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IV. Dieses ist der erste Streich

Drei Uhr schlug es auf dem Turm des Regierungsgebäudes, als Tartarin erwachte. Er hatte den ganzen Abend verschlafen, die ganze Nacht, den ganzen Vormittag und noch dazu ein schönes Stück vom Nachmittag. Man muß ja allerdings zugeben, daß seit den letzten drei Tagen die Chechia allerhand mitgemacht hatte. Als der Held die Augen aufschlug, war sein erster Gedanke: »Ich bin im Lande der Löwen«, und weshalb soll ich es verschweigen, wenn er sich vorstellte, die Bestien wären ganz in der Nähe, zwei Schritt entfernt, fast unter der Hand, und man müsse einige von ihnen abmurksen, brr, da überlief's ihn kalt, und er, der Mann ohne Furcht, verkroch sich untadelig unter seine Decke.

Aber nach fünf Minuten hatte er seinen alten Heroismus wieder, und wieso? Nur dank einem Himmel von unwahrscheinlich schönem Blau, dank der ganzen Heiterkeit der Natur draußen, der prachtvollen Sonne, die in das Zimmer strömte, dank einem feinen kleinen Dejeuner, das er sich ans Bett bringen ließ (eine Flasche fabelhaften Weins aus Crescia nicht zu vergessen)... und dazu die Aussicht auf das Meer durch das weit geöffnete Fenster.

»Auf zum Löwen!« schrie er, warf seine Decke zurück und kleidete sich eiligst an.

Nun, das war sein Kriegsplan: Erst einmal aus der Stadt heraus, ohne jemand etwas zu verraten, dann mitten hinein in die Wüste, wo sie am wüstesten ist, die Nacht abwarten, sich auf die Lauer legen und dann auf den ersten Löwen, der vorbeiläuft, piff, puff, drauf und dran! ... Dann wieder heim, am nächsten Morgen Frühstück im Hotel d'Europe, Entgegennahme der Glückwünsche der Algerier und Mieten eines Karrens, um das Biest heim zu transportieren.

Er bewaffnete sich also in aller Eile und lud sich das Patentzelt auf den Rücken. Freilich ragte die dicke Zeltstange mindestens einen Fuß über seinen Kopf hinweg. Und nun stieg er steif wie ein Ladestock auf die Straße hinab. Jetzt nur niemand nach dem Wege fragen, damit man seine Pläne nicht erraten solle – und schon wandte er sich stracks nach rechts und folgte den Arkaden der Bab-Azoun bis ans Ende. Aus dem Inneren ihrer schwarzen Buden sahen ihn Scharen von algerischen Juden vorbeikommen. Sie kauerten wie Spinnen in einem finsteren Winkel ihrer Läden. Dann überquerte er den Theaterplatz, kam durch die Vorstadt und schließlich auf die große Chaussee von Mustapha. Auf dieser Landstraße gab es ein tolles Tohuwabohu. Omnibusse, Droschken, zweirädrige Karren, Trainwagen, gewaltige Ochsengespanne mit mächtigen Fuhren Heu, Afrikajäger in Schwadronen, Herden von winzig kleinen Eselchen, Negerinnen, welche Kuchen verkauften, Wagen mit Elsässern, die ausgewandert waren, Spahis in roten Mänteln, das schob sich in einem Wirbelsturm von Staub dahin, in einer Wolke von Gesang, Geschrei und Trompetenblasen; so zog dieser Hexensabbat zwischen zwei Reihen von niederträchtigen Hütten einher, in denen man große Weiber aus Mahon sah, die sich vor ihren Türen die Haare kämmten, zwischen Wirtshäusern voller Soldaten, Fleischerläden und den Buden der Abdecker.

»Ach, was haben mir die Leute da von ihrem Orient vorgeschwindelt?« dachte der große Tartarin. »Es gibt hier noch weniger Törken als in Marseille.«

Da sah er plötzlich ganz nahe ein fabelhaftes Kamel vorbeikommen, wie es seine langen Beine streckte und dabei den Hals, einem Truthahn gleich, stolz zurückwarf. Das ließ denn doch sein Herz höher schlagen.

Also es gab schon Kamele! Weit konnten die Löwen nicht mehr sein. Und tatsächlich sah er nach fünf Minuten, wie eine ganze Truppe von Löwenjägern mit geschulterten Gewehren ihm entgegenmarschierte.

»Feiges Gesindel,« sagte unser Held, als er an ihnen vorbeikam, »feige Bande«! Geht da eine ganze Kompanie auf die Löwenjagd, und noch dazu mit Hunden! Denn man muß wissen, er hatte es sich niemals anders vorgestellt, als daß man in Algier einzig und allein auf Löwen jagen konnte. Aber die Jäger hatten doch viel eher das harmlose Aussehen von Kleinrentnern, die von ihren Zinsen lebten. Und dabei erschien ihm diese ganze Art, den Löwen mit Hunden zu jagen, und dabei auch die Jagdtasche nicht zu vergessen, so altväterlich, daß unser Tarasconese doch ein bißchen unsicher wurde und glaubte, er müsse einen von diesen Herren ansprechen.

»Und was das betrifft, Kamerad, gute Jagd?« »Könnte schlimmer sein«, erwiderte der andere und betrachtete mit weit aufgerissenen Augen entsetzt das beträchtliche Arsenal des Kriegers aus Tarascon.

»Sie haben ihn abgemurkst?«

»Aber natürlich ... es war gar nicht einmal so schlecht. Gucken Sie doch mal her!« Und der Jäger aus Algier wies auf seine Jagdtasche, die beinahe platzte, so sehr war sie mit Hasen und mit Schnepfen vollgepfropft.

»Nanu, was ist denn das?« fragte Tartarin. »Sie stecken ihn in die Jagdtasche?«

»Na, wo soll ich sie denn sonst hintun?«

»Na ja, nun gut, das ist dann ... das müssen dann wohl ganz kleine sein?«

»Kleine und große auch«, sagte der Jäger, und da er Eile hatte, heim zu kommen, holte er mit großen Schritten seine Kameraden ein.

Tartarin, der Mann ohne Furcht und Tadel, blieb wie angenagelt mitten auf der Straße stehen. Dann überlegte er sich die Sache und sagte:

»Ach was, Aufschneider sind es, nichts haben sie abgemurkst.« Und er setzte seinen Weg fort.

Schon zeigten sich Lücken zwischen den Häusern und zwischen den Menschen; es senkte sich die Nacht nieder, die Dinge verschwommen ineinander. Tartarin aus Tarascon marschierte noch eine halbe Stunde. Endlich blieb er stehen, nun war es vollends Nacht; Nacht ohne Mond, ohne Sternenschimmer. Niemand auf der Straße. Immerhin dachte doch der Held daran, daß zwischen einem Löwen und einem Omnibus ein Unterschied bestehe, und daß sich die großen Löwen doch nicht ganz streng an die große Chaussee halten würden. Er ging weiter feldein. Bei jedem Schritt kam er über Gräben, über Hecken und Unterholz. Schad' nix, immer feste voran. Plötzlich halt! »Da in der Luft spüre ich etwas von Löwen. Hier muß es sein«, sagte sich unser Mann, und er witterte kräftig nach rechts und nach links.


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