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VII. Ein Omnibus, ein Arabermädchen und ein Rosenkranz, geschmückt mit Jasmin

Viele Menschen hätten nach diesem Abenteuer die Nase voll gehabt, aber Männer, die so gebaut sind wie Tartarin, lassen sich nicht so leicht abschrecken.

»Im Süden gibt es Löwen,« dachte der Held, »also schön! Auf, in den Süden!« Und kaum war sein Teller leer, so erhob er sich, dankte dem Wirt, umarmte das alte Weib (nachtragend war er nicht), vergoß eine letzte Träne am Grabe des unseligen Grauchens und kehrte in höchster Eile nach Algier zurück, fest entschlossen, seine Koffer zu packen und noch am gleichen Tage nach dem Süden aufzubrechen.

Unglückseligerweise kam es ihm vor, als ob die große Chaussee von Mustapha sich seit dem letzten Abend in die Länge gezogen hätte wie ein Gummiband. Dazu eine mörderische Sonne, ein abscheulicher Staub! Das Patentzelt wie aus reinem Blei gegossen. Tartarin fühlte nicht die Kraft in sich, zu Fuß bis in die Stadt zu kommen, und so gab er dem ersten Omnibus, der vorbeikam, ein Zeichen und stieg ein.

O du armer Tartarin aus Tarascon! Wäre es nicht tausendmal besser für deinen Namen, deinen Ruhm gewesen, niemals in diesen vermaledeiten Kasten einzusteigen und lieber auf Schusters Rappen deinen Weg fortzusetzen, auf die Gefahr hin, unter deiner Last in der drückenden Hitze niederzusinken, erdrückt von dem Patentzelt und den beiden gigantischen Doppelflinten mit gezogenem Lauf?

Aber nun war Tartarin drin, und der Omnibus war komplett. Da saß, bis zur Nasenspitze hinter seinem Brevier versteckt, ein Vikar aus Algier mit großem schwarzen Bart. Ihm gegenüber ein junger arabischer Kaufmann, der eine dicke Zigarette nach der anderen rauchte. Dann ein Matrose aus Malta und vier oder fünf Araberfrauen hinter ihren Schleiern aus weißer Leinwand, welche bloß die Augen frei ließen. Diese Damen hatten gerade ihre Andacht am Grabe Abd-el-Kaders verrichtet, aber dieser Gräberbesuch hatte nicht auf ihren guten Humor gewirkt. Sie lachten und ulkten hinter ihren Masken miteinander und knabberten Süßigkeiten dazu.

Tartarin bildete sich ein, daß sie ihn sehr oft ansahen, vor allem hatte die eine Dame, die ihm gegenübersaß, ihre Augen in die seinen getaucht, und dabei blieb es während des ganzen Weges. Zwar war ja die Dame verschleiert, aber dafür gab es dieses große schwarze Auge, dessen mandelförmige Kontur durch Kohle noch mehr betont wurde, dazu ein entzückendes Handgelenk, fein wie aus Elfenbein geschnitzt und mit Goldarmbändern geschmückt (von Zeit zu Zeit guckte es zwischen den Schleiern hervor) – das alles, der Ton ihres Stimmchens, die anmutvollen, fast kindlichen Bewegungen ihres Köpfchens, das alles sagte: »Hier verbirgt sich etwas Junges, etwas Zuckersüßes, etwas Wundervolles.« Der unglückliche Tartarin wußte nicht, wohin mit sich. Diese stumme Liebkosung der schönen orientalischen Augen, sie brachte ihn in Verwirrung, regte ihn auf, warf ihn um. Es ward ihm warm, es ward ihm kalt. Um ihm den Rest zu geben, mischte sich das Pantöffelchen der Dame ins Spiel, und er fühlte, wie es über seine großen plumpen Jagdstiefel dahinlief, dieses winzige geliebte Pantöffelchen, wie es hin und her huschte, wie es quecksilbrig tanzte, einem kleinen roten Mäuschen gleich. Was tun? Diesem Blick antworten, diesen zarten Druck erwidern? Ja gut, aber die Konsequenzen? Eine Liebesgeschichte im Orient, das kann ja nett enden! Und mit seiner südlichen romantischen Phantasie sah sich schon der Tarasconese unter den Händen von Eunuchen verröcheln oder verbluten, seinen Kopf zu seinen Füßen oder vielleicht noch besser, wie er, in einen Sack genäht, auf dem Meeresgrunde schaukelte, seinen Kopf im Arm. Das brachte ihn wieder ein bißchen zur Besinnung. Bis auf weiteres setzte das kleine Pantöffelchen sein Manöver fort, und die Augen ihm gegenüber wurden groß und größer, zwei Blumen aus schwarzem Samt. Und in ihnen war zu lesen: »So nimm mich hin!«

Der Omnibus blieb stehen, man war auf dem Theaterplatz, dort, wo die Straße Bab-Azoun einmündet. Die Araberinnen stiegen eine nach der andern aus, wobei sie sich in ihre weiten Beinkleider verwickelten und mit ihrer natürlichen Grazie ihre Schleier an sich rafften. Zuletzt erhob sich die Nachbarin Tartarins, und als sie aufstand, kam ihr Gesicht so nahe an dem des Helden vorbei, daß ihn ihr Atem streifte, ein ganzer Parfümerieladen von Jugend und Jasmin, von Muskat und Zuckerkuchen.

Da mußte ja der Tarasconese seine Waffen strecken. Er war trunken von Liebe, er schreckte vor nichts mehr zurück, er stürzte sich hinter ihr her. Beim Trappen seiner großen Stiefel wandte sie sich um, legte einen Finger an ihren Gesichtsschleier, wie um zu sagen: pst, pst! Und dann warf sie ihm plötzlich mit einer leidenschaftlichen Bewegung ihrer anderen Hand einen kleinen parfümierten Rosenkranz zu, der mit Jasminblüten durchflochten war.

Tartarin aus Tarascon bückte sich, um ihn aufzuheben. Da aber unser Held ein bißchen schwer war von Gewicht und außerdem mit seinem Waffenarsenal beladen, dauerte die Sache einige Zeit. Als er sich erhob, den Jasminrosenkranz auf seinem Herzen, war die Araberin schon verschwunden.


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