erhalten, da habe ich Baja ihrem Bruder anvertraut, habe Eilpost genommen, fünfzig Meilen im schnellsten Galopp zurückgelegt, und jetzt komme ich auf die Sekunde zurecht, um Sie den brutalen Händen dieses rohen Gesindels zu entreißen. Aber was haben Sie denn angestellt, gerechter Gott, um sich so eine unangenehme Sache auf den Hals zu laden?«

»Was wollen Sie, Först? Sollte ich ruhig zusehen, wie dieser unselige Löwe mit seinem Tellerchen im Maul erniedrigt wird, besiegt, angespien, kann ich es dulden, daß er zum Gelächter dieses ganzen muselmanischen Gelichters dienen soll?«

»Aber da sind Sie ganz und gar im Irrtum. Dieser Löwe ist für die Leute im Gegenteil ein Gegenstand der Achtung und der Verehrung. Er ist ein geheiligtes Tier, ein Insasse des großen Löwenklosters, einer Art von Wildwesttrappistenkloster, voll von Gebrüll und von Löwengeruch, wo besondere Mönche Hunderte von Löwen aufziehen und dressieren, um sie dann durch das ganze nördliche Afrika zu schicken, in Begleitung von Bettelbrüdern. Und die Gaben, welche diese Brüder empfangen, dienen zum Unterhalt des Klosters und seiner Moschee – und wenn die beiden Neger jetzt eben so böse waren, so müssen Sie dies ihrer Überzeugung gutschreiben. Sie glauben nämlich, daß der Löwe, den sie führen, sie augenblicklich zerreißen werde, sobald auch nur ein einziger Groschen von den Gaben durch ihr Verschulden gestohlen oder verloren wird.«

Während Tartarin aus Tarascon diesen unwahrscheinlichen und dennoch authentischen Bericht anhörte, geriet er in Entzücken und zog die Luft mit behaglichem Brummen ein. »Das, was mir am meisten an der ganzen Sache Spaß macht,« sagte er, wie um alles zusammenzufassen, »ist der Umstand, daß es unserem Bombonnel zum Trotz doch noch Löwen in Algier gibt.«

»Und ob es welche gibt«, antwortete der Prinz mit Enthusiasmus. »Von morgen an wollen wir in die Ebene von Scheliff, dort werden Sie etwas erleben!«

»Ja, wie denn, Först? Sie hätten die Absicht, mit mir zu jagen, Sie?«

»Himmelherrgottssakrament! Glauben Sie denn, ich lasse Sie allein im wüsten Afrika, da mitten unter den wilden Stämmen, deren Sprache und Gebräuche Sie nicht kennen? Nein, o nein, großer Tartarin, ich verlasse Sie nicht mehr. Wohin immer Sie gehen, ich werde Ihnen folgen.«

»O Först, Först!« Tartarin strahlte und drückte den kühnen Gregory an sein Herz und dachte mit Stolz an das Beispiel von Jules Gérard, Bombonnel und der anderen kühnen Löwenjäger, die sich ebenso wie er von fremden Fürsten hatten bei ihren Jagden begleiten lassen.


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