Felix Dahn
Sigwalt und Sigridh
Felix Dahn

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XI.

Nun ward es still in der Höhle, geraume Zeit ganz still. Sie schwiegen, die beiden Seligen da drinnen! das höchste Glück ist stumm. – – – Nichts vernahm man als draußen das eintönige, kaum hörbare Geriesel des Waldquells über die glatten Kiesel. Weit weg im Walde klopfte der scheue Schwarzspecht an die Rinden der Eichen; durch den Wacholderstrauch hart an dem Höhleneingang schlüpfte einmal ein Zaunkönig und guckte neugierig hinein mit den klugen Äugelein: er hatte wohl früher hier Halme geholt zum Nest oder nach Heu-Mücken gejagt: aber wie er die beiden da drinnen ruhen sah Brust an Brust, huschte er draußen vorbei mit silberhellem Ruf: er hatte alles verstanden. – Endlich begann Sigridh, das entfesselt flutende Gelock – der Schwanenhelm war ihr längst vom Haupt geglitten – aus dem glühenden Antlitz streichend, sich sanft aus den Armen zu lösen, die sie noch immer nicht lassen wollten.

»Oh bleibe noch! Du darfst mich nicht schon verlassen!« – »Mein Sigwalt, ja, ich bleibe. Ich werde dich nie mehr verlassen.« – »Wie? Sigridh, mein Weib . . . .?« – »Das ward ich. Und das – nur das! – bleib' ich. Die Walküre – deine Beschirmerin!« – hier zuckte es wehmütig um die vollen Lippen – »sie ist dahin, für immerdar dahin!« – »Wie? Du hättest . . .?« – »Ich habe mich dir gegeben: ich kann nicht mehr Siegvaters Schild . . . . Schildjungfrau sein.« Schämig barg sie die Augen an seinem Hals. – »Geliebte! Welch Opfer!« – Da hob sie wieder das Haupt und sah ihm selig in die Augen: »Opfer? Die Liebe kennt kein Opfer. Und du? Was hast du hingegeben für diese Stunde? Dich selbst, dein Leben in den sichern Tod! Denn, glaube mir, die Nornen lügen nicht und Siegvater – mein Vater! – scherzt nicht. Wehe dir,« – sie erschauderte leise – »entdeckt er alles.« – »Ich fürchte nicht Nornen, nicht Odin. Dich will ich und das Verderben. Sterben um Liebe: – wie selig!« – »Sterben um Liebe – wie selig!« wiederholte sie, ernst mit dem Haupte nickend. »Sieh, als zuerst ich dich sah, dort, an jener fernen Küste, – wie keine Schau vorher entzückte mich dein Bild . . .« – »Und ich! Seither . . .!« – »Ich weiß,« lächelte sie und küßte ihn auf die Stirne. »Ich weiß alles, was du gelitten in wachen Nächten, in fieberndem Traum. Wie ergriff mich dein Sehnen – ja, es ergriff mich: teilen mußte ich es. Wie gern hätt' ich dich geweckt in mancher Nacht mit glühendem Kuß und geflüstert: ›Sigridh, nach der du rufst, sie ist da, sie ist dein!‹« – »Warum dann . . . .?« – »Warum ich's nicht tat? Oh Geliebter, nicht aus Stolz: – Weibesstolz zerschmilzt wie Eis in Glut in Weibesliebe. Nicht aus Kälte: – heiß schlug dir mein Herz entgegen! Aus Sorge um dich! Durfte ich – nach kurzer Wonne! – dein Verderben werden? Nach langem Ringen rief ich Frigga an: die Ehegöttin – ach, sie hatte wohl schon viel entdeckt – sie mußte wollen, daß diese Liebe Ehe werde: denn daß sie nicht mehr erlösche – das wußte sie. ›Vollliebe, das ist Ewigkeit,‹ sprach sie ernst mit dem Haupte nickend, als ich stehend ihre Kniee umfaßte. Gütevoll – wie eine Mutter – erhob mich die sonst so strenge Frau, wischte mit dem eignen Goldhaar die Tränen von meinen Wangen und sprach: ›Mich freut's, sucht das Weib statt des Kampfs auf der Walstatt den Frieden des Herdes. Getrost, mein Töchterchen! Manches willigt mir Allvater zu, streich' ich ihm bittend das Kinn. Ich will's versuchen.‹ Und sie hat es versucht. Ach, umsonst!«

»Grausamer Gott! Wie sagt dagegen doch sein Spangenspruch? ›Reich lohnt . . . .‹« Rasch verhielt sie ihm den Mund: »Schilt nicht Siegvater. Er will ja dir und deinem Vater treue Freundschaft lohnen. Ich soll dich schützen, wie er dem Sterbenden versprach, nicht dir nahn: zu deinem Verderben.« – »Ich aber will um dich verderben!« – »Als ich das erkannt – unzweifelhaft – aus tiefstem Ernst deiner Seele das vernommen, – da beschloß ich – ach nein! nicht beschließen, wählen! – ich mußte, hingerissen, hingezwungen, dir willfahren – zu deinem Verderben!« – »Glück auf zum sel'gen Untergang!« rief er und riß sie ungestüm wieder an seine Brust. »Dank dir, ewig Dank. Diese Stunde ward unser: kein Gott, kein Schicksal kann sie uns mehr rauben. Und trifft mich Odins Zorn zu Tode, – dich, die Tochter, kann er nicht strafen.« Da lächelte sie traurig und sprach: »Wenig weißt du von Walvaters Wut.« Erschrocken sprang er auf: »Und du, die sie kennt, du trotzest ihr? Und du liebst ihn doch, deinen Vater?« – »Mehr als alles – nach dir!« Sie erhob sich nun auch von dem Lager und beide traten vor die Höhle hinaus.

Da stand, mit dem Zügel an eine junge Erle gebunden, ein eisengraues, herrliches Roß; das wieherte freudig der Herrin entgegen, und scharrte mit dem rechten Vorderhuf ungeduldig den Moosgrund, müde des langen Harrens und lustigen, raschen Rennens begehrsam. Sigridh zerdrückte eine Träne in den Augen, unsichtbar für den Geliebten. Aber sie konnte nicht hindern, daß ihre Stimme ein wenig bebte, als sie, den gelösten Zaum dem treuen, klugen Tier auf den Rücken legend und ihm den schlanken Hals klopfend, sprach: »Nein, Falka! Nie mehr wirst du mich tragen in freudigem Ritt hoch durch die Luft, über schimmernde Helme, durch der Wurflanzen graues Gewölk. Nie mehr! Ledig läufst du zurück nach Walhall! Grüße mir Frigga, grüße mir Helmwine, grüße Waltraute und alle die Schwestern. Sag ihnen: ›Sigridh tat wie sie mußte.‹ – Auf und empor!« Sie gab dem Tier einen leichten Schlag auf den Vorderbug: einen staunenden, traurigen Blick warf es noch auf die Reiterin: dann schwang es sich mit mächtigem Satz vom Boden empor schräg in die Luft und war bald den nachschauenden Augen in den Wolken verschwunden.

Nun senkte Sigridh das Haupt und sprach: »Und wohin nun? Der Himmel ist mir verschlossen. Wo hat Sigridh nun Heimat?« Ganz leise, nur zu sich selbst hatte sie gesprochen: aber er hatte es gehört: »Hier,« rief er, »an meinem Herzen. In meiner Halle! Komm, Frau Königin von Halgaland.« Und rasch zog er sie an der Rechten mit sich vorwärts auf dem Weg aus dem Walde nach Halga-Björg.

So sah er nicht, wie sie leise das Haupt schüttelte, hörte nicht, wie sie hauchte: »Nicht Jungfrau, nicht Ehefrau! Nur mein Vater kann mich ja zur Ehe geben! – Aber,« – und hier leuchtete stolze Freude aus den goldbraunen Augen – »sein Lieb, sein Eigen, sein Glück! – Zwar,« schloß sie ernst, »auf wie lange? Rasch reisen Siegvaters Raben, hurtig erkennt Hugin. Und doch: – gesegnet, kurze Seligkeit.«

Und tapfer folgte sie seiner führenden Hand.



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