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XII. Man schreibt uns aus Tarascon

An einem schönen Nachmittag bei wunderbar blauem Himmel und sanftem Wind kam Sidi Tart'ri von seinem Gütchen zurück. Diesmal saß er allein rittlings auf seinem Maultier. Die Beine hatten ihm die zwei großen Säcke aus Baststoff auseinander gespreizt, die beinahe platzten von Melonen und Süßigkeiten, und die an den beiden Seiten des Sattels baumelten. Das Geklapper der großen Steigbügel wiegte ihn ein, und sein ganzer Körper folgte dem Tripptrapp des Tieres. So zog der gute Mann dahin in einer herrlichen Landschaft, die Hände über dem Bauch gekreuzt; er duselte schon zu neunzig Prozent ein vor lauter Wohlbehagen und Wärme.

Aber plötzlich erweckte ihn beim ersten Schritt in die Stadt ein gewaltiger Posaunenton:

»Tausend türkische Teufel, dös wird doch nicht gar Tartarin sein?«

Als der Tarasconese den Namen Tartarin hörte, ausgesprochen mit dem unverkennbaren lustigen Südfranzosendialekt, hob er den Kopf und sah zwei Schritte weit vor sich das gute verwitterte Gesicht des Meisters Barbassou, welcher beim Absinth vor dem Eingang eines kleinen Cafés saß und seine Pfeife rauchte.

»He, Gott befohlen, Barbasson«, sagte Tartarin und hielt sein Maultier an.

Statt jeder Antwort guckte ihn Barbasson eine Sekunde mit weit aufgerissenen Augen an. Dann platzte er mit einem Lachen heraus, einem derart homerischen Gelächter, daß Sidi Tart'ri etwas verstimmt wurde, er, der Held mit der Hinterfront auf seinen Wassermelonen.

»Was soll dieser verfluchte Turban, mein armer Herr Tartarin? Ist es denn wahr, was man da erzählt, daß Sie sich haben zum Törken machen lassen? ... Und singt die kleine Baja immer noch: Marco, la Belle?«

»Marco, la Belle?« fragte Tartarin empört. »So wisset denn, Kapitän, daß die Dame, von der Sie sprechen, ein ehrenhaftes Arabermädchen ist, das nicht ein Wort Französisch kann.«

»Baja nicht ein Wort Französisch? Wo kommen denn Sö her?«

Und der gute Kapitän fing noch toller an zu lachen. Dann sah er das Gesicht des armen Sidi Tart'ri lang und länger werden, und er beherrschte sich.

»Na ja, es wird ja möglicherweise doch nicht dieselbe sein, zugegeben, ich habe mich geirrt, nur wissen Sie, mein lieber Herr von Tartarin, es wäre vielleicht doch gescheiter von Ihnen, wenn sie den algerischen Damen und dem Prinzen von Montenegro nicht so ganz trauen möchten.«

Tartarin richtete sich in seinen Steigbügeln auf und zog sein Gesicht in die bekannten gefährlichen Falten. »Der Prinz ist mein Freund, Herr Kapitän.«

»Na schön, wir wollen uns nicht giften. Sie nehmen doch einen Absinth? Haben Sie nichts, aber auch gar nichts zu Haus auszurichten? Na, nichts für ungut! Übrigens, Kamerad, ich habe da einen feinen Tabak aus Frankreich, wenn Sie davon ein paar Pfeifen mitnehmen wollen ... Nur zu, nur zu, dös wird Ihnen gut tun. Das sind diese verfluchten orientalischen Tabake, die Ihnen das Kopferl benebeln.«

Daraufhin kehrte der Kapitän zu seinem Absinth zurück, und Tartarin nahm in tiefen Gedanken den Weg zu seinem Häuschen im Zuckeltrab ... Obwohl sich seine große Seele dagegen sträubte, den niedrigen Gedanken eines Barbassou Glauben zu schenken, so hatten sie doch einen Schatten hinterlassen ... dazu diese landesüblichen Flüche, der Dialekt von dort drüben, das erweckte in ihm leise Gewissensbisse.

Er traf niemand im Hause an. Baja war im Bad ... Die Negerin schien ihm bildhäßlich, das Haus sterbenstraurig ... Vergebens wehrte er sich gegen eine unbeschreibliche Melancholie. Er setzte sich an den Rand des Springbrunnens und stopfte eine Pfeife mit dem Tabak des Kapitäns. Dieser Tabak war eingewickelt in ein Stück aus dem SEMAPHORE. Als er das Papier auseinander breitete, fiel ihm der Name seiner Heimatstadt in die Augen.

»Man schreibt uns aus Tarascon:

Unsere Stadt ist in banger Sorge. Tartarin, der bekannte Löwenjäger, ist dort, um in Afrika die großen Katzen zu jagen. Er ist verschollen. Seit Monaten haben wir keine Nachricht von ihm ... Was mag aus unserem heldenhaften Landsmann geworden sein? Kaum wagt man sich diese Frage vorzulegen, wenn man, wie wir, diese Feuerseele kennt, diesen Wagemut, diesen Durst nach Abenteuern ... Ist er, wie so viele andere begraben unter dem Wüstensand, oder ist er gefallen unter den mörderischen Bissen eines dieser Ungeheuer aus dem Atlasgebirge, dessen Felle er der Stadtverwaltung versprochen hat? Oh, schreckliche Ungewißheit! Indessen haben handeltreibende Neger, die zum Jahrmarkt nach Beaucaire gekommen sind, vorgegeben, sie hätten mitten in der Wüste einen Europäer getroffen, dessen Beschreibung auf ihn zutrifft, und der auf dem Wege nach Timbuktu war ... Gott erhalte uns unseren Tartarin.«

Als der Tarasconese das las, wurde er bald rot, bald bleich, er zitterte. Er sah Tarascon vor sich, den Klub, die Mützenjäger, den grünen Lehnstuhl bei Costecalde, und darüber schwebte wie ein Adler mit ausgebreiteten Flügeln der gewaltige Schnurrbart des gewaltigen Kommandanten Bravida.

Aber wenn er damit seinen jetzigen Zustand verglich, er, der jetzt faul auf seiner Matte hingelümmelt saß, während man glaubte, er sei dabei, den großen Bestien das Lebenslicht auszublasen – da schämte sich Tartarin aus Tarascon seiner selbst und weinte bitterlich.

Dann aber sprang der Held auf: »Auf zu den Löwen! Zu den Löwen auf!« Und er stürzte sich in den staubigen Winkel des Hauses, wo sein Patentzelt ruhte, die Hausapotheke, die Konserven, die Waffenkiste, und er schleppte das alles in die Mitte des Hofes.

Tartarin-Sancho lag in den letzten Zügen. Es gab nur noch einen Tartarin-Quichotte.

In Windeseile überprüfte er sein Material, bewaffnete, umgürtete sich, zog wieder seine großen Stiefel an, schrieb zwei Worte an den Prinzen, vertraute ihm Baja an, steckte ein paar blaue Scheine, naß von Tränen, in ein Kuvert, und schon rollte der mutige Kämpe aus Tarascon im Eilwagen auf der Straße nach Blidah dahin. Hinter sich im Haus ließ er seine Negerin starr vor Entsetzen bei ihrem Nargileh, er ließ den Turban, die Potschen, den ganzen muselmannischen Trödelkram des Sidi Tart'ri, der jetzt unter den kleinen weißen Bogen der Galerie sich häßlich herumsielte ...


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