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XIV. Der Hafen von Marseille. – An Bord! An Bord!

Am 1. Dezember des Jahres 186. sahen die Marseiller zu ihrem höchsten Erstaunen (es war Mittag, die Wintersonne der Provence schien, alles war hell, leuchtend klar), die Marseiller sahen also auf der Canebière einen Törken ausrücken, aber was für einen Törken! Seinesgleichen hatten sie nie gesehen, und doch weiß Gott, gibt es Törken genug in Marseille. Der betreffende Törke – muß ich es eigens sagen? – war der große Tartarin aus Tarascon, welcher die Kais entlang spazierte, gefolgt von seinen Waffenkisten, seiner Apotheke, seinen Konserven. Er wollte zum Ladeplatz der Kompanie Touache und zu dem Paketdampfer »Zuave«, der ihn da hinunterbringen sollte. Noch hatte er in seinen Ohren den Riesenapplaus der Tarasconesen. Er war berauscht von dem Licht des Himmels, von der Luft des Meeres. Strahlend schritt er dahin, seine Gewehre auf der Schulter, hoch erhoben das Haupt –, so betrachtete er mit unersättlichen Augen diesen wundervollen Hafen von Marseille, den er zum erstenmal sah, und der ihn ganz aus dem Häuschen brachte. Der arme Mann glaubte zu träumen. Es kam ihm vor, als sei er Sindbad, der Seefahrer, und irre in einer traumhaften Stadt umher, wie es solche in Tausendundeiner Nacht gibt. So weit das Auge reichte, ein unabsehbares Gewimmel von Masten und Rahen, die sich kreuzten und durcheinander wirrten, Flaggen aller Länder, russische, griechische, schwedische, tunesische, amerikanische. Die Schiffe standen hart an der Mole, und ihre Bugspriete ragten über die Kaimauer wie eine Reihe von Bajonetten. Darüber sah man die Najaden, die mythologischen Göttinnen, die heiligen Jungfrauen und andere Gebilde aus bemaltem Holz, nach denen dann die Schiffe hießen – alles das angefressen von Seewasser, verwittert, halb vermodert, rauh geworden ... und hier und da zwischen den Schiffen ein Stück Meer, wie auf einem großen Stück Tuch ein Flecken von Öl... Auf dem Tauwerk zwischen den Rahen saßen unzählige Möwen, reizende kleine Tupfen auf dem Hintergrund eines tiefblauen Himmels; und Scharen von Schiffsjungen, die miteinander in allen Sprachen der Welt zwitscherten. Auf dem Kai, mitten zwischen den Abwässern der Seifenfabriken, den grünen, schwärzlichen, dicklichen Fluten, halb Öl und halb Lauge, thronte eine Armee von Zollbeamten, von Dienstmännern und Lastträgern mit ihren Bogheys, welche mit kleinen Pferden aus Korsika bespannt waren.

Dazu Magazine, mit grotesken Kleidungsstücken angefüllt, niedrige Hütten voller Rauch, wo die Matrosen sich ihr Essen kochten, Händler mit Pfeifen, Händler mit Affen, mit Seilen, mit Segeltuch, mit phantastischem Plunder. Es gab ein wirres Durcheinander von alten Feldschlangen, gewaltigen Messinglampen, von alten Schiffswinden, ausgedienten Ankern, die schon nicht mehr fassen konnten, Flaschenzügen, alten Kloben, verwitterten Sprachrohren und uralten Teleskopen aus der Zeit des Jean Bart. Dazwischen hockten Verkäuferinnen von allerhand Krabben und kreischten hinter ihren Körben. Matrosen liefen vorbei mit Kesseln voll Teer, mit dampfendem Essen und mit mächtigen Körben voller Seetiere, die sie in dem milchigen Wasser der Brunnen waschen wollten; überall eine märchenhafte Fülle von Waren aller Art. Seidenstoffe, Minerale, Holz in Stämmen, Blei in Barren, Tuche, Zuckerrohr, Johannisbrot, Raps, Süßholz, Zucker in Säcken, Abendland und Morgenland wie Kraut und Rüben durcheinander. Dazu große Haufen von Holländerkäse, welchen die Genueserinnen mit der Hand rot gebeizt hatten.

Weiter unten der Getreidehafen. Die Lastträger entleerten ihre Getreidesäcke von hohen Gerüsten herab aufs Ufer. Das Getreide rinnt wie ein Gießbach aus Gold hinab, inmitten einer hellen Staubwolke. Männer mit rotem Fes auf den Köpfen lassen es Maß für Maß durch große Siebe aus Pergament hindurchrinnen, laden es dann auf kleine Karren, die dann davonfahren, gefolgt von einem Regiment Frauen und Kindern, die kleine Besen und Sammelkörbchen tragen.

Weiter hinunter sind die Reparaturdocks; große Schiffe liegen auf der Seite und werden abgesengt mit brennendem Gestrüpp, um den Seetang fortzubringen. Die Rahen tauchen ins Wasser. Betäubender Geruch nach Harz, ohrenzerreißender Lärm, denn die Schiffszimmerleute beschlagen die Kiele der Schiffe mit gewaltigen Platten aus Kupfer. Hier und da zwischen den Masten ein heller Streifen, und dort sah Tartarin die Hafeneinfahrt, hier war das große Kommen und Gehen der Schiffe; es stach eine englische Fregatte nach Malta in See, blitzblank, reizend gebaut, auf Deck Offiziere mit gelben Handschuhen, dort lichtet eine große Brigg aus Marseille die Anker, umtobt von Schreien und Flüchen, und auf dem Achterdeck steht ein dicker Kapitän im Paletot und Zylinder, der das Manöver im provenzalischen Dialekt kommandiert. Andere Schiffe hatten alle Segel aufgesetzt und flogen mehr als sie liefen. Aber es kamen auch einige langsam mitten in der Sonne und vom Horizont herein, näherten sich, als schwebten sie durch die Luft.

Ohne eine Sekunde Pause ein schauderhafter Krach, Kettenrasseln, das »Oh-jupp« der Matrosen, Flüche, Fetzen von Liedern, das Zischen der Ventile bei den Dampfschiffen, dazu noch Trommeln und Trompeten von dem Fort Saint-Jean, vom Fort die Glocken von der Kathedrale La Major, von Saint-Victor, von Accoules. Und darüber der Mistral, der alle diese Rufe in sich aufnahm, diesen Lärm, diese Geräusche, um sie durcheinander zu rollen, sie zu schütteln, sie mit seinem eigenen Ton zu mischen; und der Endeffekt war eine Tollhausmusik, wild und heldenhaft, eine große Fanfare der weiten schönen Welt, ein Fanfarenruf, der einem Lust machte zu reisen, weit fortzugehen, auf Flügeln die Welt zu durchmessen.

Und zum Klang dieser herrlichen Fanfare brach Tartarin aus Tarascon, der Held ohne Furcht und Tadel, auf, das Land der Löwen zu gewinnen.


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