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III. Anrufung des heiligen Cervantes – Ausgeschifft! – Die Törken, wo sind sie? Keine Törken nicht! Enttäuschung

Oh, Miguel Cervantes Saavedra! Ist es wahr, was man sich erzählt? Schwebt etwas irrend über den Orten und Stätten, wo ein großer Mann gelebt, bleibt etwas von ihm erhalten bis ans Ende der Tage an dem geheiligten Ort? Dann muß, was von dir erhalten blieb am Barbareskenstrande, vor Lust gejauchzt haben, als vor deinem unsterblichen Auge Tartarin ausstieg, dieses Prachtexemplar eines Südfranzosen, in dem die beiden Helden deines Buches, Don Quichotte und Sancho Pansa, wieder ein Fleisch und Blut geworden sind.

Die Luft war an diesem Tage herrlich warm. Über den Kai rieselten geradezu Ströme von Licht. Da sah man nur fünf bis sechs Zollbeamte, dann Algerier, die auf Nachrichten aus Frankreich warteten, ein paar Mauren, die dahockten, aus langen Pfeifen schmauchend, Matrosen von Malta, gewaltige Netze handhabend, in deren Maschen Millionen von Sardinen wie Silbergroschen glitzerten.

Aber kaum hatte Tartarin den Fuß ans Land gesetzt, als der Kai Leben gewann und ein ganz anderes Aussehen bekam. Eine Bande von Wilden, noch scheußlicher als die Freibeuter des Schiffes, drängte sich auf dem mit Kieseln gepflasterten Ufer in einem Knäuel zusammen, um sich vereint auf den Ankömmling zu stürzen. Riesenlackel von Arabern mit einem Leinenhemd und nichts drunter, kleine Araber mit Fes, Neger, Tuniser, Mahonnesen, M'zabiter, Hotelangestellte in weißen Schürzen, alles schrie durcheinander, klammerte sich wie Kletten an Tartarins Kleider, heulte, balgte sich um das Gepäck, einer lief mit den Konserven davon, der andere mit der Apotheke, und alle warfen ihm in einem höllischen Tumult und Durcheinander die Namen von Hotels entgegen, und Namen, einen chinesischer als den anderen. Von diesem Kuddelmuddel war er wie vor den Kopf geschlagen. Der arme Kerl von Tartarin rannte hin und her, fluchte und wetterte, er kam von Verstand. Er stürzte hinter seinem Gepäck einher, dabei wußte er nicht, wie sich verständlich machen bei diesen Hottentotten, er wollte sie mit Französisch locken, auch mit Provenzalisch, er dachte auch an das Kuchellatein: Rosa, das ist die Rose, Hotelus, das ist das Hotel, Kofferus ist ein Koffer – soviel er eben wußte. Seine Rede war Schall und Rauch. Vergebene Liebesmüh. Ein Glück nur, daß ein Mann, bekleidet mit einer Art Kaftan und einer eng geknöpften Weste aus gelbem Stoff, bewaffnet mit einem langen Wanderstab, wie ein homerischer Gott im Getümmel auftauchte; ihm gelang es sofort, diesen ganzen Abschaum der Menschheit mit seinem Stock auseinander zu jagen. Es war ein Schupomann von Algier! Sehr höflich lud er Tartarin ein, im Hotel d'Europe abzusteigen, und er übergab ihn einigen ortsangesessenen Angestellten, die ihn und sein Gepäck in ein paar Gepäckkarren dorthin bringen sollten.

Schon bei den ersten Schritten auf dem Boden von Algier riß Tartarin die Augen sperrangelweit auf. Vorgestellt hatte er sich eine orientalische Stadt, etwas wie ein Feenmärchen in Gala-Ausstattung, etwas Mythologisches, so ungefähr in der Mitte zwischen Konstantinopel und Sansibar... Was er sah, war Tarascon Numero II. Kaffeehäuser! Restaurants, breite Straßen, vierstöckige Häuser, ein kleiner asphaltierter Platz, wo eine Militärkapelle eine Polka von Offenbach spielte. Herren, die auf Rohrstühlen dasaßen und Bier tranken oder Spritzkuchen aßen; dann Damen, auch zweifelhafte, eine Menge Militär und – – kein Törk! Nur er!! Es läßt sich denken, daß ihm unter solchen Umständen das Überqueren des Platzes schwer fiel. Aller Augen Blicke richteten sich auf ihn allein. Die Musiker in Uniform machten eine Pause. Die Polka von Offenbach blieb stehen, einen Fuß in der Luft. Zwei Schießprügel, jeden auf einer anderen Schulter, Revolver an die Seite geschnallt, Wildwest und dabei majestätisch, ein zweiter Robinson Crusoe, so machte Tartarin mit ernster Miene seinen Parademarsch vor allen Gruppen. Aber als er ins Hotel kam, wurden seine Knie schwach. Die Abreise aus Tarascon, der Hafen von Marseille, die Überfahrt, der Montenegrinerprinz, die Freibeuter, alles brodelte und kochte und wogte in seinem Schädel auf und nieder. Man mußte ihn stützen, mußte ihn vorsichtig auf sein Zimmer bringen, ihn entwaffnen, entkleiden. Schon hieß es, wo ist der Arzt? Da begann der Held, kaum daß seine Wange das Kissen berührt hatte, so laut zu schnarchen, so aus vollem Herzen, daß der Gastwirt entschied, wir brauchen keine Hilfe von der Wissenschaft – und auf den Zehen zog sich männiglich diskret zurück.


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