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XI. Sidi Tart'ri ben Tart'ri

Noch heute kann es passieren, daß man eines Abends nach Feierstunde in ein algerisches Café der Oberstadt kommt und dort hört, wie sich die eingeborenen Araber unter stetem Augenzwinkern und unauslöschlichem leisen Lachen von einem gewissen Tart'ri ben Tart'ri erzählen, einem Europäer, ebenso scharmant wie reich, der vor Jahr und Tag in dem Araberviertel mit einer kleinen Tochter des Landes lebte, Baja genannt.

Dieser Sidi ben Tart'ri, der ein so fröhliches Andenken im Viertel rings um die Casbah hinterlassen hat, ist – man hat es längst erraten – kein anderer als unser Freund Tartarin.

Nun, wollen Sie ihm deshalb böse sein? So etwas kommt vor; im Leben eines Heiligen wie in dem eines Helden gibt es Stunden der Verblendung, der Verwirrtheit, der menschlichen Schwäche und des Irrens. Der berühmte Tartarin war keine Ausnahme, und das ist der Grund, weshalb er zwei ganze Monate lang Löwen Löwen sein ließ und Ruhm Ruhm – weshalb er sich berauschte an orientalischer Liebe und einschlummerte wie Hannibal in Capua, gewiegt von den Zauberarmen der weißen Stadt Algier.

Der gute Mann hatte mitten in der Araberstadt eine niedliche landesübliche Villa gemietet mit Innenhof, Bananenbäumen, kühlen Wandelgängen und frischen Springbrunnen. Er lebte da in aller Stille mit seiner Araberin, selbst ein Araber von Kopf bis zur Zeh, schmauchte jeden Tag sein Nargileh und nährte sich redlich von parfümiertem Muskatzuckerwerk.

Ihm gegenüber lag auf einem Diwan ausgestreckt Baja, die Gitarre im Arm; so näselte sie monotone Gesänge, oder sie machte ihrem Herrn und Meister, um ihn zu zerstreuen, den Bauchtanz vor, einen kleinen Spiegel in der Hand, in dem sie ihre weißen Beißerchen bewunderte und sich selbst Grimassen schnitt.

Da die Dame nicht ein Wort Französisch konnte, und Tartarin kein Wort Arabisch, so stockte bisweilen die Unterhaltung, und der geschwätzige Tartarin hatte Zeit, alle Sünden abzubüßen, die er seinerzeit durch Mißbrauch des Wortes in der Apotheke Bézuquet begangen hatte oder beim Büchsenmacher Costecalde.

Aber selbst diese Buße hatte ihre Reize, und es war ein besonders aparter und genießerischer Spleen, wenn er einen ganzen Tag kein Wort sprach, nur dem Glucksen des Nargileh lauschte, dem zarten Raunen der Fontäne in dem mosaikbelegten Innenhofe.

Das Nargileh, das Bad, die Liebe füllten sein ganzes Leben aus. Man verließ sehr selten das Haus. Manchmal bestieg Sidi Tart'ri ben Tart'ri ein braves Maultier, nahm die Dame hinter sich auf den Sattel und zog aus, um Granaten zu speisen in einem kleinen Garten, den er in der Nähe gemietet hatte. Aber niemals (Nie!) kam er ins Europäerviertel hinunter. Er haßte die ewig besoffenen Zuaven, verabscheute die Alcazars, wo sich die Offiziere drängten; dieses ewige Scheppern der Säbel unter den Arkaden kam ihm widerlich, scheußlich und unerträglich vor wie die Wachstube einer Kaserne daheim im Abendlande.

Mit einem Wort, Tartarin war vollständig glücklich. Tartarin-Sancho vor allem. Es wässerte ihm gar sehr der Mund nach türkischem Zuckerwerk – und deshalb bejahte er die neue Existenz ohne Rückhalt. Zwar hatte Tartarin-Quichotte seinerseits ab und zu ein leises Zwicken von Gewissensbissen, denn er gedachte der Stadt Tarascon und der versprochenen Großwildhäute... Aber das ging auch vorüber, und wenn die tristen Gedanken einmal gar nicht weichen wollten, ein Blick von Baza oder ein Löffel von ihren vermaledeiten Konfitüren genügte, und alles war wieder gut, denn diese Delikatessen dufteten betörend wie die Tränklein der Circe.

Am Abend kam oft der Prinz Gregory und plauderte ein wenig von dem »freien Montenegro«. Seine Liebenswürdigkeit war unerschöpflich, dieser reizende Herr erfüllte im Hause die Funktion eines Dolmetschen, im Notfall auch die eines Hausverwalters, und das alles umsonst, nur weil es ihm Spaß machte. Von ihm abgesehen, sah Tartarin nur Törken bei sich. Alle diese Freibeuter mit ihren wilden Köpfen, die ihm anfangs soviel Angst bereitet hatten, als er sie im Hintergrunde ihrer dunkeln Läden gesehen hatte, erwiesen sich jetzt, da er sie näher kennenlernte, als gute harmlose Kaufleute, als Sticker, Spezereiwarenhändler, als Drechsler von Pfeifenmundstücken, alle waren sie ordentlich erzogene Leute, bescheiden, nicht ohne Witz, diskret und alle Kartenspieler erster Klasse; zwei- oder dreimal in der Woche kamen diese Herren abends zu Sidi Tart'ri, nahmen ihm sein Geld ab, fraßen ihm seine Konfitüren weg, und Punkt zehn Uhr machten sie sich auf die Socken, den Propheten lobpreisend.

Nach ihnen traten Sidi Tart'ri und sein treues Gespons auf die Terrasse, um dort den Abend zu beendigen. Eine große weiß leuchtende Terrasse war es, die das Haus wie ein Dach überragte und Aussicht über die ganze Stadt bot.

Und ringsumher tausend andere weiße Terrassen im weißen Mondenschimmer... sie fielen wie Stufen zum Meer ab. Von weitem her klang's nach Gitarrengezirp, Klänge auf Flügeln des Windes. Aber plötzlich stieg wie ein Blumenstrauß von Sternen eine große einfache Weise von der Erde zum Himmel empor, und auf dem Turme der nahen Moschee erschien ein prächtiger Muezzin, und es schnitt seine weiße Kontur scharf ab gegen das tiefe Blau der dunklen Nacht. Er sang Allahs Ruhm mit wundervoller Stimme, die das Land bis an den fernen Horizont erfüllte. Sofort ließ Baja ihre Gitarre sein, sie wandte ihre großen Augen dem Muezzin zu, und sie schien das Gebet wie mit tiefen durstigen Zügen in sich aufzunehmen und dabei eine besondere Entzückung zu empfinden. Solange der Gesang erklang, blieb sie so – zitternd, dieser irdischen Welt entrückt, eine heilige Therese des Orients ... Tartarin war tief ergriffen, als er sie beten sah, und dachte bei sich, es wäre doch eine starke und schöne Religion, welche bei ihren Gläubigen so tiefe Entzückungen hervorrufen könne.

Tarascon, verhülle dein Haupt! Dein Tartarin will dem Glauben seiner Väter abtrünnig werden.


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